Der Bär ist zurück, doch es fehlt noch ein Stück

see_nachlese

Das Denken nach der Heimkehr von einer Reise ist per se immer ein rückwärtsgewandtes. Archibald schloß die Augen und ließ den Vorführer den Erinnerungsfilm abspulen. Was hatte ihm am besten gefallen? Unten am See? Der kleine, knarzende Tanzbär namens Zimmermann? Die Begegnung mit den zwei ungestümen Artgenossen? Die Fahrten mit Ernst Alberts knatternder und heulender Zweiradhöhle? Das Fischerboot auf der reichen Au? Die fassungslos jubelnden Aufrechtgeher im Nachbarland nach ihrem Sieg gegen die angeblich Übermächtigen? Der dicke Hintern der sich über der Hafeneinfahrt um sich selbst Drehenden? Nein, all das war schön, sehr schön sogar, aber am aller, aller schönsten hat ihm gefallen sein Platz auf dem orangenen Rettungsboot dort vorne auf dem Zipfel, wo das Heckerland beginnt. Und da, beschloß er nun, wollte er noch eine Zeit nachsinnend verweilen. Und auf die nachkommende Seele warten.

Er wurde gestört. Die Welt da draußen sandte einen Boten. Ein stechender Geruch drang ein in seine empfindliche Nase. Da war sie wieder: die ANGST. Heute eine noch nie gerochende Form der ANGST, heute: die ANGST VOR DEM AUSSCHEIDEN. Das erschien Archibald Mahler, keineswegs Fanbär, etwas übertrieben. „Schicksalhaft! Katastrophe! Blamage ante portas!“ So raunte und knisterte es allenthalben. Werden geschminkte kleine Mädchen wieder weinen müssen? Wohin dann mit den an den stinkenden Blechmilben befestigten schwarzrotgelben Stoffservietten? Wer grillt, grölt, trötet und hupt dann noch bauchnabelfrei? Der Bär roch, wie um ihn herum ein Land in Panik verfiel. Ein ketzerischer Gedanken befiel ihn. Wäre es nicht eine große Geste eines immer noch sehr reichen Landes, den Vertretern eines armen kleinen Landes dieses schwarzen Kontinents, der Jahrhunderte von den weißen Aufrechtgehern ausgeblutet, ausgebeutet und geknechtet worden war und auch heute noch nicht völlig ernstgenommen wurde, den Vortritt zu lassen?

Herr Reinhard Kuno Theophil „Stan“ Lippstadt-Budnikowski zu Datteln hatte sich von hinten herangeschlichen. Mit dem Schwung eines Fußes von der Elfenbeinküste trat er Archibald in den Bärenpöter. „Hommä Kumpel, geht dat noch? Iss dat Deine Ernst? Pöhlerei hat mit die weltpolitische Ungerechtigkeit nix anne Backe. Aber auch gar nix? Is dat gegessen, Du philosophische Heiopei! Stör mich nich inne Präparation mit Deine Verirrungen! Nix für ungut! Tschüßkes!“ Weg war er. So sind sie, die Herren Fans. Das war ihm dann doch zu anstrengend, dem Archibald. Er schloß wieder die Augen und roch an den Fetzen seiner Erinnerung. Leise plätscherte der See ans Ufer, Schilfgras rauschte, ein Bleßhuhn schwamm vorüber und schnatterte, in der Ferne grüßte das Signalhorn eines Ausflugsdampfers. Der Säntis winkte über den See. Er würde hier auch noch nächstes Jahr stehen. Ausscheiden sollen andere. Und an den Ufern des Bodensees machte sich Archibalds Seele daran, den Heimweg anzutreten, nach Hause in die kleine häßliche Stadt in Mittelhessen. Gute Reise und hetze nicht!

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Mittwoch, 23. Juni 2010 11:59
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