Beiträge vom Mai, 2010

Ein Abend in einer Stadt im Osten

Donnerstag, 20. Mai 2010 14:11

weimar2_1„Und?“ Archibald schaute Ernst Albert erwartungsvoll an, als dieser wieder zu ihm stieß. „Ich tat, was ich konnte, kleiner Bär. Man wird sich entscheiden, die Tage, irgendwann! Warten ist die wahre Zeit. Jetzt habe ich Durst!“ Aufgespannte Schirme vor einer Gaststätte, unter denen sie als einzige draußen saßen. Am Horizont baute sich ein gewaltiges Tief zusammen. (Nach Rücksprache mit der Produktionsleitung: es soll wirklich „baute“ heißen. Gruß vom Setzer) Ernst Albert bemerkte leicht verbittert, daß er letztes Jahr im November, als er mit Eva Pelagia diese Stadt besucht hatte, den gleichen Wintermantel inklusive des dicken Schals getragen hatte. Archibald sagte dazu nichts. Er war es nicht gewesen, der die Existenz von Herrn Lenz abgeleugnet hatte. Das Schwarzbier erreichte die Durstigen. Archibald steckte seine Nase in den weißgelben Schaum und erreichte innert Sekunden die Nullkommafünfpromillegrenze. Das dunkle Zeugs schmeckte ihm. Na klar, ist ja auch das Lieblingsgetränk des Geheimrats gewesen. „Zum Frühstücke zwei Kannen des köstlichen und stärkenden Schwarzbieres, dann aufgebrochen.“, schrieb er schon in seiner „Italienischen Reise”. Von einer gegenüberliegenden Hauswand grüßte ein Zitat des Allgegenwärtigen. „Das wirkliche Leben verliert oft dergestalt seinen Glanz, daß man es manchmal mit dem Firnis der Fiktion wieder auffrischen muß.“ “Ja genau, mein Trinkerfürst! Mehr Dichtung, weniger Wahrheit!” Archibald fühlte sich bereit für ein ganzes Promill. Ernst Albert jedoch warnte. Außerdem hatte er – fellfrei, wie er ist – einen kalten Arsch und Hunger. Archibald zeigte sich einsichtig, da Ernst Albert zudem die Rechnung übernahm.

weimar2_2„Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zum Essen, bitte sehr – es macht ihn ein Geschwätz nicht satt, das schafft kein Essen her.“ So sangen sie einst hier. Nicht immer freiwillig. Geschenkt, denn diese runden Kugeln mußten die Götter auf die Erde gebracht haben. Archibald war fasziniert. Geruch, Geschmack, Konsistenz: ein Erlebnis. Er beschloß eine Petition an höchster Stelle einzureichen, daß in nächster Zeit neben den Lachsen auch Thüringer Klöße die Flüsse hinaufschwimmen mögen. Und man speiste, keinen fettfreien Chichikram, nein, man aß, nicht um seine Weltläufigkeit unter Beweis zu stellen, sondern man aß, um satt zu werden und also bestellte man Kost nach tradierter Art des Landes: Zwei jeweils dreihundert Gramm schwere Scheiben Rostbrätel, dazu Röstkartoffeln sowie Röstzwiebeln dick und heiß übers das in Bier gebratene Fleisch gehäuft. Zwei große und ein kleines Bier ergänzend dazu. Am Nebentisch vertilgte man Würzfleisch, übergoß dieses literweise mit Worcestersauce. Dann schob man Soljanka hinterher. In den Nebenraum wurde Schnitzel auf Schnitzel mit Mischgemüse und Salzkartoffeln getragen. Herrlich! Archibald grunzte vor Wonne, Ernst Albert schloß sich an. Sein Bruder hatte ihm am Tag seiner Abreise ein Buch über eben diese Art zu speisen geschenkt. Ein Buch auch über die Gespenster der Erinnerung, die auch aus den vollgeladenen Tellern in diesem Gasthause aufstiegen. Ein schönes Buch. Ernst Albert mochte solche Koinzidenzien. Nebenbei bemerkt: man zahlte für alles, was man verzehrt und vertrunken hatte, lächerliche dreizehn Taler. Archibald saß ermattet auf der Sitzbank. Der Kloß und der warme, freundliche Singsang der eingeborenen Zweibeiner hatten ihn wohltuend erschöpft. “Essen als Feier der Gemeinsamkeit, nicht als Zurschaustellung des kleinen bibbernden Wohlstandsego. Das muß ich mir merken.” Der Geist der Stadt im Osten, er beflügelte den Bären. “Meenste?” “Glor!” “Sischer?” “Awer säbforschdänsch!”

weimar2_3In der Nacht trommelte ein Regensturm gegen die Fenster des kleinen Hotels. Archibalds Schlaf war unruhig und von Alpträumen geplagt. Er träumte von den ehemaligen Lagern vor den Toren der Stadt, von dem dort hingerichteten Mann, der den Spitznamen „Teddy“ getragen hatte. Er träumte davon, wie er einen endlos langen Fluß entlang wanderte, auf der Suche nach der Quelle, auf der Suche nach seinem Ursprung, auf der Suche nach seiner Geschichte vor der Geschichte. Er stolperte und taumelte, er fror, überall roch es nach verschüttetem Schwarzbier, der Geheimrat bewarf ihn trunken mit Klößen und am Horizont lachten die Türme der Gier. „Archibald! Deine Mission! Die Suche!“ Stimmen riefen nach ihm. Er hatte doch einen Auftrag. Die „Angstmuzak“. Wieder stand er vor einem Kühlschrank. „Und weil der Mensch ein Mensch ist! Nieder mit dem vierten Schnitzel!“ Er öffnete die Tür. „Hey, Genosse Teddy. Da ist nur noch Wasser drin. Das Bier ist weg. War umsonst. Kaum zu glauben, nicht wahr? Komm her, die Gespenster hier wollen nichts Böses. Schlaf wieder ein. Don`t fear the reaper.“ Gitarren sangen Archibald in den Schlaf.

Thema: Anregende Buchstaben, Eastward ho! | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Ein Tag in einer Stadt im Osten

Donnerstag, 20. Mai 2010 11:58

„Auch wenn von einer früheren Vergangenheit nichts existiert nach dem Ableben der Personen, dem Untergang der Dinge, so werden allein, zerbrechlicher, aber lebendiger, immateriell und doch haltbar, beständig und treu Geruch und Geschmack noch lange wie irrende Seelen ihr Leben weiterführen.“ Dies hatte Marcel Proust einst geschrieben. Es sollte die Überschrift werden über die nächsten zwei Tage, die Archibald Mahler, Herr Ernst Albert und all ihre Gespenster gemeinsam verbringen durften.

weimar1_1Sie waren angekommen. Der Bahnhof lag auf einer Anhöhe am Rande der Stadt im Osten. Eine schnurgerade Allee führt hinunter in die Stadt. Der Himmel war grau, bleiern. Nach wenigen Metern rechter Hand das monumentale Denkmal eines Mannes, der vor sechsundsechzig Jahren von Vertretern der übelsten Sorte Aufrechtgeher, die jemals auf diesem Planeten gewütet hatten, in einem Vernichtungslager vor den Toren der Stadt hingerichtet wurde. Nach seinem Tod diente er der Jugend im Osten des Landes als Idol. Heute bleibt er Symbol für das recht kleinlaute Scheitern eines einst großen Entwurfs. Ernst Albert freute sich, daß man dieses Denkmal nicht – wie so viele andere in den letzten zwanzig Jahren – geschleift hatte. Sie erreichten das Zentrum der Stadt. Wunderbare alte Häuser, dezent restauriert. An jedem zweiten Haus hing eine Gedenktafel. „Hier wohnte, lebte, arbeitete oder ward geboren!“ Alles atmete Geist und Gesinnung. Zu Füßen des großen Schlosses im Herzen der Stadt: eine Talsenke, ein weitläufiger Park, ein Flüßchen. Archibald bat darum seiner Lieblingstätigkeit nachgehen zu dürfen: aufs Wasser zu schauen. Man kam der Bitte nach. Er ließ die Ilm an sich vorrüberfließen, gemächlich, milde. Ernst Albert sprach: „Eine knappe Bummelzugstunde flußaufwärts von hier, in der Nähe der Quelle des Flüßchens, wurde ich gezeugt.“ Gespenster huschten durch das Ufergebüsch.

weimar1_2Der Park weitete sich nach Osten hin. Am anderen Ende erblickte man ein kleines Gartenhäuschen. Der berühmte Geheimrat und Liebhaber der Grünen Soße hatte es vor über zweihundert Jahren des öfteren als Schreibstübchen genutzt. Archibald schloß das himmelgraue Häuschen sofort ins Herz. Warum Ernst Albert dieses Häuschen nicht auf der Stelle anmiete und mit ihm, Archibald Mahler, Denkbär im Osten, hier ein beflissenes und ruhiges Leben führe, wollte er wissen. Tja, daß dies so einfach nicht sei, wurde geantwortet. Außerdem ginge so etwas ohne Eva Pelagias Zustimmung auf keinen Fall. Und Ernst Albert erzählte, daß der Geheimrat einst die hessische Händlerstadt, in der er geboren ward, fluchtartig verlassen habe, weil ihn – nach eigenen Worten – „die Geldgier und Geistlosigkeit dort rasend machte.“ Er war dem Ruf eines jungen Fürsten an den Hof in dieser Stadt gefolgt. Hier wollte er seinen literarischen Elfenbeinturm verlassen und „das wirkliche Leben wirkend gestalten.“ Und tatsächlich, der Geheimrat mühte sich als Teilzeitpolitiker um Reformen. So arbeitete er Sparprogramme aus, die den doch sehr exzessiven Lebensstil am Hofe des stürmenden und drängenden Jungfürsten in gesündere Bahnen lenken sollten. Oberste Maxime war, daß „die Staatsausgaben stets unter dem Niveau der Einnahmen“ liegen sollten. Man muß nicht erwähnen, daß dem Versuch ein grandioses Scheitern folgte. Archibald dachte an die Türme der Gier und es schien ihm, als habe sich nicht viel geändert in all der Zeit.

weimar1_3Man erreichte den Musentempel. Dies war nicht irgendein Musentempel. Lange Zeit sah man in ihm – und manche tun das noch heute – den Musentempel des Landes schlechthin. Und so stehen, Arm in Arm, der Geheimrat und sein junger, schwäbischer Freund, Mitstreiter, Konkurrent und Kritiker vor dem Gebäude und blicken bedeutungsschwanger und Ewigkeit verheißend in die deutsche Ferne. Ernst Albert verschwand hinter den Mauern der heiligen Hallen. Er war auf Arbeitssuche und geladen, sich dort zu zeigen. „Halt mir die Daumen, kleiner Freund.“ Und Archibald sah die Aufrechtgeher unter den wachsamen Augen der zwei Klassiker hin und her schlendern und er drückte Daumen, so weit das bei einem Bären eben geht. “Toi, toi, toi!”, murmelte er vor sich hin. “Toi, toi, toi?” Wer hatte ihm das nur eingeflüstert?

Thema: Eastward ho!, Musentempel | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Hömma, wat ich grad am Denken bin! (Extrablatt)

Montag, 17. Mai 2010 15:41

wm_niederlage

Ich sach ma so: Regeln – Ich sach nur wat zu die Neunzig Minuten auffem Platz! – musse auch mal brechen, wenn et erforderlich. Getz zum Beispiel. Also! Hömma, Boateng, selbsternannter Prinz vom Panke-Kanal, wat bis Du für eine arme Socke? Mögen Dir die Fußballgötter verzeihen und Dir die nächsten Wochen ordentlichen Dünnschiß anne Backe kleben. Und Deine Lamborschinis immer ein Platten haben. Und dann ab dafür! Strafe genuch is ja der jämmerlichst vergeigte Elfmeter. Da hätte ja meine Omma noch mit mehr Schmackes an die Kirsche getreten! Aber der Schiedsrichter, der grade mal Gelb am zeigen war für dat schwachsinnige Rumgetrete, wat is dat ein Tütenkopp? Hemd aus nach Kiste, da sinnse alle die Karten am schwenken, aber so ein Mordversuch? Dat is dann „gesunde Härte“. Mein Gott, wat dämlich! Ich kann nur hoffen, dat die heute den Ribery, der genauso bescheuert dem Franzosen von Liong auffe Socke gesprungen war, nich begnadigen, auch wenn der Rummenigge noch so sehr die Rumwinselei betreiben tut. Und ein Wort an die Trainers: holt doch endlich die Maik Fränze und Fringse und Boatengse von unserem heiligen Rasen runter und schickt die nach Kunduz. Da können sie mal mit gesunde Härte und so, die Bratpfannen, die bescheuerten. Um Sackhaaresbreite am Volldepp vorbei, aber auffem Platz die dicken Eier schwenken. Ich glaubet nich! Wat sinn dat für Schiffschaukelbremser! Und dann musse auch noch hören: „Dat is ein Männerspoat und kein Rasenhalma!“ Selbst vonne sogenannte Lichtgestalt. Fresse halten, sach ich da nur!

So, getz noch ein Gruß an den Ballack. Dat tut mir am Herzen weh, wenn ich dat höre. Wat Du schon allet wechgepackt hast in Deine Karriere! Aber ich denk mal, Du bis doch kein Totalbekloppter! Lasset sein mit der Pöhlerei! Die ganzen aufgedrehte Hormondackel, dat musse Dir nich mehr antun. Und ein Vorteil hattet doch: Getz musse Dir die Plastiksprüche vom Herrn Löw nich mehr reinziehn. Erinner Dich dran, wiee im dem bekloppten Film über dat sogenannte Sommermärchen immer die Augen am verdrehen warst, wenn die Sprüchkes, die der Bäcker aus Kalifornien und der Herr Löw am ausscheiden waren, an Deine empfindlichen Ostohren eingetroffen sind. Mit “högschter” Disziplin die Polen anne Wand klatschen für den Olli oder so! Weisse noch? Dat is hiermit überstanden. Und die von Dir inne letzten Jahre so brutal unterdrückten Jungspielers, die können getz befreit aufspielen. Is doch auch nich ohne! Und dat Bildkes oben fürre Niederlage, dat schenk ich Dir. Mir gefällt dat sehr. Dir?

Gute Besserung und et gitt Schlimmeres! Herzlichste Grüße und ein gutes altes „Zicke Zacke Zicke Zacke Heu Heu Heu“ (davon hasse ja genuch) von Deinen Lütten Stan

Thema: Hömma, wat ich grad am Denken bin | Kommentare (1) | Autor: Christian Lugerth

Von angefressenen Lachsen, dem Trend zum Viertschnitzel und nachts vor dem Kühlschrank

Montag, 17. Mai 2010 12:40

kuehlschrank

Dann dachte Archibald: Vielleicht ist es ja auch so. Der Aufrechtgeher hat Hunger. Er kauft ein Schnitzel. Es würde auch ein halbes Schnitzel reichen, aber man weiß ja nie. Gestern hatte er zwar schon ein Schnitzel gehabt, müßte eigentlich für die Woche reichen. Vor gar nicht so langer Zeit verzehrte der durchschnittliche Zweibeiner vor Ort am Sonntag sein Schnitzelchen, basta. Aber, das soll nicht bekrittelt werden. Vielleicht hat die Aufrechtgeherheit eine genetische Veränderung heimgesucht, die notwendig macht, daß Fünfzigjährige jetzt Baseballkappen auf dem Kopf haben müssen, daß man seit einiger Zeit Kaffee nur noch im Gehen trinken kann, ständig mittels eines ominösen “Knopf im Ohr” Musik hören muß und eben jeden Tag ein Schnitzel braucht. Obwohl Schweine und Rinder für Bären nicht unbedingt zu einer schützenswerten Gattung gehören, muß kurz eingeworfen werden, daß selbst die fettesten Bären sich gelegentlich wochenlang nur von Beeren und Blättern ernähren. Gut, jetzt hat also der Aufrechtgeher Schnitzel, aber nicht nur das auf dem Teller, im Kühlschrank wartet noch ein Sicherheitsschnitzel – weiß man was passiert? – und neben dem Teller liegt das mobile Kommunikationsgerät, mit dem man jederzeit bei der Mama anrufen kann, ob sie nicht vielleicht noch ein Schnitzel bereit halten kann, falls, denn man weiß ja nie und sicher ist sicher und der Nachbar guckt auch schon so gierig durchs Fenster. Da beschleicht den Aufrechtgeher das Gefühl, ob es nicht höchste Zeit sei, ein viertes Schnitzel zu erwerben, um es in der Tiefkühltruhe, für alle Fälle – sicher ist sicher und man weiß ja nie. Ein schneller Biß ins Schnitzel auf dem Teller, er steht auf und während der Angstschweiß seine Stirne glänzen läßt, macht er sich auf den Weg in eine Kaufbude. Unterwegs denkt er darüber nach, ob man nicht vielleicht doch Schnitzelderivate erweben sollte, die könne man im Notfall in ein fünftes Schnitzel umwandeln oder gar Anteile an einer Schweinefarm dafür erwerben. Oder? Währenddessen wird das Schnitzel auf dem Teller kalt, verrottet und der arme Aufrechtgeher spürt einen gewaltigen Hunger seine Gedärme peinigen.

Archibald war eigeschlafen, was dann geschieht, wenn seine Nachdenkerei unermüdlich um die absurden Angewohnheiten der Aufrechtgeher zu kreisen beginnt und weder Ausweg noch Erhellung am Horizont zu erkennen sind. Und er träumte von einem Fluß im fernen Alaska, an einem der Tage, an denen die Lachse zurückkehren, um zu laichen und dann zu sterben und alle Bären sich dort sammeln, um ein dionysisches Mahl zu feiern. Und er träumte wie die dicksten Grizzlys am Ufer des Flußes faul auf dem Rücken lagen, einen Knopf im Ohr, ihren Tatzen wippten zu einem entnervenden wummernden Rhythmus, ab und zu fischten sie einen Lachs aus dem Fluß, bissen ein Stückchen aus dem Fisch heraus und warfen das angefressene Flossentier angewidert zurück ins Wasser. Der Fluß färbte sich rot. Am Waldrand warteten ein paar ausgehungerte Schwarzbären, Baseballkappen mit Liebeserklärungen an die Grizzlys auf dem Kopf, in der Hoffnung, ein kleines Stückchen, gerne auch toten und verstümmelten Fisch, zu ergattern. Ab und zu stand einer der Obergrizzlys auf, tobte und brüllte und drohte in Richtung der hungrigen entfernten Verwandten, um dann in den Fluß zu urinieren. Das entspannt. Der Fluß veränderte seine Farbe, unmerklich. Er wurde braun und brauner. Die Grizzlys lachten blöde, drehten die Musik in ihren Ohren lauter und schlürften Kaffee mit Lachsgeschmack, gehend. Der Fluß trat über die Ufer und spülte stinkendes und schimmelndes Lachsaas an Land. Die Sonne brannte vom Himmel. Es stank. Es war heiß. Geier lachten. Und handelten.

Archibald begann zu schwitzen. Er wußte nicht, ob er noch schlief oder schon wachte, als er in der Küche stand, verzweifelt versuchte, die Kühlschranktüre zu öffnen und Ernst Alberts Hand sich vorsichtig auf seine linke Schulter legte. „Was machst Du denn da, Archibald?“ „Ich suche das vierte Schnitzel!“ “Und warum, wenn ich fragen darf?” „Ich will es wieder zurückbringen. Wir brauchen das nicht.“ „Ich verstehe Dich nicht!“ „Es soll wieder Frieden sein in Alaska und die Schwarzbären sollen auch was abkriegen.“ „Archibald, wir haben zur Zeit noch nicht mal ein Schnitzel im Kühlschrank und Du solltest mal Denkpause machen. Pack Deine Sachen, wir fahren in den Osten. Dort besuchen wir den Geheimrat und trinken mit ihm eine Kanne Köstritzer!“

Archibald erwachte. Ganz langsam. Er befand sich auf dem Weg zum Bahnhof der kleinen häßlichen Stadt.

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Hömma, wat ich grad am Denken bin! (Folge 2)

Samstag, 15. Mai 2010 23:01

wm_unentschieden

Ich sach mal so: Dat Schöne am Pokal is ja, dat et kein Unentschieden gitt. Dafür gibbet manchmal Verlängerung und Elfmeterschießen. Manchen is dat nervlich ja zu anstrengend. Bitte, dann soll der sich inne Flimmerkiste eine gepflechte Partie Golf reinziehen. Ich mag dat, wennse im Sekundentakt vonne Hölle in den Himmel katapultiert wirs und wieder zurück. Dat Schlimme am Pokal is aber dat Gerede von die eigenen Gesetze, die wo der Pokal ja haben soll. Ich hab, obwohl ich auch nich imma weiß, wat Ambach iss, jedenfalls noch nie wat von eine DPSVO (Deutsche Pokalspiel Verordnung) gehört oder gelesen. Ich denk ma, dat sind einfach abgezuppte Kicker, die im Pokal der Haute Volaute vom Favoritenteam gerne mal einen in die Kiste ballern. Die vor der Partie sicheren Sieger stehen dann bedröppelt am Sechszehner rum und dat Rumgebölke is groß von wegen eigene Gesetze, bloß weil man nich in die Puschen gekommen is. Unvergessen, sach ich mal, wat den Pokal betrifft: Wolfgang Schäfer, Norbert Dickel mit dem kaputten Bein, Lajos Detari, Frank Rost und Klaus Sievers. Oder wie der Assauer – Nicht anfassen, nur gucken! – den Pott demoliert hat. Und für die Rentnerkombo unter Euch: Günter Netzer, der ollen Knötterich. Wat eine Kiste! Und dann isser ab nach Spanien. Ohne inne Nostalgie zu versinken: mit dem ganzen Shampoo, wo der Bierhoff für seine Werberei gekriecht hat, hättse die Fettlocken von den Jungens damals nich gewaschen bekommen. So getz, Scherz anne Seitenlinie und volle Konzentration auf den Spoat. Und weil heute die Fischköppe gegen die Nordösterreicher am Pöhlen sind, is eigentlich Jacke wie Hose, wer gewinnen tut und deshalb steht über meine bescheidenen Anmerkungen dat Bildken für Unentschieden. Weil die wahrhafte Pöhlerei findet nur im Städtedreieck Duisburg – Recklinghausen – Dortmund statt. Der Rest is Kopie. Sach ich mal so. Bevor et losgeht, steh ich noch mal auf und lege eine Schweigeminute ein für: Westfalia Herne, Rot-Weiß Oberhausen, Rot-Weiß Essen, Schwarz-Weiß Essen, Sportfreunde Katernberg, Sportfreunde Gladbeck, SG Wattenscheid 09, Hamborn 07, Meidericher SV, TSV Marl-Hüls, SpVgg Erkenschwick, STV Horst Emscher und die Historie von meine Herkunft. Davon später mehr. Ruhe getz, et geht los. Hömma, Archibald, tu uns noch zwei Pilsken.

Hand auffet Herz, fünfzehn Minuten Vorgeplänkel war ich dann doch am anschauen. Ersma der Schock wie der DSDS-Kicker Menowin Mehzad Boateng unserm Ballack auffe Socke springt. Muß dat sein? Dann war aber noch Freude angesacht. Sacht der Kahn: „Da hab ich mich zurückerinnert gefühlt.“ Dann sacht der van Gaal: „Wenn viel Wasser auf den Rasen gefallen ist, können meine Spieler nicht Positionsspiel ausführen.“ Dann isset aber doch ganz anders gekommen.

Zum Spiel: Wenn wat eindeutich war, dann dat. Da gibbet kein Vertun, dat is Freude beim Hinschauen, so schwer dat zuzugeben is. Drei Minuten Aufgebäume nache Pause bei die Fischköppe; Özil, Pizarro und Marin mit Tarnkappe und unsichtbar in jede Beziehung; der Mertesacker Volleyball am spielen und dat alte Blumenkind Frings kurz vor Schluß mit beknackten Foul an Schweinsteiger. Dat war Werder Bremen. Da hat der Günter Grass mit dem Lemke auffe Tribüne auch nich helfen können. Sonst? Robben. Olic. Ribery. Schweinsteiger. Und allet keine zufälligen und reingestolperten Kisten. Da gibbet nix zum rumkritteln. Und der Torjubel von van Gaal? Kurz mal den Kugelschreiber zücken und eine Notiz inne Kladde notieren. Heute kein Tod, aber vier Gladiolen. Da kannse nur hoffen, dat die Holländer uns bei der Weltmeisterschaft nich im Strafraum rumlaufen. Und unsere Nationalen Spielers? Der Spinnewipp Müller dat is eine Freude, der Schweini is getz ein Herr Schweinsteiger, der Lahm konstant vorhanden und sonst gibbet anne Stirn von Herrn Löw etliche Falten und viel Sorge. Denk ich mal. Noch ein Wort für die Herren Kommentatores: Wennse schon vorm Anpfiff Gänsehaut am kriegen bist, kannse dir ein Pullöverken überziehen. Dat hilft.

Also: Schicht im Schacht und ich danke Sie für heute. Et grüßt Euren „Lütten Stan“

Thema: Hömma, wat ich grad am Denken bin | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

„Meh wie ä Schnitzel am Tag kannsch eh it fresse!“, sagte einst am See Herr H. Maier

Samstag, 15. Mai 2010 12:19

daemmerung

Einerseits: „Da habe ich mir ja etwas an die Backe geklebt!“ und andererseits – ungewohnt salopp – „Gefickt eingeschädelt!“. Das war es, was Archibald dachte, als er im Warmen saß und beschloß das Fenster erst wieder zu öffnen, wenn Herr Lenz Zwanzig Celsiusgrade in die Luft geblasen hatte. Das Einerseits, das war seine Expedition “Angstmuzak“, ein etwas größeres Vorhaben, wie ihm gerade schwante, das Andererseits war die Tatsache, daß er den Lütten Stan überzeugen konnte, jetzt wo die Kugelhysterie wieder aus allen Ritzen zu kriechen begann, sich zu outen und die Sache mit der Balltretkunst zu übernehmen. Dies schenkte seinem Auftrag etwas mehr Zeit und damit verbunden – so jedenfalls hoffte der Denkbär – auch Tiefe. „Doch die Kälte und die intensiven Angstschweißwolken da draußen hatten ihn etwas niedergeschlagen gemacht. Was solle solch eine Expedition überhaupt? Für wen war sie gedacht? Um einen Bärengott zu erheitern? Führte er Selbstgespräche? Was war das Ziel? Selbsterkenntnis oder Selbstzweck? Es gab Momente, da erschien es ihm maßlos, dem allem, was gedacht und gesagt war und noch gesagt und gedacht werden wird, noch mehr hinzuzufügen, es sei denn, man könnte tatsächlich Erleuchtung versprechen. Für sich. Für einen anderen.“ (Schön sich bei Frau Schmidt für die Anregung bedanken! Gelle, der Setzer.) „Natürlich! Danke Frau Schmidt! Seite 83.“ Ernst Albert hatte Eva Pelagia heute morgen vorgelesen und das feine Bärenohr hatte es vernommen und Glöckchen in ihm bimmelten los. Diese Glöckchen hatte auch der Alte von Bergedorf vernommen. Mit aufmunternder Strenge nickte er Archibald Mahler, dem Expeditionsreisenden vom Brandplatz, zu und dieser machte sich an die Arbeit. Versprochen ist versprochen.

Und so blickte durch ein anderes Fenster hinaus in die Welt, das heißt, er blickte nicht, er roch sich hinaus in die Welt, seine Nase beugte sich über Ernst Alberts gesammelte Zeitungen, saugte die Buchstaben und Geschichten ein, begutachtete sie, durchleuchtete sie, verwarf vieles und legte, was wertvoll, erhellend und erheiternd schien, in den Gedankenschrank zur späteren genauen Betrachtung, oder nur so, weil ein bißchen was für den langen Winterschlaf  zu sammeln – irgendwann steht der wieder ins Haus – ist nicht dumm. Und das war einiges, was Archibald da aus den Papieren der letzten Tage entgegen schwappte. Alles verstand er nicht. Wie auch? Bären waren bis jetzt noch nicht dazu gezwungen, sich ökonomischen oder finanzpolitischen Überlegungen hinzugeben. Doch beim Einsortieren hatte er das Gefühl, es lediglich mit zwei Arten von Zweibeinern zu tun zu haben, die sich da äußerten. Da waren einmal die Apokalyptiker, die Marktschreier und Krakeeler, die Anhänger Kassandras, die mit wuchtigem Pinselstrich Menetekel nach Menetekel an die Wände malten. Ihr Gezeter zielte offensichtlich nicht auf die Hirne ihrer zuhörenden Mitzweibeiner, sondern wendete sich an die kleinen und fiesen Ängste, die Ängste vor Verlust und Niedergang, an den Neid, an die Eifersucht, an all das unreflektierte Gewürm, was durch die Adern eines jeden Aufrechtgehers fließt. Archibald verstand das nicht. Wenn man nicht weiß, was tun, ist es dann nicht besser zu schweigen und nachzudenken, als rumzupoltern und die, die versuchen nachzudenken, permanent zu stören? Aber die zweite Art erschien ihm fast noch bedrohlicher, diese ganze Bande der Aussitzer, Beschwichtiger, Hinausschieber, Kreditnehmer, Schuldenmacher, Achselzucker, Raushalter, welche mit ihren heruntergezogenen Mundwinkeln und hochgezogenen Augenbrauen es schon immer gewußt haben. Jene, die nur mit den Einen reden wollen, wenn diese wiederum nicht mit den Anderen reden. Die, welche darauf warten, daß irgendwer den Mut hat etwas zu entscheiden, um dann auf den Zug der Entscheidung aufzuspringen oder, bei Nichtgefallen – das heißt bei der Notwendigkeit des eigenen Verzichts – zur Partei der Krakeeler und Radauvögel überzuwechseln. Schon seltsam! Archibald dachte darüber nach, ob es Zweibeiner gibt, die auch bedenken, daß die Welt, auf die Archibald schaut, auch Archibalds Welt ist, selbstredend im Nanogrammbereich, aber immerhin. Dann roch er etwas, was ihn beruhigte. Aus dem Papierberg sprach die Stimme des Alten von Bergedorf. Er hat mal wieder Zeit gefunden. Er meinte nichts anderes, als daß, wenn Zeiten sich ändern, selbstverschuldet oder nicht, nur eines hilft: Ruhe bewahren und Arbeiten. Warum ist das aber anscheinend so schwer? Archibalds Ehrgeiz war angestachelt. Die Expedition wird fortgesetzt. Das wußte er nun. Und er ahnte, daß diese ganze Angstsuppe irgendwas zu haben mußte mit dem einem Schnitzel am Tag, von dem Ernst Albert heute morgen beim Frühstück seiner besten Eva Pelagia erzählt hatte.

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Hömma, wat ich grad am Denken bin! (Folge 1)

Freitag, 14. Mai 2010 8:44

wm_sieg

Ich sach mal so, der Siech is erfolgt. Drei zu null. Gegen Malta, dat auch mal von unserem Sigi trainiert worden is. Frach mich nich wann. Die deutsche Mannschaft, wo auffem Platz war, konnte den Text vonne Nationalhymne geschlossen nich mitsingen, dafür war die ganze Bank von den Trainers volle Kanne und textsicher beie Singerei dabei. Und der Podolski und der Friedrich zusammen hatten fünfmal so viele Spiele auffem Buckel wie der Rest von ihren Mitspielers. Die Hütten haben gemacht der Cacau und ein Malteser. Dat waret dann auch. Vom Podolski kannse melden, dat, wer nich gegen Malta einlocht, dat dann wohl gegen Argentinien oder Rot Weiß Ahlen erledigen muß. Wat der Uli Stein mit die Faulheit von dem Werbeprinz wohl meint? Weiß ich dat? Dann hat der Podolski mich große Freude gemacht, nachem Spiel, wie er gesacht hat: „Isch hab ein dicken Strich drüber gemacht unter die Sässong!“ Und ich mach mal einen dicken Strich drüber über dat Spiel. Und der Heiopei von Kommentator? „Schon wäre die Torchance beinahe dagewesen.“ Ja wat denn nun? Ich sach mal so: Spiel und Kommentar ham getz kein wirklichen Grund auf die Malteser runterzugucken. „Der maltesische Fußballspieler ist im Ausland nicht sehr gefragt!“ Hömma, Claus Lufen, wer fracht Dich eigentlich? Schulligung, wat ich hier eigentlich machen tu?

Getz pass auf, gekommen is dat so. Mein Kumpel, der Archibald, der hat ja nix am Hut mit der ganzen Pöhlerei. Dat is dem so was von achtnachtzich, dat glaubst Du nich. Ich sach immer, wat Teil vonne Welt is, is Teil vonne Welt, also auch die Pöhlerei. Dat sieht der Bär anners mit seine philosophische Hirnrinde. Der ist immer nur am rummoppern und kann den Spoat nur inne gesamtgesellschaftliche Verquickung betrachten. Dat is doch Kokolores! Dat hat er dann auch eingesehen. Also mach ich dat getz für den alten Brackermann. Aber ohne Sperenzken, dat Ganze. Wennse wissen willst, ob der Podolski dem Ballack wieder eine geschallert hat, dem Bierhoff sein Shampoo vom Badewannenrand gekippt is oder der Schweinsteiger eine neue Tusnelda am anbaggern is, da kannse dirn Ei drüber braten, dat gibbet hier nich. Hier is nur Pöhlerei pur. Spiel gucken, nachdenken, wat sagen, Klappe zu, Affe tot. Kaffeesatzleserei un Schmonses, nee! Allet Killefitt! Kannse inne Tonne kloppen! Auffem Platz zählt, neunzich Minuten, danach und davor vielleicht noch zehn Minütkes. Aber bei Kerner, Klinsmann und dem Kaiser fliecht die Fernbedienung inne Ecke. So schnell is noch kein Ausknopp gedrückt worden. Und wegen die optische Gestaltung von meine Äußerung noch ein Wort. Wo mein Kumpel Archibald jeden Tach mit neuen Bildkes am Aufwarten is, bei Pöhlereikommentar gibbet nur drei. Eines für Siech, eines für Niederlage, eines für Unentschieden. Und „Hömma, wat ich grad am Denken bin!“ gibbet nur nach Spielen von unsere Nationale Elf. Da gibbet kein Vertun. Gut, Ausnahme is Pokal getz am Samstach und Championsleague die Woche drauf. Obwohl Bayernspiele gucken eigentlich mit pottweitem Stadionverbot geahndet werden sollte. Is aber quasi Warmschießen für mich. Wegen dem Lederhosenblock, wennse kapierst, was ich sagen tu. (Wie wäre es mal mit vorstellen? Freundlichst: Der Setzer)

Gut, also dat is mein werter Name: Reinhard Theophil Kuno „Stan“ von Lippstadt-Budnikowski zu Datteln. Wem dat zu lang is, kann mich auch den „Lütten Stan“ nennen. Wie ich an den Namen gekommen bin, der beinahe so lang is wie der gesamte Ruhrschnellwech, dat is ein bißken längeres Döneken. Da is getz keine Zeit für.

Also: Schicht im Schacht und ich danke Sie für heute. Et grüßt Euren „Lütten Stan“

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Der Müll, die Angst und der Tod der Vernunft

Donnerstag, 13. Mai 2010 6:23

angst

Was hatte er da gestern auf der Heizung geträumt? Hatte er geträumt? Er im Maule eines..? Quatsch! Archibald schüttelte sich, kratzte sich am Hintern und brach auf, Schweinekälte hin, Schweinekälte her. Vorhaben, die unter dem strengen Auge des Alten von Bergedorf geplant, gilt es in die Tat umzusetzen. Die Expedition namens „Angstmuzak“ nahm ihren Anfang. Weit mußte er nicht gehen. Fenster auf, Regenrinne herunter geklettert und bitte schön: der Geruch des gestrigen Tages attackierte ihn, schärfer und prägnanter denn je zuvor. Er schaute sich um. Keine Aufrechtgeher zu sehen. Er kratzte sich den Bärenschädel. Seine Nase vibrierte. Angstgetränkte Zweibeinerausdünstung der Panikklasse Eins A hüllte ihn ein. Was war denn nun die Quelle dieser konzentrierten Duftattacke? Fragen über Fragen. Er stand vor einer Mülltonne. Sollte? Nein! Doch! „Archibald! Erkenntnis fordert Opfer!“ Es mahnte die Bergedorfer Instanz. Die Nordostwand der Tonne erklettert, den Deckel hochgestemmt, Schädel und Nase ins Innere gestreckt: eine Sache von Sekunden. Der Deckel fällt donnernd herab. Gefangen der Bär.

Archibald dachte nicht im Traum daran, seine Expedition bei der ersten Mißlichkeit abzubrechen oder gar nach Zweibeinerart um Hilfe, Anleihe und Rettungspaket zu betteln. Etwas in ihm ahnte, daß er erster Erkenntnis gar nicht so fern war. Der Müll! Die Angst! Der Tod (der Vernunft?) Also dachte er nach. Vielleicht ist es so: der Aufrechtgeher schmeißt gerne weg. Alles was nicht paßt, im ersten Moment nicht sofort hundertprozentige Erfüllung garantiert, oder sperrig ist, Beschäftigung und Nachdenken, vielleicht gar Andacht fordert – Würste, Schuhe, Waschmaschinen, Herzen, Ideen, Bücher, Ausbildungen, Mitarbeiter, Versprechen, unerwünschte Kinder, Exkremente verbaler oder intestinaler Natur: kurz alles was gerade – Menno! – irgendwie stört: einfach fallengelassen, weg damit, ein anderer wird sich schon bücken und es entsorgen. Dann? Weiter, denn Nachschub ist garantiert! Auf ewig! Sagt man! Für all diese Würste, Schuhe, Waschmaschinen, Herzen, Ideen, Bücher, Ausbildungen, Mitarbeiter, Versprechen, unerwünschten Kinder, Exkremente verbaler oder intestinaler Natur: kurz alles was gerade – Menno! – irgendwie stört. Huch und Hoppla! Auf ewig! Auf ewig? Und in den Mülltonnen gärt es vor sich hin. Die Seifenblasen wachsen und wachsen. Die Deckel drückt es nach oben, langsam, aber gewaltig. Da helfen keine Schlösser. Selbst der einfach gestrickte Zweibeiner ahnt, daß ihm irgendwann seine Mülltonnen um die Ohren fliegen werden. Die Angst kriecht aus dem Müll, aus den Exkrementen und aus den Rosinenherzen. „Schnell! Schnell! Weiter! Weiter! Vielleicht kann ich meinen Mann noch umtauschen! Karstadt verspricht heute Träumerrabatt.” Uppsala! “Auf! Auf! Galeria Horten! Horten! / man  gewährt an allen Orten / beim Erwerben neuer Träume / drei bis vier der Gratisschäume!“ Der Schnitter freut sich! Langsam stirbt die Vernunft! Lebt sie noch? Freeze! Die aufsteigenden Gase trübten Archibalds Wahrnehmung. Sein Hirn begann zu eiern und dichtete: „Griechenland und anderswo, wer lebt nicht gerne faul und froh!“ Eine Blase platzte. Der Deckel flog nach oben. Archibald ward befreit.

Also saß er auf dem kalten Maienboden, Zweibeinermüll all around him. Ein Stück alte Zeitung flatterte vor seine Nase. Er riechlaß das, was der Spielleiter aus dem Heckerland gestern ausgeatmet hatte: „Wir erwarten von den Spielern hundertprozentige Konzentration im mentalen Bereich, daß taktische Dinge umgesetzt werden, Aufgaben angenommen werden. Wir erwarten eine hundertprozentige Bereitschaft im körperlichen Bereich, weil bei einem Turnier jeder absolut an die Grenzen gehen muß.“ Auweia! Das Blechsprech der Seelenlosen. Das tat richtig weh! Binsenwahrheiten hatte Archibald noch nie verstanden, aber er ahnte, daß auch diese Blase bald – stinkend und mit Getöse – platzen würde. Sein Blick schweifte nach oben. Gott sei Dank, das Fenster der Höhle war noch offen, die Regenrinne nicht allzu klitschig und die Heizung kochte weiterhin auf Stufe Vier. Archibald beschloß seine Expedition zu unterbrechen. Aaahh und Ooooh! Ein Bärenhintern erwärmte sich. „Herr Reinhard Theophil Kuno „Stan“ von Lippstadt–Budnikowski zu Datteln, übernehmen Sie! Die Balltretkunst ist Ihr Metier! Dig it!“

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„Yassou, Eyjafjallajökull! Ti kanis? Isse kala?“

Mittwoch, 12. Mai 2010 9:49

dino2

Es wurde gelüftet. Archibald schwang sich auf das Fensterbrett. Feuchtkalte Luft schlug ihm entgegen, und jener Geruch, der Hunde kläffen läßt und sensible Bären nachdenken: der Geruch des Angstschweißes der Aufrechtgeher. Und glitzerten nicht schon wieder kleine Aschepartikel im diffusen Morgenlicht, wie einst im Heckerland, als der Himmel tagelang nicht von Kondensstreifen zerkritzt und zerkratzt wurde? Ja, es roch stechend, es roch aggressiv und laut da draußen. Die Buchstaben auf den Titelseiten der Mitteilungsblätter, welche am Kiosk auf der anderen Straßenseite aushingen, waren so groß und rot, daß sie von der Seite zu rutschen drohten. Wenn die alte Bärenseele in ihm es nicht besser gewußt hätte, hätte Archibald Herrn Ernst Albert heute gebeten ihm ein One Way Ticket auf der Arche Noah zu buchen – falls sie noch in Betrieb ist. Nur wohin ginge dann die Reise? Die alte fadenscheinige Hoffnung der Zweibeiner, es gäbe irgendwo auf dieser Welt einen Ort, an dem man sich vor sich selbst in Sicherheit bringen könnte: Pustekuchen, um es mal salopp und präzise auszudrücken. Denn das hatte Archibald begriffen, die Frage: „Poo kostisi afto?“, stellt der Aufrechtgeher nach dem Genuß gar nicht gern. Aber irgendwann kommt der Ober oder der Vulkan, die Bohrinsel oder der Gletscher, das überstrapazierte Konto oder ein letzter Rest von Verstand und spricht: „Ella, ton logariasmo, parakalo!“ Und der Schnitter steht am Horizont, winkt und ruft: “Kalinichta!“

Was machte nun ihn, Archibald frösteln? Er dachte nach. Eins war gewiß, nie mehr wollte er zweigeteilt auf einem Platz im Zentrum einer kleinen häßlichen Stadt in Mittelhessen liegen. Nie mehr nicht Einer und schon gar ein Anderer, als der, der er nun ist, sein. Nicht seinem abben Bein hinterher jagen, oder spüren, wie ein abbes Bein ihn verfolgt. Nein, das auf keinen Fall. Und das Morgen sollte ihm nicht allzuviel Sorgen bereiten – gut, ein Leben ohne Ernst Albert, Eva Pelagia und dem geheimen Fieberthermometerhalter, das wollte er sich lieber nicht vorstellen – aber Archibald war sich klar, als Weltschauer sind seine Eingriffsmöglichkeiten in Sachen Lauf der Dinge sehr begrenzt und das Einsortieren aller Vergangenheiten und der daraus gezogenen Schlüsse in den Gedankenschrank, das schien ihm Arbeit genug. Der Himmel verfinsterte sich gänzlich unmaienhaft. Man schloß die Fenster.

Im Warmen auf der Heizung sitzend, kam Archibald eine Erkenntnis. Und was, wenn die größte Angst der Aufrechtgeher ist, von ihrer Ängsten aufgefressen zu werden? Oder vielleicht doch von einem Sauropoden? Im Rahmen des selbst auferlegten Auftrags, sich von heut an zu organinizieren, beschloß er für morgen eine Expedition auszurüsten, eine Expedition auf der Suche nach der Angst der zahlungsunwilligen Zweibeiner. Morgen, wohlgemerkt, morgen. Falls es nicht zu heftig regnet. Solange machte er es sich erstmal auf der Heizung bequem. Er schlief ein. Er träumte unruhig. Aaaarghhh!

Thema: Draußen vor der Tür, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

„Ich finde das nicht in Ordnung, den Leuten Angst zu machen.“, sagte der Alte aus Bergedorf

Dienstag, 11. Mai 2010 15:30

schmidt_neu

Natürlich wußte Archibald nicht, daß der Alte aus Bergedorf (Präzise bleiben! Schon seit langem aus Langenhorn! Euer Setzer) letzten Freitag diese Worte gesprochen hatte, als man ihm wieder mal einen Preis verliehen hatte, und er rauchend und im Rollstuhl sitzend die Glückwünsche entgegengenommen hatte, wahrscheinlich aus den Händen inzwischen auch erwachsener Zweibeiner, die ihn zu Zeiten ihrer Jugend noch ob seiner „Sekundärtugenden“ verspottet hatten. Zeiten ändern sich und nun hängt man an den Lippen des alten Nordlichts, als tropfe da der Honig der erlösenden Antworten auf alle brennenden Fragen der Aufrechtgeher herab. Aber diese Postkarte, die Ernst Albert über seinen Schreibtisch gehängt hatte – natürlich ein Geschenk der feinfühligen Eva Pelagia – diese Postkarte, die ein gemaltes Portrait des Alten zeigte, mochte Archibald sehr. Was sah Archibald? Ein grauhaariger Mann, sein Blick offen und konzentriert, schaut hinaus in die Welt und scheint dort etwas zu suchen oder er denkt nach. Umgeben ist der Mann von tanzenden, schreienden und tobenden Gestalten. Diese scheinen verletzt, in wilder Panik und aus allen Wunden blutend. Hinter dem rechten Ellenbogen des Mannes liegt gar ein Totenkopf. Dies alles scheint den Grauhaarigen nicht davon abzuhalten weiterhin konzentriert und gelassen in die Welt zu schauen und nachzudenken, was zu tun ist und was zu lassen. Auch die Tatsache, daß sein Schlips aussieht wie ein Wasserfall aus Blut, so als habe ihm ein unbekannter Feind ein Messer in die Kehle gerammt, irritiert ihn offensichtlich nicht.

Ernst Albert war einer derjenigen gewesen, die den Vorgänger des Alten aus Bergedorf verehrt hatten – jenen trinkenden, Frauen taumeln machenden, Männer die Zähne fletschen lassenden, im großen und richtigen Moment das Knie beugenden Aufrechten, den knarrenden, mitreißenden und hadernden Redner, den alle beim Vornamen nannten, damals. Seinen Nachfolger, ihn mochte man nicht. Kalt, rechthaberisch, nordisch, utopiefrei sei er. „Wenn Sie Visionen haben, gehen Sie besser zum Arzt!“ Das hatte er gesagt. Das mochte man nicht hören in den Goldenen Tagen. Da fuhr man lieber nach Bonn und hatte öffentlich Angst. Da das Ende der Welt angeblich bevorstand, machten Hunderttausende mit. Willy sprach, alles toste und tobte und Helmut allein zu Hause. Damals. Wieder und wieder ändern sich die Zeiten. Und dann hatte Helmut Recht bekommen. Und Willy ist tot. So ist das manchmal. Lange hatte Ernst Albert gebraucht, um die Begriffe Pflicht und Vernunft in seinen Wortschatz wohlwollend zu integrieren. Und viel später hat ihm der Alte aus Bergedorf sogar etwas zum Geburtstag geschenkt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Also betrachtete Archibald Mahler, genesener Bär vom Brandplatz, die Postkarte und er ahnte und seine feine Nase bestätigte ihm dies: wenn er jemals Ordnung in seinen Gedankenschrank bringen wollte, eines darf ihn nicht lenken: und das ist die Angst. Das Leben ist ein anstrengendes Leben und eine blutige Krawatte hat man sich schnell geholt, aber das ist noch lange kein Grund sich Angst einjagen zu lassen, von denen, die Spaß daran haben, die Angst zu verbreiten. Und die Postkarte sprach: „The woods are lovely, dark and deep / but i have promises to keep / and miles to go before i sleep / and miles to go before i sleep.” Eigentlich sind die Worte von Robert Frost geschrieben. Warum sie aus der Karte sprechen? Weil der Alte aus Bergedorf sie mag, diese Worte. Und Archibald auch.

Thema: Anregende Buchstaben, De re publica | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth