„Meh wie ä Schnitzel am Tag kannsch eh it fresse!“, sagte einst am See Herr H. Maier
Einerseits: „Da habe ich mir ja etwas an die Backe geklebt!“ und andererseits – ungewohnt salopp – „Gefickt eingeschädelt!“. Das war es, was Archibald dachte, als er im Warmen saß und beschloß das Fenster erst wieder zu öffnen, wenn Herr Lenz Zwanzig Celsiusgrade in die Luft geblasen hatte. Das Einerseits, das war seine Expedition “Angstmuzak“, ein etwas größeres Vorhaben, wie ihm gerade schwante, das Andererseits war die Tatsache, daß er den Lütten Stan überzeugen konnte, jetzt wo die Kugelhysterie wieder aus allen Ritzen zu kriechen begann, sich zu outen und die Sache mit der Balltretkunst zu übernehmen. Dies schenkte seinem Auftrag etwas mehr Zeit und damit verbunden – so jedenfalls hoffte der Denkbär – auch Tiefe. „Doch die Kälte und die intensiven Angstschweißwolken da draußen hatten ihn etwas niedergeschlagen gemacht. Was solle solch eine Expedition überhaupt? Für wen war sie gedacht? Um einen Bärengott zu erheitern? Führte er Selbstgespräche? Was war das Ziel? Selbsterkenntnis oder Selbstzweck? Es gab Momente, da erschien es ihm maßlos, dem allem, was gedacht und gesagt war und noch gesagt und gedacht werden wird, noch mehr hinzuzufügen, es sei denn, man könnte tatsächlich Erleuchtung versprechen. Für sich. Für einen anderen.“ (Schön sich bei Frau Schmidt für die Anregung bedanken! Gelle, der Setzer.) „Natürlich! Danke Frau Schmidt! Seite 83.“ Ernst Albert hatte Eva Pelagia heute morgen vorgelesen und das feine Bärenohr hatte es vernommen und Glöckchen in ihm bimmelten los. Diese Glöckchen hatte auch der Alte von Bergedorf vernommen. Mit aufmunternder Strenge nickte er Archibald Mahler, dem Expeditionsreisenden vom Brandplatz, zu und dieser machte sich an die Arbeit. Versprochen ist versprochen.
Und so blickte durch ein anderes Fenster hinaus in die Welt, das heißt, er blickte nicht, er roch sich hinaus in die Welt, seine Nase beugte sich über Ernst Alberts gesammelte Zeitungen, saugte die Buchstaben und Geschichten ein, begutachtete sie, durchleuchtete sie, verwarf vieles und legte, was wertvoll, erhellend und erheiternd schien, in den Gedankenschrank zur späteren genauen Betrachtung, oder nur so, weil ein bißchen was für den langen Winterschlaf zu sammeln – irgendwann steht der wieder ins Haus – ist nicht dumm. Und das war einiges, was Archibald da aus den Papieren der letzten Tage entgegen schwappte. Alles verstand er nicht. Wie auch? Bären waren bis jetzt noch nicht dazu gezwungen, sich ökonomischen oder finanzpolitischen Überlegungen hinzugeben. Doch beim Einsortieren hatte er das Gefühl, es lediglich mit zwei Arten von Zweibeinern zu tun zu haben, die sich da äußerten. Da waren einmal die Apokalyptiker, die Marktschreier und Krakeeler, die Anhänger Kassandras, die mit wuchtigem Pinselstrich Menetekel nach Menetekel an die Wände malten. Ihr Gezeter zielte offensichtlich nicht auf die Hirne ihrer zuhörenden Mitzweibeiner, sondern wendete sich an die kleinen und fiesen Ängste, die Ängste vor Verlust und Niedergang, an den Neid, an die Eifersucht, an all das unreflektierte Gewürm, was durch die Adern eines jeden Aufrechtgehers fließt. Archibald verstand das nicht. Wenn man nicht weiß, was tun, ist es dann nicht besser zu schweigen und nachzudenken, als rumzupoltern und die, die versuchen nachzudenken, permanent zu stören? Aber die zweite Art erschien ihm fast noch bedrohlicher, diese ganze Bande der Aussitzer, Beschwichtiger, Hinausschieber, Kreditnehmer, Schuldenmacher, Achselzucker, Raushalter, welche mit ihren heruntergezogenen Mundwinkeln und hochgezogenen Augenbrauen es schon immer gewußt haben. Jene, die nur mit den Einen reden wollen, wenn diese wiederum nicht mit den Anderen reden. Die, welche darauf warten, daß irgendwer den Mut hat etwas zu entscheiden, um dann auf den Zug der Entscheidung aufzuspringen oder, bei Nichtgefallen – das heißt bei der Notwendigkeit des eigenen Verzichts – zur Partei der Krakeeler und Radauvögel überzuwechseln. Schon seltsam! Archibald dachte darüber nach, ob es Zweibeiner gibt, die auch bedenken, daß die Welt, auf die Archibald schaut, auch Archibalds Welt ist, selbstredend im Nanogrammbereich, aber immerhin. Dann roch er etwas, was ihn beruhigte. Aus dem Papierberg sprach die Stimme des Alten von Bergedorf. Er hat mal wieder Zeit gefunden. Er meinte nichts anderes, als daß, wenn Zeiten sich ändern, selbstverschuldet oder nicht, nur eines hilft: Ruhe bewahren und Arbeiten. Warum ist das aber anscheinend so schwer? Archibalds Ehrgeiz war angestachelt. Die Expedition wird fortgesetzt. Das wußte er nun. Und er ahnte, daß diese ganze Angstsuppe irgendwas zu haben mußte mit dem einem Schnitzel am Tag, von dem Ernst Albert heute morgen beim Frühstück seiner besten Eva Pelagia erzählt hatte.