Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Acht

engel17

…..

Auf einer Bank sinnend keine voreiligen Schlüsse

…..

Beginnen wir heute mit einem Kalenderspruch: „Die Orientierung verlieren, heißt ankommen!“ Vielleicht ist dieser Spruch einfach oberflächlich und dämlich, wie etliche jener in den letzten Jahren zu Büchern – schlimmer noch: Ratgebern – aufgequollenen Kalendersprüche, welche die Sachbuchhitlisten dummbatzig verstopfen. Eventuell aber lauert hinter den Worten ein weiterführender Gedanke. Doch dies ist aber hier im Wald – genauer am Rand des endlich durchquerten Forst – nicht die Frage. Archibald Mahler saß auf dieser Bank, von der man von einer kleinen Anhöhe aus das Kloster Engelthal überblicken konnte. Er war erleichtert, rechtschaffen müde, aber gewillt auf dem Wegeplan, den ihnen am Morgen eine der freundlichen Schwestern mitgegeben hatte, nachzuvollziehen, wo und wie sie denn in den letzten sechs Stunden gegangen waren. Es war nicht wirklich festzustellen, stellte man fest, da die auf der Karte eingezeichneten Pfade teils einfach nicht begehbar waren, der Ehrenwerte Ernst Albert also abkürzte, kreuz lief, quer stolperte gelegentlich, der richtigen Himmelsrichtung stets gewahr, sich so mancher Abhang, jäher Grund oder überschwemmte Wiese in den Weg stellte, mühselig war es, aber den Trapper und Pfadfinder in ihm wachhaltend. Jedoch als der Himmel sich zusehends verfinsterte und im dichten Wald die letzten Reste des Tageslichts dahinschwanden, befiel den Wanderbeutelträger, und dies geschieht eher selten, ein Gefühl tiefer Verunsicherung, reden wir von Angst. Und hier schweigen wir von Talenten, Fähigkeiten, gegeben oder erworben, auf die man gerne stolz, manchmal sogar eitel damit prahlt. Ein längeres Innehalten, eine Bitte und so saß der Ernst Albert nun ebenso auf jener Bank, erleichtert und seltsam dankbar. Dem, da die Veperglocke erst in einer Stunde läuten würde, galt es nachzuspüren.

Archibald Mahler steckte noch die Predigt des Lenz in den Knochen und Hirnwindungen, das Erschrecken über die Unbedingtheit, den Wahn, die Ausweglosigkeit, den Fanatismus des getriebenen Poeten. Er dachte, daß vielleicht ein Fanatismus des Antifanatismus ein probates Gegenmittel und seelenberuhigend sein könnte. Und vielleicht sollte man die Demutsleiter nicht in einem solchen Affenzahn erklimmen. Gewiß, es ist gut und richtig sich zum Dienen rufen zu lassen, einem Dienen, welches einem Gegenüber gilt und nicht den eigenen alten Wunden, den tatsächlich oder eingebildet erlittenen Verletzungen und den daraus seltsamerweise abgeleiteten Ansprüche an die Welt. Ja zu Discretio, Stabilitas und Oboedientia, aber mit ABER. Der Bär dachte an Erzählungen seiner Vorfahren aus dem fernen Wyoming oder dem wilden Kamschatka, da die dortigen Ureinwohner den Bison, den Wapiti, den Biber und den Bär, den sie um zu überleben töten mußten, um Verzeihung baten und nach der Jagd ihren Göttern Opfer des Dankes brachten. Ein Art archaischer, dem „modernen“ Aufrechtgeher vollkommen fremder Gehorsam gegenüber bewährten, freundlichen und lebenserhaltenden Vereinbarungen, oft nur noch geringschätzig Regeln genannt. Es schadet nicht die Tatzen zu kreuzen vor dem Biß ins blutige Fleisch. Und dem Mahler auf der Bank über dem Kloster schwante, daß nichts schlimmer ist als die Trägheit des Ungehorsams, geboren aus der Sucht sich täglich selbst rühmen zu müssen und sogar in der Askese oder der Hingabe an die Fleischlosigkeit aller Art die Maßlosigkeit und Einzigartigkeit zu suchen. Ist es nicht ganz anders begibt man ernsthaft sich auf eine Suche? Bleibt man nicht, solange man unterwegs ist immer Anfänger, Lernender, Zweifler, Haderer, einer der sich der Anfechtung stellt? Ein Glauben ist wohl keine Christbaumkugel, kein Handel, kein Ablaß, sondern stets und immer wieder – und da stockte ihm der Atem – der große KONTROLLVERLUST, den es anzunehmen gilt. Weia! Fürchtet Euch nicht?

Die große innere Erregung des Bären war dem Ehrenwerten Ernst Albert („Warum eigentlich immer dieses Ehrenwert? Und auch noch groß geschrieben? Der Säzzer. „Davon später!“ sagt der Bär) nicht verborgen geblieben. Behutsam packte er den kleinen Genossen und setzte in in seine Jackentasche, da der Wanderbeutel nach Käsebrötcheneinpackpapier müffelte und einem hadernden Pilger auch ein etwas persönlicherer Transport zusteht.

„Herr Ernst Albert?“

„Ja?“

„Glauben Sie, daß wir manchmal, das was wir tun, gar nicht selber tun?“

„Du meinst, es gibt etwas, was uns ab und an lenkt und führt?“

„So ähnlich hätte ich es fragen wollen!“

„Ich weiß es nicht, möglich.“

„Also mich würde das nicht stören!“

Die Vesperglocke rief und es begann zu schütten, aber richtig.

…..

engel18

Tags »

Autor: Christian Lugerth
Datum: Freitag, 27. März 2020 14:09
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: Vorletzte Fragen

Feed zum Beitrag: RSS 2.0 Kommentare und Pings geschlossen.

Keine weiteren Kommentare möglich.