Beiträge vom 17. April 2010

Archibald erklimmt den Denkberg

Samstag, 17. April 2010 9:05

denkbergNichts gegen Artgenossen und einen kleinen Schwatz. Im Austausch der Gedanken und Erinnerungen findet man zu sich selbst, vergewissert sich seiner Herkunft, definiert seine Ziele und sein Wollen, stellt sich im besten Falle auch seinen unerfüllten Träumen und Lebenslügen. Doch die Gefahren allzu heftigen Austausches liegen, und dies gerade für Solitäre aller Art, auf der Hand. Wiederholung, mantrahaftes Klagen und Jammern, Schuldzuweisungen, das Besingen der Ungerechtigkeit der Welt im Großen und Besonderen, kurz und gut: die permanente Feier des wackeligen Egos und seiner absurden Ängste. Der Gedanke, frisch und klar angedacht, kann sich durchaus während des Sprechens zu einer gewissen Größe entwickeln, vielleicht sogar erst im Ausdruck seiner selbst entstehen, doch meist ist der Normalfall die Verwässerung des ursprünglich Angedachten, das Angleichen an das Gängige, furchtsames Verschweigen oder orientalische Ausschmückung von Erlebtem. Das Reden und Plappern verknotet das Hirn eher, als daß es dieses klärt. Zwei Wesen und das Mißverständnis hält Einzug in das Gebäude.

Archibald hatte sich auf den höchsten Gegenstand in der Neuen Höhle zurückgezogen. Sein Kopf glühte. Die ganze Nacht hindurch, geschlagene sieben Stunden, dreizehn Minuten und achtundvierzig Sekunden lang, hatte er den zwei lokalen Bären sein Leben und Wirken unterbreitet. Man hatte ihm am Ende seiner Erzählungen sogar applaudiert und ihn unmißverständlich aufgefordert, seine Erlebnisse auch in Zukunft festzuhalten, weiterzugeben und mit seinen Artgenossen zu teilen. Archibald Mahler, z. Z. Bär in Oberau, fühlte sich durchaus geehrt, aber war vor allem erschöpft und leer. Doch da war noch etwas, was ihn auf seinen Denkberg getrieben hatte. Eva Pelagia hatte ihren Besuch angekündigt und Ernst Albert hatte, gleich nach dem Aufstehen, zu diversen Reinigungsgeräten gegriffen, um die Neue Höhle in den Zustand höchster Ordnung und Reinlichkeit zu versetzen, was einerseits Auftrag der wahren Besitzern der Neue Höhle war, als auch Ausdruck der Wertschätzung der Avisierten. Und wenn Archibald etwas fürchtete und verabscheute, waren es diese alle Arten von Staub und Dreck einsaugenden Monster. Oh, Reinigungwahn der Aufrechtgeher! Dieses überdrehte, hysterische Geräusch des Saugers ließ sein Fell zu Berge stehen und alte Traumata feierten fröhliche Urstand. Da juckte es wieder, das abbe Bein.

Andererseits: das Sitzen auf dem Berg, das Hinabschauen, das Überblicken, die reinere Luft der Höhe. Das erfüllte ihn mit Freude. Vielleicht war es an der Zeit, Ernst Albert zu bitten, ihn demnächst auf einen der schwarzen Berge dort draußen mitzunehmen, um hinausblicken zu können in dieses Heckerland. Und Archibald dachte ernsthaft über den Erwerb von Wanderschuhen nach. Berg heil!

Thema: Im Heckerland, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth