Beiträge vom 18. April 2010

Zwei Täler, alte Tafeln und der Survivalbuddhismus

Sonntag, 18. April 2010 21:51

kappel1Der Weg teilte sich. Links führte er in das Große Tal, rechts hinauf in das Kleine Tal. Angesichts der neuen Wanderschuhe an Eva Pelagias Füßen und der Tatsache, daß ein im Wandern ungeübter Bär Mitglied der dreiköpfigen Gruppe war, beschloß man rechts abzubiegen. Ernst Albert schlug eine Abkürzung vor. Das tut er eigentlich immer. Der steile Pfad führte durch dichten Wald, erklomm atemraubend einen Hügel und, oben angekommen, öffnete sich der Blick hinab in das Kleine Tal. Man erblickte die Rückseite des Hausberges der Stadt, von dem ihre Anwohner und deren Gäste gerne ins Land schauen. Archibald war außer Atem, aber entzückt. Er bat um eine Pause. Man gewährte sie ihm. Und schon saß er in der Astgabel eines stattlichen Baumes, der in das Kleine Tal hinab blickte. Wie schnell ein Bär einen Baum erklimmen kann, davon kann jeder Lumberjack im fernen Kanada ein Lied singen, der vor einem schlechtgelaunten Bär auf einen Baum geflohen war, um ihn dann Sekunden später neben sich sitzen zu sehen. Schwer lastet dann die Pranke des Viechs auf der Schulter des Zweibeiners. „Hier bleibe ich, ich kann nicht anders.“ So dachte Archibald. Aber schon knurrten die Mägen. Ist nicht auch zentraler Sinn aller Wanderei die Einkehr und die Belohnung des bergauf, bergab gejagten Körpers? Ernst Albert mußte einen Planungsfehler eingestehen. Das Kleine Tal war leider komplett gastromiefrei. Pläne aber sind dazu da geändert zu werden. Und hatte nicht Ernst Albert vor Tagen in einem Buch, welches die Attraktionen der Umgebung zum Thema hatte, gelesen, daß sich im nahegelegenen Großen Tal mindestens zwei der regionalen Küche verpflichtete Gasthäuser befanden? Man änderte die Richtung.

kappel2Welche Freude! Am Eingang zum Großen Tal eine liebevoll geschnitzte Holztafel, die vermeldete, das erste Gasthaus sei nur wenige Kilometer entfernt. Gewiß, solche Angaben gilt es immer zu bezweifeln, gerne schummelt der Wirt und rückt das ersehnte Ziel etwas näher an den Fuß des Wanderers. Wer kehrt schon auf halber Strecke um, wenn der Wurstsalat ruft? Die kleine Fahrstraße schlängelte sich das Große Tal hinauf, auf den Wiesen ringsum verstreut Gehöfte und man genoß es, obwohl es ein Sonntag war, ziemlich alleine zu sein. Auf halber Strecke dann eine kleine Siedlung, dort wiederum eine Bushaltestelle, eine Bank und daneben eine Tafel mit offiziellen Verlautbarungen der für das Große Tal zuständigen Gemeinde sowie der den Wanderern höchst willkommene Hinweis auf ein zweites Gasthaus. Es trug den ehrenvollen Namen Herder. Wurstsalat und gedenkendes Innehalten, Wandererherz was begehrst du mehr? Die Sonne tut ihr Bestes, ein kühlender Wind rauscht den Rücken des Hausberges hinab und man erreicht das Ziel. Ein lapidarer, handbeschriebener Zettel, geheftet an die Eingangstür, vermeldet, daß man seit nun fünf Jahren in die Gaststätte nur eingelassen werde, wenn man sich am Vortag telefonisch angemeldet hat. Dem verschlossenen Haus des erhofften Wurstsalates gegenüber sitzt ein Einheimischer. Weder erwidert er den Gruß der Wandergruppe, noch gönnt er ihnen ein erläuterndes Wort. Aber war die Rede nicht von zwei Häusern der Gastlichkeit gewesen? Man kehrte um, um festzustellen, daß man schon vor einer halben Stunde an einem Hause vorbei geschritten war, dem, bis auf eine Laterne der lokalen Brauerei, alles von der Fassade entfernt worden war, was auf Bier, Wein, Wurst und Spätzle hingewiesen hatte. Archibald setzte sich auf die Treppe zur einstigen Terrasse. Und so fand das erste ‚Sit in’ eines Bären, das sich gegen die unzulängliche Informationspolitik der Lokalen in Sachen Wurstsalat wendete, wenige Kilometer südlich der badischen Gemeinde Kappel statt. Denn, und Herder publiziert es: “Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten!”

kappel3Natürlich zieht sich ein jeglicher Abstieg. Man hatte den einvernehmlichen Entschluß gefaßt in die Stadt zurückzukehren. Keine Vorwürfe waren zu hören, obwohl ein erfahrener Wandersmann seine Höhle nie ohne ein geschmiertes Brot verlassen sollte. Die zwei mitgenommenen Äpfel waren Trostpflaster, mehr nicht und schnell verzehrt. Neben dem Wege murmelte ein Bächlein, beruhigend, doch forellenfrei. Archibald spürte das Grummeln der schlechten Laune im leeren Gedärm. Ein Bärengott erhörte dies. Und schon war Archibald über einen Zaun gesprungen. Bienenhäuser, Bienenstöcke und kein Imker in Sicht. Diesmal legte sich die Hand eines Zweibeiners auf die Schulter eines Bären. „Du alter Deppenbär. Da mußt Du noch zwei Monate warten, bis die Bienen anfangen richtig zu arbeiten. Alles leer.  Entspanne Dich, die paar Meter bis in die Stadt wirst Du auch noch schaffen. Sei ein Bär und übe Dich in Survivalbuddhismus.“ Archibald begann sich ob seines kleinen Schwächeanfalls zu schämen. War er denn einer der Zweibeiner, die im Supermarkt das noch nicht erworbene Getränk in sich reinschütten, um an der Kasse nur noch die leere Verpackung einscannen zu lassen? Richtiger Hunger fühlt sich anders an. Archibald wußte das eigentlich. Er blickte hinauf in den strahlendblauen Himmel. Göttliche Ruhe. Keine Kondensstreifen. Asche auf sein Haupt.

Thema: Im Heckerland | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth