Wohin man auch schaut, es liegt etwas herum!

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Und so rollten zwei Fahrräder über die Lahn, um präzise zu bleiben, über eine Brücke, welche über die Lahn führte und Archibald Mahler war wieder allein. Soll man sagen: endlich? Er, der Bär würde es vielleicht in diesem Moment so formulieren. Die letzten Tage und Wochen waren recht turbulent gewesen und ein kompletter Theaterabend mit allem Pipapo – selbst erdacht, selbst organisiert und auch noch selbst gespielt – hängt einen doch noch eine ganze Weile im Pelz. Also kam Archibald Mahler, gerade dabei wieder seine ursprüngliche Tätigkeit als Denk- und Schaubär aufzunehmen, der kleine Schrottplatz rechts der Lahn gerade recht. Sitzen und nachdenken, sitzen und nachdenken darüber – ja, worüber eigentlich? Zum Beispiel darüber, woher diese doch sehr offensichtliche Marotte der Aufrechtgeher kommt, permanent etwas wegschmeißen zu müssen. Dinge, Gedanken, gute Ideen, Vorsätze, Versprechen, andere Aufrechtgeher, sich selbst, Zeit ohne Ende und – dies sei nicht vergessen – sogar einen unschuldigen Bären.

Die alten Schrottautos begrüßten den Bären freundlich. Aber vielleicht bildete sich Archibald dies auch nur ein, weil die alten Autos ihn angrinsten und mit großen freundlichen Scheinwerferaugen anschauten. Die Aufrechtgeher, die damals diese Autos gebaut hatten, hatten anscheinend noch nicht – so wie die aktuellen Entwerfer – die Angewohnheit ihren Blechmilbe eines dieser aggressiven „Platz da, Du schleichender Kretin von Vordermann“ – Antlitze zu verpassen. Im Gegenteil, die Vorderansicht der alten Rostlauben hatte etwas fast Trauriges im Ausdruck. Auch die rissigen und teilweise luftleeren Reifen, auf denen die Kisten vor sich hin standen, hatten nicht – wie heutzutage – die Breite eines normalen Bürgersteiges und die Profiltiefe eines LKW-Reifens, wie er früher im Braunkohletageabbau benutzt wurde. Es muß wohl eine Zeit gegeben haben, in denen man diese Blechmilben fuhr, um von einem zum anderen Ort zu gelangen und nicht, um damit in den Krieg zu ziehen. Zumindest optisch.

Die erste weggeworfene Sache, welche dem Bär nun einfiel, war das aktuelle Jahr. Wobei Archibald das Gefühl hatte, daß es das Jahr selbst war, das sich wegwarf. In des Bären Innereien klopfte, noch leise aber doch spürbar, der bevorstehende Winterschlaf an. Dieses Jahr, das das Leben von Herrn Mahler gründlich auf den Kopf gestellt hatte, packte seine Koffer. Der Freiherr Gottfried von Herbst – obwohl noch nicht offiziell im Amt – hatte die Herrschaft übernommen und dies heißt nun mal für jeden normalen Pelzträger von Hoch- auf Sparbetrieb zu schalten, sich noch ein paar Kilo anzufressen und dann bis zum nächsten Lenze: ab in die Kiste! Vielleicht lüpft Fräulein Sommer ja noch mal ihr Röckchen und gewährt den alten Knochen ein wenig Wärme, aber mehr als ein paar Wochen hat dieses Jahr nicht mehr bereit. Und diese restliche Zeit, das war Herr Archibald Mahler klar, sollte er in Ruhe und meditativer Gelassenheit vorüberziehen zu lassen. Und sich bereit machen zum rituellen Restedenken. Was das Jahr an Eindrücken und Unverarbeiteten so hat herumliegen lassen: kurz mal den ein oder anderen Gedanken drüber wandern lassen. Aber jetzt: erstmal einen kleinen Nachpremierenschlaf einlegen.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Donnerstag, 9. September 2010 16:16
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