Keinen Plan zu machen, heißt noch lange nicht keinen Plan zu haben (Walden Nine)

schlimme_nacht

Gegen Abend hatte leichter Regen eingesetzt. Archibald wollte nicht noch einmal feucht werden und kletterte in seiner luxuriösen Waldwohnanlage zwei Stockwerke höher. Zwischen den dicken Wurzeln der mächtigen Eiche fühlte er sich sicher. Die Felsen, welche von den Wurzeln eingeschlossen waren, gaben die Wärme des heißen Tages ab, er legte sein Bärenhaupt auf den alten Schal und blickte hinaus in den Wald. Der leichte Wind fuhr raschelnd durchs Geäst und die Regentropfen trommelten leise auf das Blattwerk, weit über ihm. Unten blieb es trocken und warm. So kann es bleiben. Er schlief ein.

Er erwachte von der Stille. Die Stille einer Nacht im Wald, mondlos finster. Die Stille, die entsteht, wenn alles nach einer wochenlangen Hitzeperiode aufatmet, wenn die zurückgekehrte Kühle wieder den Schlaf zuläßt. Die Stille, die wirkt, als habe Gott der Herr den Stecker rausgezogen, weil ihm das ganze hektische Getriebe der Zweibeiner auf die Nerven geht. Doch in Archibald fand sie nicht statt, die Stille. Im Gegenteil, in ihm pochte es und vibrierte es, eine ihm gänzlich unbekannte Unruhe hatte ihn erfaßt. Hatte er geträumt? Er erinnerte sich nicht.  Hatte er Angst, alleine, hier draußen? Nein! Seine Anoperationsnarbe juckte und zuckte, was sie immer tut, wenn das Wetter sich ändert und ein größeres Tief naht. Was war ihm? Was faßte ihn an? Zartrosa fielen einzelne Finger des Morgenlichts auf den Waldboden. Es dämmerte. Und irgendwann dämmerte es auch Archibald Mahler, dem Bären, dem noch eine Geschichte fehlte.

Natürlich, das abbe Bein. Wollte er nicht schon seit Monaten die Geschichte davon erzählt haben? Gewiß, ein wenig spekuliert hatte er einst im Märzen, doch sich dann letztlich aus der Verantwortung der präzisen und ordentlichen Erinnerung geschlichen. Und nun, hier in der Stille, die auch einem kleinen Bären unerbittlich den Spiegel vor die Nase hält, besuchten ihn seine Gespenster. Hatte er nicht mit Ernst Albert in den letzten Wochen und Monaten kleine Reisen unternommen, hinab ins Heckerland, an den See und sogar in den untergegangenen Osten und war dort staunend auf den Pfaden der Erinnerung gewandelt? Hatte er nicht mit offenem und interessiertem Ohr all den Geschichten gelauscht, die sein Herr und Meister ihm erzählt hatte, sich seiner Ursprünge vergewissernd? Und er machte einen Plan, obwohl er, als er losgegangen war, sich fest vorgenommen hatte keinen Plan zu machen und sich vertrauensvoll den Überraschungen und Wendungen, die ein Tag so vorweisen kann, zu überlassen. Doch wenn der Plan wächst aus der Planlosigkeit, ist es ein guter Plan! Hat wahrscheinlich irgendwann mal der Geheimrat gesagt. Er würde schauen, in die Blätter und er würde warten bis die alte, längst überfällige Geschichte vom abben Bein aus den letzten Zipfeln der Erinnerung aufsteige. Und dann würde er sie festhalten, ein für allemal. A journey through the past. Und das ist das Schöne am Urlaub: Man ist früh erwacht,  man hat nachgedacht, darüber wurde es hell, doch die Müdigkeit kehrt nochmals zurück und man schläft wieder ein, ohne schlechtes Gewissen, bis zum Mittagsmahl. Und so tat es dann auch Archibald.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Freitag, 23. Juli 2010 14:03
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