Beiträge vom April, 2010

Archibald entdeckt, entwickelt und praktiziert die empirische Floralmeditation

Dienstag, 20. April 2010 12:00

meditationDie Nachmittagssonne hatte schläfrig gemacht. Archibald träumte vor sich hin. Er träumte von den Zweibeinern. Sie saßen auf Fahrrädern. Man hatte ihnen die Daumen abgesägt und die verstümmelten Hände am Lenker festgebunden. So konnten sie nur noch geradeaus fahren und nicht mehr klingeln. Man hatte die Bremsen an ihren Maschinen abmontiert. Diese benötigten sie nicht, denn sie benutzten ihre Geräte nicht, um Entfernung Geld sparend und Gesundheit fördernd zu überwinden. Nein, ihre Art der Fortbewegung war Botschaft, war Geste, war Ausdruck und Manifestation von moralischer Überlegenheit. „Ich arbeite hart an mir und der Verbesserung der ganzen Welt. Jeder meiner Tage ist Kampf und Beweis.“ Dadurch genossen sie gewisse Vorrechte. Rechtsverkehr, Linksverkehr, egal. Sie durften überall fahren. Fahrbahn. Radweg. Gehweg. Fußgängerzone. Ein Botschafter muß die Möglichkeit haben, überall all zu missionieren und Präsenz zu zeigen. Ampeln? Leuchttürme des Bösen. Lobbysäulen der Autoindustrie. Klingeln? Nicht notwendig. Nur der verhärmte, spießige, unsensible Mensch spürt nicht, daß sich auf dem Weg von hinten ein Missionar mit 25-45 km/h nähert. Bei Dunkelheit Licht anmachen? Die Strahlkraft des guten Willens per se erleuchtet den Pfad des Gerechten. Und nannte man die Fahrer des Rades früher nicht Pedalritter? Und so trugen sie in Archibalds dunkelgrünen Träumen Lanzen unter ihren Armen, keck und fordernd in Fahrtrichtung gestreckt. Wer unserer Kirche nicht mag beitreten: hinweg! Bevor sich der Stab der moralischen Überlegenheit in den Rücken einer 80-jährigen Rollatorschieberin bohren konnte, die das selbstgerechte Tempo leider nicht mehr mitgehen konnte oder gar wollte, erwachte der Bär. Ihn fröstelte.

Der Höllentaler hatte ihn geweckt. So nennen die Einheimischen einen kalten Wind, der nach Einbruch der Dunkelheit von den Höhen des sittenstrengeren schwarzen Waldes hinab in die freizügige Stadt weht und die Menschen von den Plätzen und Gassen in ihre Häuser und hinter die Fenster treibt. „Ruhet!“, scheint der Wind zu rufen. „Ruhet endlich!“

Am nächsten Morgen: ein neues Fenster. Hier hatte Archibald noch nicht Welt geschaut. Er dachte an Eva Pelagias Worte, als sie sich gestern zur Heimreise fertig gemacht hatte und ein letztes Mal vom Balkon blickte: „Verrückt, als ich vor zwei Tagen hier ankam, war dieser Baum noch kahl. Und jetzt! Schau mal!“ Archibald hatte eine Idee, und da er zuletzt öfters mal über das sichtbar machen von Zeit meditiert hatte – eine Erscheinung eintretenden Alters wahrscheinlich – legte er los. Und sagen die Zweibeiner nicht gerne mal: „Man kann das Gras wachsen hören.“? Der Bär aber wollte die Blätter wachsen sehen. Er schloß die Augen. Eine Minute. Er öffnete die Augen. Keine Veränderung. Kein Fortschritt. Nichts. Rein gar nichts. Er schloß die Augen. Zwei Minuten. Er öffnete die Augen. Keine Veränderung. Kein Fortschritt. Nichts. Er schloß die Augen. Fünf Minuten. Er öffnete die Augen. Keine Veränderung. Kein Fortschritt. Nichts. Fast nichts. Er schloß die Augen. Zehn Minuten. Er öffnete die Augen. Keine Veränderung. Kein Fortschritt. Nichts. Fast nichts. Kaum. Oder doch? Er schloß die Augen. Jetzt mal richtig, Archibald! Eine Stunde. Er öffnete die Augen. Tatsache! Schau mal! Veränderung. Fortschritt. Eva Pelagia ist eine kluge Frau. Und Herr Lenz macht wohl – endlich – seine Hausaufgaben. (Bitte sofort einen Heiermann ins Phrasenschwein! Gruß vom Setzer)

Thema: Im Heckerland | Kommentare (2) | Autor: Christian Lugerth

Ja, was laufen die denn?

Montag, 19. April 2010 18:46

liegestuhlEva Pelagia und Ernst Albert waren nach dem Frühstück aufgebrochen. „Willst Du mitkommen?“ Archibald hatte dankend abgelehnt. Er bot sich an, den heute morgen auf den Balkon gestellten Liegestuhl zu bewachen. Und die Süßwaren müssen bei diesen Temperaturen auch betreut werden, am besten kauend. Immer noch keine Kondensstreifen am Firmament, die göttliche Ruhe hielt an, nur unten am Fluß rannten die Zweibeiner auf und ab. Noch oder schon wieder? Archibalds Zunge schob eine mit Weincreme gefüllte Schokoladenkugel von der rechten in die linke Backe – das kann schon mal bis zu einer Minute dauern – und in dieser Zeit dachte er darüber nach, warum die Gattung der Aufrechtgeher – natürlich nur jene von ihnen, welche in wohlhabenden Gegenden leben – die einzige auf Gottes Erdboden ist, die rennt und rast, und das freiwillig. Abgesehen von jungen Hunden vielleicht. Der Rest der Welt rennt und rast meist nur aus zwei Anlässen: Jagd oder Flucht. Vielleicht noch Armut. Jäger aber scheinen diese Läufer – im übrigen meist Weibchen – nicht zu sein, sonst wären sie nicht so bunt angezogen, daß man sie schon aus zwei Kilometer Entfernung herankeuchen sieht. Und die meisten von ihnen tragen zudem so viel Speck an ihrem Körper mit sich herum, daß sie wahrscheinlich nicht mal eine dreibeinige Schildkröte einholen würden. Und arm scheinen sie nun ganz und gar nicht zu sein. Doch wovor flüchten sie dann? Es gibt schlaue Zweibeiner – zumindest denken sie, daß sie es wären – die behaupten, wenn man von irgendwo weg renne, dann renne man zu sich selbst. Was immer das auch sei, das „Selbst“. Darüber wollte sich Archibald heute nun wahrlich keine Gedanken machen. Wenn noch drei zu vertilgende Schokokugeln in der Schachtel warten, sollte man sich auf diese konzentrieren. Die Thesen überzüchteter Wohlstandsknaben mögen heute bitte Gegenstand ihrer eigenen und sich selbst beweihräuchernden Denke und Existenzquengelei bleiben. Hugh! Was Archibald aber noch auffiel: die Läufer schienen blind zu sein oder sie wirkten, als rannten sie durch einen Tunnel, in dem sie wahrscheinlich nichts wahrnahmen als ihren eigenen Atem und den knirschenden Rhythmus ihrer Füße. Vielleicht läßt sie eben diese  Selbstvergewisserung, die im Gleichmaß verborgen liegt, innerlich jubilieren? Dies sieht man ihnen aber wiederum nicht an. Sie wirken gequält, getrieben. Oder haben Zweibeiner, welche in schönen Umgebungen aufgewachsen sind, keine Augen mehr für die Schönheit, die sie umgibt? Entweder weil sie meinen, diese steht ihnen zu, oder weil ihre Hirne und Herzen stumpf geworden sind? Archibald, der das Glück hatte, erst seit ein paar Tagen an diesem Flüßchen sitzen zu dürfen und sich seines Anblicks zu erfreuen zu können, verstand dies nicht. Eine letzte Kugel sprang auf seine Bärenzunge.

Doch da war noch etwas, was der Bär sah. Und dies rührte ihn. In der Nähe der Neuen Höhle war ein Haus, in das die alten und kranken Aufrechtgeher gebracht wurden, wahrscheinlich weil sie nicht mehr so schnell rennen konnten wie die Jungen oder weil sie keine Lust mehr hatten schreiend bunte Klamotten zu kaufen. Viele dieser Alten – Aufrechtgeher konnte man die meisten gar nicht mehr nennen – schoben Eisengestelle vor sich her, die mit kleinen Rollen versehen waren. An den Gestellen hielten sie sich fest und bewegten sich so vorwärts, sehr, sehr langsam. Und so schoben und schlurften sie zwischen den agilen Läufern am Ufer des Flüßchens entlang, blieben meist nach wenigen Schritten stehen, schöpften Atem und schauten. Und wie sie schauten. Manche von ihnen, als sähen sie den Fluß das allererste Mal, manche schauten und schauten und man hatte das Gefühl, sie begreifen gar nicht, was sie da sehen. Andere wiederum streichelten den Fluß mit ihren Augen, als würden sie sich von ihm für immer verabschieden und einige sahen ihn gar nicht mehr, denn sie waren erblindet, aber sie hörten ihn und wie! Archibald war diesen alten Zweibeinern sehr dankbar. Er, der er immer noch nicht genau wußte, woher er kam, wohin er ging, wie alt er überhaupt war, er lernte von ihnen, daß es etwas gab, etwas wie die Zeit, jene Zeit, vor man nicht davonrennen kann. Die Packung war leer.

Ernst Albert kam zurück, mit etwas traurigem Herzelein. Er hatte Eva Pelagia zum Bahnhof gebracht. Er sah seinen Faulbären. Er sprach:  “Freund, dies noch heute: Zieht es Dich in den nächsten Tagen wieder einmal vor die Türe, beachte: Es ist ungefährlicher eine sechsspurige Autobahn im Rest der Republik zu queren, als einen Fahrradweg in dieser Stadt. Hugh!“ Und er holte sich ein lokales Bier aus dem Kühlschrank. Schokokugeln waren ja alle.

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Zwei Täler, alte Tafeln und der Survivalbuddhismus

Sonntag, 18. April 2010 21:51

kappel1Der Weg teilte sich. Links führte er in das Große Tal, rechts hinauf in das Kleine Tal. Angesichts der neuen Wanderschuhe an Eva Pelagias Füßen und der Tatsache, daß ein im Wandern ungeübter Bär Mitglied der dreiköpfigen Gruppe war, beschloß man rechts abzubiegen. Ernst Albert schlug eine Abkürzung vor. Das tut er eigentlich immer. Der steile Pfad führte durch dichten Wald, erklomm atemraubend einen Hügel und, oben angekommen, öffnete sich der Blick hinab in das Kleine Tal. Man erblickte die Rückseite des Hausberges der Stadt, von dem ihre Anwohner und deren Gäste gerne ins Land schauen. Archibald war außer Atem, aber entzückt. Er bat um eine Pause. Man gewährte sie ihm. Und schon saß er in der Astgabel eines stattlichen Baumes, der in das Kleine Tal hinab blickte. Wie schnell ein Bär einen Baum erklimmen kann, davon kann jeder Lumberjack im fernen Kanada ein Lied singen, der vor einem schlechtgelaunten Bär auf einen Baum geflohen war, um ihn dann Sekunden später neben sich sitzen zu sehen. Schwer lastet dann die Pranke des Viechs auf der Schulter des Zweibeiners. „Hier bleibe ich, ich kann nicht anders.“ So dachte Archibald. Aber schon knurrten die Mägen. Ist nicht auch zentraler Sinn aller Wanderei die Einkehr und die Belohnung des bergauf, bergab gejagten Körpers? Ernst Albert mußte einen Planungsfehler eingestehen. Das Kleine Tal war leider komplett gastromiefrei. Pläne aber sind dazu da geändert zu werden. Und hatte nicht Ernst Albert vor Tagen in einem Buch, welches die Attraktionen der Umgebung zum Thema hatte, gelesen, daß sich im nahegelegenen Großen Tal mindestens zwei der regionalen Küche verpflichtete Gasthäuser befanden? Man änderte die Richtung.

kappel2Welche Freude! Am Eingang zum Großen Tal eine liebevoll geschnitzte Holztafel, die vermeldete, das erste Gasthaus sei nur wenige Kilometer entfernt. Gewiß, solche Angaben gilt es immer zu bezweifeln, gerne schummelt der Wirt und rückt das ersehnte Ziel etwas näher an den Fuß des Wanderers. Wer kehrt schon auf halber Strecke um, wenn der Wurstsalat ruft? Die kleine Fahrstraße schlängelte sich das Große Tal hinauf, auf den Wiesen ringsum verstreut Gehöfte und man genoß es, obwohl es ein Sonntag war, ziemlich alleine zu sein. Auf halber Strecke dann eine kleine Siedlung, dort wiederum eine Bushaltestelle, eine Bank und daneben eine Tafel mit offiziellen Verlautbarungen der für das Große Tal zuständigen Gemeinde sowie der den Wanderern höchst willkommene Hinweis auf ein zweites Gasthaus. Es trug den ehrenvollen Namen Herder. Wurstsalat und gedenkendes Innehalten, Wandererherz was begehrst du mehr? Die Sonne tut ihr Bestes, ein kühlender Wind rauscht den Rücken des Hausberges hinab und man erreicht das Ziel. Ein lapidarer, handbeschriebener Zettel, geheftet an die Eingangstür, vermeldet, daß man seit nun fünf Jahren in die Gaststätte nur eingelassen werde, wenn man sich am Vortag telefonisch angemeldet hat. Dem verschlossenen Haus des erhofften Wurstsalates gegenüber sitzt ein Einheimischer. Weder erwidert er den Gruß der Wandergruppe, noch gönnt er ihnen ein erläuterndes Wort. Aber war die Rede nicht von zwei Häusern der Gastlichkeit gewesen? Man kehrte um, um festzustellen, daß man schon vor einer halben Stunde an einem Hause vorbei geschritten war, dem, bis auf eine Laterne der lokalen Brauerei, alles von der Fassade entfernt worden war, was auf Bier, Wein, Wurst und Spätzle hingewiesen hatte. Archibald setzte sich auf die Treppe zur einstigen Terrasse. Und so fand das erste ‚Sit in’ eines Bären, das sich gegen die unzulängliche Informationspolitik der Lokalen in Sachen Wurstsalat wendete, wenige Kilometer südlich der badischen Gemeinde Kappel statt. Denn, und Herder publiziert es: “Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten!”

kappel3Natürlich zieht sich ein jeglicher Abstieg. Man hatte den einvernehmlichen Entschluß gefaßt in die Stadt zurückzukehren. Keine Vorwürfe waren zu hören, obwohl ein erfahrener Wandersmann seine Höhle nie ohne ein geschmiertes Brot verlassen sollte. Die zwei mitgenommenen Äpfel waren Trostpflaster, mehr nicht und schnell verzehrt. Neben dem Wege murmelte ein Bächlein, beruhigend, doch forellenfrei. Archibald spürte das Grummeln der schlechten Laune im leeren Gedärm. Ein Bärengott erhörte dies. Und schon war Archibald über einen Zaun gesprungen. Bienenhäuser, Bienenstöcke und kein Imker in Sicht. Diesmal legte sich die Hand eines Zweibeiners auf die Schulter eines Bären. „Du alter Deppenbär. Da mußt Du noch zwei Monate warten, bis die Bienen anfangen richtig zu arbeiten. Alles leer.  Entspanne Dich, die paar Meter bis in die Stadt wirst Du auch noch schaffen. Sei ein Bär und übe Dich in Survivalbuddhismus.“ Archibald begann sich ob seines kleinen Schwächeanfalls zu schämen. War er denn einer der Zweibeiner, die im Supermarkt das noch nicht erworbene Getränk in sich reinschütten, um an der Kasse nur noch die leere Verpackung einscannen zu lassen? Richtiger Hunger fühlt sich anders an. Archibald wußte das eigentlich. Er blickte hinauf in den strahlendblauen Himmel. Göttliche Ruhe. Keine Kondensstreifen. Asche auf sein Haupt.

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Archibald erklimmt den Denkberg

Samstag, 17. April 2010 9:05

denkbergNichts gegen Artgenossen und einen kleinen Schwatz. Im Austausch der Gedanken und Erinnerungen findet man zu sich selbst, vergewissert sich seiner Herkunft, definiert seine Ziele und sein Wollen, stellt sich im besten Falle auch seinen unerfüllten Träumen und Lebenslügen. Doch die Gefahren allzu heftigen Austausches liegen, und dies gerade für Solitäre aller Art, auf der Hand. Wiederholung, mantrahaftes Klagen und Jammern, Schuldzuweisungen, das Besingen der Ungerechtigkeit der Welt im Großen und Besonderen, kurz und gut: die permanente Feier des wackeligen Egos und seiner absurden Ängste. Der Gedanke, frisch und klar angedacht, kann sich durchaus während des Sprechens zu einer gewissen Größe entwickeln, vielleicht sogar erst im Ausdruck seiner selbst entstehen, doch meist ist der Normalfall die Verwässerung des ursprünglich Angedachten, das Angleichen an das Gängige, furchtsames Verschweigen oder orientalische Ausschmückung von Erlebtem. Das Reden und Plappern verknotet das Hirn eher, als daß es dieses klärt. Zwei Wesen und das Mißverständnis hält Einzug in das Gebäude.

Archibald hatte sich auf den höchsten Gegenstand in der Neuen Höhle zurückgezogen. Sein Kopf glühte. Die ganze Nacht hindurch, geschlagene sieben Stunden, dreizehn Minuten und achtundvierzig Sekunden lang, hatte er den zwei lokalen Bären sein Leben und Wirken unterbreitet. Man hatte ihm am Ende seiner Erzählungen sogar applaudiert und ihn unmißverständlich aufgefordert, seine Erlebnisse auch in Zukunft festzuhalten, weiterzugeben und mit seinen Artgenossen zu teilen. Archibald Mahler, z. Z. Bär in Oberau, fühlte sich durchaus geehrt, aber war vor allem erschöpft und leer. Doch da war noch etwas, was ihn auf seinen Denkberg getrieben hatte. Eva Pelagia hatte ihren Besuch angekündigt und Ernst Albert hatte, gleich nach dem Aufstehen, zu diversen Reinigungsgeräten gegriffen, um die Neue Höhle in den Zustand höchster Ordnung und Reinlichkeit zu versetzen, was einerseits Auftrag der wahren Besitzern der Neue Höhle war, als auch Ausdruck der Wertschätzung der Avisierten. Und wenn Archibald etwas fürchtete und verabscheute, waren es diese alle Arten von Staub und Dreck einsaugenden Monster. Oh, Reinigungwahn der Aufrechtgeher! Dieses überdrehte, hysterische Geräusch des Saugers ließ sein Fell zu Berge stehen und alte Traumata feierten fröhliche Urstand. Da juckte es wieder, das abbe Bein.

Andererseits: das Sitzen auf dem Berg, das Hinabschauen, das Überblicken, die reinere Luft der Höhe. Das erfüllte ihn mit Freude. Vielleicht war es an der Zeit, Ernst Albert zu bitten, ihn demnächst auf einen der schwarzen Berge dort draußen mitzunehmen, um hinausblicken zu können in dieses Heckerland. Und Archibald dachte ernsthaft über den Erwerb von Wanderschuhen nach. Berg heil!

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Am Ufer des Flusses ein Verhör unter Brüdern

Freitag, 16. April 2010 12:44

neue_freundeWas er denn da mache? Wie er überhaupt da hin gekommen sei? Wer er überhaupt sei? Ob ihm nicht klar sei, daß er ungesichert auf einem Dach sitze? Man würde ihm auch gerne darauf hinweisen, daß die Nachbarn zwischen 13 und 15 Uhr es nicht so gerne sähen, wenn man Welt schaue. Sei ihm auch klar, daß die Luft noch recht kalt sei, trotz Sonnenscheins, und gerade im Lenz ein Infekt sehr lästig ist? Des weiteren sei für den Nachmittag Regen vorhergesagt und die Türe zum Dachbalkon nicht ausreichend gesichert. Da genüge ein kleiner Windstoß und wer würde eventuell auftretende Schäden ersetzen? Und auch die unten am Ufer des Flüßchen sich rennend um ihre Gesundheit kümmernden Zweibeiner wünschten etwas mehr Privatheit und weniger Betrachtung. Wenn da einer erstaunt nach oben schaue und dann gegen eines der vielen Hinweisschilder pralle? Habe er eine angemessene Haftpflichtversicherung? Schutz sei immer gut. Ob ihm dies alles klar sei und wie er es denn fände, wenn er sich erstmal bei den zuständigen Hausbären vorstelle?

Da hatte Archibald einiges zu hören bekommen. Woher sollte er auch wissen, daß er sich in einer Gegend befand, in der die dort ansässigen Aufrechtgeher viel Zeit damit verbringen, Hinweise, Anweisungen, Ratschläge und Verbote unter ihresgleichen zu streuen, mag dies aus Gründen der Weltsorge, Emphatie, Langeweile oder regional bedingter Selbstgerechtigkeit geschehen. Und dies färbt offensichtlich ab. Wann hatte Archibald Mahler, Bär auf Reisen, jemals Artgenossen so viel quatschen hören? Potzrembel aber auch! Er stieg von seinem Ausguck herab und betrat die neue Höhle. Zwei Artgenossen, die sich ihm vorstellten als Wladimir Anatol Karamasow – der Große – und Yogi „Yellowstone“ Parkinson – der Kleine -, begrüßten ihn sehr freundlich und entschuldigten sich für ihre allzu investigative Fragerei, aber sie hätten nun mal den Auftrag ihrer Chefin und man befinde sich als Hausbär eben in gewissen Abhängigkeiten. Und sie erzählten Archibald, wie sie einst in diese Höhle gekommen waren. Man habe sie erworben, drüben in dem Land hinter dem Meer, wo vor Wochen und Monaten die Zweibeiner in Stahlzigarren und mit Plastiklatten an den Beinen die Schneeberge hinunter gerast waren. Man habe sie in Taschen und Tüten gepackt und ihm Bauche eines gigantischen Blechvogel habe man sie hier an das Ufer dieses Flüßchens namens Dreisam gebracht. Und sie fänden diese Dreisam zwar sehr hübsch, aber sie würden sich lieber hier in der Höhle aufhalten, als draußen auf dem Ausguck, weil der Blick auf den kleinen Katarakt bei ihnen noch allzu heftiges Heimweh auslösen würde, der emotionale Jetlag noch nicht gänzlich kuriert sei und außerdem Yogi „Yellowstone“ Parkinson, das was er sah, im nächsten Moment auch schon wieder vergessen habe. Aber nun sei er, der Neue, dran seine Geschichte zu erzählen. Und das erste Mal war Archibald sehr froh darüber, daß er seit Aschermittwoch begonnen hatte so aufmerksam Welt zu schauen und es sich auch noch zu merken, was er so gesehen hatte. Und er begann, von vorne.

Die drei im Gespräch vertieften Bären bemerkten nicht die Rückkehr des Ernst Albert zu mitternächtlicher Stunde. Vier Tage lang hatte er sich rund um die Uhr meist im Musentempel aufgehalten und war nun sehr erfreut seinen Bärengenossen gut aufgehoben zu sehen. Sein schlechtes Gewissen löste sich in zwei Gläsern ‘Bickensohler Spätburgunder Weißherbst’ auf.  “Wein machen können sie hier, die Obergescheitle!”, dachte er noch und schon bald hatte ihn die Dreisam in den wohlverdienten Schlaf gerauscht.

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Keine Klagen, Ankunft der Seele und erste Irritationen

Mittwoch, 14. April 2010 13:14

dreisamDann war eine Zweibeinerkutsche vor der Zwischenhöhle vorgefahren und hatte Archibald und Ernst Albert abgeholt. Man fuhr durch das Tal, das Flüßchen entlang, in Richtung einer größeren Stadt. In der Ferne ragte ein Kirchturm. Man war in Eile. Die Droschke hielt, Ernst Albert reichte dem Fahrer Geld, packte Koffer und Bär, jagte Treppen hinauf und gleich darauf diese wieder hinab. Er sollte erst wieder spät in der Nacht heimkehren und erschöpft ins neue Bett fallen. Und dies würde die nächsten Tage so weitergehen. Bevor Ernst Albert mit fliegenden Rockschoß gen Arbeit und Musentempel entschwunden war, hatte er Archibald eine Türe nach draußen geöffnet und gesagt: „Für den Anfang scheint mir dies geeignet. Hier läßt sich vorzüglich auf die nachreisende Seele warten.“ Weg war er.

Der Bär gab dem Aufrechtgeher recht. Ausnahmsweise. Nun gut, der Herr Albert war ein geübter Reisender und hatte wohl seine Seele vorausgeschickt, um nach der Ankunft keine Zeit mit Warten zu vertändeln. Doch Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz auf Jungfernfahrt, mußte dies anders bewerkstelligen. Er mußte warten auf seine noch ungeübte Seele. Doch er hatte keinen Grund zu klagen. Dies hier war ein Warteplatz der ersten Güteklasse. Er schaute hin mit Freuden. Das Flüßlein zu seinen Füßen rauschte über einen kleinen Katarakt, ein Bäumchen bemühte sich zu blühen, Gras und Blätter arbeiteten konzentriert an der Grünwerdung, die Sonne leckte des Bären Fell und im Hintergrund wachten die schwarzen Berge. Es war Archibald, als fließe das eiskalte Wasser an ihm vorbei, weiter und weiter in ein fernes Meer, steige dort hinauf in die Wolken, reise übers Land zurück in die alte Heimat und falle wieder nieder über den schwarzen Bergen, rausche vorbei am Bären und fließe weiter zum Meer. Es war dem Bären, als stiegen trächtige Lachse den Katarakt hinauf, laichten dort ins eiskalte Wasser, stürben und der Laich triebe hinab zum fernen Meer, wuchs sich dort aus zum Fisch, kehrte um, suchte die Mündung, arbeitete sich gegen die stärker werdende Strömung den Fluß hinauf, überwand den kleinen Katarakt, laichte und starb. Runder war ihm die Welt selten erschienen und in der Ferne hinter dem großen Kirchturm der Stadt sah er, wie seine mittelhessische Seele bereitstand, um bei ihm anzukommen. Großartig. Doch lange läßt die Welt dem Weisen nicht die Ruh.

Am Ufer des Flüßleins rannten in bunte Gewänder gewandete Zweibeiner auf und ab, als sei der Leibhaftige hinter ihnen her und in Archibalds Rücken begann es zu rumoren und – hatte er recht gehört? – laut und vernehmlich zu brummen. Ein großes, tiefes und voluminöses Bärenbrummen. War, was Archibald vor Tagen am Fenster der Zwischenhöhle mit knurrendem Magen geträumt hatte, mehr als eine Vision?

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Andere Fenster, andere Sichten

Montag, 12. April 2010 7:08

ebnetMan kommt an. Irgendwann kommt man irgendwo an, irgendwie. Ob man da auch immer hin wollte? Was sprechen die Götter? Fragen liegen gerne mal im Raume rum, wie unbeantwortete Staubflocken unterm Bett des Lebens. Fahrscheine werden erworben, ausgedruckt, entwertet, man fährt los  und dann steigt man aus. Und ist angekommen. Vorerst.
„Zwischenstopp!“, hatte Ernst Albert gesagt. „Ich bin gleich wieder da. Muß mich um die richtige Höhle kümmern. Bis denne.“
Schon Klasse, diese Aufrechtgeher. Erst verschleppen sie einen, dann, am Ziel angekommen, kündigen sie die Gemeinsamkeit auf und so sitzt man rum als Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz, und ist allein in Ebnet. (Wo liegt das denn bitte? Freundlichst: der Setzer.) Aber fast jeder Raum hat ein Fenster, das gilt es zu nutzen und das tat er nun der Archibald und schaute Welt im Süden. Er sah eine Kastanie, die versuchte gegen die immer noch zu kalte Luft anzublühen, er hörte einen kleinen Fluß durch das Tal rauschen, er roch den Bärlauch, der aus der Erde schoß und drüben, auf der anderen Seite des Tales, sah er Berge, dicht bewaldete Berge, schwarze Berge. Und er dachte, daß dies doch bestimmt eine gute Gegend für ein angenehmes Bärenleben sei, diese schwarzen Wälder auf den Bergen da drüben. Er konnte natürlich nicht wissen, daß der letzte Bär im diesem schwarzem Wald vor etwa 400 Jahren von einem Mönch erlegt wurde und daß heute die Zweibeiner ihr schlechtes Gewissen damit beruhigen, indem sie jeden zweiten Gasthof in dieser Gegend „Zum Bären“ nennen. Nein, Archibald mochte das, was er sah und wenn unten vor dem Fenster einer der lokalen Zweibeiner vorbeiging und in dieser seltsamen Diktion sprach, dann hörte der Mittelhesse im Bären A. M. einfach weg. Außerdem knurrte sein Magen. Und immer, wenn sein Magen knurrte, neigte er dazu eine Vision zu haben. Heute mal diese.
Ernst Albert kehrte zurück in das Zimmer namens Zwischenstopp. Er war – um einen mittelhessischen Ausdruck in den Süden zu exportieren – überzwerch. Er hatte – Von wegen neue Höhle klarmachen! – in einer Kneipe Kugeltretkunst auf öffentlichen Bildapparaten geschaut, dabei aus Jux und Tollerei und alter Verbundenheit mit seinem Kommunikationsstäbchen einen Funkkurzbrief an seinen Bruder geschrieben und zehn Minuten stand selbiger im Lokal. Baff beide! Wege, die sich kreuzen. Der Bruder, der in einer anderen Stadt des Südens wohnt, hatte in der Nähe zu tun. Ernst Albert hatte dies nicht gewußt und umgekehrt. Ein Zufall, wenn der Radfahrer? Valentinstag war doch schon gewesen. Archibald lauschte der Erzählung und dachte darüber nach, ob dies wohl etwas mit der sogenannten „alten Heimat“ zu tun habe, wenn die anoperierten Beine etwas weniger jucken, weil man sich im Kreis dreht und sich nicht darüber aufregt. Dann begann es zu hageln. Frechheit!

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Archibald schläft dem Süden entgegen, hört seltsame Worte und zweifelt

Sonntag, 11. April 2010 15:56

zugfahrtDa sind schon ganz andere eingeschlafen, wenn die Räder gleichmäßig über die Schienen rollen, draußen vor dem Fenster die Welt vorbeigespult wird und sich Anspannung und Aufregung in wohltuende Ermattung verwandeln. Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz und bis gestern stationärer Mittelhesse und darüber nicht unglücklich, hatte es sich in einer von Ernst Alberts Reisetaschen bequem gemacht und schlief wohlgemut dem Süden entgegen. Der Süden! Dahin also ging die erste größere Reise des Bären, wobei Süden als Reiseziel und Beschreibung nun nicht wirklich konkret ist, geschweige denn „die alte Heimat“, von der Ernst Albert gesprochen hatte. Aber Archibald hatte beschlossen sich keine weitergehenden Gedanken zu machen, einen rollenden Zug hält kein Bär auf, und wenn, setzt er sich massiven Protesten der Mitreisenden aus. Daran hatte er kein Interesse und außerdem spürte er, sogar im Schlaf, daß es mit jedem Kilometer Fahrt ein klein wenig wärmer wurde und das ist für jeden Bären ein kräftiges Argument. Roll on.

Ernst Albert wachte über den Schlaf des reisenden Bärenviechs und blickte aus dem Fenster. Irgendwohin zurückzukehren stimmte ihn, wie immer, etwas melancholisch. Sein mobiles Kommunikationsteil bimmelte, ein alter Freund aus dem Süden rief an. Ernst Albert nahm das Gespräch an.

Archibald erwachte, da er neben sich einen Menschen sprechen hörte und große Zweifel stiegen in ihm auf. Wurde er vielleicht doch entführt, von einem seltsamen, ihm völlig fremden Wesen? Sicherlich, neben des Bären provisorischer Schlafstatt saß Ernst Albert und sprach in sein mobiles Dingsdabumsda. Das war nicht Besonderes. Doch was und wie er sprach! Archibald vernahm Worte aus dem Munde seines Herrn und Beschützers, die er so noch nie vernommen hatte, er hörte eine ihm völlig fremde Sprache, einen völlig fremden Klang. Es war ihm, als kämen all die Worte, die aus dem Munde dieses Menschen, der Ernst Albert immer noch sehr ähnlich sah, aber überhaupt nicht so klang, aus viel tieferen Körperregionen, als dies für gewöhnlich der Fall war, wenn dieser Aufrechtgeher da sprach. Diese neue Sprache stieg aus den tiefsten Tiefen des menschlichen Halses hervor, verschiedenartige Vokale verschmolzen ineinander und die sie sonst trennenden Konsonanten wurden von mahlenden Zähnen zu einem Brei weichgekaut. Archibald war entsetzt. Hatte Ernst Albert jemals so mit Eva Pelagia gesprochen? Nein, symbadisch klang das nicht in den Ohren des Bären.

Ernst Albert beendete das Gespräch. Seltsam, sobald er mit alten Freunden sprach, verfiel er nach kürzester Zeit in den Dialekt seiner Jugend. Der ersten Heimat entflieh man wohl nie. Er mußte lachen, als er das überraschte Gesicht seines Bären sah. „Tja, mein Lieber, daran mußt Du Dich die nächsten Wochen gewöhnen. Das geht noch weitaus schlimmer.“ Und würde Archibald seinen Reiseleiter nicht über alles lieben und verehren, er wäre nach dem Satz, der ihm dann lachend serviert wurde, aus dem fahrenden Zug gesprungen und zu Fuß zurück nach Mittelhessen. So lautete jener Satz: „Schell Dü it an seller Schelle, selli Schelle schellet it, schellescht  Dü an seller Schelle, selli Schelle schellt.“ Der Vorhang zu und alle Fragen offen.

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Archibald bricht auf

Freitag, 9. April 2010 14:47

kerouacEinst als Indien noch Teil des British Empire war und die Aufrechtgeher keine Lust mehr verspürten, auf dem Rücken von Pferden, Eseln und Kamelen durch die Wüste oder das wilde Kurdistan zu reiten und also das Automobil erfanden, wurde dort im fernen Kalkutta ein Sadhu – so nennt man die Heiligen Männer des Landes – von einem britischen Governor zu einer kleinen Testfahrt in einem neu erworbenen Benzingefährt eingeladen. Der Heilige Mann nahm Platz, bat jedoch nach etwa zwei Kilometern Fahrt den Chauffeur die Knatterkiste zu stoppen, stieg aus, setzte sich an den Straßenrand und begann zu meditieren. Als man ihn dann fragte, warum er dies tue, antwortete er: „Mein lieber Freund, ich warte auf meine Seele. Sie ist nicht so schnell wie Euer Gefährt. Sie kommt nach.“

So ähnlich fühlte sich nun Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz. Er sollte verreisen, unter seinem Bärenhintern würden sich zum ersten Male Eisenstangen und daran befestigte Scheiben in Bewegung setzen. Gewiß, er hatte die Geschichte seiner Vorfahren noch nicht in Gänze studiert, aber eines wußte er: Bären auf Rädern gibt es nicht und zum Fischen und Beerensammeln ging man schon immer zu Fuß. Das hält schlank und beweglich an Kopf und Bein. Wurde ihm also schon wieder Gewalt angetan, wie einst im Monat März? Nein, denn das muß man Ernst Albert diesmal lassen, er hatte – auch nachdem Eva Pelagia ihr Einverständnis signalisiert hatte – den Bären in aller Form gefragt, ob er Interesse an einem mehrwöchigen Ausflug in den Süden und in seine, Ernst Alberts, alte Heimat habe. Und da Bären zwar faul, aber auch extrem neugierig sind und Ernst Albert gemurmelt hatte, es gäbe da draußen durchaus Orte, die etwas sehenswerter seien als die kleine häßliche Stadt und man fahre ja schließlich nicht nach Friesland, hatte der Bär gebrummt, zustimmend.  Seine Aufregung jedoch konnte er nicht verbergen, keine Spur der so gerne von den Zweibeinern kolportierten Bärenruhe. So reichte Ernst Albert dem Bärenviech ein altes, vergilbtes und mehrfach geflicktes Buch, zur Beruhigung und Anregung.

Das Buch roch nach Strassen, Schienen, Meilen, Getränken und Musik. Archibald steckte seine Nase in die Buchstabensuppe und es begann: „Ich hatte gerade eine schwere Krankheit überstanden, die ich nicht weiter erwähnen will, höchstens daß sie etwas mit einer scheußlich deprimierenden Trennung zu tun hatte und mit meinem Gefühl, alles sei tot. Mit dem Auftauchen von Dean Moriarty begann der Teil meines Lebens, den man mein Leben auf den Straßen nennen könnte. Ich hatte vorher schon oft davon geträumt…“ Die Blätter des zerlesenen und bekritzelten Buches raschelten und rauschten an Archibalds Nase vorbei und ein Zug verließ die kleine häßliche Stadt. Ciao! Zahnbürste nicht vergessen! Ciao! Ciao!

Thema: Anregende Buchstaben, Draußen vor der Tür, Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

“That’s the way God planned it!”

Mittwoch, 7. April 2010 5:54

sonne4Und jemand ward faul im Staate Dänemark. Da war die Sonne gekommen, wie Herr George Harrison es besungen hatte, und das fand Archibald, der Bär vom Brandplatz, war in Ordnung, sehr sogar. So wandte er einfach all den klugen Worten und Tiraden den Rücken zu und beließ es bei transzendenter Untätigkeit. Sein Pelz saugte die Wärme auf wie die Wüste einen Regenguß, entrückt rieb der Bär seinen Rücken am Fensterrahmen und mit den Worten des Prinzen Hamlet von Dänemark flüsterte er: „An sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu.” Also laß fahren all die Müh! Sic!
Und was sah das Auge des Bären? Auf einen Mäuerchen unten vor dem Fenster saß eine junge Maid. Sie schien auf jemand zu warten, denn obwohl sie ihr Gesicht in die Sonne streckte, sah dieses recht verdrießlich aus. Um die Ecke bog in Eile ein junger Galan und sprach: „Ich dachte, wir treffen uns am Brandplatz.“ Die Maid stand auf und recht verächtlich kam es aus ihrem Munde: „Denke nie gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken. Wenn Du denkst Du denkst, denkst Du, daß Du denkst, doch denken tust Du nie!“ Und weg war sie und das Gesicht des jungen Mannes unbeschreiblich dämlich. Sic, die Zweite!
Zudem hatte Archibald gar nicht die Ruhe, um gehaltvoll zu denken. Er wollte tanzen. Er mußte tanzen. Nicht so wie seine Ahnen, die von den Aufrechtgehern einst an Nasenringen über Marktplätze und durch Zirkusarenen gezogen wurden und als Tanzbären ein recht klägliches Bild abgegeben hatten, nein dies nicht. Eines der Lieder, die Ernst Albert gestern beim Kofferpacken mehrmals gehört hatte, ließ den Bären nicht mehr los. Ein wuchtiges, jubilierendes und zum Schluß gar ekstatisches Lied. Und Archibald erhob sich und sein Bärenlaib begann sich zu den Klängen des Liedes, das in seinem Inneren spielte, hin und her zu wiegen. Ganz langsam, aber irgendwann gewaltig.

Thema: Draußen vor der Tür, Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth