Beiträge vom 28. Oktober 2011

ARCHIBALD KAM NUR BIS TÜBINGEN II

Freitag, 28. Oktober 2011 14:43

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Schwäbische Nacht. Archibald allein und zwei Äpfel. Vom selbem Stamme gefallen? Brüder? Wer weiß. Tief unten in den Eingeweiden des mittelalterlichen Hauses am Neckar, in dem Herr Mahler logiert, ein kleiner Musentempel. Herr Ernst Albert schaut gerade Probe, Probe eines Werkes aus der eigenen Feder aka Tastatur. Der Geisterstadt angemessen, ein Stück Theater voller Gespenster. Abwesender Vater, der präsenter nie war als er noch anwesend, verwaltende Mutter, Söhne auf Glatteis, viel zu viel Geld und der Abgrund wartet mit offenen Armen. Kompliziert? Muß man sich wohl selber anschauen. In Archibald Mahlers Kammer tanzen die anderen Gespenster. Die Melanchtons, Keplers, Hölderline, Schellings, Hegels, Schwabs, Hauffen, Mörikes, Sahls, Maiers, Jense, Bloche und und und. Die ehrwürdigen Mauern der von den Kriegen kaum berührten und unzerstörten Stadt sind durchdrungen von Worten, Gedanken, Axiomen und dem großen Zweifel an der Welt. Die feine Nase des Bären kann sich gar nicht satt riechen an soviel Denkwut. Vor Äonen gereimte Alexandriner und Jamben zischen durch die Nebelnachtluft und Archibald Mahler, heute Schauer der gedachten Welten, ist es gar bärig wohl in seiner Pelzhaut. Ein Ringelreihen dreht sich vor seinen staunenden Augen. Das Gestern tanzt mit dem Heute und das Morgen singt dazu ein wunderbares Lied und alles ist eins und nichts und doch ein nicht endendes Poem. Das Reimherz schlägt jauchzend in des Bären Brust und – „Licht, Luft, Atem!“ – er reißt das Fenster auf, einen Zweig des die Hauswand empor rankenden Efeus desgleichen reißt er ab und flicht sich, da’s kein anderer tut, den lang ersehnten, eig’nen Dichterkranz und schwindelnd ob der eben rauschhaft schnell erstiegenen, ätherisch pochend lichten Höhe, ruft einen Wunsch er fordernd in die Zimmernacht. „Gebt Musen mir, ein Denkmal mein und laßt mich dort, so wie ich puste Löwensamen, die Reime, die mein Hirn gebiert in stürmend drängend ewig’ Herzensnot, verstreuen in die hehre Schwabenluft. Passant, nicht eile! Gedenk des Bären, der hier thront!“ Der Wunsch ward ihm sogleich erfüllt.

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Thema: Musentempel, Unterwegs mit Herrn Albert | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth