Autorenarchiv

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 11

Freitag, 24. August 2012 20:41

pol23

„Sagen Sie mal, Budnikowski, sollte man uns jetzt nicht sehen, wie wir auf dieser wackligen kleinen Holzbrücke sitzen?“

„Ja sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen, Mahler? Wagen Sie es an Ihrer Tarnkappe auch nur rumzuzuppeln!“

„Weshalb dieser strenge Ton? Wir sind hier in einem Naturreservat, einem Vogelschutzgebiet, herrliche Landschaft, Moorwiesen, Sumpfgräser, Wasserläufe, unberührt fast das alles und wir sind ganz allein.“

„Allein? Wahnsinniger! Verblendeter! Billionen und mehr dieser kleinen miesen Stechviecher umschwirren uns, haben nur ein Ziel, nämlich unsere werten Leiber auszusaugen, um noch mehr ihrer verwerflichen Brut in die schwüle Luft über dem Stettiner Haff setzen zu können. Schmarotzendes Plagepack. Mich wird daher heute niemand zu Gesicht bekommen.“

„Und Sie glauben der Unsichtbare entkommt den Stacheln des Unangenehmen?“

„Es ist ein Versuch und die Hoffnung, das muß ich Ihnen ja jetzt nicht auseinanderklamüsern. Und schwitzen Sie jetzt nicht so! Das lockt die Viecher an.“

„Dann drehen Sie halt mal das Thermostat runter!“

„Jetzt schweigen Sie und lassen Sie uns den Anblick genießen.“

(Man schaut. Naturreservat, ein Vogelschutzgebiet, herrliche Landschaft, Moorwiesen, Sumpfgräser, Wasserläufe, unberührt fast das alles und man ist ganz allein. Fast!)

„Verdammt und verfaulte Mohrrübe noch einmal!“

„Was ist los, Budnikowski!“

„Sie haben mich erwischt!“

„Wo?“

„Überall!“

„Jetzt, wo Sie es sagen, mich juckt es auch! Weia! Weg hier! Bewegung!“

„Wohin?“

„Ins nahe Dorf! Nach Karsibor! Ich meine mich zu erinnern, da gäbe es ein Skleb!“

„Wie bitte!“

„Ein Laden, ein Büdchen!“

„Und was sollen wir da?“

„Bier und Chemie!“

„Sehr gut, Mahler! Sie können ja denken! Los! Und die Tarnkappe festhalten!“

„Als wenn das jetzt noch nützen täte!“

„Egal!“

(In diesem kleinen Laden gab es wirklich alles. Chemie, Chips, Bier, Säfte, Obst, Würste, Würste, Würste, Waschmittel, mehr Chemie, Wässerchen und noch ein Bier. Man sitzt davor, auf wackeliger Bank und reibt sich ein und trinkt Bier und Säfte. Dann kommt der Bus und fährt zurück. Im Bus ein Gespräch.)

„Juckt es noch, Budnikowski?“

„Schon was besser! Und bei Ihnen, Mahler?“

„Drei im Ohrläppchen!“

„Solche Mistviecher! Aber sagen Sie mal, Mahler!“

„Bitte schön?“

„Wer war jetzt die Dame vor dem Sklep?“

„Vielleicht hätten wir sie fragen sollen!“

„Sie oder ich?“

„Budnikowski! Wir müssen aussteigen! Schnell! Vielleicht kriegen wir noch die nächste Fähre.“

„Die kriegen wir nie, Mahler!“

„Budnikowski, stellen Sie sich vor, die Drecksviecher sind hinter Ihnen her.“

pol24

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 10

Donnerstag, 23. August 2012 18:52

pol21

„Mensch, Mahler, schaun Sie mal zum Fenster raus!“

„Und wie soll das bitte schön gehen?“

„Unerklärlich. Vor wenigen Minuten saßen wir noch sonnenbeschienen und windumtost am Strand und jetzt Land unter.“

„Budnikowski, wir sind an der See und nicht im Solarium.“

„Aber dermaßen schnell auch!“

„Wir hatten uns noch fünf Minuten zugestanden.“

„Das kann man doch nicht wissen!“

„Jajaja, das letzte Bier war schlecht und so! Verantwortung, mein Herr!“

„Aber doch nicht für ein polnisches Unwetter, Sie Unke.“

„Vielleicht kam es aus dem Auspuff eines doitschen SUV herangerauscht!“

„Die Polen ham so was noch nicht?“

„Will ich nicht beschreien, aber entschieden weniger. Übrigens sehr angenehm.“

„Kommt noch, kommt noch. Da ist auch ihr Alterskommunismus nicht vor!“

„Ist zu befürchten, hoffen wir aber auf die heilende Kraft einer richtigen Krise.“

„Werden dann auch Medaillenspiegel abgeschafft!“

„Aus, Budnikowski!“

„Aah! Die Sonne kommt hervor.“

„Sehr gut, den Pöter weiterhin in die Höhe.“

„Eine Demonstration?“

„Nein! Trocknen!“

„Endlich, die Krise ist vorbei!“

„Wessen Hinterteil als erstes trocken, holt das nächste Wässerchen.“

„Das ist gemein. Wo meiner doch viel kleiner.“

„Das haben die Schweizer auch gedacht, bevor ihre Wirtschaft zusammenbrach.“

„Bricht!“

„Der Krug solange zum Brunnen, dem unerschöpflichen, bis!“

„Und was hat das jetzt mit Urlaub zu tun?“

„Nix, Budnikowski! Wir denken heute nur mit dem, was dem Himmel am nächsten!“

„Dem Arsch?“

„Genau!“

„Dann liegen wir ja voll im Trend, Mahler!“

„Bingo, alter Karottennager!“

„Wann fährt der Bus in den Sumpf?“

(Die Sonne nimmt Fahrt auf, die Denkpöter trocknen und man kichert vor sich hin.)

pol22


Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 9

Mittwoch, 22. August 2012 21:06

pol19

„Weshalb schauen wir eigentlich so gerne und ausdauernd hinaus aufs Meer, Mahler?“

„Es gibt da Theorien, Budnikowski!“

„Nennen Sie die Eine. Oder noch eine?“

„Der Eine oder auch mal ein Aufrechtgeher…“

„Stop, Mahler. Erwischt!“

„Sie haben recht. Potzrembel und Weia die Waldfee! Möge Sie mir doch einen eitrigen Furunkel an den Pöter zaubern! Schande elendige!“

„Mäßige er sich! Einmal im Jahr das Unwort im Maule! Seien Sie gnädig mit einer Bärenseele auf Urlaub!“

„Einmal ist keinmal, das ist nun mal kein Bärenmotto!“

„Entsage er der Selbstkasteiung. Zumal es hier beim Nachbarn recht angenehme Auf…“

„Nicht Sie auch noch dieses Wort im Munde!“

„Aber unsere Nachbarn sind doch, also in den paar Tagen bis jetzt, freundlich?”

„Darum geht es nicht!”

„Verstehe! Die Theorie also!“

„Die Theorie besagt, weil alles Lebende zum Großteil aus Wasser besteht, ist das Hinaussehen aufs Meer eine Sehnsucht nach der Ursuppe, aus der man erwuchs.“

„Dann müßten wir ja eher hinausschauen auf Wiesen oder aufs Schilf!“

„Hä, Hase?“

„Denn sind wir nicht gefüllt mit Stroh? Außer in den Köppen selbstredend! Ruhe Mahler, außer in den wohlfeilen Synapsen, selbstredend!“

„Gerade noch die Kurve gekriegt. Stroh zu Gold gedroschen!“

„Ich spüre, wie die Nachwirkungen des gestrigen Wässerchens das Rumpelstilzchen in Ihnen erweckt! Trotzdem, ich las, daß da hinten am Haff, da unten im Delta: Schilf und Gräser ohne Ende. Morgen vielleicht mal dort Ursuppe schauen?“

„Keine schlechte Idee. Zumal über den Wassern sich was zusammenbraut.“

„Ein bißchen noch sitzen bleiben.“

„Ihre Verantwortung. Jede zögerliche Minute an der See macht den Pöter naß!“

„Aber die Wellen gewinnen endlich an Format!“

„Das gefällt mir auch! Das Rauschen!“

(Das Rauschen gewinnt an Heftigkeit. Erst von vorne, dann von Westen her und dann von oben. Schnell kann es gehen, wenn sich was wendet.)

pol20

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 8

Dienstag, 21. August 2012 20:38

pol17

„Mein Gott, wo sind wir, Mahler?“

„Es rauscht ganz gewaltig!“

„Das ist die morgendliche Ostsee!“

„Und mein Kopf. Haben Sie die Uhrzeit, Budnikowski?“

„Verdammt früh! Es knirscht zwischen meinen Zähnen!“

„Das dürfte der Sand sein und die Reue!“

„Weshalb, Mahler! Wer hatte denn die abenteuerliche Idee nächtens noch eine Strandbar aufzusuchen? Doch der trunkene Bär!“

„Nun, wenn die Herren und Damen Polen so nett feiern! Man ist doch Gast!“

„Wieviel Packungen Kartoffelchips haben wir insgesamt verzehrt?“

„Davon schweigen wir.“

„Was machen wir heute?“

„Ich denke mal, mehr als ausdauernd und reflexionsfrei auf die See zu blicken, ist nicht drin!“

„Dann tun wir das doch, Mahlerchen!“

„Keine posttrunkenen Plumpheiten, Budnikowski!“

„Und morgen?“

„Mehr Bewegung!“

(Jetzt aber erstmal sitzen und schauen. Der Sand untern den Pötern nachtkühl noch. Sanfter Wind, nicht zu kalt und nicht zu warm. Die Wolken schauen unschuldig vom Himmel herab. Leichte Dünung. Alles recht sanft. Von den Brummschädeln reden wir nicht! Aber einer spricht.)

„Mahler, sehen Sie das auch? Das Meer ist gewölbt, es ist rund, quasi. Da hinten am Horizont.“

„Machen Sie sich keine Sorgen, das geht so in Ordnung und ist nicht dem Wodka geschuldet!“

„Da bin ich aber froh!“

„Ja, die morgendlichen Zweifel der Trunkenbolde haben schon einiges zu Schanden geritten!“

„Deshalb tun wir heute nichts?“

„Tak! Tak! Tak!“

pol18

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 7

Montag, 20. August 2012 22:42

pol15

„Wässerchen ist gut, Budnikowski! Weia!“

„Es ist lediglich die korrekte Übersetzung. Woda ist das Wasser und ein K dazu, bitte schön!“

„Wir haben kurz vor vier! Nachmittags!“

„Deshalb, Mahler, die Gurken und die Krakauer!“

„Da rumpelt das Gedärm und freut sich, daß es am Leben!“

„Gleich ist Kugelstoßen!“

„Warum?“

„Weil es draußen regnet!“

„Und wo?“

„Im Fernsehapparat!“

„Nicht in London?“

„Mensch Mahler, Sie sind ja heute, man wagt es kaum auszusprechen!“

„Das Wässerchen trägt die Verantwortung!“

„Schön, wie Sie das Wort Schuld umschifften. Essen Sie die Gurken!“

„Mir ist noch schlecht von den Blaubeeren.“

(Schmatzen. Schlürfen. Draußen Regen.

Deutscher Sender siegessicher.

Gurken weg und auch die Würste.

Schadenfroh? Quatsch! Nur Gekicher!)

„Ha! Der Pole hat es gemacht!“

„Budnikowski, Ihre Freude, herkunftsbedingt zwar, aber ich teile Sie im vollen Umfang. Auch wenn es nur ein Zentimeter war.“

„Das tut uns gut.“

„Warum?“

„Doitschland entdeckt gerade den Löw in sich und gefällt sich als der Eigentliche.“

„Wie bitte?“

„Als der eigentliche Sieger. Immer. Hömma, iss ja immer nur ein Zentimeter oder der Pfosten oder ein Maulwurfhügel oder der böse Kampfrichter und wir können uns auch kein EPO mehr kaufen, weil die Griechen unser Geld haben und die Kasachen unsere alten Telekom – Aktien.“

„Irgendwie wie früher! Den Doitschen besiegt nur die eigene Zielvorgabe! Auf nach Moskau!“

„Aber jetzt so ganz anders, mit Beachvolleyballermännern, Freunden an der Fahne, die wimpelsimpeln – huch mein Freund ist Glatzenträger – ein einig Volk angeblich sowieso und voll und ganz schon integriert.“

„Wer?“

„Das frag ich mich auch!“

„Aber wir singen jetzt nicht, Budnikowski?“

„Wir haben ja schon eine Fahne, Mahler.“

„Wohin morgen?“

„Erstmal aufwachen ohne Schmerzen!“

„Und wenn in London alles vorbei ist?“

„Spielen THE WHO.

„In Berlin wäre es dann Nena? Oder der doitsche Österreicher Udo J.?”

„Man mag nicht drüber nachdenken! Mehr Wodka!“

„Ich mach mit, Budnikowski!“

„Die Gurken nicht vergessen, Mahler!“

(Über den ungewollten Witz lachen und trinken sich die Herren Mahler und von Lippstadt – Budnikowski in einen vollmondigen Schlaf.)

pol16

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 6

Sonntag, 19. August 2012 15:40

pol13

„Wo sind die Beeren hin?“

„Aber Sie sitzen doch neben mir! Geh bitte, Herr Mahler!“

„Depp! Ich bin doch kein Hörbuch!“

„Dann schreiben Sie es halt hin und Ruhe ist!“

„Potzrembel, wir sind zu spät! Alle Blaubären sind abgeerntet!“

„Aber Sie sitzen doch neben mir! Geh bitte, Herr Mahler!“

„Budnikowski, ein Bär, der nach Beeren sucht und diese nicht findet, ist nicht nur verwirrt, sondern auch schlecht gelaunt! Machen Sie mir daraus keinen Vorwurf!“

„Karotten gibt es ja nicht hier im schwülwarmen, mückenverseuchten und herrlich grünen Nationalparkwald. Versetzen Sie sich bitte mal kurz und knackig in das Herz eines Vegetariers, der durch Polen reist.“

„Die Brigitte – Diät wurde hier gewiß nicht erfunden.“

„Vielleicht sollten wir wieder hinab in den Badeort. Ihr Magen rasselt dermaßen laut, daß sogar die hier lebenden Wisente die Flucht ergriffen haben.“

(Eine Wanderstunde später.)

„Heureka. Da sind sie ja!“

„Allen Bärengöttern sei gedankt!“

„Budnikowski?“

„Ja, bitte?“

„Das ist sehr angenehm mit Ihnen!“

„Was?“

„Alles!“

„Mahler, Bester, essen Sie einfach weiter. Ich besorge ein ‚Wässerchen’ und Gurken.“

„Sehr gute Idee! Dziekuje serdecznie!“

pol14

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 5

Samstag, 18. August 2012 16:34

pol11

„Und wir meinen das jetzt ernst?“

„Tja!“

„Mahler, wir zwei in einem Strandkorb?“

„Und schon einen ganzen Tag Nutzung im Voraus bezahlt! Ein preiswertes Land!“

„Aber leer und einsames Badevergnügen wären etwas anderes!“

„Budnikowski, wir schauen uns das jetzt mal an!“

„Sprach der ehemals Solitärbär.“

(Zwei Stunden später.)

„Geht doch!“

„Erstaunlicherweise, Mahler!“

„Es wuselt, läßt aber den Blutdruck nicht steigen.“

„Ich gebe Ihnen recht. Sehen Sie Gründe?“

“Zwei Saubusch noch!”

“Bitte polnisch!”

„Zwei Zywiec noch und schauen wir weiter.“

„Na zdrowie!“

(Vier Stunden später.)

„Die Kinder sind es!“

„Wie, Budnikowski?“

„Deshalb ist es so ruhig!“

„Erklären Sie!“

„Die Kinder spielen mit Kindern, die Erwachsenen trinken Bier oder schwimmen, öffentliche Erziehung findet kaum statt und im Notfall greift die mitgereiste Oma ein!“

„La Familia oder die Spurenelemente eines fröhlich gelebten Katholizismus?“

„Man scheint nicht ganz so allein! Aber dafür erziehend!“

„Alleinerziehend! Welch absurdes Unwort! Tatsächlich! Man denkt über Begriffe nach.“

„Das wäre im besten Fall der Urlaubssinn. Und: mir ist gerade zeitreisend zu Mute, Mahler! Neunzehnhundertneunundsiebzig etwa!“

„Budnikowski, die jodhaltige Luft küßt Ihre Synapsen!“

„Vielleicht ist es auch der gelbe Saft!“

„Der ist köstlich!“

(Sechs Stunden später.)

„Ich habe Hunger!“

„Ich auch!“

„Gehen wir in den Wald!“

„Mahler, Sie weisen den Weg!“

„Dobrze!“

pol12

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 4

Freitag, 17. August 2012 19:50

pol09

„Wohin fahren wir, Mahler?“

„Nach Mitschißtreue!“

„Wie bitte? Mit Schiß Treue?“

„Nein nach Dings, germanisch wäre es Misdroy, das ist einfach, aber gehört sich nicht, wenn man ein Gast ist. Und glauben Sie mir, der Pole weiß, was es heißt, unliebsamen Besuch in seiner Bude sitzen zu haben. Wir fahren nach…ähem. Prosze! Hilfe!“

„Probleme mit der Aussprache?“

„Lippstadt – Budnikowski, ich schreib es mal hin, bevor meine Zunge einen Bandscheibenvorfall erleidet.“

(Der Bär schreibt auf einen Bierdeckel den anvisierten Zielort: Miedzyzdroje. Der Hase liest.)

„Potzrembel, wie Sie gerne sagen, Mahler. Fahren wir einfach hin nach M – Punkt.“

„Genau!“

„Die Ostsee wackelt recht dezent!“

„Das regt an. Man ist versucht zu reimen!“

„Nicht nur Sie, Mahler. Ich las gestern.“

„Ach!“

Gregor Sander! Die Ostsee ist ein anregendes Gewässer! Das las ich:

Das Fischland ist das schönste Land in der Welt. Das sage ich, die ich aufgewachsen bin an einer nördlichen Küste der Ostsee, wo anders. Wer ganz oben auf dem Fischland gestanden hat, kennt die Farbe des Boddens und die Farbe des Meeres, beide jeden Tag sich nicht gleich und untereinander nicht. Der Wind springt das Hohe Ufer an und streift beständig über das Land. Der Wind bringt den Geruch des Meeres überallhin. Da habe ich die Sonne vor mir untergehen sehen, oft, und erinnere mich an drei Male, zwar unbeholfen an das letzte. Jetzt sackt das schmutzige Gold gleich ab in den Hudson.

Schön, gell! Wie hier.“

„Das ist das Vorwort. Jahrestage. Uwe Johnson.

„Weiß ich wohl, Mahler.“

„Nur wegen der Präzision.“

„Zügel er sich, Bär! Iss Urlaub, hömma! Es geht doch darum: Das Licht der letzten zehn Minuten ist dahin und das Licht von jetzt wird gleich ein anderes gewesen sein.“

„Genehmigt. Gleich legen wir an. Weia, sehen Sie die Menschenmassen dort, Budnikowski?“

„Man badet offensichtlich im größeren Familienverband!“

„Fahren wir wieder zurück?“

„Nichts da, Mahler. Von Bord!“

„Hiermit nehme ich Abstand von meinem Dasein als Solitär!“

„Nichts ist endgültig!“

pol10

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 3

Donnerstag, 16. August 2012 17:07

pol07

„Wie ist es so drüben in Doitschland, Budnikowski?“

„Hektisch, Mahler! Hektisch! Als hätte man schon wieder verloren! Irgendwas verloren. Und bei Ihnen da drüben, beim Nachbarn?“

„Nachdenklich, Budnikowski, nachdenklich. Vermutlich hat man etwas gewonnen!“

„Das müssen Sie mir erklären! Zollfrei selbstredend!“

„Sie sind in Doitschland und wollen zuhören?“

„Mahler, ich werde es versuchen!“

„Nun denn. Vor kürzester Zeit noch wurde hier, wo wir sitzen, die nächtliche Ostsee von Flutscheinwerfern erhellt, Kanonenboote patrouillierten, jede Luftmatratze war ein potentielles Fluchtfahrzeug und hinter uns, da wo dieser unschuldige Holzsteg in den unschuldigen Sand gelegt wurde, schulterte man Kalaschnikows und Schäferhunde zerkläfften hysterisch die windige Luft. Und jetzt sitzen wir hier und scherzen und vor uns latschen sie barfuß von Ost nach West oder von West nach Ost, keiner muß sich ausweisen und befummeln lassen und nur ab und an setzt sich ein älterer Mensch auf den Holzsteg hinter uns und wenn Du willst, kannst Du in seinen Augen sehen, wohin seine Gedanken reisen.“

„In ein Gestern, das gar nicht fern?“

„Genau. Mich berührt das. Immer wieder.“

„Glauben Sie, daß es sich hier drüben in Doitschland bei der Dankbarkeit um eine sich im Aussterben befindliche Tugend handelt?“

„Man möchte es manchmal befürchten, Budnikowski!“

„Zielvorgabe, Rettungsschirm, Bierhoff, Zarenhof, Kandidatenkür, Mentalpampers?“

„Eine sehr beliebige Zusammenstellung, aber Zusammenhänge mag es geben. Kennen Sie Wolfgang Hilbig?“

„Nein!“

„Ein deutscher Dichter.”

„Mahler, was zeichnete ihn aus?“

„Einmal verbrannte er alle seine Texte – Gott sei Dank fand man Abschriften – und auch sonst wurde er zu seinen Lebzeiten nicht wirklich mit Anerkennung überhäuft.“

„DDR?“

„Auch ein nicht unwesentlicher Teil von Doitschland. Aber er ging fort.“

„Wollen Sie etwas rezitieren?“

„Aus dem Jahre 1965. Bitte:

>nach dem zweiten / krieg<

nach dem zweiten

krieg vergaß man beim aufräumen

einige vokabeln

aus der welt zu schaffen

noch immer nicht

sind aus der deutschen sprache verbannt

wörter wie

unverbrüchlich

unzertrennlich

uneinnehmbar

unbesiegbar.

rundfunk und presse. ach arme

beine zu allengutendingen- “

„Die Grenze ist weg! Oder?“

„Die Sichtbare! Es bleibt ein Nachhall!“

„Immer?“

„Immer! Gott sei Dank!“

„Sonst wird man faul im Kopf! Gell! (längere Pause) Mahler?“

„Ja, Herr von Lippstadt – Budnikowski?“

„Wollen wir Schiff fahren?“

pol08

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 2

Mittwoch, 15. August 2012 20:13

pol05

„Mahler, sind wir jetzt eigentlich schon in Polen?“

„Sie schon, bester Budnikowski, ich dagegen weile noch in doitschen Landen.“

„Wie kommt`s?“

„Der rostige Pfahl ist es, der uns trennt!“

„Aber ich könnte Ihnen Ihr Fell kraulen und müßte nicht einmal meinen Personalausweis herzeigen!“

„Das lassen Sie mal schön bleiben!“

„Den Personalausweis zeigen?“

„Beides, Herr von Lippstadt – Budnikowski! Beides!“

„Geschengt!“

„Genau! Der rostige Pfahl ist ein letzter Rest von Abgrenzung. Ein Glück, das eigentlich immer noch nicht zu fassen ist.“

„Und diese Holzpfähle vor unseren windbeblasenen Nasen, da, die da unten im Sand? Hatte man da einstens Maschendraht dran genagelt?“

„So war das wohl. Und einiges mehr.“

„Aber wo ist denn jetzt die Grenze?“

„Blicken Sie hinter sich!“

„Metaphorisch oder körperlich?“

„Erst mal einfach nur umdrehen! Den Rest erledigen wir morgen. Jetzt lassen Sie mich vorbei, ich will nach Polen.“

„Trifft sich gut, ich muß noch mal nach Germanien. Hab was vergessen.“

„Was denn?“

„Miesepetrigkeit und Medaillenspiegel vor dem Grenzübertritt niederzulegen!“

„Sehr weise!“

„Mahler, der Wind hat schon wieder die Richtung gewechselt!“

„Auch bei Ihnen da drüben in Doitschland?“

„Sie werden es nicht glauben: ja!“

„Man kann es also spüren? Auch da drüben?“

„Wenn man es will!“

„Schauen wir auf die Ostsee, Budnikowski!“

„Schauen wir auf die Ostsee, Mahler!“

pol06

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth