Beitrags-Archiv für die Kategory 'Draußen vor der Tür'

Irgendwo da draußen muß es Kaffee geben!

Samstag, 18. September 2010 20:40

cars6

Wenn Archibald von seinem Schrottplatz rechter Hand der Lahn nach links schaut, sieht er ein Haus. Ein neues Haus. Ein Haus, das so neu ist, daß es noch gar nicht fertig ist. Aber ein paar Aufrechtgeher wohnen schon drin, weil das Wichtigste schon fertig ist: die hauseigene Tiefgarage. Vor der mit zwei unverputzten Stockwerken überbauten Tiefgarage steht eine große Tafel. Da ist eine Computersimulation des fertigen Gebäudes drauf abgebildet. Darüber prangt in Kapitälchen: „Hier entstehen hochpreisig ausgestattete, topatmosphärische und citynahe Wohnsituationen in naturnahem Surrounding mit Blickbeziehung zur Lahn!“ Der Bär nahm Platz auf der sich langsam erwärmenden Motorhaube eines Kadett B – geschätztes Baujahr 1971 – und war sich an diesem noch pöterkalten Spätsommermorgen hundertprozentig sicher, daß es nicht notwendig sei, im Falle dieser kryptischen Botschaft eine wie auch immer geartete Textexegese zu tätigen. Und da tat sich auch schon was an der Ausfahrt der Tiefgarage. Aber erstmal verzehrte der Bär drei bis sieben Äpfel, welche der nächtliche Wind ihm vor die Pfoten geweht hatte. Sehr lecker! Vielleicht sollte er– nach Rückkehr in die Höhle – Ernst Albert und Eva Pelagia mal darauf hinweisen, daß es Äpfel auch außerhalb der Kaufbuden an echten Bäumen gibt und diese viel besser schmecken. Das dachte der kauende Bär.

Das breite Tor der Tiefgarage bewegte sich geräuschlos nach oben. Ein Automobil rollte an die frische Luft. Ein Auto? Ein Monstrum! Es war etwa zweimal so lang, zweimal so breit, dreimal so hoch und wahrscheinlich sieben Mal so schwer wie der alte Kadett B, auf dem Archibald Mahler, frühstückender Weltschauer, an diesem Morgen saß. Wahrscheinlich hatte einer der gigantischen Reifen der Blechmilbe das Gesamtgewicht von Archibalds vor sich hin rostendem weißen Blechsofa. Röhrend rollte der schwarz und silbern glänzende Panzer davon. Der Fahrer hinter der getönten Scheibe hielt sich ein Mobilfunkteil ans rechte Ohr. Aufgeregt schien er zu sein. Seine Lippen bewegten sich hektisch und schlecht gelaunt. Wo ist die Front? Der Bär guckte in die Luft. Schäfchenwolken. Dann kehrte der Panzer zurück. 5 Minuten waren vergangen. War der Krieg schon vorüber? Irgendwelche Veränderungen? Ja, denn der Fahrer hielt nun nicht mehr ein Mobilfunkgerät in seiner Hand, sondern einen braunen Pappbecher. Da stand was drauf. „Mach Deinen Tag zum Ereignis mit einem Heißgetränk von McCoffeeTown!“ Genau konnte das Archibald nicht entziffern, aber ein im Schauen geschultes Bärenhirn nimmt Fragmente wahr und fügt den Rest dazu. Hohe Treffsicherheit. Das Rolltor schloß sich. Das Rolltor hob sich wieder. Ein weiterer Panzer. Schwarz-silbern ebenso. Er sah dem ersten Panzer mehr als ähnlich. Deckungsgleichheit. Aber ein anderer Name stand auf der gewölbten Heckklappe. Eine Frau saß am Steuer. Sie wog vielleicht ein Tausendstel ihres Untersatzes. Sie hatte noch keinen Kaffeebecher in der Hand. Dafür telefonierte sie. Ein kleines Mikrophon baumelte an ihrem Hals. Als sie nach drei Minuten wieder in die Tiefgarage rollte, hatte sie einen Pappbecher in der Hand, telefonierte aber immer noch. Auf dem Becher stand: „Die Ereignisse Deines Tages verzaubert Dir TownCoffeeMacky mit einem Heißgetränk!“ Oder so ähnlich. Was sie sprach? Es war auf alle Fälle wichtig. Sehr wichtig. Bestimmt!

Archibald schaute nicht mehr hin. Er dachte nach. Die Tiefgarage mit Wohnaufsatz war auf eine ehemalige Wiese gebaut worden. Hinter der Wiese standen einige ältere Wohnblocks. Mietwohnungen, untere Mittelklasse. Einst konnte man von den mit grünem  Plastik verkleideten Balkonen der Dreiraumwohneinheiten auf die Wiese und die Lahn schauen, wenn man schon nichts anderes zu tun hatte. Jetzt waren aber der Wohnraum und die Aussicht verdichtet. Blickte man von den Balkonen, sah man schwarz-silberne Panzer hin- und herrollen.  “Immer nur stupide auf einen kleinen Fluß schauen? Wie langweilig! Teilhaben an neuen Blickbeziehungen!“ Das sagten die Bauherren und die neuen Besitzer. Die schauten sich jedoch schon wieder nach neuen Wohnsituationen um. Man hatte festgestellt, daß die Parkplätze in der Tiefgarage etwas zu eng geraten waren. Einer der schwarz-silbernen Panzer hatte sich beim Einparken einen tiefen Kratzer in der Fahrertür zugezogen. Der Chauffeur hatte sich daraufhin vor Schreck und Wut das Heißgetränk über seine primären Geschlechtsinsignien geleert. Wird man die Tiefgarage mit Schlafdach abreißen müssen?

Es wurde warm, warm unter Archibalds Pöter, warm auf seinem Pelz, der über seinem gut gefüllten Bauch spannte. Darüber vergaß er ganz sich über die von den Aufrechtgehern verursachten Wetterkapriolen zu erregen. Er würde noch ein wenig hierbleiben, hier auf seinem Schrottplatz rechter Hand der Lahn. Er hatte freie Sicht! Noch! Time to think! Zweibeiner gucken ist überaus amüsant! Aber jetzt schnell noch zwei Äpfel. Der nächste Winterschlaf kommt bestimmt. Mahlzeit!

Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Die Lehre: Erst leer, dann bunt, dann wieder leer!

Donnerstag, 16. September 2010 21:49

cars1

Manchmal denkt sich Archibald, daß er doch ein recht blöder Bär ist. Da sitzt er und beobachtet, tagelang, hält sogar die Klappe, plappert nicht rum, schaut genau hin und dann noch etwas genauer, schweigend, da dies – sagen die Einen und auch Andere – die Präzision des Denkens erhöhen soll und dann? Wieder keine Spur von Durchblick oder gar Erkenntnis. Das ärgert ihn. Und noch mehr ärgert es ihn, daß er gar nichts dafür kann, wenn er rein gar nichts kapiert von so mancher Kuriosität, mit der die Aufrechtgeher die Welt tagtäglich beschenken. Woher soll er auch in seiner zutiefst bärigen Naivität wissen, daß der gemeine Aufrechtgeher gerne große Pläne macht, aber letztlich leider überhaupt keinen Plan hat, und zwar so etwas von keinen Plan, daß sich Archibald immer wieder fragt, welcher Aufrechtgeher das Wort „Affentheater“ in Umlauf gebracht hat, wo doch selbst ein regredierender Schimpanse nie auf die Idee käme, ein solches Verhalten an den Tag zu legen.

Überhaupt keinen Plan haben die Aufrechtgeher, wenn uns um das geht, was sie „Stadt“ nennen. Das hat Archibald schon mal rausgefunden. Dazu wäre zu sagen, daß ihm diese Erkenntnis in der Kleinen häßlichen Stadt sozusagen auf dem Silbertablett serviert wird. Da reichen einige intensive Schaustunden auf seiner Fensterbank oder eben die letzten Tage auf seinem kleinen Schrottplatz rechter Hand der Lahn. Gestern hatte er – Mehr Höhe, mehr Überblick! – einen ehemals roten, nun von Licht, Luft und Regen wunderbar ausgebleichten Kleinlaster bestiegen. Zuerst hatte er sich gefragt, woher wohl seine Vorliebe für rote Automobile komme, da er aber darauf keine schnelle Antwort fand, nahm er es, wie es ist. Rote Autos gefallen ihm. Punkt. Aber alt und rostig müssen sie schon sein. Und dann schaute er auf die Kleine häßliche Stadt und da hämmerte es, grub es Löcher, asphaltierte es, riß es ein, baute es auf und sperrte es ab und blieb doch ständig unvollendet. Und gab es zwischen zwei Häusern noch ein Loch, standen einige Aufrechtgeher mit gewichtigem Gesicht davor, entrollten einen Plan, hatten aber keinen solchen und am nächsten Tag rollte ein Bagger an. Und einige Wochen, oder Monate oder aber Jahre bis Jahrzehnte später, war alles so schön bunt da, wo mal ein Loch gewesen war oder ein Platz.

Und dann fragte sich Archibald Mahler, was den Aufrechtgeher denn diese fürchterliche Angst vor jeder Art von Leere einflößte. Was sie treibt jeden noch so kleinen freien Platz in ihren Städten ziel- und planlos mit hektisch zusammen geschusterten Kaufbuden zu verschandeln, diese Monumente eines unsäglich billigen Geschmacks mit schrillbunten, dummdreist getexteten Reklametäfelchen zu behängen und so das Auge eines jeden Ästheten – und Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz ist ein Ästhet – Tag und Nacht zu foltern. Und das Kurioseste dabei: die Freude der rauschhaft Bauenden währt immer kürzer. Schnell sind die Löcher zugebaut, schnell ist alles so schön bunt dort, aber noch schneller ist alles wieder genauso leer wie zuvor. Nur so viel häßlicher. Aus Leere wurde Leerstand. Wegen Geschäftsaufgabe geschlossen! Tränen. Zu vermieten! Pause. Paare. Passanten. Man eilt vorbei. Dann bleibt man stehen. Neueröffnung! Oh Gott, das Spielchen geht von vorne los.

Archibald schloß die Augen. Dies war bitter nötig. Er spürte, wie die Reste des Tageslichts hinter seinen geschlossenen Augenlidern auf der Iris funkelten. Die Sonne trocknete seinen feucht gewordenen Pelz. April im September. Kein Indianersommer heute, eher Osterhasenwetter. Auch hier kein Plan! Den Bären beschlich ein Verdacht. Könnte es sein, daß die offensichtlichen Wetterkuriositäten der letzten Zeit auch auf das Konto der Aufrechtgeher? Nicht auszudenken! Erst mal ein Prise Schlafsalz aufs Zahnfleisch reiben. Gute Nacht!

Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Die unerfüllte Sehnsucht nach dem schnellen Schuß, der doch bitte sitzen möge

Sonntag, 12. September 2010 8:29

cars13

Guten Morgen! Das Glockengeläut hatte ihn geweckt. Ihm fiel auf, daß bär auch mal über den Sinn dieses Geräusches nachdenken könnte. Woher kommt dieses Geräusch, das er sehr mochte? Was soll es erzählen? Wer ist dafür verantwortlich? Doch heute war dafür nicht der richtige Tag. Die gestrige, nicht beantwortete Frage hatte einen sehr unangenehmen Geschmack auf seiner Zunge hinterlassen. Dreck halt! Die ersten Sonnenstrahlen des Tages versuchten den Nebel, der aus der Lahn stieg, zu durchbrechen und für ein paar Minuten war Archibald Mahler – Der frühe Bär denkt sich was! – versucht, die gestrige Frage mit einem einzigen Wort zu beantworten: VERBLÖDUNG! Aber da zuckte etwas in ihn. „Heiß ich denn Thilo?“ Das war es, was er dachte am heutigen Sonntagmorgen, zurückgekehrt auf die Chromstoßstange eines nun wirklich nicht mehr neuen roten Automobils auf dem Schrottplatz rechter Hand der Lahn am Rande der kleinen häßlichen Stadt.

Er schüttelte sich, kratzte sich den noch etwas schläfrigen Hintern und sprach zu dem vorschnellen Bären, der gerade aus ihm gesprochenen hat: „Und was hast Du davon, wenn Du mit kraftmeierischer Geste eine einfache Antwort unter eine vermeintliche einfache Frage setzt? Löst das den ekelhaften Müll über Nacht auf? Räumt es ihn weg? Und wie lange hält dann dieses Gefühl des Bescheidwissens, des Durchschauens an, wie lange gibt Dir das Gefühl, einen schnellen Schuß gesetzt zu haben, der vermeintlich voll ins Schwarze getroffen hat, so etwas wie Ruhe? Die Rädchen drehen sich weiter! Tag für Tag! Immer dasselbe, jeden Tag wieder frisch! Und dann? Weiterpumpen? Noch mehr geschwollene Halsadern? Pauken schlagen? Trompeten blasen? Säue durch die Dörfer jagen? Du magst Recht haben, aber halt Dein Maul! Und: Tu was!“

Der Nebel kondensierte auf des Bären Fell und kühlte seine am frühen Morgen schon heißgelaufene Denke auf erträglichere Temperaturen. Nachgerade erschrocken war er über die Heftigkeit des kurzen Dialoges mit dem Zweitbär in ihm. Bis jetzt hatte man weitgehend in Harmonie miteinander gelebt. Und nun? Einatmen. Ausatmen. Nichts und nun! So ist das nun mal. Auch ein milder Archibald trägt einen „Thilo“ oder „Kuno“ oder „Horst Eberhard“– oder wie immer sie heißen mögen – in sich. Gelegentlich! Vielleicht vergessen dies die empörten Aufrechtgeher, die die Splitter stets nur im Auge des anderen bemerken und sich vor allem an einem ergötzen: dem Gemurmel und Geschwurbel und Gerubbel und dem unaufhörlichen Geplätscher, das sie jeden Tag aufs Neue in die übervolle Welt hinausposaunen müssen. Ja, leider: müssen. Dann sonst kommt das große, schwarze, gnadenlose Loch namens NICHT DIE BOHNE BIST DU WICHTIG und frißt sie alle auf. Denken Sie zumindest. Aber jetzt war der Tag des Herrn (auch der Bären!) und Archibalds Hirn leerte sich und er fand es einfach nur erfrischend auf der Chromstoßstange eines nun wirklich nicht mehr neuen roten Automobils auf dem Schrottplatz rechter Hand der Lahn am Rande der kleinen häßlichen Stadt zu sitzen und den Morgennebel flüstern zu hören. Guten Morgen!

Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Am Ende der Fahnenstange des Verstehens

Samstag, 11. September 2010 21:07

cars10

Es gibt Fragen, deren Antwort einfach nicht existiert. Selbst falls jemand versuchen sollte, eine solche Frage zu beantworten und er würde sich dazu viel Zeit lassen oder sogar Fachleute und sonstige Schlaumeierchen um Hilfe bitten, es würde ihm nicht gelingen. Er könnte suchen und hirnen und spekulieren und Thesen und Antithesen und was auch immer aufstellen: kein Chance, weil: was es nicht gibt, gibt es nicht. Die Antwort! Und die einzige Konsequenz für jede einsichtige Seele wäre, solch eine Frage einfach nicht zu stellen oder im großen und erhabenen Stile zu verzweifeln. Darüber dachte Archibald Mahler heute aber nicht nach. Fräulein Else Sommer hatte sich nochmals erkenntlich gezeigt, das Thermometer über die Zwanziggradmarke gerubbelt und da freut sich der Bär. Die Motorhaube des wunderschönen roten Autos heizte sich langsam auf, desgleichen der Bärenpöter und von hier oben ist zudem die Aussicht eine bessere als die gestrige von der Chromstoßstange aus.  Doch die Götter sind leider große Anhänger der Ambivalenz und so servierten sie Herrn Mahler, dem in Reflexion versunkenen Bär, eine dieser oben beschriebenen Fragen. Und das eben nicht auf dem Silbertablett.

Bierflaschen. Bierdosen. Kaffeebecher. Kaffeebecherdeckel. Small. Medium. Big. Superbig. XXXXL. Monstermega! Wodkaflaschen. Rotkraut. Weißkraut. Döner mit und ohne Alufolie. Ayranbecher. Kaugummipapier. Papiertaschentücher. Plastikgabeln. Plastiklöffel. Plastikmesser. Bierflaschen. Bierdeckel. Leere Zigarettenschachteln. Zerknüllt oder in Form. Einweggrills. Brötchen. Angebissen, belegt und unbelegt. Pide. Rund oder oval. Zeitungen. Werbung. Kaffeebecher. Werbung. Werbung. Flyer. Plastiktüten. Klein, groß, mittel, leer, auch mal gefüllt. Undefinierbares. Exkremente. Von Hunden und Kindern. An ausgewählten Orten auch von Erwachsenen. Reste der Reviermarkierungen von Vier- und Zweibeinern. Fahrradreifen. Kaffeebecher. Herrenlose Einkaufswagen. Wodkaflaschen. Kleine Feiglinge. Große Feiglinge. Angebissene Äpfel. Kaffeebecher. Wo? Überall! Auf Wiesen, Gehwegen. Rund um Bushaltestellen. Unter und auf Bänken. In Einfahrten. In Hauseingängen. Neben Mülltonnen. Neben Papierkörben. In Gebüschen. An der Lahn. In der Lahn. Morgens. Mittags. Abends. Unter der Woche. Ab Freitagabend intensiver. Am Sonntagmorgen besonders intensiv. Warum?

Archibald war noch nicht bereit, wie die eine Hälfte der Aufrechtgeher einfach zu resignieren und so der anderen Hälfte der Aufrechtgeher quasi die Lizenz zum Zumüllen der öffentlichen Räume zu erteilen. Sein Restvertrauen in die Zweibeiner ließ ihn intensiv über folgende Fragen nachdenken. Warum befällt den gemeinen Trinker nach Leeren des Gefäßes diese entsetzliche Schwäche, die es ihm unmöglich macht das gerade noch kraftvoll umfaßte Leergut zu entsorgen und es so an Ort und Stelle fallenlassen zu müssen? Läßt der Genuß von Grillgut in öffentlichen Parkanlagen grünwählende und durchaus ansatzweise gebildete Studierende schlagartig erblinden, so daß sie nicht mehr in der Lage sind, die Hinterlassenschaften ihrer Paatiee wahrzunehmen, um diese zu entsorgen? Welches geheime Mittel haben die meist vorderasiatischen Mitbürger ihrem Schabefleisch beigefügt, so daß niemand in der Lage scheint seine Speise vollständig zu verzehren und so die Straßen und Gehwege – vor allem an  Sonntagmorgenden -  mit ungezählten Fragmenten von ‘Mit Fleisch von Lamm oder Huhn mit Salat und Soße mit oder ohne Alles und Scharf?’ verziert sind? Und warum haben die jungen, sehr jungen, meist zu jungen Konsumenten der transatlantischen Klopsbratereien das unstillbare Bedürfnis die Umgebung ihrer Tempel im Umkreis von bis zu zwei Kilometern mit den Verpackungen ihrer den Körper und Geist aufblähenden Mahlzeiten zu dekorieren? Oh Ihr Götter! Wird Archibald resignieren? Die gnädige Nacht senkt sich über den Schrottplatz rechter Hand der Lahn und dem Bären ist es recht. Das alte Blech unter seinem Pöter ist noch angenehm warm. Gute Nacht!

Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Ein unschuldiges Wort und eine Pressemitteilung

Freitag, 10. September 2010 20:12

cars11

Das rote Auto gefiel ihm ganz besonders. Wobei es gar nicht mehr richtig rot war. Das rote Auto stand schon so lange auf dem Schrottplatz rechter Hand der Lahn, daß sich Moos und Flechten auf dem Lack angesiedelt hatten. Efeu kroch an den zerbröselnden Reifen hoch und Gräser reckten ihre Köpfe bis in den Motorraum hinein. Für Archibald Mahler war das rote Auto jedoch eine Schönheit, eine Schönheit, deren immer noch gegenwärtige Schönheit durch die Flechten und Mooskissen schimmerte, alte Lieder sang, über vergessene Strassen rollte, die Zeit anhielt und ihm so Raum schaffte. Raum im Hirn. Denkraum. Und heute wärmte sogar die Sonne die Stoßstange – CHROM!! – auf der der Bär saß. Das mochte er sehr. Und dann fielen ihm diese drei unschuldigen Buchstaben ein, das unschuldige N, das unschuldige E und das genauso unschuldige U. Diese drei unschuldigen Buchstaben, die zusammen eines der fürchterlichsten, abgeschmacktesten und nervigsten – vor allem Ruhe suchende Denkbären nervende – Lieblingswort der Aufrechtgeher ergaben, das unerquickliche Wörtchen: NEU!

Nein, das arme Wörtchen kann nichts dafür. Es mag durchaus mal eine Bedeutung, vielleicht sogar einen Sinn gehabt haben. Doch dies ist lange her. Heutzutage ist dieses Dreibuchstabengebilde nichts anderes als ein einziger überdrehter und unerträglicher lauter Schrei. So erschien es zumindest Archibald Mahler, dem Bären auf der warmen Chromstoßstange eines nun wirklich nicht mehr neuen roten Automobils auf dem Schrottplatz rechter Hand der Lahn am Rande der kleinen häßlichen Stadt, der spätsommerlich und gelassen nachdachte. Zum Beispiel darüber, daß der gemeine Aufrechtgeher es wohl nicht erträgt, wenn die Dinge, die ihn umgeben und die ihm entweder die Arbeit erleichtern oder ihm in seiner Freizeit Freude bereiten sollen, älter sind als einige Wochen, bestenfalls Monate. Dann wächst in ihm eine unerbittlich brüllende Unruhe und er muß hinausziehen und Dinge suchen, auf die andere Aufrechtgeher groß und dick und dreifach unterstrichen das kleine – einst unschuldige – Wörtchen NEU geschrieben, gedruckt oder was auch immer haben. Und dann kriegt der Zweibeiner feuchte Augen, feuchte Hände und feuchte Lippen. Und wenn ein ganz besonders findiger- was heutzutage heißt verkaufstüchtiger – Zweibeiner das Wörtchen NEU mit dem Attribut JETZT versehen hat, dann, ja dann? Dann werden sogar die Höschen feucht. JETZT NEU? JETZT? NEU? ICH KOMM! MÄH! MÄH! MÄH!

Also schrieb Archibald eine Pressemitteilung. Natürlich nur im Kopf. Aber eine Pressemitteilung, die er irgendwann mal losschicken würde. Da war er sich sicher. Und die Pressemitteilung, über die er nun nachdachte auf der warmen Chromstoßstange eines nun wirklich nicht mehr neuen roten Automobils auf dem Schrottplatz rechter Hand der Lahn am Rande der kleinen häßlichen Stadt, lautete folgendermaßen: „Kleine häßliche Stadt: Ein Bär, der heute morgen aufwachte, stellte fest, daß er atmete und seine Fell noch dasselbe ist. Dann hatte er Hunger. Und aß Marmelade aus Heidelbeeren. Und Aas mit Honig. Das schmeckte wie immer. Also gut. Dann hat er weitergeatmet.“ Und weil er gerade das Gefühl hatte, daß es heute super läuft mit der Denkerei und das Verfassen von Pressemitteilungen ihm einen Heidenspaß bereitete, verfaßte er gleich noch eine Pressemitteilung. Für den morgigen Tag. Und die lautete: „Kleine häßliche Stadt: Ein Bär, der heute morgen aufwachte, stellte fest, daß er atmete und seine Fell noch dasselbe ist. Dann hatte er Hunger. Und aß Marmelade aus Heidelbeeren. Und Aas mit Honig. Das schmeckte wie immer. Also gut. Dann hat er weitergeatmet.“ Und dann hat er weitergeatmet, der Bär auf der warmen Chromstoßstange eines nun wirklich nicht mehr neuen roten Automobils auf dem Schrottplatz rechter Hand der Lahn am Rande der kleinen häßlichen Stadt.

Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wohin man auch schaut, es liegt etwas herum!

Donnerstag, 9. September 2010 16:16

cars5

Und so rollten zwei Fahrräder über die Lahn, um präzise zu bleiben, über eine Brücke, welche über die Lahn führte und Archibald Mahler war wieder allein. Soll man sagen: endlich? Er, der Bär würde es vielleicht in diesem Moment so formulieren. Die letzten Tage und Wochen waren recht turbulent gewesen und ein kompletter Theaterabend mit allem Pipapo – selbst erdacht, selbst organisiert und auch noch selbst gespielt – hängt einen doch noch eine ganze Weile im Pelz. Also kam Archibald Mahler, gerade dabei wieder seine ursprüngliche Tätigkeit als Denk- und Schaubär aufzunehmen, der kleine Schrottplatz rechts der Lahn gerade recht. Sitzen und nachdenken, sitzen und nachdenken darüber – ja, worüber eigentlich? Zum Beispiel darüber, woher diese doch sehr offensichtliche Marotte der Aufrechtgeher kommt, permanent etwas wegschmeißen zu müssen. Dinge, Gedanken, gute Ideen, Vorsätze, Versprechen, andere Aufrechtgeher, sich selbst, Zeit ohne Ende und – dies sei nicht vergessen – sogar einen unschuldigen Bären.

Die alten Schrottautos begrüßten den Bären freundlich. Aber vielleicht bildete sich Archibald dies auch nur ein, weil die alten Autos ihn angrinsten und mit großen freundlichen Scheinwerferaugen anschauten. Die Aufrechtgeher, die damals diese Autos gebaut hatten, hatten anscheinend noch nicht – so wie die aktuellen Entwerfer – die Angewohnheit ihren Blechmilbe eines dieser aggressiven „Platz da, Du schleichender Kretin von Vordermann“ – Antlitze zu verpassen. Im Gegenteil, die Vorderansicht der alten Rostlauben hatte etwas fast Trauriges im Ausdruck. Auch die rissigen und teilweise luftleeren Reifen, auf denen die Kisten vor sich hin standen, hatten nicht – wie heutzutage – die Breite eines normalen Bürgersteiges und die Profiltiefe eines LKW-Reifens, wie er früher im Braunkohletageabbau benutzt wurde. Es muß wohl eine Zeit gegeben haben, in denen man diese Blechmilben fuhr, um von einem zum anderen Ort zu gelangen und nicht, um damit in den Krieg zu ziehen. Zumindest optisch.

Die erste weggeworfene Sache, welche dem Bär nun einfiel, war das aktuelle Jahr. Wobei Archibald das Gefühl hatte, daß es das Jahr selbst war, das sich wegwarf. In des Bären Innereien klopfte, noch leise aber doch spürbar, der bevorstehende Winterschlaf an. Dieses Jahr, das das Leben von Herrn Mahler gründlich auf den Kopf gestellt hatte, packte seine Koffer. Der Freiherr Gottfried von Herbst – obwohl noch nicht offiziell im Amt – hatte die Herrschaft übernommen und dies heißt nun mal für jeden normalen Pelzträger von Hoch- auf Sparbetrieb zu schalten, sich noch ein paar Kilo anzufressen und dann bis zum nächsten Lenze: ab in die Kiste! Vielleicht lüpft Fräulein Sommer ja noch mal ihr Röckchen und gewährt den alten Knochen ein wenig Wärme, aber mehr als ein paar Wochen hat dieses Jahr nicht mehr bereit. Und diese restliche Zeit, das war Herr Archibald Mahler klar, sollte er in Ruhe und meditativer Gelassenheit vorüberziehen zu lassen. Und sich bereit machen zum rituellen Restedenken. Was das Jahr an Eindrücken und Unverarbeiteten so hat herumliegen lassen: kurz mal den ein oder anderen Gedanken drüber wandern lassen. Aber jetzt: erstmal einen kleinen Nachpremierenschlaf einlegen.

Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wir wissen nichts von diesem Hingehn!

Sonntag, 11. Juli 2010 15:05

friedhof

Todeserfahrung

Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das

nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund,

Bewunderung und Liebe oder Haß

dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund

tragischer Klage wunderlich entstellt.

Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen.

Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen,

spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.

Doch als du gingst, da brach in diese Bühne

ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt,

durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne,

wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald.

Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes

hersagend und Gebärden dann und wann

aufhebend; aber dein von uns entferntes,

aus unserm Stück entrücktes Dasein kann

uns manchmal überkommen, wie ein Wissen

von jener Wirklichkeit sich niedersenkend,

so daß wir eine Weile hingerissen

das Leben spielen, nicht an Beifall denkend.

(Rainer Maria Rilke)

Gestern war Ernst Albert über dieses Gedicht gestolpert. Und da es keine Zufälle gibt und heute nicht nur Endspiel ist, hat er es hier hingeschrieben. Manchmal fehlt etwas!

Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Man läuft nicht alleine, wenn man schaut wie der Fluß vorbeifließt (Vorspiel auf dem Fensterbrett)

Donnerstag, 27. Mai 2010 15:48

hundert_tage1

Die Herren und Damen Aufrechtgeher bewerten ja gerne. Häkchen dran und so. Etikett und Label. Branding. Die Realität formatieren. Punkt. Und dazu gehören auch die ersten hundert Tage einer neu aufgenommenen Tätigkeit, Aufgabe, Arbeit, Beziehung oder was auch immer. Gebt mir hundert Tage Zeit und ihr werdet sehen, was ich nicht sehe. Haben Sie, was wollten Sie, was versprachen Sie und wo laufen wir denn jetzt, Herr Archibald Mahler? Warm. Wärmer. Kalt. Lauwarm. Kalt. Puuh und Winnie! Da saß er wieder der Bär, auf der Fensterbank, wo alles begann, einst am Aschermittwoch dieses Jahres  und schaute. Heute in Cinemascope. Was sah er? Die Zweibeiner rasten weiterhin in die Kaufbuden, ließen ihre vierrädrigen Blechmilben aufheulen und grämten sich oder auch nicht. Die Luft war nur unwesentlich wärmer als im Februar, aber es regnete nicht. Draußen zumindest. In des Bären aufgeregten und hibbeligen Synapsen jedoch regnete Unausgegorenes und Unvollendetes in die Fächer und Regale seines Gedankenschrankes. Sein Kleinhirn rauschte wie der Rheinfall zu Schaffhausen bei Hochwasser. Hundert lange, kurze, schöne und manchmal grausige Tage lagen hinter ihm. Bilder, Düfte, Anekdötchen, Querverweise, Kreuzerinnerungen und schon wieder vergessen. Soll ich jetzt ein Resümee ziehen oder nicht und wenn, dann wie und wo und warum und wo sitzen wir gerade? Das Telefon klingelte unentwegt. Gratulanten. Der Herr Geheimrat ließ anrufen. Aus der Stadt mit den Türmen der Gier übernahm es die Frau Mama und schickte ein Tupperware-Döschen mit „Grie Soß“. Aus der schönen Stadt im Osten tat es Frau Vulpius und schickte  zwei handgeflochtene Thüringer Klöße. Herr Hoeneß Ulrich war immer noch extrem gut gelaunt und verzieh alte Beschimpfungen bezüglich des Ersten FC Pommes Schranke und sprach auf den AB. Herr van Gaal, das Feierbiest, schenkte Archibald via SMS ein Zitat. „Heute morgen glaubte ich, ich sei tot, aber Du bist eine Gladiole.“ Woraufhin Herr S. Beckett anrief, und fragte, wo dieses Zitat käuflich zu erwerben sei zwecks Weiterverwertung. Er beabsichtige das „Endspiel“ zu aktualisieren, posthum und via Himmelsleitung. Er hatte Pech, denn das Zitat wurde heute schon feierlich zu Händen Frau Eva Pelagia weitergereicht. Herr Löw rief an, um zu sagen, daß er nicht anrufe. Herr Hermann Siddharta ließ grüßen als Vorsitzender des Verbandes „Professionelle Wasserbetracher mit Zeit e.V“.  Zwei Bären aus dem Heckerland namens Karamazow und Parkinson hatten eine Postkarte geschickt, Absender  c/o Justizvollzuganstalt Freiburg. Die zwei Genossen hatten wohl eine Horde befreundeter Bären befreit. Die Höhe des dabei verursachten Sachschadens bewege sich im vierstelligen Bereich. Aber es ginge ihnen soweit gut.  Herr Lenz ließ sich zum wiederholten Mal entschuldigen. Er habe Probleme mit der Installation seines Wärmeprogrammes, Herr Wintersen habe ihm da einen veritablen Bug ins Betriebssystem gesetzt. Und Herr Robert Zimmermann? Er dachte an Archibald, solidarisch. Eva Pelagia hatte den Frühstückstisch mit in Heidelbeeren und Honig eingelegten Lachs garniert, Ernst Albert sang „Man gave name to all the animals“ und Herr von Lippstadt – Budnikowski zu Datteln vermachte seinem Kumpan ein Paninisammelalbum aus dem Jahre neunzehnhundertneunundachtzig. „Hömma, dat is von Nobby Dickel höchstpersönlich mit seine Unterschrift signiert. Dann kannse bei Ibäh Dollares ohne Ende für erzielen.“ Im Hinterhof steppte eine Horde Sauropoden den Mittelhessenblues. Volker Bouffier ließ sich entschuldigen. Er müsse heut Abend kochen.  Frau Grobe – Balz auch und sie könne nur kommen, wenn man sie mit Herrn Archibald Mahler pressetauglich ablichtete. Archibald, der Bär,  verzichtete. Hotte “Der Ehrenbürger” Richter seinerseits dachte noch nach. Das dauert. Die Glocken am Kirchplatz gaben alles. Achtzehn Uhr. Volljährig nun ist der heutige Tag. Kein Grund zu klagen.

Draußen vor dem Fenster ein Hauch von Sonne, viel Himmel über Archibalds Kopf und er war sich sicher, daß da erstens noch einiges geht (Vorsicht: keine Nachlässigkeit im Sprachduktus und herzlichen Glückwunsch zu den ersten hundert von tausenden Tagen: Dein Setzer) und er freute sich darauf, weiterhin auf die Welt zu schauen und all diese Geschichten auf sich niederregnen zu lassen. Herr von Lippstadt – Budnikowski hielt sich im Hintergrund, studierte WM – Spielpläne und blies seine Vuvuzela warm. „Hömma, Pilsken is am waamwerden!” Nun denn, ein kleiner Jubiläumsumtrunk wartete wohl. No sleep till Hammersmith! Stößchen!

Thema: Archibalds Geschichte, Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Der Müll, die Angst und der Tod der Vernunft

Donnerstag, 13. Mai 2010 6:23

angst

Was hatte er da gestern auf der Heizung geträumt? Hatte er geträumt? Er im Maule eines..? Quatsch! Archibald schüttelte sich, kratzte sich am Hintern und brach auf, Schweinekälte hin, Schweinekälte her. Vorhaben, die unter dem strengen Auge des Alten von Bergedorf geplant, gilt es in die Tat umzusetzen. Die Expedition namens „Angstmuzak“ nahm ihren Anfang. Weit mußte er nicht gehen. Fenster auf, Regenrinne herunter geklettert und bitte schön: der Geruch des gestrigen Tages attackierte ihn, schärfer und prägnanter denn je zuvor. Er schaute sich um. Keine Aufrechtgeher zu sehen. Er kratzte sich den Bärenschädel. Seine Nase vibrierte. Angstgetränkte Zweibeinerausdünstung der Panikklasse Eins A hüllte ihn ein. Was war denn nun die Quelle dieser konzentrierten Duftattacke? Fragen über Fragen. Er stand vor einer Mülltonne. Sollte? Nein! Doch! „Archibald! Erkenntnis fordert Opfer!“ Es mahnte die Bergedorfer Instanz. Die Nordostwand der Tonne erklettert, den Deckel hochgestemmt, Schädel und Nase ins Innere gestreckt: eine Sache von Sekunden. Der Deckel fällt donnernd herab. Gefangen der Bär.

Archibald dachte nicht im Traum daran, seine Expedition bei der ersten Mißlichkeit abzubrechen oder gar nach Zweibeinerart um Hilfe, Anleihe und Rettungspaket zu betteln. Etwas in ihm ahnte, daß er erster Erkenntnis gar nicht so fern war. Der Müll! Die Angst! Der Tod (der Vernunft?) Also dachte er nach. Vielleicht ist es so: der Aufrechtgeher schmeißt gerne weg. Alles was nicht paßt, im ersten Moment nicht sofort hundertprozentige Erfüllung garantiert, oder sperrig ist, Beschäftigung und Nachdenken, vielleicht gar Andacht fordert – Würste, Schuhe, Waschmaschinen, Herzen, Ideen, Bücher, Ausbildungen, Mitarbeiter, Versprechen, unerwünschte Kinder, Exkremente verbaler oder intestinaler Natur: kurz alles was gerade – Menno! – irgendwie stört: einfach fallengelassen, weg damit, ein anderer wird sich schon bücken und es entsorgen. Dann? Weiter, denn Nachschub ist garantiert! Auf ewig! Sagt man! Für all diese Würste, Schuhe, Waschmaschinen, Herzen, Ideen, Bücher, Ausbildungen, Mitarbeiter, Versprechen, unerwünschten Kinder, Exkremente verbaler oder intestinaler Natur: kurz alles was gerade – Menno! – irgendwie stört. Huch und Hoppla! Auf ewig! Auf ewig? Und in den Mülltonnen gärt es vor sich hin. Die Seifenblasen wachsen und wachsen. Die Deckel drückt es nach oben, langsam, aber gewaltig. Da helfen keine Schlösser. Selbst der einfach gestrickte Zweibeiner ahnt, daß ihm irgendwann seine Mülltonnen um die Ohren fliegen werden. Die Angst kriecht aus dem Müll, aus den Exkrementen und aus den Rosinenherzen. „Schnell! Schnell! Weiter! Weiter! Vielleicht kann ich meinen Mann noch umtauschen! Karstadt verspricht heute Träumerrabatt.” Uppsala! “Auf! Auf! Galeria Horten! Horten! / man  gewährt an allen Orten / beim Erwerben neuer Träume / drei bis vier der Gratisschäume!“ Der Schnitter freut sich! Langsam stirbt die Vernunft! Lebt sie noch? Freeze! Die aufsteigenden Gase trübten Archibalds Wahrnehmung. Sein Hirn begann zu eiern und dichtete: „Griechenland und anderswo, wer lebt nicht gerne faul und froh!“ Eine Blase platzte. Der Deckel flog nach oben. Archibald ward befreit.

Also saß er auf dem kalten Maienboden, Zweibeinermüll all around him. Ein Stück alte Zeitung flatterte vor seine Nase. Er riechlaß das, was der Spielleiter aus dem Heckerland gestern ausgeatmet hatte: „Wir erwarten von den Spielern hundertprozentige Konzentration im mentalen Bereich, daß taktische Dinge umgesetzt werden, Aufgaben angenommen werden. Wir erwarten eine hundertprozentige Bereitschaft im körperlichen Bereich, weil bei einem Turnier jeder absolut an die Grenzen gehen muß.“ Auweia! Das Blechsprech der Seelenlosen. Das tat richtig weh! Binsenwahrheiten hatte Archibald noch nie verstanden, aber er ahnte, daß auch diese Blase bald – stinkend und mit Getöse – platzen würde. Sein Blick schweifte nach oben. Gott sei Dank, das Fenster der Höhle war noch offen, die Regenrinne nicht allzu klitschig und die Heizung kochte weiterhin auf Stufe Vier. Archibald beschloß seine Expedition zu unterbrechen. Aaahh und Ooooh! Ein Bärenhintern erwärmte sich. „Herr Reinhard Theophil Kuno „Stan“ von Lippstadt–Budnikowski zu Datteln, übernehmen Sie! Die Balltretkunst ist Ihr Metier! Dig it!“

Thema: Draußen vor der Tür, Öffentliche Leibesübungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

„Yassou, Eyjafjallajökull! Ti kanis? Isse kala?“

Mittwoch, 12. Mai 2010 9:49

dino2

Es wurde gelüftet. Archibald schwang sich auf das Fensterbrett. Feuchtkalte Luft schlug ihm entgegen, und jener Geruch, der Hunde kläffen läßt und sensible Bären nachdenken: der Geruch des Angstschweißes der Aufrechtgeher. Und glitzerten nicht schon wieder kleine Aschepartikel im diffusen Morgenlicht, wie einst im Heckerland, als der Himmel tagelang nicht von Kondensstreifen zerkritzt und zerkratzt wurde? Ja, es roch stechend, es roch aggressiv und laut da draußen. Die Buchstaben auf den Titelseiten der Mitteilungsblätter, welche am Kiosk auf der anderen Straßenseite aushingen, waren so groß und rot, daß sie von der Seite zu rutschen drohten. Wenn die alte Bärenseele in ihm es nicht besser gewußt hätte, hätte Archibald Herrn Ernst Albert heute gebeten ihm ein One Way Ticket auf der Arche Noah zu buchen – falls sie noch in Betrieb ist. Nur wohin ginge dann die Reise? Die alte fadenscheinige Hoffnung der Zweibeiner, es gäbe irgendwo auf dieser Welt einen Ort, an dem man sich vor sich selbst in Sicherheit bringen könnte: Pustekuchen, um es mal salopp und präzise auszudrücken. Denn das hatte Archibald begriffen, die Frage: „Poo kostisi afto?“, stellt der Aufrechtgeher nach dem Genuß gar nicht gern. Aber irgendwann kommt der Ober oder der Vulkan, die Bohrinsel oder der Gletscher, das überstrapazierte Konto oder ein letzter Rest von Verstand und spricht: „Ella, ton logariasmo, parakalo!“ Und der Schnitter steht am Horizont, winkt und ruft: “Kalinichta!“

Was machte nun ihn, Archibald frösteln? Er dachte nach. Eins war gewiß, nie mehr wollte er zweigeteilt auf einem Platz im Zentrum einer kleinen häßlichen Stadt in Mittelhessen liegen. Nie mehr nicht Einer und schon gar ein Anderer, als der, der er nun ist, sein. Nicht seinem abben Bein hinterher jagen, oder spüren, wie ein abbes Bein ihn verfolgt. Nein, das auf keinen Fall. Und das Morgen sollte ihm nicht allzuviel Sorgen bereiten – gut, ein Leben ohne Ernst Albert, Eva Pelagia und dem geheimen Fieberthermometerhalter, das wollte er sich lieber nicht vorstellen – aber Archibald war sich klar, als Weltschauer sind seine Eingriffsmöglichkeiten in Sachen Lauf der Dinge sehr begrenzt und das Einsortieren aller Vergangenheiten und der daraus gezogenen Schlüsse in den Gedankenschrank, das schien ihm Arbeit genug. Der Himmel verfinsterte sich gänzlich unmaienhaft. Man schloß die Fenster.

Im Warmen auf der Heizung sitzend, kam Archibald eine Erkenntnis. Und was, wenn die größte Angst der Aufrechtgeher ist, von ihrer Ängsten aufgefressen zu werden? Oder vielleicht doch von einem Sauropoden? Im Rahmen des selbst auferlegten Auftrags, sich von heut an zu organinizieren, beschloß er für morgen eine Expedition auszurüsten, eine Expedition auf der Suche nach der Angst der zahlungsunwilligen Zweibeiner. Morgen, wohlgemerkt, morgen. Falls es nicht zu heftig regnet. Solange machte er es sich erstmal auf der Heizung bequem. Er schlief ein. Er träumte unruhig. Aaaarghhh!

Thema: Draußen vor der Tür, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth