Beitrags-Archiv für die Kategory 'Küchenschypsologie'

LETZTE FRAGE / VORLETZTE ANTWORT 4

Mittwoch, 16. November 2011 9:21

frage05

Noch eine Aufgabe, eine vorletzte, oder vorvorletzte. Die Neue Aufgabe! Ja, die neue Aufgabe also. Wie war noch mal die Frage?

„Warum wird mein Fußballverein nie Meister?“

Schlechte Frage. Außerordentlich schlechte Frage. Was wollen Sie sagen, was wollen Sie klagen? Sie haben doch die perfekte Wahl getroffen. Sie haben sich offensichtlich einen Verein Ihres Herzens zugelegt, der Ihnen jeden Samstag, und meistens nicht unter der Woche, vor Augen führt, wie schlecht diese Welt ist. Und da Sie ja ganz fest davon überzeugt sind, daß diese Welt die schlechteste aller möglichen Welten ist, seien Sie froh. Geheimnisvolle Mächte, hypertone Wurstfabrikanten, das seit der Sekunde Ihrer Geburt gegen Sie verschworene Schicksal, die letzte Umbenennung Ihrer geliebten Kampfbahn und der rapide Verfall der Bierpreise nach oben hin, haben Sie es nicht schon immer kommen sehen? Genauso diese im Jahr 1891 vom diesem unfaßbar blinden rechten Läufer unterschätzte Flanke, die dem Verein Ihres genetisch wunden Herzens die einzige Vizemeisterschaft seit seinem Bestehen bescherte? Haben Sie gesehen, wie Ihr Lieblingsspieler so eben nach einem Eigentor das Vereinswappen auf seinem Trikot geküßt hat?

Kurz und gut, es liegt mir fern Ratschläge zu erteilen, aber was halten Sie davon, einfach mal drei Wochen lang den 1. FC Bayern München anzufeuern? Fakire bohren sich auch mal einen Fleischerhaken durch die eigenen Nasenwände. Ansonsten empfehle ich Ihnen den nächsten Wochenendworkshop von Frau Elvira Bühne. „Präpubertäre Prägung bei der Vereinswahl oder: Haben Sie samstags eigentlich nicht Kehrwoche?“ Aha, die neue Frage.

„Warum habe ich eigentlich Eltern?“

Thema: Küchenschypsologie, Letzte Fragen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

LETZTE FRAGE / VORLETZTE ANTWORT 3

Sonntag, 13. November 2011 11:51

frage04

„Herr Mahler, Herr Archibald Mahler! Unter Zuverlässigkeit stelle ICH mir etwas anderes vor! Ein Samstag ist kein Dienstag, Sie Honk!“ Da stand Frau Elvira Bühne und schwang den Schlüssel über dem Kopf, wie einst ein Ritter seinen Morgenstern. Der Bär schwieg schuldbewußt. Die “Neue Aufgabe”! Ja, die neue Aufgabe also. Wie war noch mal die Frage?

„Warum nimmt man mich eigentlich nicht wahr?“

Gute Frage. Aber wollen Sie das wirklich? Wollen Sie, daß jeder mitbekommt, wie faul Sie sind? Wie unehrlich, wie selbstsüchtig, wie oberflächlich, wie unzuverlässig, wie maßlos, wie selbstgerecht, wie eitel, wie nachtragend, wie halbgebildet, wie vorschnell, wie vorurteilsbeladen, wie rückwärtsgewandt, wie feige, wie verfressen, wie vergnügungssüchtig, wie durchschnittlich, wie unbegabt, wie spießig, wie verzichtbar, wie durchnummeriert, wie undankbar, wie normiert, wie abhängig, wie unselbstständig, wie ewig unzufrieden? Wollen Sie wirklich, daß jeder wahrnimmt, daß Sie ein ganz normaler Aufrechtgeher sind? Und wollen Sie wirklich wahrhaben, daß derjenige Aufrechtgeher, der Sie unbedingt wahrnehmen soll, folgendes ist: faul, unehrlich, selbstsüchtig, oberflächlich, unzuverlässig, maßlos, selbstgerecht, eitel, nachtragend, halbgebildet, vorschnell, vorurteilsbeladen, rückwärtsgewandt, feige, verfressen, vergnügungssüchtig, durchschnittlich, unbegabt, spießig, verzichtbar, durchnummeriert, undankbar, normiert, abhängig, unselbstständig und ewig unzufrieden? Wollen Sie das wirklich? Aber einen Vorteil hätte es jedoch, nicht wahrgenommen zu werden. Ginge die Welt unter, täte sie das eventuell ohne Sie. Wären Sie dann beleidigt?

Kurz und gut, es liegt mir fern Ratschläge zu erteilen, aber wenn Sie zum Beispiel vorhaben übers Wasser zu gehen, tun Sie es dann, wenn es niemand mitbekommt. Sie wissen ja was daraus erwachsen kann. Fragen Sie den Nazarener! Aha, die neue Frage.

„Warum wird mein Fußballverein nie Meister?“

Thema: Küchenschypsologie, Letzte Fragen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

LETZTE FRAGE / VORLETZTE ANTWORT 2

Mittwoch, 2. November 2011 16:49

frage03

Aha, die neue Aufgabe also. Wie war noch mal die letzte Frage?

„Werde ich angerufen, wenn die Welt untergeht?“

Gute Frage. Vielleicht sollten Sie einfach den aktuellen App „Wann geht es denn jetzt wirklich los?“ runterladen. Recht preisgünstig das Ding und an Nachhaltigkeit orientiert auch noch! Die Einnahmen gehen an die Stiftung „Steve Jobs ist Gautama Buddha! – Baut mehr Tempel!“ Umsonst bietet ein ähnliches und ebenso sehr attraktives App aber zur Zeit die griechische Regierung an. Decide! Sie können aber auch nach Hause eilen und ihre Heizkörper anfassen. Sind sie warm oder heiß? Schauen Sie in Ihren Kühlschrank! Iss was drin? Schimmelt es schon? Oder immer noch? Steht Ihr Auto schön bequem? Sind Sie im letzten Monat mal so richtig empört gewesen, weil ein unfähiger Friseur Ihre Haarpracht verhunzt hat? Wie viele Telefonnummern können Sie noch auswendig aufsagen? Bringen Sie es übers Herz an einer roten Ampel einfach mal stehen zu bleiben, auch wenn kein Kind in der Nähe ist, geschweige denn ein Automobil? Sind Sie Fan eines Fußballvereins, der immer gewinnt? Rauchen Sie etwa nicht, betreiben aber im gesetzten Alter noch Sport? Regen Sie sich gerne darüber auf, daß Supermärkte schon im September Schokoladenweihnachtsmänner anbieten? Wählen Sie – einfach mal so – die Piratenpartei? Finden Sie Männer mit rasierten Schädeln erotisch? Tragen Sie Kleidung, auf die Botschaften gedruckt sind? Wann haben Sie das letzte Mal Ihren Chef freundlich angegrinst? Lesen Sie Ratgeber? Halten Sie Kachelmänner für Opfer? Und gar für Täter? Schreiben Sie gerne Leserbriefe? Lesen Sie gerne Leserbriefe? Finden Sie Todesanzeigen sollten eigentlich im Netz veröffentlicht werden? Wann starb Hölderlin? Verlassen Sie lieber oder werden Sie lieber verlassen? Sind Sie etwa Aufrechtgeher? Sehen Sie?

Die Welt, die den Aufrechtgeher schuf, ist eine gänzlich andere, als die der Aufrechtgeher schuf. Hab ich mal gelesen. Ein Darm außerhalb des ursprünglichen Körpers, spürt auch nicht mehr, wenn er kurz davor steht zu platzen. Aha, die neue Frage:

„Warum nimmt man mich eigentlich nicht wahr?“

Thema: Küchenschypsologie, Letzte Fragen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

ÜBERLASS DAS DENKEN DEN PFERDEN. DIE HABEN DEN GRÖSSEREN KOPF!

Sonntag, 17. Oktober 2010 15:19

schreiben

„Herr Mahler! Diese Überschrift! Wer hat’s erfunden?“

„So weit ich verstanden habe, zitierte Herr Ernst Albert eben seinen Vater.“

„Tradiertes also? Sehen Sie Zusammenhänge?“

„Ihre leichte Trauer betreffend, Herr Holtby?“

„Der Pfosten stand im Weg!“

„Nicht auch das Nachdenken über die magische ACHT?“

„ACH! Lassen Sie!“

„Jede Überraschung wird irgendwann Alltag und dann rollt der Ball den Hügel runter.“

„Klugscheißer!“

„Ein paar Törchen doch nur und noch ist nicht Weihnachten. Was kann ich zu Ihrer Erheiterung beitragen?“

„Sie können sich ein Loch ins Knie hacken und einen Christbaum reinpflanzen.“

„Huch! Was eine altvordere, politisch inkorrekte Brachialität in Ihrer heutigen Ausdrucksweise!“

„Ich zitiere lediglich dieselbe Quelle, aus deren verstorbenem Mund obige Überschrift stammt! Und ich bin müde.“

„Sie hatten keinen Schlaf gefunden?“

„Die rotglänzenden, speckigen Gesichter der bayrischen Führungstroika haben meine Alpträume bis in die letzten Ecken des mich seit gestern quälenden Zweifels ausgeleuchtet. Horrible!“

„Sehen Sie den Realitäten doch ins blinde Auge!“

„Ausgerechnet der dämliche Flaschenwerfer Guerrero. Exbayer!“

„Holtby! Fassung, sage ich! Holtby! Fassung!“

„Fast! Einmal noch! Und ganz laut: SCHEIBENKLEISTER! So jetzt ist gut. Themawechsel!“

„Die Kälte?“

„Mich trifft sie nicht so wie Sie, vermute ich!“

„Wahre Worte. Als Sie ihre rotgesichtigen Alpträume durchschritten, saß ich vor der geöffneten Kühlschranktür. Schinken, Marmeladenbrot, Oliven, Pizzareste, Thunfisch, Chips und Marmorkuchen. Es gilt alle Speicher aufzufüllen. Die genetische Disposition klingelt unerbittlich und mir ist schlecht. Als sei ich schwanger!“

„Ich kann es nicht gewesen sein! Hihihi!“

„Schweinepriester!!“

„Vielleicht ist schwanger nicht der überfüllte Abdomen, sondern schwanger ist das ratternde Hirn. Geschehen, gesehen und schon gesät. Wintergetreide. Ein langes, ein neues, ein ungewohntes Jahr des Denkens und Schauens liegt hinter Ihnen, manchmal uns. Da bleibt viel und da wächst das eine und das andere Denkkeimchen!“

„ACH!“

„Sehen Sie Herrn Ernst Albert, wie er im Hintergrund wild in seine Tastatur hämmert. Und die dicke Strickjacke. Sie sind nicht alleine, mein verehrter Herr Mahler!“

„Ja. Wie schön! Die Blätter! Heute fliegen sie wieder! Offene Türen! Gedanken rein! Gedanken raus!”

Thema: Küchenschypsologie, Öffentliche Leibesübungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

IMMER GIBT ES NICHT WAS MAN WILL, ABER AB UND ZU WAS MAN BRAUCHT!

Samstag, 16. Oktober 2010 14:20

einheit

„Was tun wir, Herr Mahler!“

„Nichts!“

„Ausgezeichnet!“

(Stille. Konzentrierte Stille. Im Hintergrund tobt Herr Jagger über die Bühne. ‚Bitch’. Die Stille befindet sich demnach im Inneren der Anwesenden. Dorthin verortet, wie man heutzutage sagt.)

„Herr Holtby!“

„Ich höre!“

„Achtmal ist’s den Mainzern recht?“

„Erinnern Sie mich nicht an meine offene Wunde Nervosität!“

„Ich drücke den nicht vorhandenen Daumen.“

„Die Pfoten zum Himmel, Herr Mahler! Und sonst?“

„Man kann der Wäsche beim Trocknen zusehen, aber dadurch ist nicht gewährleistet, daß die Wäsche schneller trocknet!“

„Ist Schauen in diesem Zusammenhang Tätigkeit?“

„Interpretationssache!“

(Noch mehr Stille. Auch Keith Richard lebt noch. ‚Happy’. Die Stille inside vertieft sich. Man ist erfreut.)

„Und überhaupt? Wie geht’s denn so?“

„Man ist froh, bester Thomas Adam!“

„Holtby!“

„Ich weiß, ich weiß! Haben wir ACHT vor den Rekorden!“

„Nein. Ich meinte Sie, Mahlerbär!“

„Huch! Intimität?“

„Nein! Restalkohol!“

„Auweia!”

„Zurück zu Ihrer Antwort!“

„Man kriegt nicht immer, was man will, aber wenn man es eine Zeit lang versucht – Stichwort: konzentrierte Stille – ist es durchaus möglich, daß man rausfindet, was man tatsächlich benötigt!“

„Wer sagt das?“

„Ich!“

„Dortmund ist auch in Ordnung!“

„Diese Gedankenhoppelei sei Ihrer Hasennatur zugeschrieben!“

„Herr Mahler! Heute ist Samstag!“

„Schweigen wir und lassen die Wäsche trocknen!“

„Ein Witz noch! Bitte!“

„Gerne!“

„Ich höre!“

„Treffen sich zwei Narzißten.“

(Ganz intensive Stille. Die Wäsche trocknet unbeobachtet. Steine rollen und kriegen nicht, was sie wollen. Morgen ist Sonntag.)

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WHY ARE THE LEAVES LEAVING AND WILL THEY EVER COME BACK?

Donnerstag, 7. Oktober 2010 19:06

herbst

Dann war er wieder draußen. Außerhalb seiner selbst und doch mittendrin dabei in der Welt. Er schaute und sah dabei auch etwas. Die Blätter an den Bäumen im Hinterhof waren gelb und sie hatten kaum mehr Kraft sich an den Ästen zu halten. Der Wind spielte mit ihnen. „Na, krieg ich Dich?“ Können Blätter Angst vor dem Fallen haben? „Und tschüß!“ Kleine gelbe Choreographien zerschnitten taumelnd die spätsommerliche Luft. Es trudelte so vor sich hin. Archibald schaute und schaute und schaute und wurde traurig. Die schönen Blätter. So gelb, so rot und dann liegen sie auf der Erde und werden – Zackzack! – braun wie ein ungewaschener Bärenpöter. Seine Knopfaugen feucht, das Haupt geneigt und so manchen Seufzer in den spätsommerlichen Himmel sendend, so fand ihn Ernst Albert vor, als er von der Probe nach Hause kam. „Schwermut, mein Bär?“ „Das ist doch sehr bedenkenswert, daß die Blätter jetzt so schön sind wie das ganze Jahr nicht und dann sind sie zwei Minuten später pfutsch und kommen nicht mehr wieder. Ziemlich doof ist das!“ Und Ernst Albert holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, setzte sich zu seinem von der Herbstmelancholie erfaßten Bären und erzählte ihm eine kleine Geschichte.

Er erzählte ihm, daß er vor genau zehn Jahren einen Herbst erlebt hatte, der so ein gewaltiger Herbst war, so ein Herbst, in dem alle, aber wirklich alle Blätter von wirklich allen Bäumen herunter krachten und es ihm damals erschien, als ob es nie wieder Blätter geben würde und alle Hoffnung auf ein Ende des Zerfalls und des Vergehens oder gar die Wiederkehr eines Frühlings mit den fallenden Blättern dieses einen Herbstes ein für alle mal zu sterben schien. Und daß ihn damals nichts und niemand trösten konnte und jeder Hinweis eines Anderen, irgendwann werde es gewiß wieder Blätter geben, das sei der Lauf der Welt und der nächste Frühling scharre schon ungeduldig mit den Hufen, ihn nur noch tiefer in einen Zustand heilloser Verzweiflung stürzte. Dabei hatte er bis dahin den Herbst und ganz besonders den Monat Oktober, welcher der Monat seiner Geburt ist, so geliebt. Letzte warme Tage, malende Blätter, das finale Aufbäumen der Säfte, das reife Platzen, das vergangene Jahr wird vergoren und sorgt für einen ersten Rausch. Es ist nicht kalt. Es ist nur frisch. Aber damals, vor zehn Jahren, in diesem Herbst voller Panik und Verrat und Ausweglosigkeit und schmächtigen Lügen war ihm das Fallen der Blätter nur entsetzliches Menetekel. „Ja, ja, so war das!“ Und Ernst Albert holte sich noch ein zweites Bier. Und dann hat der Bär gedacht, daß Herr Ernst Albert heute wohl einen sehr sentimentalen Anfall hat. Das brachte ihn dazu zu grinsen.

„Geht doch, Herr Bär!“ Ernst Albert mag den tiefen Ernst, mit dem sein kleiner Genosse in die Welt schaut, aber er freut sich auch, wenn der mal grinst und nicht hinter allem die ganz große Frage sucht oder gar zu sehen glaubt. Und dann sagte Ernst Albert zu Herrn Archibald Mahler, daß es wohl seine Bedeutung habe, wenn die Blätter in vollster Schönheit fallen und sterben. Wenn etwas zu Ende geht, meinen ja alle immer, dies sei auf jeden Fall das Schönste, was ihnen bis heute geschehen sei. Und dann wird rumgemoppert und genöhlt und getrauert. Dabei hatten sie davor das nun unwiederbringlich Verschwundene oft gar nicht bemerkt. „Aha!“ Das begriff der Bär. In Ansätzen. „Genau! Der Baum will sich ja auch mal erholen! Das ganze Zeugs monatelang in der Luft zu halten! Ganz schön anstrengend! Und warum hab ich jetzt schon wieder Hunger?“ Ernst Albert war verschwunden. Er war in der Küche. Eva Pelagia briet Pfeffersteaks. Hatte sie früher auch nie gegessen. So ist das eben, wenn die Blätter fallen.

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ARCHIBALD GEHT IN SICH UND GUCKT DANN WIEDER HERAUS!

Mittwoch, 6. Oktober 2010 15:30

portraet1

Und dann war er drin. Er schaute nach rechts, er schaute nach links. Und er dachte: „Aha!“ Oder: „So sieht es also aus in einem Bären!“ Und dann schaute er nach oben, und dann schaute er nach unten. Da hörte der Bär auf. Weil er da endete. In seinen Tatzen. Den Hinteren. Und wieder dachte er. Diesmal: „Soso!“ Und: „Hä?“ Oder: „Was mach ich eigentlich hier?“ Und er erinnerte sich. Vor wenigen Tagen, unten am Schrottplatz rechter Hand der Lahn, hatte er in einer der Zeitungen, welche ihm Herr Ernst Albert da gelassen hatte – eigentlich als Behelfskolder gedacht, aber man kann ja mal reinriechen – einen bemerkenswerten Satz erblickt. Der hieß so: „ZEIG MIR DEINE WUNDE!“ Und sogleich fing sein ehemals abbes Bein an zu jucken. Und er dachte auch gleich, daß das ein ziemlich schwachsinniges Aufrechtgehergeschwurbel sei. Weil er – obwohl eine traumatisierte Fundsache – nie auf die Idee käme, jedem dahergelaufenen Zweibeiner seine Anoperationsnarbe zu zeigen. Die kriegt Eva Pelagia einmal im Jahr zu sehen und dann wird das von ihr repariert und fertig ist. Aber man weiß ja nie. Also ist er dann doch mal in sich gekrochen. Vielleicht findet man ja was.

„Komisch!“ Das war jetzt ein neuer Gedanke von Archibald Mahler, dem Bären im Innern. Er schaute sich um. Viel Dunkelheit in so einem Bären drinnen. Man ahnt was! Es gibt Ecken, die etwas streng riechen. Unten. Oder in den Extremitäten. Es pocht. Gleichmäßige Schläge. Regelmäßig und rhythmisch. Blut rauscht. Pocht weiter. Den Bärengöttern sei Dank. Verdauungsaktivitäten. Auch gut! Und sonst? „Aha!“ Wenn man nach oben guckt, ganz nach oben, da wird am härtesten gearbeitet. Hirn heißt das Ding. „Arbeitet das oder stört das nur? Zwecks Verdauung benötigt man es nicht!“ Unterhalb des Hirns drangen Lichtstrahlen in das finstere Innere. Das erregte des Bären Aufmerksamkeit. Und froh über ein wenig Helligkeit war er auch. Schließlich war er ohne Taschenlampe in sein Innerstes aufgebrochen. Archibald kletterte nach oben und blickte aus seinen eigenen Augen hinaus. Die Augen hinter den eigenen Augen. Sie schweiften umher. „Soso! Ernst Alberts und Eva Pelagias Küche! Aha! Die sind weg!“ Der Blick glitt nach unten. Vor seinem kleinen, langsam anschwellenden Bärenranzen lag auf dem Küchentisch eine Zeitung. Aufgeschlagen. Da war ein Artikel zu sehen. Man befragte einen alternden Mimen. Man fragte ihn zum Beispiel, was er an Blättern so spannend fände. Und der antwortete: „Blätter bewegen und verändern sich laufend, die machen wunderbare Geräusche und Reflexe mit Licht. Das ist etwas, was einen sehr beschäftigen kann, ohne daß man dazu poetisch veranlagt sein muß.“ Da hat er ganz recht, der Bruno! Archibald zuckte. Kurz. “War der nicht auch mal Bär? Problematisch sogar?”

Und dann hatte er sich hingesetzt. Und war verwirrt. Er hatte das Gespür für die Zeit verloren. Dachte er zumindest. Weil das durchaus passieren kann, wenn man sich zu lange im eigenen Innern aufhält. Dann wird eine Stunde gerne mal zum Jahr.  Und dann geht es immer wieder von vorne los. Und man denkt einen Satz. Und dann wieder den einen Satz. „Ich bin in mir selber drinnen!“ Und wie kommt man da wieder raus? Archibald kratzte sich am Pöter. Und – das ist normal im Monat Oktober – bekam Hunger. Das ist gut, wenn man Hunger hat. Dann bewegt man den Pöter. Und: was den Hunger stillt ist draußen! Weil sonst müßte man sich ja selber aufessen. Das wäre ziemlich doof. Auch wenn viele Aufrechtgeher dies tun und dann dämliche Wortgeschöpfe wie „ZEIG MIR DEINE WUNDE!“ in die arme Welt setzen. Wo doch gerade die Blätter so schön fallen. „SCHWEB! ZITTER! GLEIT UND PFFFF!“ Draußen passierte etwas. Und der Bär brach auf. Raus! Noch fallen die Blätter!

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SPIEGLEIN, SPIEGLEIN DOCH NUR WAND!

Dienstag, 5. Oktober 2010 17:27

portraet2

Also wollte Archibald nachdenken. Er setzte sich vor einen Spiegel. Regungslos. Dann kam der erste Gedanke vorbei. Und es war kein Radfahrer, obwohl es vom Zufall her betrachtet schon möglich gewesen wäre, daß ein Radfahrer vorbeikommt, wenn man am FÜNFTEN Oktober anfängt zu denken. Wobei auch an jedem anderen Tag ein Radfahrer an einem Bären vorbeifahren könnte. Ob der jetzt denkt oder nicht. Archibald aber dachte. Nach! Wäre es zum Beispiel angebracht, die Art und Weise in der er sich seit Aschermittwoch ZWEITAUSENDZEHN in den Netzen der weiten Welt bewegt, zu ändern? Dem gebeugten Leser – Nein! Wir denken noch nicht einmal daran Sie zu duzen! – seine Weis- und Dummheiten aus der Sicht des Icherzählers auf den Monitor zu kleckern? Der Abdomen rumort und im Gedärm Schwärme der Empörung, aufsteigend und bitter. Bärengötter Ihr! So haltet den Zaum und meine lallende Zunge! Bundesweltweit blogtechnisch verglichen ist hier vor Ort das güldne Wortlein (Absicht!)  ICH in Unterzahl geblieben und dies soll so bleiben bis der Winterschlaf den Bären. Genau!

Jetzt die Augen auf Schlitz gestellt und tiefer und tiefer und noch tiefer hinein. Nur wohin? Wälder, Felder, Wiesen, Väter? Mütter, Nacht und Stunden später? Nur Verrat! Ach wie schad! Es drücken die Rücken! Mein Pöter? Entzücken! Ein Bär dem einstens in Sonneberg ein Knopfauge aufs Fell genäht: Schlitzaugen? Analytische Weltenschau? So schön gelb die Blätter vor dem Fenster und fallen oder nicht und hängen noch und doch am Baum und drohen nur. „In fünf Minuten, Bär, wenn Du nichts hinblickst! SCHWEB! ZITTER! GLEIT UND PFFFF!“ Von ferne klingt ein Saxophon. Ein altes Lied. Man kennt es schon. Andererseits wäre es schade bei diesen Temperaturen die Fenster zu schließen. Vielleicht kommt jetzt ein Radfahrer vorbei. Aber er tut es nicht. Dann eben der Flieger. Grüß mir die Sterne und die Hefeteige, die aufgegangen. Jetzt schiebt einer sein Fahrrad vorbei. Wenn viele Blätter auf dem Boden liegen und der Regen! Jawoll! Vernunft! Nun die Korrekturen! Spiel doch Klavier! Kann er nicht, der Bär!

Archibald hatte recht schnell herausgefunden, daß er nicht der ANDERE ist. Der aus dem Spiegel. Der Rübergucker. Angucker. Gegenstarrer. Außerdem hatte der Sprecher seiner Krankenversicherung, Herr Thomas Adam Holtby von der Bärensozialkasse ihm gerade schriftlich mitgeteilt, daß eine wie auch immer geartete Therapie in den nächsten zehn bis dreizehn Jahren keinerlei Chance auf Gewährung hätte. „Ich brauche mehr Heidelbeermarmelade und zwar sofort!“ Keinerlei Bewegung im Raum! Weder drinnen, noch auf der anderen Seite. Nicht einmal ein Radfahrer schiebte vorbei. Archibald bemerkte, wie wunderbar sinnlos es ist, Forderungen in einen Spiegel zu brüllen. Vehemenz! Und Rainer hat geguckt! Wenigstens der! Der hat’s auch sonst recht schwer! Als der Patient war weggerannt, da sprach der Arzt von Larmoyanz! Archibald Mahler, heute seinen literarischen Werkeltag begehend, neigte sein Bärenhaupt zur Seite. Von dort drang Musik an sein Ohr. Ernst Albert wühlte im historischen Plattenschrank. Archibald klopfte an seinem Bauchnabel an. Man gewährte Einlaß. Er ging in sich.

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Der Bär ist zurück, doch es fehlt noch ein Stück

Mittwoch, 23. Juni 2010 11:59

see_nachlese

Das Denken nach der Heimkehr von einer Reise ist per se immer ein rückwärtsgewandtes. Archibald schloß die Augen und ließ den Vorführer den Erinnerungsfilm abspulen. Was hatte ihm am besten gefallen? Unten am See? Der kleine, knarzende Tanzbär namens Zimmermann? Die Begegnung mit den zwei ungestümen Artgenossen? Die Fahrten mit Ernst Alberts knatternder und heulender Zweiradhöhle? Das Fischerboot auf der reichen Au? Die fassungslos jubelnden Aufrechtgeher im Nachbarland nach ihrem Sieg gegen die angeblich Übermächtigen? Der dicke Hintern der sich über der Hafeneinfahrt um sich selbst Drehenden? Nein, all das war schön, sehr schön sogar, aber am aller, aller schönsten hat ihm gefallen sein Platz auf dem orangenen Rettungsboot dort vorne auf dem Zipfel, wo das Heckerland beginnt. Und da, beschloß er nun, wollte er noch eine Zeit nachsinnend verweilen. Und auf die nachkommende Seele warten.

Er wurde gestört. Die Welt da draußen sandte einen Boten. Ein stechender Geruch drang ein in seine empfindliche Nase. Da war sie wieder: die ANGST. Heute eine noch nie gerochende Form der ANGST, heute: die ANGST VOR DEM AUSSCHEIDEN. Das erschien Archibald Mahler, keineswegs Fanbär, etwas übertrieben. „Schicksalhaft! Katastrophe! Blamage ante portas!“ So raunte und knisterte es allenthalben. Werden geschminkte kleine Mädchen wieder weinen müssen? Wohin dann mit den an den stinkenden Blechmilben befestigten schwarzrotgelben Stoffservietten? Wer grillt, grölt, trötet und hupt dann noch bauchnabelfrei? Der Bär roch, wie um ihn herum ein Land in Panik verfiel. Ein ketzerischer Gedanken befiel ihn. Wäre es nicht eine große Geste eines immer noch sehr reichen Landes, den Vertretern eines armen kleinen Landes dieses schwarzen Kontinents, der Jahrhunderte von den weißen Aufrechtgehern ausgeblutet, ausgebeutet und geknechtet worden war und auch heute noch nicht völlig ernstgenommen wurde, den Vortritt zu lassen?

Herr Reinhard Kuno Theophil „Stan“ Lippstadt-Budnikowski zu Datteln hatte sich von hinten herangeschlichen. Mit dem Schwung eines Fußes von der Elfenbeinküste trat er Archibald in den Bärenpöter. „Hommä Kumpel, geht dat noch? Iss dat Deine Ernst? Pöhlerei hat mit die weltpolitische Ungerechtigkeit nix anne Backe. Aber auch gar nix? Is dat gegessen, Du philosophische Heiopei! Stör mich nich inne Präparation mit Deine Verirrungen! Nix für ungut! Tschüßkes!“ Weg war er. So sind sie, die Herren Fans. Das war ihm dann doch zu anstrengend, dem Archibald. Er schloß wieder die Augen und roch an den Fetzen seiner Erinnerung. Leise plätscherte der See ans Ufer, Schilfgras rauschte, ein Bleßhuhn schwamm vorüber und schnatterte, in der Ferne grüßte das Signalhorn eines Ausflugsdampfers. Der Säntis winkte über den See. Er würde hier auch noch nächstes Jahr stehen. Ausscheiden sollen andere. Und an den Ufern des Bodensees machte sich Archibalds Seele daran, den Heimweg anzutreten, nach Hause in die kleine häßliche Stadt in Mittelhessen. Gute Reise und hetze nicht!

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Die Geschichte vom Bären und dem Hasen und wie dann der Meister rief

Samstag, 19. Juni 2010 11:19

rast1

Rast am Waldesrand. Die Begegnung hatte Archibald tief beeindruckt. Sein Herz pochte. Es roch nach Redebedarf.

„Ernst Albert?“

„Ja?“

„Die Bären haben mir eine Geschichte erzählt!“

„So?“

„Soll ich sie mal erzählen?“

„Nur zu, Genosse!“

„Also: im Wald. Der Hirsch kommt zum Bären und fragt ihn, ob das stimmen würde, daß er, der Hirsch, auf seiner, des Bären Todesliste stünde. Der Bär bestätigte das. Der Hirsch rennt von dannen und ward nicht mehr gesehen. Aus dem Unterholz bricht ein Wildschwein. Es will wissen, ob es auf des Bären Todesliste stünde. Daß dem so sei, erwidert der Bär. Das Wildschwein ergreift die Flucht. Weg war es! Ein Lachs schaut aus dem Fluß. Ob sein Name wohl auch auf der legendären Todesliste verzeichnet wäre? Nicht nur seiner, bekommt er zu hören, auch die gesamte Verwandtschaft des Lachses sei fein säuberlich notiert. Da hoppelt der Hase vorbei. ‚Hömma Bär, is dat korrekt, dat ich auf Deine Todesliste stehen tu?’ ‚Das ist so richtig!’ ‚Kann ich mal wat fragen?’ ‚Schieß los!’ „Wäre dat eine größere Aktion, wennse mich von Deine Liste einfach streichen tust?’ ‚Das dürfte überhaupt kein Problem sein.’ Gesagt, getan. Tolle Geschichte, gelle!“

„Lustig! Und was lernt man daraus? Daß Hasen schlau sind?“

„Nein! Man muß nur sagen, was einen auf den Nägeln brennt. Reden hilft manchmal.“

„Schlaubär! Laß uns weiterziehen! Der Meister hat gerufen!“

„Wer?“

“Robert Zimmermann.”

“Nein?”

“Doch!”

“Darf ich mit?”

“Du musst!”

“Yippie!”

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