ARCHIBALD KAM NUR BIS TÜBINGEN III

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Mein Herz ist wie die dunkle Nacht,

wenn alle Wipfel rauschen;

da steigt der Mond in voller Pracht

aus Wolken sacht -

und sieh, der Wald verstummt in tiefem Lauschen.


Wenn ihr Freunde vergeßt,

wenn ihr den Künstler höhnt

und den tieferen Fleiß klein und gemein versteht,

Gott vergibt es. Doch stört nur

nie den Frieden der Liebenden!

(Friederich Hölderlin)

„Oh, Friederich! Oh, Hölderlin! Oh, Turmpoet und Kreisedreher! Oh, Leidenssänger, Abgrundschauer! Oh, Geistesbär und Weltverzweifler auch! Verzeih mir, daß ich Platz nahm auf Deinem Grabmal. Es ist des Bären Art zu ehren Deine Geisteskraft! Verzeih!“ Das spricht Archibald Mahler vor sich hin. Mantra! Man weiß ja nie in dieser Geisterstadt. Sonst schicken sie Gespenster, die Dich peinigen, bis daß der Schlaf Dich flieht. Doch nicht nur das Grabmal des Poeten befindet sich hier auf den Alten Stadtfriedhof. Der Bär steht auf, wandelt und schaut und flugs fällt ihn der Schwindel an. Dieser Humus emaniert Geistesatem. Schau hin, kleiner Bär! Da liegen sie die Professoren der Religionswissenschaft, der Botanik, der Philosophie, der Kunstgeschichte, der Chirurgie. Da ruhen sie, die Universitätskanzler, die Oberbürgermeister, die Theologen, die königlichen Kammerherren, die Universitätsmusikdirektoren. Dort gedenkt man der Dichter, der Sprachgelehrten, der Universitätsbibliothekaren, der Schriftsteller, der Kunsthistoriker, es findet sich sogar ein Kanzler dieser Republik, sein ärgster Gegner nur wenig Meter entfernt versenkt im Tübinger Boden, dort rechts ein Missionar aus Indien und links der Gründer des Schwäbischen Alpenvereins. Ach ungezählt die Musiker, die Oberlandesgerichtspräsidenten, die Komponisten, die Kaufleute und Professoren der Philologie und Geographie und ungekannter Wissenschaften. Und den Bären überfällt der Schwindel, sein Haupt zur Seite sich neigt, es verrutscht der Dichterkranz und eine Sehnsucht erwacht in seinem Herzen und er ruft: „Oh Ihr Götter all, und Musen Ihr, Potzrembel auch noch mal und Weia! Gebt einen Menschen mir, der mit den eig’nen Händen ein Werk erschaffen, das man mit seinem Auge sehen und mit der Tatze fühlend kann berühren. Einen Kachelofenbaumeister zum Beispiel, jetzt da der Winter an der Türe kratzt oder einfach einen Lokomotivführer, weil, wer verreist, die Heimkehr auch gesichert wissen mag. Gebt Menschen mir der Hand und nicht des Hirns. Es schwindelt mir, ob all der Geisteskraft. Habt Mitleid mit dem Bären, Götter Ihr und höret: die Einfachheit, sie schafft!“ Der Wunsch ward ihm sogleich erfüllt.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Samstag, 29. Oktober 2011 5:42
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