Beitrags-Archiv für die Kategory 'Im Heckerland'

AUF MEINEM BALKON IN DER WIEHRE 05

Donnerstag, 21. April 2011 8:05

wiehre07

„So früh, so wach schon, Herr Mahler?“

„Ach, so manches treibt mich um.“

„Teilen Sie sich mit, Bär!”

„Ich sorge mich, sorge mich um Sie. Die ganze Nacht, umweht von unruhigem Schlaf, beschäftigt mich das gestrige Ereignis. Und dann erwacht der Tag und ich sehe Sie jeden Morgen dieses Haus mit meinem Balkon verlassen, hinaustreten auf die Fahrbahnen und – schlimmer noch – die Gehsteige dieser Stadt und sehe Sie gejagt, gejagt von den Rittern der Selbstgerechtigkeit auf Ihren Drahtrössern, überholt, umrundet, an die Bordkante gedrängt, sehe es, wie unmöglich es ist für Sie und Ihre Mitgeher gedankenlos zu schlendern in den erwachenden Tag hinein, denn nein, immer den Kopf oben halten müssen Sie, es schwirrt und hummelt um Sie herum, klingellos, grinsend, distanzlos, blöde: die Befreier der Welt, die Pedalritter mit Mission, rettend eine Welt, von der sie zu glauben wissen, das Sie untergehen wird, wenn sie nicht unermüdlich die Pedale treten und jagen, jagen die letzten Fußgänger, ohne Angesicht Ihres Alters, ihrer Gebrechlichkeit oder ihrer Tagträumereien! Hugh!“

„Finden Sie nicht das Sie maßlos übertreiben, bester kleiner Freund!“

„Ich dachte, in dieser Stadt macht man das so!“

Thema: Im Heckerland | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

AUF MEINEM BALKON IN DER WIEHRE 04

Mittwoch, 20. April 2011 23:37

wiehre03

„Herr Albert, mein Chef! Spät, aber endlich. Seltsames habe ich gesehen heute!“

„Berichten Sie, Herr Mahler.“

„Da ist doch diese Kreuzung, da vorne an der Kirche. Johanniskirche, wenn ich mich nicht irre. Bären sind keine Christen. Egal. Eine Frau nähert sich der Kreuzung. Mag sie Mitte Fünfzig alt sein, langes Haar, offen getragen und ergraut. Sommerkleidchen von Hennes und Mauritz. Tätowierungen. Auf der Fessel eine Taube, welche etwas Grünzeug im Schnabel, auf dem faltigen, sonnengegerbten Oberarm: das Zeichen des Friedens. Sie sitzt auf einem Fahrrad. Sie nähert sich einer Ampel, die rot. Sie fährt weiter und drüber. Dann kommt um die Ecke das Auto mit Vorfahrt. Die Frau weicht aus. Richtung Gehweg. Dort steht ein Mann. Wartet auf das gruene Signal, die Fahrbahn zu queren. Vielleicht träumt er auch oder denkt nach. Die Radlerin steuert auf ihn zu. Der Mann springt nicht sogleich zur Seite. Die Grauhaarige schwankt und wankt. Muß absteigen. Aus dem Korb auf ihrem Gepäckträger fallen Papierzettel auf die Fahrbahn. Darauf steht: „Kommt alle! Stoppt Fessenheim! Abschalten!“ Die Frau beugt sich nach den Zetteln, die zu etwas aufrufen, sie aufzuheben. Der Mann schaut zu. Die Wut in der Frau nimmt Form an und bricht aus. Sie beschimpft den Mann, der auf dem Gehsteig wartet. „Spießer, Du kleiner, mieser Spießer! Du dreckiger Spießer!“ Das ist es, was sie ruft!“

„Bester Herr Mahler, der Mann war ich!“

„Aber was ist die Bedeutung des Wortes Spießer?“

„Wenn Einer den Anderen einen Spießer schillt, will er damit ausdrücken, daß er derjenige ist, der meist bis immer Recht hat oder weiß, wie die Welt zu funktionieren hat.“

„Dann weiß der auch, wann die Welt untergeht?“

„Vermutlich!“

„Aber das geht doch gar nicht!“

„Eben!“

Thema: Im Heckerland | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

AUF MEINEM BALKON IN DER WIEHRE 03

Dienstag, 19. April 2011 17:15

wiehre04

„Mein werter Reisegefährte, ist Ihnen heute etwas aufgefallen?“

„Herr Albert, hören Sie die Vögel. Hören Sie diese Horden von singenden Vögeln in den Bäumen gegenüber meines Balkons?“

„Selbstredend, Herr Mahler. Sie singen unermüdlich, den ganzen Tag. Wunderschön!“

„Es ist ein letztes Aufbäumen. Es ist, als ob sie sich von dieser Welt verabschieden wollen. Ihre Stunden sind gezählt. Sie sind dem Tode geweiht.“

„Welch Szenarium! Woher?“

„Ich sah heute morgen einen Aufrechtgeher durch die baumbestandenen Straßen des Viertels unterhalb meines Balkons gehen. Offensichtlich trieb ihn eine Mission. Denn an jeden zweiten Baum entlang der Straßen heftete er warnende Worte, regensicher in Plastikfolien verpackt. Was konnte man da lesen! Marodierende Killerkatzen, blutsrünstig darauf aus das sangesfreudige Federvieh auszurotten, indem es die Brut der Wipfelbewohner gnadenlos und selbstsüchtig verschlingt. Ein Massaker ante portas, Dezimierung bis an den Rand der Ausrottung steht bevor. Und so bat man alle Aufrechten dem Mörderpack Glöckchen um den Hals zu hängen, auf das der Vogel die Chance hat zu fliehen, wenn der Nesträuber naht. Deswegen! Ist das wirklich so, Chef?“

„Weißt Du, ich glaube die meisten Einwohner dieser Stadt gehen einfach davon aus, daß, sollte die Welt untergehen, sie die ersten sind, die davon betroffen sein werden.“

„Ich bin eigentlich auf der Seite der Katzen. Die müssen ja auch mal was essen.“

Thema: Im Heckerland | Kommentare (1) | Autor: Christian Lugerth

AUF MEINEM BALKON IN DER WIEHRE 02

Montag, 18. April 2011 17:40

wiehre02

„Und heute, Herr Mahler?“

„Nüscht!“

„Wie? Gar nüscht?“

„Natürlich nicht gar nüscht! Man sieht immer etwas. Aber das hier ist zuviel auf einmal. Gruen, gruener geht`s nicht. Maiengruen. Junigruen. Weit über zwanzig Grad Celsius. Der vor nicht allzu langer Zeit aus dem Winterschlaf erwachte Organismus staunt und wundert sich. Dieses Blumenzeugs um mich herum betäubt die Sinne und die Vögel geben ein Konzert allererster Güte. Sie wollen gar nicht enden. Warum gehen Sie, bester Herr Albert, nicht ihrem Tagewerk nach und lassen mich hier sitzen, lauschen und sonnen?“

„Eincremen nicht vergessen!“

„Aufrechtgeher, geh er!“

Thema: Im Heckerland | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

AUF MEINEM BALKON IN DER WIEHRE 01

Sonntag, 17. April 2011 19:32

wiehre01

(Die Herren Archibald Mahler und Ernst Albert haben das Heckerland erreicht. Es ist sehr warm. Viele kurze Hosen. Meist unvorteilhaft. Egal. Man trifft eine Vereinbarung. Die Vereinbarung lautet folgendermaßen: da Herr Ernst Albert in den nächsten Tagen und Wochen im Heckerland sehr, sehr viel zu tun haben wird, ist der Bär willens und bereit einen Kontrapunkt zu setzen. Das heißt? Das heißt: der Bär bleibt auf dem Balkon der neuen Höhle in der Wiehre, die ein Stadtteil der Hauptstadt der Neuen Gruenen Zeit ist, sitzen. Wenn der andere sich bewegt, kann der eine sitzen bleiben. Von dort schaut der Bär morgens, mittags, abends und sonst und sieht, was er sieht. Hat der ehrenwerte Herr Ernst Albert Zeit, morgens, mittags, abends und sonst, fragt er den Bären, was dieser gesehen hat. Fangen wir an.)

„Herr Mahler, ein erster Eindruck!“

„Ich entstieg dem Zug und hatte Hunger. Und viel Durst. Es ist sehr warm hier. Da war diese international bekannte Fleischklopsbraterei. Ich habe zwei Brötchen mit Fleischklops gegessen und habe sehr viel getrunken. Im Zug schon und dann auch in der Fleischklopsbraterei. Dann mußte ich in die Sanitäranlage. Und da sah ich einen schwarzen Mann, der die Pissoirs sauber machte.“

„Und?“

„Ich dachte, hier wohnen doch so viele weiße, reiche und feinfühlige Aufrechtgeher, die vorgeben zu wissen, wie man die Welt besser macht. Warum putzen die dann die Pissoirs in der Fleischklopsbraterei nicht selbst?“

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DAS PARADEKISSEN IST NICHT DER GIPFEL DER WELT, ABER SEHR BEQUEM

Dienstag, 12. Oktober 2010 5:25

paradekissen

„Herr Mahler!“

„Ich höre, Mister Holtby!“

„Die Dame und der Herr dieses Hotelzimmers treiben sich herum!“

„Mir schwant Übles!“

„Nachmittags bei hellem Sonnenschein in dunklen Kaschemmen? Meinen Sie dies?“

„Das ist es, was ich befürchte!“

„Suser? Oktoberfestbier? Grauburgunder? Spätburgunder?”

„Exakt in dieser Reihenfolge und danach wild gemixt. Bis das Aufrechtgeherhirn pocht!”

„Ist das vernünftig?“

„Nein! Aber lustig!“

„Draußen auf dem Balkon steht ein Rothaus Märzen. Dies hat Herr Ernst Albert vergessen. Was sagen Sie, Herr Mahler?“

„Die Türe ist lediglich angelehnt!“

„Oh Gott! Wenn uns nun jemand stiehlt?“

„Quatschen Sie nicht! Holen Sie das Bier rein, Mister Holtby!“

„Zählen wir ab!“

„Meinetwegen! Wie heißen Sie?“

„Was tut das zur Sache und außerdem wissen Sie es. Endlich!“

„H! O! L! T! B! Ypsilon! Herr Holtby hat ins Bett geschissen, mitten aufs Paradekissen, Herr Mahler hat’s gesehen, Herr Holtby muß drum gehen!“

„Schweinerei! Würde ich nie tun!“

„Ist nur ein tradierter Abzählreim! Regen Sie sich ab! Sie haben trotzdem verloren!“

„Sie wissen genau, daß Frau Eva Pelagia solche anrüchigen Worte nicht gerne vernimmt.“

„Ha, bester Holtby! Erstens trinkt sie zur Zeit in heckerländ’schen Kaschemmen Grauburgunder und zweitens – erinnere ich – hat sie heute morgen in diesem Hotelzimmer diesen Reim in unserer unschuldigen Gegenwart eigenmündig und so weiter!“

„Da schlief ich noch!“

„Eben! Beweg er seinen Pöter. Ihr Paradekissen ist kein Thron!“

„Momentan jedoch der Gipfel meiner kleinen Welt!“

„Ein stinkfauler Romantiker sind Sie, sonst nichts. Raus!“

„Moralist! Aber nur, wenn Sie mir ein Lied singen!“

„Musik!“

„Aber bitte von Sahne!“

„Zwo, drei, vier!“

(Die Herren Archibald Mahler und Thomas Adam Holtby widmen sich dem Spitzenprodukt der Badischen Staatsbrauerei. Quasi als Co-Geburtstagsfeierbiester.)

„Hömma Mahlerbär. Dat iss doch erste Sahne!”

„Die Dröhnung im Abdomen? Oder die Dröhnung im Ohr?“

„Peides! Pär!“

„Göstlich! Garniggel!“

„Warum getz dat Rumgekicher?“

„Paradekissen! Und dann der unerwartete Reim! Herrlich! Wohlsein!“

„Stößchen, Mahlerchen!“

(Im Schloß dreht sich ein Schlüssel. Schwankende Heimkehr. Oweia!)

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“AS I WALKED OUT, FOUND MY OWN NEED JUST BEGINNING!” SINGT JACK BRUCE!

Montag, 11. Oktober 2010 6:18

schauinsland

“Jetzt schauen wir!”

“Und sehen nichts, Herr Mahler!“

„Aber steht dort nicht: ’Schauinsland’?“

„Durchdringt Ihr Auge etwa diesen unfaßbaren Nebel?“

„Warten wir!“

„Auf was? Die Sonne?“

„Nein! Auf Herrn Ernst Albert!“

„Findet er hier vorbei? In diesem unfaßbaren Nebel?“

„Ich sah schon Schemen huschen!“

„Schemen und Visionen! Ich weiß! Etwas vage das Ganze!“

„Dann singen wir ein Lied!“

„Als Geschenk?“

„Sozusagen!“

„Wie heißt das Lied?“

„Weißer Raum!“

„Hat dies etwas mit diesem unfaßbaren Nebel hier oben zu tun!“

„Nein!“

„Was ist dann der Sinn?“

„Der ehrenwerte Herr Ernst Albert mag das Lied.“

„Ich mag Herrn Albert auch ganz gerne!“

„Ich auch und heute hat er ja Geburtstag.”

„Also Musik?“

„Zwo, drei, vier!“

„Diese Musikgruppe ist aber auch allererste Sahne!“

„Der mit den vier Saiten vor allem!“

„Aber auch der mit den sechs Saiten!“

„Nicht zu vergessen der wahnsinnige Trommler!”

„Da sagen Sie was, Herr Mahler!“

(Ernst Albert und Eva Pelagia schälen sich im Hintergrund aus dem dichten Nebel, der an diesem Tag den Gipfel des Schauinsland drunten im Heckerland einhüllt. Noch. Doch die Kraft der Sonne wird reichen, den Nebel zu vertreiben. Das wissen wir.)

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WIR FAHR’N FAHR’N FAHR’N AUF DER AUTOBAHN VOR UNS LIEGT……

Sonntag, 10. Oktober 2010 20:56

fahren

„Werter Herr Mahler, wohin fahren wir?“

„Wir fahren hinunter ins Heckerland.“

„Weshalb?“

„Aus Gründen!“

„Was werden wir dort tun?“

„Wir schaun ins Land!“

„Und wenn Nebel iss?“

„Dann trotzdem, mein lieber Mister Thomas Adam Holtby!“

„Danke!“

„Keine Ursache!“

„Nun denn?“

„Was schlagen Sie vor?“

„Kehren wir auf die Rückbank zurück! Ich habe zwei Karotten dabei!“

„Musik!“

„Zwo, drei, vier!“

„Sie sind mir ja ein richtiges emotionales Kraftwerk! Her mit der Karotte!“

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Der Bär ist zurück, doch es fehlt noch ein Stück

Mittwoch, 23. Juni 2010 11:59

see_nachlese

Das Denken nach der Heimkehr von einer Reise ist per se immer ein rückwärtsgewandtes. Archibald schloß die Augen und ließ den Vorführer den Erinnerungsfilm abspulen. Was hatte ihm am besten gefallen? Unten am See? Der kleine, knarzende Tanzbär namens Zimmermann? Die Begegnung mit den zwei ungestümen Artgenossen? Die Fahrten mit Ernst Alberts knatternder und heulender Zweiradhöhle? Das Fischerboot auf der reichen Au? Die fassungslos jubelnden Aufrechtgeher im Nachbarland nach ihrem Sieg gegen die angeblich Übermächtigen? Der dicke Hintern der sich über der Hafeneinfahrt um sich selbst Drehenden? Nein, all das war schön, sehr schön sogar, aber am aller, aller schönsten hat ihm gefallen sein Platz auf dem orangenen Rettungsboot dort vorne auf dem Zipfel, wo das Heckerland beginnt. Und da, beschloß er nun, wollte er noch eine Zeit nachsinnend verweilen. Und auf die nachkommende Seele warten.

Er wurde gestört. Die Welt da draußen sandte einen Boten. Ein stechender Geruch drang ein in seine empfindliche Nase. Da war sie wieder: die ANGST. Heute eine noch nie gerochende Form der ANGST, heute: die ANGST VOR DEM AUSSCHEIDEN. Das erschien Archibald Mahler, keineswegs Fanbär, etwas übertrieben. „Schicksalhaft! Katastrophe! Blamage ante portas!“ So raunte und knisterte es allenthalben. Werden geschminkte kleine Mädchen wieder weinen müssen? Wohin dann mit den an den stinkenden Blechmilben befestigten schwarzrotgelben Stoffservietten? Wer grillt, grölt, trötet und hupt dann noch bauchnabelfrei? Der Bär roch, wie um ihn herum ein Land in Panik verfiel. Ein ketzerischer Gedanken befiel ihn. Wäre es nicht eine große Geste eines immer noch sehr reichen Landes, den Vertretern eines armen kleinen Landes dieses schwarzen Kontinents, der Jahrhunderte von den weißen Aufrechtgehern ausgeblutet, ausgebeutet und geknechtet worden war und auch heute noch nicht völlig ernstgenommen wurde, den Vortritt zu lassen?

Herr Reinhard Kuno Theophil „Stan“ Lippstadt-Budnikowski zu Datteln hatte sich von hinten herangeschlichen. Mit dem Schwung eines Fußes von der Elfenbeinküste trat er Archibald in den Bärenpöter. „Hommä Kumpel, geht dat noch? Iss dat Deine Ernst? Pöhlerei hat mit die weltpolitische Ungerechtigkeit nix anne Backe. Aber auch gar nix? Is dat gegessen, Du philosophische Heiopei! Stör mich nich inne Präparation mit Deine Verirrungen! Nix für ungut! Tschüßkes!“ Weg war er. So sind sie, die Herren Fans. Das war ihm dann doch zu anstrengend, dem Archibald. Er schloß wieder die Augen und roch an den Fetzen seiner Erinnerung. Leise plätscherte der See ans Ufer, Schilfgras rauschte, ein Bleßhuhn schwamm vorüber und schnatterte, in der Ferne grüßte das Signalhorn eines Ausflugsdampfers. Der Säntis winkte über den See. Er würde hier auch noch nächstes Jahr stehen. Ausscheiden sollen andere. Und an den Ufern des Bodensees machte sich Archibalds Seele daran, den Heimweg anzutreten, nach Hause in die kleine häßliche Stadt in Mittelhessen. Gute Reise und hetze nicht!

Thema: Im Heckerland, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Lenk I? Lenkscht Du? Lenkt wer? (Prinzip KN)

Dienstag, 22. Juni 2010 8:51

lenk1Abschied von der kleinen reichen eingebildeten Stadt. Festes Ritual immer ein letzter Blick auf das, was die Stadt wirklich reich macht, den See. Seine Weite. Sein Licht. Seine Farbenspiele. Das vergessen die lokalen Leichtgebücktgeher gerne und widmen sich lieber intensiv dem Studium der neuesten Gewerbesteuereinnahmen. Ein eiskalter Wind wehte über das Wasser. Archibald dachte, daß Herr Lenz sich genauso schoffel verabschiedete, wie er gekommen war, dieses Jahr seiner Aufgabe in keiner Weise gewachsen. Setzen: Sechs! Und was drehte sich da hinter seinem Rücken, in leichtem Gewand, üppig bearscht und gebrüstet? Ist es Fräulein Else Sommer, gekommen die Wärme und den lang ersehnten Wandel zu bringen? Offensichtlich nicht. Letzte Worte des Fremdenführers E. A. „Imperia“ nenne man dieses Mordsdrum von Weib. Vor sechshundert Jahren bald trafen sich in dem mit Holzschindeln verkleideten alten Kaufhaus die Kirchenfürsten der damaligen Welt zu einem Konzil. Sie brauchten vier Jahre, bis sie sich drauf einigten, wer denn nun der Stellvertreter des Herrn auf Erden werden solle. Und um zu verhindern, daß  sie sich in dieser langen Zeit nicht nur der Sauferei hingaben und besoffen an den Meßdienern herumfummelten, sandte man nach einer namhaften Puffmutter aus Rom und bat sie mit ein paar professionellen Damen gen Constantia aufzubrechen. Die Dame hieß Imperia. Und Peter Lenk fand, man sollte ihr ein Denkmal setzen. Und es drehte und drehte sich, dieses Monument, immer um sich selbst, wie das die Aufrechtgeher halt gerne machen. Und es grüßte die Gäste, die kamen, vom See.

lenk2Immer wenn Peter Lenk der Seehasenstadt ein Kunstwerk vermacht, gibt es feste Rituale: Empörung, Aufschrei, Leserbriefe. An vorderster Front, mit dem meisten Schaum vor der kommentierenden Lippe, das lokale Blättchen namens SÜDGESCHMIER. Doch fahren wir den moralischen Zeigefinger nicht allzu lang aus, wer schaut schon gern in den Spiegel und beklatscht seine eigene Häßlichkeit, auch wenn der Spiegel lediglich ein Kunstwerk ist. Archibald dachte sich nur, der Mann liebt wohl gigantische Ärsche. Vielleicht war er mal mit einer Bärin zusammen gewesen. Ihm gefiel das. Rechts und links des Brunnens rasten die Blechmilben durch die Stadt. Der Fremdenführer E.A. sprach. Damals, als es auf den Straßen noch etwas ruhiger zu ging, standen hier in langen Reihen Kastanien, unter den mächtigen Bäumen mehrmals in der Woche Markt. Bauern von  der Gemüseinsel, von der Höri, vom Bodanrück. Heute die Bäume gefällt, der Markt in der Vorstadt oder auf einem baumlosen Parkplatz und das Gemüse biobio. Deshalb strecken die Figuren auf dem Brunnen den Vorbeirasern die Zunge raus oder zeigen ihnen den Allerwertesten. Und das kann der Lokale nicht auf sich sitzen lassen. Dann aber kommt der Tourist, pilgert zu den Denkmälern, bestaunt sie, photographiert sie. Aaah und Ooohs! Druck erster Postkarten. Neue Wahrzeichen der Stadt. Kassen klingeln im crescondo. „Also wosch, i honn scho immer geseit, die Imperia, des hotts no braucht. Mal was anderes, oder it?“ „Der Brunnen der isch, Kunscht isch halt au, wie soll ich segge, was Neues halt. Oder it? Also, des muß mer derfe könne. Wa? Drei Poschtkarte mit der Imperia? Und des Buch über de Lenk! Fünfezwanzg Euro sind des!“

lenk3Der Zug stand auf dem Gleis und wartete auf die zwei Reisenden. Ein kurzer Blick noch auf das neueste Skandalon, welches der Herr Lenk den Seehasen ins selbstgerechte Nest gelegt hatte. Der Abguß einer der zwei Figuren, welche hoch oben über der Hafeneinfahrt auf den Händen des sich drehenden Lustweibes sitzen. Ob das Robert Zimmermann sei, fragte Archibald. Wie er bitte darauf komme? „Der sieht so aus! Ein kleines lustiges Männchen, dem man auch ein Denkmal setzen sollte! Deshalb!“ „Mein lieber Genosse Bär, ach hätte meine alte Heimatstadt nur Deinen Humor! Foto?“  “Yep!” Und Ernst Albert kaufte noch am Bahnhofskiosk eine Zeitung aus seiner Neuen Heimat und begann zu lachen und zu lachen. Warum? Deshalb! Sie lernen nie, hier unten, nie! Trotzdem, er liebte sein gutes altes Constantia und viele gute Menschen, die hier wohnen. Ein leises Winken und bis zum nächsten Mal. Der Zug rollt an. Archibald summt ein Lied des Herrn Zimmermann vor sich hin. „Because something is happening, and you don’t know what it is, do you Has from See?“ Natürlich ist Herr Archibald Mahler, Bär auf der Rückkehr zum Brandplatz, auch des Englischen mächtig. Zweifelt wer?

Thema: Im Heckerland | Kommentare (2) | Autor: Christian Lugerth