Beiträge vom 17. Juli 2010

Vater arbeitet hier nicht mehr, aber es gibt immer noch alles zu kaufen (Walden Three)

Samstag, 17. Juli 2010 17:42

arbeitslos

Sicherlich, gelegentlich zeigt es sich, daß die Existenz der Aufrechtgeher durchaus ihren tieferen Sinn hat. Sie fahren zum Beispiel hinaus aufs Meer, fangen den Thunfisch, zerlegen ihn, verpacken ihn mundgerecht in Büchsen und ersparen einem Bären so alle Formen der lästigen Seekrankheit. Auch wenn mancher Bär noch gar nicht weiß, wie er diese Blechdinger öffnen soll. Oder sie sammeln Heidelbeeren, kochen sie zu Marmelade, füllen sie ihn Gläser und der verwöhnte Bär muß nicht warten bis es August wird und die Dinger reif im Wald herumhängen. Andererseits, so eine zweibeinerleere Stadt an einen sehr frühen Sommermorgen: man könnte sich daran gewöhnen. Archibald war die ganze Nacht durchgelaufen. Gut, eine kleine Rast hatte er auf dem Hinterhof eines Lebensmittelmarktes eingelegt und sich gestärkt. Was die Aufrechtgeher an Nahrhaftem wegschmeißen: unfaßbar. Dem Bär war es recht und dem nach Bier stinkenden zerlumpten Mann, der neben der Mülltonne schlief, wohl auch. Die Sonne bepinselte den Morgenhimmel rosa und ein neuer heißer Tag kündigte sich an. Höchste Zeit sich eine schattige Bleibe für die nächsten Stunden zu suchen. Den Rat der werten Frau Adler galt es ernst zu nehmen.

An den Rändern der kleinen häßlichen Stadt, die Archibald Mahler, zukünftiger Eremitenbär, erreicht hatte, fand er sie: die Ruinen. Hallen, Schuppen, Bürotrakte, Garagen, Gruben. Entkernt, eingerissene Mauern, zerschlagene Fensterscheiben, Müllberge. Zerstörung. Hatten die Aufrechtgeher sich mal wieder gegenseitig die Köpfe eingeschlagen? Hatte der Bär einen Krieg verpaßt? Was Archibald nicht wußte, es war ein Krieg, aber kein gewöhnlicher Waffengang, sondern ein viel gemeinerer, hinterhältigerer Krieg. Ein Teil der Aufrechtgeher hatte ihm Namen des allmächtigen Gottes „MEHRMEHRMEHR!“ vor vielen Jahren begonnen ihren kleineren, ärmeren und machtloseren Artgenossen das zu nehmen, was sie bis dahin ausgemacht hatte: die Arbeit. Ihren geregelten Alltag. Die Sicherheit. Die Würde. Fürchterliche Not mußten die Beraubten trotzdem nicht leiden, da die Gegend hier immer noch so wohlhabend ist, daß sie Millionen von Aufrechtgehern ihr Nichtstun bezahlen kann und verzichten muß auch keiner, da über den Meeren, in fernen und armen Landen, das hergestellt wird, wovon hier nur noch Ruinen zeugen und zwar billiger, viel billiger von dunklen Zweibeinern, die froh sind, daß sie nicht verhungern müssen und für jeden Pfenniglohn ihren Rücken krümmen. Globalisierung ist das böse Wort.

„Das ist meine heutige Bleibe!“ Archibald entschied sich für ein altes Pförtnerhaus. Eine vergilbte Tafel wies die Besucher darauf hin, sich bitte vor Betreten des Fabrikgeländes hier zu melden. Und schon ging es los. „Morgen!“ „Morgen!“ „Alles klar?“ „Man war das gestern ein grausames Gekicke!“ „Heute soll es bis zu fünfunddreißig Grad heiß werden. Ich fließ jetzt schon weg!“ „Entschuldigung! Ich muß Sie erst anmelden!“ „Sie gehen ins Gebäude sieben, dritter Stock, Zimmer 17, letzte Tür links!“ „Kann ich noch mal einen Blick auf den Lieferschein werfen?“ „Ah, Herr von Lippstadt-Budnikwoski. Wieder gesund!“ „Wat mutt, dat mutt!“ „Abflug. Parole Schwimmbad!“ „Was, schon Feierabend?“ „Nee, Urlaub. Mach’s gut!“ „Tschüssikowski!“ „Herr Mahler, bitte bei der Arbeit etwas weniger Privatgespräche!“ „Geht klar, Chef!“ Tja, Bären haben ein inniges Verhältnis zu Gespenstern. Dann wurde Archibald müde. „Kumpels, ich hau mich ein Runde aufs Ohr!“ „Nachtschicht?“ „Erfaßt!“ „Schlaf gut!” Und: Don’t be denied!

Thema: Walden | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth