Beitrags-Archiv für die Kategory 'Anregende Buchstaben'

„Ich finde das nicht in Ordnung, den Leuten Angst zu machen.“, sagte der Alte aus Bergedorf

Dienstag, 11. Mai 2010 15:30

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Natürlich wußte Archibald nicht, daß der Alte aus Bergedorf (Präzise bleiben! Schon seit langem aus Langenhorn! Euer Setzer) letzten Freitag diese Worte gesprochen hatte, als man ihm wieder mal einen Preis verliehen hatte, und er rauchend und im Rollstuhl sitzend die Glückwünsche entgegengenommen hatte, wahrscheinlich aus den Händen inzwischen auch erwachsener Zweibeiner, die ihn zu Zeiten ihrer Jugend noch ob seiner „Sekundärtugenden“ verspottet hatten. Zeiten ändern sich und nun hängt man an den Lippen des alten Nordlichts, als tropfe da der Honig der erlösenden Antworten auf alle brennenden Fragen der Aufrechtgeher herab. Aber diese Postkarte, die Ernst Albert über seinen Schreibtisch gehängt hatte – natürlich ein Geschenk der feinfühligen Eva Pelagia – diese Postkarte, die ein gemaltes Portrait des Alten zeigte, mochte Archibald sehr. Was sah Archibald? Ein grauhaariger Mann, sein Blick offen und konzentriert, schaut hinaus in die Welt und scheint dort etwas zu suchen oder er denkt nach. Umgeben ist der Mann von tanzenden, schreienden und tobenden Gestalten. Diese scheinen verletzt, in wilder Panik und aus allen Wunden blutend. Hinter dem rechten Ellenbogen des Mannes liegt gar ein Totenkopf. Dies alles scheint den Grauhaarigen nicht davon abzuhalten weiterhin konzentriert und gelassen in die Welt zu schauen und nachzudenken, was zu tun ist und was zu lassen. Auch die Tatsache, daß sein Schlips aussieht wie ein Wasserfall aus Blut, so als habe ihm ein unbekannter Feind ein Messer in die Kehle gerammt, irritiert ihn offensichtlich nicht.

Ernst Albert war einer derjenigen gewesen, die den Vorgänger des Alten aus Bergedorf verehrt hatten – jenen trinkenden, Frauen taumeln machenden, Männer die Zähne fletschen lassenden, im großen und richtigen Moment das Knie beugenden Aufrechten, den knarrenden, mitreißenden und hadernden Redner, den alle beim Vornamen nannten, damals. Seinen Nachfolger, ihn mochte man nicht. Kalt, rechthaberisch, nordisch, utopiefrei sei er. „Wenn Sie Visionen haben, gehen Sie besser zum Arzt!“ Das hatte er gesagt. Das mochte man nicht hören in den Goldenen Tagen. Da fuhr man lieber nach Bonn und hatte öffentlich Angst. Da das Ende der Welt angeblich bevorstand, machten Hunderttausende mit. Willy sprach, alles toste und tobte und Helmut allein zu Hause. Damals. Wieder und wieder ändern sich die Zeiten. Und dann hatte Helmut Recht bekommen. Und Willy ist tot. So ist das manchmal. Lange hatte Ernst Albert gebraucht, um die Begriffe Pflicht und Vernunft in seinen Wortschatz wohlwollend zu integrieren. Und viel später hat ihm der Alte aus Bergedorf sogar etwas zum Geburtstag geschenkt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Also betrachtete Archibald Mahler, genesener Bär vom Brandplatz, die Postkarte und er ahnte und seine feine Nase bestätigte ihm dies: wenn er jemals Ordnung in seinen Gedankenschrank bringen wollte, eines darf ihn nicht lenken: und das ist die Angst. Das Leben ist ein anstrengendes Leben und eine blutige Krawatte hat man sich schnell geholt, aber das ist noch lange kein Grund sich Angst einjagen zu lassen, von denen, die Spaß daran haben, die Angst zu verbreiten. Und die Postkarte sprach: „The woods are lovely, dark and deep / but i have promises to keep / and miles to go before i sleep / and miles to go before i sleep.” Eigentlich sind die Worte von Robert Frost geschrieben. Warum sie aus der Karte sprechen? Weil der Alte aus Bergedorf sie mag, diese Worte. Und Archibald auch.

Thema: Anregende Buchstaben, De re publica | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Archibald ist müde, hört von der Sprache des Schauens und macht weiter

Freitag, 30. April 2010 16:31

testahausWatauineiwa nannten die Yaghan-Indianer in Feuerland ihren wichtigsten Gott. Sie stellten ihn sich vor als einen alten Mann im Himmel, der sich nie verändert und der nichts mehr fürchtet und verabscheut als Veränderungen. Archibald Mahler, Bär vom seit Ewigkeiten nicht mehr gesehenen Brandplatz, ging es heute ähnlich. Die Nachwirkungen des Rothaus-Symposiums vom Vortag, ein Höhlenwechsel und ein Temperatursturz von zweistelliger Größenordnung rüttelten an seiner legendären Bärenruhe. Die Seele und die Anoperationsnarbe forderten ein Innehalten. Gewiß, wieder blickte er hinab auf die alte Stadt und wieder war es grün, üppig, fast schon maßlos. Er fragte sich, ob die Stadt so reich sei, weil sie so grün ist, oder ob die Stadt so grün sei, weil sie so reich ist. Doch letztlich war ihm das gleichgültig. Er war müde und erschöpft, erschöpft von all der Bewegung, all den neuen Eindrücken der letzten Wochen.

Bruce Chatwin hatte in einem seiner Reisebücher über die Yaghan-Indianer berichtet. Sie lebten einst am Ende der Welt, in Feuerland und auf den Falklandinseln, bis die weißen Zweibeiner vorbeigesegelt kamen, ihnen erst ihr Land, ihre Sitten und ihren Stolz stahlen, um sie dann zu massakrieren. Restlos alle, denn die Ureinwohner hatten sich geweigert ihren alten Göttern abzuschwören und hatten folgerichtig einigen der Bibelbrüder, die ihnen die neue Lehre in den Kopf prügeln wollten, selbigen vom Hals getrennt. Was von den Feuerlandindianern blieb, war das Kompedium eines jungen Weltenfahrers, der sich die Mühe gemacht hatte, die alte Sprache der Yaghan zu sammeln und zu dokumentieren. Ernst Albert, der ebenfalls auf der Dachterrasse saß, legt das Buch zur Seite und sprach zu seinem etwas mißmutigen Bären: „Was für eine Sprache! Weijna! Das bedeutet nicht nur ‚reisen’, nein, sondern auch: ‚locker oder leicht zu biegen sein wie ein gebrochener Knochen oder wie eine Messerklinge’, oder ‚herumwandern oder herumirren wie ein heimatloses oder verirrtes Kind’, oder aber ‚locker angebunden sein wie das Auge in seiner Höhle oder ein Knochen in seiner Gelenkpfanne’, oder auch ’schwingen, sich bewegen, existieren oder sein’. Toll! Keine Sprache des Besserwissens, sondern eine Sprache des Schauens.“

Eine Sprache des Schauens! Das mochte Archibald, seines Zeichens seit Aschermittwoch fleißiger Weltschauer. Sein Blick fiel auf die Reste eines alten Baumes. Ein riesiger Stamm ragte gute fünfzehn Meter in die verregnete Luft, astlos, nadellos. Es war einer jener Mammutbäume, die die Indianer an den Küsten des Pazifiks als lebende Wesen und gütige Götter verehren. Wie war er in die alte Stadt gekommen? Was war ihm nach seiner Ankunft widerfahren? Hatte er sich geweigert, zu schwingen und sich zu bewegen, als ein Sturm über ihn hinwegraste? War er zu alt und zu groß geworden, um sich auf fremde Weisung hin zu beugen und zu ducken? War er ein weiteres Opfer des manchmal unangebrachten Stolzes? Etwas Gewaltiges muß ihn gefällt haben. „Übrigens: Yaghan-Indianer wurden sie von den weißen Aufrechtgehern getauft. Sie selbst nannten sich Yamana, was soviel heißt wie ‚leben, atmen, glücklich sein, von einer Krankheit genesen oder gesund sein’. Ala!“ Ernst Albert hatte sich, seit sie im Süden weilten, zu einem kleinen Schlaumeier entwickelt. „Muß wohl an der Luft hier liegen!“, dachte Archibald, kratzte sich am Hintern und dachte noch ein wenig über die Geschichte des alten Baumes nach. Und darüber daß jedes Innehalten auch der erste Schritt einer neuen Wanderung ist. Und da sah er: Neben den Riesenstumpf hatte man einen kleinen jungen Baum gepflanzt. Es geht weiter!

Thema: Anregende Buchstaben, Im Heckerland | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Archibald bricht auf

Freitag, 9. April 2010 14:47

kerouacEinst als Indien noch Teil des British Empire war und die Aufrechtgeher keine Lust mehr verspürten, auf dem Rücken von Pferden, Eseln und Kamelen durch die Wüste oder das wilde Kurdistan zu reiten und also das Automobil erfanden, wurde dort im fernen Kalkutta ein Sadhu – so nennt man die Heiligen Männer des Landes – von einem britischen Governor zu einer kleinen Testfahrt in einem neu erworbenen Benzingefährt eingeladen. Der Heilige Mann nahm Platz, bat jedoch nach etwa zwei Kilometern Fahrt den Chauffeur die Knatterkiste zu stoppen, stieg aus, setzte sich an den Straßenrand und begann zu meditieren. Als man ihn dann fragte, warum er dies tue, antwortete er: „Mein lieber Freund, ich warte auf meine Seele. Sie ist nicht so schnell wie Euer Gefährt. Sie kommt nach.“

So ähnlich fühlte sich nun Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz. Er sollte verreisen, unter seinem Bärenhintern würden sich zum ersten Male Eisenstangen und daran befestigte Scheiben in Bewegung setzen. Gewiß, er hatte die Geschichte seiner Vorfahren noch nicht in Gänze studiert, aber eines wußte er: Bären auf Rädern gibt es nicht und zum Fischen und Beerensammeln ging man schon immer zu Fuß. Das hält schlank und beweglich an Kopf und Bein. Wurde ihm also schon wieder Gewalt angetan, wie einst im Monat März? Nein, denn das muß man Ernst Albert diesmal lassen, er hatte – auch nachdem Eva Pelagia ihr Einverständnis signalisiert hatte – den Bären in aller Form gefragt, ob er Interesse an einem mehrwöchigen Ausflug in den Süden und in seine, Ernst Alberts, alte Heimat habe. Und da Bären zwar faul, aber auch extrem neugierig sind und Ernst Albert gemurmelt hatte, es gäbe da draußen durchaus Orte, die etwas sehenswerter seien als die kleine häßliche Stadt und man fahre ja schließlich nicht nach Friesland, hatte der Bär gebrummt, zustimmend.  Seine Aufregung jedoch konnte er nicht verbergen, keine Spur der so gerne von den Zweibeinern kolportierten Bärenruhe. So reichte Ernst Albert dem Bärenviech ein altes, vergilbtes und mehrfach geflicktes Buch, zur Beruhigung und Anregung.

Das Buch roch nach Strassen, Schienen, Meilen, Getränken und Musik. Archibald steckte seine Nase in die Buchstabensuppe und es begann: „Ich hatte gerade eine schwere Krankheit überstanden, die ich nicht weiter erwähnen will, höchstens daß sie etwas mit einer scheußlich deprimierenden Trennung zu tun hatte und mit meinem Gefühl, alles sei tot. Mit dem Auftauchen von Dean Moriarty begann der Teil meines Lebens, den man mein Leben auf den Straßen nennen könnte. Ich hatte vorher schon oft davon geträumt…“ Die Blätter des zerlesenen und bekritzelten Buches raschelten und rauschten an Archibalds Nase vorbei und ein Zug verließ die kleine häßliche Stadt. Ciao! Zahnbürste nicht vergessen! Ciao! Ciao!

Thema: Anregende Buchstaben, Draußen vor der Tür, Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Welche der Welten ist die Welt?

Donnerstag, 1. April 2010 20:31

aufbruchArchibald hat den Telefonhörer einfach fallen lassen. Es überkam ihn das Gefühl, daß es nicht die Aufgabe eines Bären ist, der angetreten war aus dem Fenster und die Welt zu schauen, mit einer Frau Dyckmans zu sprechen. Falls sie überhaupt die ist, die sie zu sein vorgibt, den heute ist offenbar ein Tag, an dem die Fellfreien zu scherzen belieben. Zudem war Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz, der Ansicht, daß die letzten Tage ein klein wenig zuviel geboten hatten. Da wird ein Bär in aller Unschuld, weil leicht indisponiert, zur Ärztin geschleppt, durchleuchtet, klassifiziert und mit lateinischen Ausdrücken überschüttet, muß sich anschließend einer Tiroler Variante des „Ouzo-Orakels“ unterziehen, wobei der Aufrechtgeher auch noch den für den Bären vorgesehenen Anisschnaps alleine runterschüttet und zu guter Letzt ist man empört und betroffen da draußen vor dem Fenster, wohl ein Lieblingsspiel der Zweibeiner. Nicht zu vergessen, der Kugeltretpräsident am Telefon. Seltsame Welt, in die ein Bär schaut, wenn er schaut.

Archibald war klar, daß ab sofort wieder langsamer und gründlicher gedacht werden mußte, zweibeinerfrei und tief. Sonst wird das nie was mit einem ordentlich eingeräumten Gedankenschrank. Doch die Verwirrung des Bären war leider nicht zu leugnen. Welche der Welten dort draußen  ist denn die Welt? Bärenwelt ist eine recht einfache Angelegenheit. Ein Lachs ist ein Lachs ist ein Lachs und zwischen Heidelbeerenstrauch und Aasfilet paßt immer noch ein Mittagsschlaf. Aber die Ruhelosen da draußen vor dem Fenster, stets beunruhigt über den Lauf der Zeit, selbst wenn sie zuviel davon zur Verfügung haben und dann nicht wissen womit sie eben jene Zeit füllen sollen, aber sich hinlegen und alles sein lassen, das wollen sie dann auch nicht. Und dann rennen und hetzen sie los und reden davon Zeit verloren zu haben, die sie aber doch gar nicht hatten und bleiben plötzlich stehen, tatenlos, gelähmt, als käme die verlorene Zeit gleich um die Ecke gebogen und spränge Ihnen zur freien Verfügung und Wiederverwertung in die Hosen- oder Handtasche. Oder leben die fellfreien Raser in dieser Welt, oder in der, welche Tag und Nacht aus den Bilderapparaten plärrt? Und glauben sie gar die Welt, die man ihnen als Spiel und Spiegel serviert, ist die Tatsächliche?  Die andere jedoch, die vielleicht die Wahre ist, lassen sie verrotten, als sei das Leben ein Spiel, in dem die Karten jederzeit wieder neu gemischt und ausgeteilt werden können.  Oder glauben sie dem, was sie erlesen eher als dem, was sie erleben? Und Archibald wußte gar nichts mehr und schloß die Augen. Es flimmerte hinter seinen Lidern.

Archibald bemerkte, daß es zog wie Lachssuppe. Er spürte seinen leeren Magen und daß die Haustür offenstand. „Sie sind Herr Ernst Albert?“ „Ja!“ „Mitkommen!“ Natürlich, Ernst Albert war nicht mehr da. Ganz unbärig begann sich Archibald doch etwas um den Hausherrn zu sorgen und blickte hinaus in den Hausflur. Archibald allein zu Hause. Vielleicht war es doch an der Zeit den geheimen Fieberthermometerhalter zu einem kleinen Symposium zu bitten. Das war es, was er dachte.

Thema: Anregende Buchstaben, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Nachts sind alle Bären schlau

Mittwoch, 10. März 2010 9:42

fanman„Die alten chinesischen Weisen, Mann, leben von ihrem Speichel. Die perfekte Diät. Einzige Voraussetzung ist, daß man sein ganzes Leben im Liegen verbringt, im absoluten Nichtstun. Der Weg des Himmels. Das ist es, Mann, das ist meine Diät.“ Archibald war erwacht. Er lag unter einem Buch. Die Nacht war unruhig gewesen. Mehrfach war er aufgewacht, ein bis zwei bedeutende Sätze auf seiner Zunge. Sie schmeckten immer ein bißchen nach „Genau so ist es.“ Doch wenn Archibald diese Sätze in seinen Gedankenschrank einordnen wollte, um sie bei passender Gelegenheit genauer zu bedenken, schwupp, waren sie weg und der Bär schlief wieder ein. Und schon sprach es wieder in ihm: „Ich weiß jetzt, was ich zu tun hab, Mann. Ich werde heut abend fasten und werde den ganzen morgigen Tag im Park zubringen und mich von Blättern und Beeren und den Wurzeln von Distelbüschen nähren. Mann, ich werde die Energie meiner Kindheit in mich aufsaugen, und sie wird mir eine wahnsinnige Vitalität verleihen. Das ist der Plan. Er ist vernünftig, geistig gesund, er ist klar, er ist wirksam, er erfährt innere Zustimmung von meinem Dorkie-Meter.“ Archibald schlug die Augen auf, wiederum etwas irritiert vom Tanz der Worte in seinem Bärenkopf. Woher sollte er auch wissen, daß er zur seltenen Gattung der Traumleserchen gehörte. Woher sollte er auch wissen, daß man Mäusespuren auf schlecht schmeckendem Papier Buchstaben nennt, daß die Menschen das, womit er sich zudeckte, Buch nennen und daß diese sogenannten Bücher für Menschen eine früher weit verbreitete, heute langsam aussterbende Art des Weltschauens war. Woher sollte er wissen, daß sich gerade zwischen ihm und diesem Buch eine seltsame Beziehung zu entwickeln begann. Er war nun mal nur ein Bär. Wieder fiel er in tiefen Schlaf. Herr Kotzwinkle saß neben dem Bären und las ihm vor. „Mein ganzes Sein antwortet auf diesen Vorschlag mit einem Gefühl des Friedens und der Zufriedenheit. Deshalb kehr ich unverzüglich in meinen Laden zurück, um mich schlafen zu legen. Ruhig und cool, mit meiner ganzen gelösten strahlenden Persönlichkeit, werde ich morgen früh in den Park gehen und mich der vitalen Meditation und dem Beknabbern von Buschwerk widmen. Was für ein wunderschöner und wohlüberlegter Plan, Horse Badorties. Du solltest ein Collegeprofessor sein.“

Ernst Albert war nach Hause zurückgekehrt, den Kopf voller Skizzen und Pläne und Knoten, unter seinem rechten Arm klemmten Zettel, Zeitungsausschnitte und ein Haufen Zeugs, welches es noch durchzuarbeiten galt. Er sah den kleinen Bären selig röchelnd unter einem seiner ehemaligen Lieblingsbücher leseliegen und dachte: „Ja, den Seinen gibt es der Herr im Schlaf.“ Und Ernst Albert sah dabei aus, als sei er sogar ein bißchen neidisch.

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Archibald entdeckt das Buchstabenriechen

Sonntag, 28. Februar 2010 17:57

kotzwinkleDa stand also Archibald vor dem roten Sofa, auf dem Ernst Albert laut und regelmäßig vor sich hin röchelte. Ein aufgeschlagenes Buch lag auf dem Bauch des Schläfers und hob und senkte sich im Rhythmus der Atemzüge. Vom Titelblatt des hoch und runter tanzenden Buches blickte Archibald ein Bär entgegen. Kein gewöhnlicher Bär, der einen Lachs fing oder durch die Wälder schlenderte, nein, ein Bär, der einen Anzug und dazu Hemd und Schlips trug. Ein großer, nicht überragend intelligent aussehender Bär im Anzug, mit Hemd und Schlips in den Straßen einer offensichtlich größeren Stadt zwischen vielen und kleineren Menschen. Menschen und Straßen, und das aus leidvoller Erfahrung, kannte Archibald. Doch angezogene Tiere fand Archibald schon immer entsetzlich. Manchmal peinigten Archibald Alpträume, in denen er als ganz, ganz junger Bär zwischen etlichen Bären, Hunden und anderen Viechern saß, von denen die Hälfte angezogen waren wie Menschen. Er träumte, daß Kinder und Erwachsene ihn anstarrten und mit dem Finger auf  ihn zeigten oder ihn gar betatschten. Als ob ein einstmals abbes Bein, von dem es noch zu berichten gilt, nicht schon Bärentrauma genug sei. “Hallo? Was ist denn das für ein Bär? Anzug geht ja so was von gar nicht. Oberpeinlich.” Archibald bemerkte, daß er vor lauter posttraumatischer Empörung in eine Art von eigentlich herzlichst verachteten Jugendslang verfiel, als Ernst Albert sich grunzend auf die Seite wälzte und das Buch vor Archibalds Tatzen fiel.

Archibald war innerlich schon wieder auf dem Rückmarsch zu seiner Fensterbank gewesen, wollte den Schnarcher und den Peinlichbär im Anzug ihrem Schicksal überlassen, als sich seine Nase meldete. Sapperdautz. Sie zuckte und zitterte und zwang Archibald, diese seine Nase, wie von Geisterhand bewegt, zwischen die mit unzähligen kleinen schwarzen Mäusespuren bedeckten Seiten zu stecken. Und Archibald roch. Und er roch nicht nur, für einen normalen Bären keine große Sache, die Bäume, die gefällt worden waren, um das Papier herzustellen, die stählernen, gut geölten Maschinen, welche die kleinen schwarzen Mäusespuren auf das Papier gepreßt hatten, den Schweiß des Mannes, der sich die Anordnung der Mäusespuren ausgedacht hatte, die Zigaretten und die Gläser roten Weines, die er beim Denken und Schreiben zu sich genommen hatte, mehr noch: Archibald roch eine Geschichte. Archibald roch die Geschichte eines Bären, der auf der Suche nach einer Torte in einer Aktentasche mitten im Wald ein fast fertiges Buch findet, welches ein Schriftsteller dort versteckt hatte. Aus was für Gründen auch immer. Um präzise zu bleiben, er roch sogar, daß man solch ein so gut wie fertiges Buch Manuskript nennt. Archibald roch, wie der Bär, erst darüber enttäuscht nicht Freßbares gefunden zu haben, nach und nach Gefallen an den Worten in diesem fast fertigen Buch findet und es also mitnimmt, wie der Bär zu seinem Anzug kommt, wie er in eine Stadt geht, wie er einen Verleger für das Buch findet, wie er Frauen kennenlernt und mit ihnen unglaubliche Dinge tut, und wie er reich und berühmt und verliebt und plötzlich wacht Ernst August auf und er glaubt nicht, was er da sieht: “Liebste! Kommst Du mal bitte. Das hier mußt Du Dir anschauen! Unfaßbar!”

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Herr Kotzwinkle schrieb: “Der Bär lief über den Berg und schaute, was es zu sehen gab…”

Freitag, 26. Februar 2010 11:58

vorne_1“Bärenviech!” Ab und an ließ Ernst Alberts Ausdrucksweise zu wünschen übrig. Dies zumindest fand Archibald. “Bärenviech?” Nun gut, man hätte meinen können, Archibald als Vertreter einer Gattung, die sich gerne mal mit Aas den Magen füllt und dann, um als Dessert ein paar Löffelchen Honig zu genießen, einen kompletten Bienenstock samt Bienenhaus in alle Einzelteile zerlegt und bei Bedarf den dazugehörigen Imker auf den nächsten Baum jagt, könne eine etwas rauhere Ausdrucksweise locker wegstecken. Prinzipiell schon. Heute jedoch nicht, denn Archibald durchströmten Zerbrechlichkeit und Hypersensitivität. Und an solch einem Tag beschlich Archibald das untrügliche Gefühl sehr, sehr einsam zu sein auf diesem Planeten voller Trampel, Rohlingen und Ignoranten. Dazu gesellte sich, daß das seit Tagen herrschende feuchtmilde Wetter die Anoperationsnarbe an seinem rechten Bein pochen und schmerzen ließ. Das machte ihn zusätzlich unleidig. Und nun auch noch Herr Ernst Albert.

Herr Ernst Albert wiederum, anstatt Buße zu tun für die unflätige Äußerung in Bezug auf seinen Lieblingsbären, lag auf dem roten Sofa und lachte. Archibald versuchte dies alles nicht persönlich zu nehmen, blickte konzentriert aus dem Fenster und entdeckte im Garten der Nachbarn die ersten Schneeglöckchen. Klein, scheu und weiß. Ein weiterer Beweis für seine Sensitivität, fand Archibald. Ernst Albert kicherte und gluckste ohne Unterlaß. Schuld daran war ein Buch. Ab und zu las er Eva Pelagia, die durch die Wohnung stürmte und das, was sie gestern nach links geräumt hatte, heute wieder nach rechts legte, daraus vor. Archibald, der auch als Bär, wenn er will, durchaus multitaskingfähig ist, also über Schneeglöckchen meditieren und gleichzeitig das Geschehen im Nebenraum überwachen kann, vernahm also, daß sich Ernst Albert wohl königlich über einen Bären amüsierte von dem das Buch, welches er las, erzählte. Es gab da viel Sex, das Fangen von Lachsen und das Verspeisen von Torten kamen auch nicht zu kurz und der Bär, der die Hauptrolle in der Geschichte spielte, mußte wohl ein symphatischer und sehr lustiger Geselle sein. “Auch das noch. Man lacht sich schlapp über einen anderen Bären. Na danke!” Archibald brummte zornig in sich hinein. Doch er bemerkte auch, wie  aufkommende Neugier die bohrende Eifersucht in seinem Bärenherzen besiegte. Der Sache mußte er auf den Grund gehen.

Wenig später vernahm Archibald, daß Ernst Albert auf seinem roten Sofa über der Lektüre eingeschlafen war. Sein gleichmäßiges Röcheln hätte einem ausgewachsenen Kodiakbären im tiefsten Winterschlaf zur Ehre gereicht. Eva Pelagia war unterwegs. Sie hatte beschlossen nicht nur die Wohnhöhle neu zu gestalten, sondern auch sich selbst und hatte einen Termin beim Friseur. Archibald faßte einen Entschluß. “Jetzt oder nie.” Vorsichtig,  denn das rechte Bein schmerzte – heute würde er im übrigen kein Wort mehr über diese Anoperation fallen lassen, das nur nebenbei – ließ er sich von seiner Fensterbank gleiten und machte sich auf in Richtung rotes Sofa. “Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für Archibald.”, dachte der Bär. Er hielt inne. “Den Satz muß ich mir merken. Man weiß ja nie.”

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Archibalds Intertextualität kommt beinahe mit Herrn William Kotzwinkle ins Gehege, Mann!

Montag, 22. Februar 2010 15:04

dorkie“Mann Bärchen, hast Du sie noch alle?” Ernst Albert war ins Zimmer geplatzt. Und dies ausgerechnet am heiligen Potzrembel-Tag. Ernst Albert war auf der Suche nach seiner Sonnenbrille, weil die ganze Nacht  Stahlzigarren zu gucken und dabei alternierend Grauburgunder von Aldi und Cabernet Sauvignon von Lidl zu trinken nicht nur das Hirn gehörig verspannt, sondern auch die Lichtempfindlichkeit schmerzhaft verstärkt. Übellaunigkeit erfüllte das Zimmer. “Originalität gibt`s sowieso nicht, nur Echtheit? Pustekuchen, Herr Plagiator! Da sei der göttliche Horse Badorties vor!”, sprach also Ernst Albert, riß Archibald die Brille von der Bärenschnauze und hielt seinem Hausbär ein vergilbtes, kaffeebeflecktes und freudig zerlesenes Buch unter die Nase. “Mir scheint da will wohl ein Bär nach oben. Hier! Lese! Bär!” Und weg war er. Die Haustür fiel knackend ins Schloß.

Da saß nun Archibald, ein speckiges Buch in den Tatzen und wußte nicht wie ihm geschehen war. “Horse Badorties! Plagiator! Lesebär!” Er verstand kein Wort. Sicher, wenn sich die Blätter in der Heimat der Bären dort jenseits der Meere rot, gelb und bunt färben und nachts die ersten Pfützen zufrieren, ist es sinnvoll Beeren und Blätter und Käfer und Mäuse zu lesen, um sie zu verspeisen und Fett anzusetzen. Aber was hat dies mit dieser gelblichen Ansammlung wahrscheinlich übel schmeckender Blätter zu tun? Archibald kratzte sich an seinem Bärenhintern, was Bären nun mal machen, wenn sie angestrengt über etwas nachdenken. Er schlug das Büchlein auf und sah viele verschiedene schwarze Punkte und Zeichen auf dem gelben Papier, wobei  jede Seite ein etwas anderes Gesicht hatte. Bald jedoch stieß er auf eine sehr seltsame Seite, ach was, sechs, sieben solcher Seiten hintereinander. Er sah vor sich eine Ansammlung immer gleicher schwarzer Zeichen, die sich wiederholten und wiederholten und wiederholten, als sei eine gigantische Mäuseschar über das sandige Ufer eines Baches gelaufen. Fasziniert blickte er auf diese Mäusespuren, immer und immer wieder und fiel nach kurzer Zeit in einen tiefen Schlaf. Und es träumte ihn, wie er in einem knallgrünen Sommerwald Heidelbeeren las und Käfer und Larven, als er plötzlich am Ufer eines Baches voller Mäusespuren, die aussahen wie die Mäusespuren aus Ernst Alberts gelben Buch, einen alten bärtigern Mann erblickte, der sich, als Archibald gebannt auf ihn zutapperte, als ein Herr William Kotzwinkle vorstellte und ihm ein vergilbtes und mit Kaffeeflecken garniertes Buch überreichte und dabei sprach: “Fang am besten damit an, mein kleiner Lesebär.” Woraufhin der bärtige Mann aufstand und im knallgrünen Wald verschwand, tiefer und tiefer. Und Archibald konnte noch in der Ferne hören, wie Herr William Kotzwinkle dabei lachend ein einziges Wort vor sich hersagte. Immer und immer wieder. “Dorkie!” Ja! “Dorkie! Dorkie! Dorkie! Dorkie!” Archibald erwachte. Erfrischt. Aber er hatte auch das  Gefühl, daß er seit Tagen eigentlich etwas ganz anderes erzählen wollte. Und sein rechtes Bein fing an zu jucken. Wie damals nach der Anoperation.

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