Beiträge vom 11. April 2020

Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Fünfzehn

Samstag, 11. April 2020 22:05

engel31

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„Eloi, Eloi! Lama sabachthani!”

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Kurpark Bad Salzhausen bei Nidda. Ein paar Runden gedreht. Lesesaal. Einer liest. Raus. Leere Wege. Gradierwerk. Zwei Handwerker. Weiter. Solequelle. Lithiumquelle. Trinken. Weiter. Man bleibt alleine. Stille. Schließlich die Trinkkuranlage mit kleinem Konzertsaal. Leere Stühle. Verwaist. Der Klavierdeckel abgeschlossen. Archibald Mahler schaukelt auf einer Absperrkette. Komplett aufrechtgeherfreie Räume, welche auch auf absehbare Zeit aufrechtgeherfrei bleiben werden, der Bär hat nicht so viele Einwände. Da bärt ihm … ähem … schwant – soweit dies Bären  möglich – ihm etwas. Dem Ehrenwerten Ernst Albert ist es derweil schlecht geworden und dies nicht vom reichlich genossenen Heilwasser. Blaß schaut er aus seinem eigentlich gut erholten Antlitz auf die leere Bühne.

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„Weia, lieber hochgeehrter Ernst Albert! Da war ich wohl etwas unsensibel!“

„Ach, mein Guter, mach Dir kein Kopp. Von den Mühen der Musentempelei wissen eh die wenigsten. Doch das hier, so ohne Zuschauer, das riecht nach Zwangsverrentung.“

„Und das wird dauern?“

„Quarantäne kommt vom lateinischen quadraginta sprich vierzig. Vierzig Tage lang wurden in Zeiten der Pest Reisende und Schiffe von allen anderen ferngehalten. Die Fastenzeit dauert übrigens ebenso vierzig Tage.“

„Also ist an Ostern alles vorbei!“

„Eher nicht! Und schon gar nicht für mein Gewerbe und die Musikanten. Aber ohne Publikum sind wir These und tote Idee.“

„Ich will jetzt nicht schlaubären, aber kommt Quarantäne nicht auch von kontumaz, was da bedeutet Trotz oder Unbeugsamkeit? So nannten die Österreicher den Wegschluß mal!“

„Da möge Gott für sorgen, daß Rückgrat und Seele unbeugsam den Widrigkeiten trotzen!“

„Ich will jetzt ganz schnell nach Hause!“

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Nachdenkliche Rückfahrt. Ein Schweigen, welches knirscht. Zuhause angekommen ein kurze und liebevolle Begrüßung. Das mit dem Reden geht noch nicht so locker von der Zunge, zumindest beim Ehrenwerten Musentempler. Er muß noch eine Runde drehen, draußen an der übervollen Lahn. Bis solche Fluten sich verlaufen haben, dies wird dauern, davon ist auszugehen und so spuckt er dreimal von der Brücke, auf der er das tobende Wasser überquert. Ein vorläufig letztes TOITOITOI. Gut in Engelthal gewesen zu sein. Als hätte man etwas geahnt. Die Stille halten und stillehalten die nächsten Wochen. Und gewiß kein Katastrophentagebuch schreiben, weder gefragt, noch ungefragt. Eitle Befindlichkeitseinträge ins virtuelle Poesiealbum sind nicht Aufgabe und Herausforderung dieser Tage. Man sollte das Ganze nicht aus dem Blick verlieren. Danke, lieber F.C. Delius. Dann trottet er nach Hause. Es gibt zu tun.

Archibald Mahler sitzt auf dem roten Sofa und zeigt dem Gefährten Kuno Budnikowski die Fotos, die in den letzten Tagen geschossen wurden. Die wunderbare Frau Pelagia bereitet ein Abendbrot.

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„Bär, ich wußte gar nicht, daß Du den Fotoapparat bedienen kannst!“

„Na ja, so helle bin ich schon. Und der Budnikowski hat mir geholfen mit den kleineren Pfoten!“

„Genehmigt. Da liegen ja ein paar schöne Geschichten rum!“

„Müssen wir jetzt Tagebuch machen?“

„Gott bewahre! Lediglich berichten von der Zeit davor.“

„Das ist gut. Und jetzt habe ich Hunger!“

„Weißt Du, was ich eben auf den Weg nach Hause aufgeschnappt habe?“

„Sagen Sie!“

„Da sagt doch einer zu einer: ’Letzten Monat, als die Welt noch in Ordnung war!’ Wo lebt der?“

„Die normale Hybris der egomanen Aufrechtgeher! Weia!“

„So ist das wohl. Jetzt habe ich auch Hunger!“

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engel32

Thema: Vorletzte Fragen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth