Vor dem Winter ein Endspiel auf der Heizung II
Sonntag, 15. November 2015 17:31
Der Tag hält sich in Grautönen. Glocken läuten. Vor dem Fenster pickt eine Amsel nach Wacholderbeeren. Dann fällt sie tot vom Baum. Der Hase.
Fühlst Du Dich in Deinem normalen Zustand?
Ich sagte doch, daß ich mich nicht beklage.
Ich fühle mich etwas komisch.
Keiner hat Dich gezwungen.
Es kann zu Ende gehen. Pause. Das ganze Leben dieselben Fragen, dieselben Antworten.
Wir werden uns erheben müssen. Wir könnten wieder von Zwieback leben. Anderthalb Zwieback pro Tag werden reichen. Pause. Ich werde nicht gehen können. Der Bär seufzt leise, kratzt sich am Rücken. Der Hase reckt den Kopf nach oben, spricht.
Haben wir schon Licht? Schaut nach links. Gleich springt der Kühlschrank an. Schaut nach rechts. Er wird leiser sein als letzten Sommer. Schaut nach oben. Ah. Schaut nach unten. Er beginnt zu zittern. Wirst Du mich verlassen?
Der Zwieback hat keine Beine.
Früher mochtest Du mich.
Früher.
Ah. Immerhin. Pause. Der Bär erhebt sich. Klettert von der Heizung. Durchschreitet einmal den Raum. An der gegenüberliegenden Wand bleibt er stehen und lehnt sich mit Stirn und Tatze an die Wand. Der Hase schrill.
Wo bist Du?
Hier.
Warum tötest Du mich nicht?
Ich weiß nicht, wie die Zwiebackdose zu öffnen ist. Pause. Vernehmbarer Atem. Drei Sekunden lang. Dann Stille. Später. Der Weg ist mir zu weit. Wir werden Fahrräder holen müssen. Oder Pferde. Pause. In der Küche lauert der Tod. Verfluchte Erzeuger. Keine Haltung. Keine Moral. Fressen. Fressen. Sie denken nur ans Fressen.
Ich will meine Karotte. Pause. Schrill. Wo ist der Brei? Schriller. Ich will meine Karotte als Brei. Pause. Es ist sinnlos.
Es gibt keine Natur mehr. Die Felder sind Sümpfe geworden. Plastikbeutel wehen in die Drahtzäune. Die Natur wird uns vergessen.
Du übertreibst. Wir atmen doch, wir verändern uns! Wir verlieren täglich Haare, Zähne, Zuversicht, unsere Frische, unseren Anstand, unsere Ideale. Der Bär schlägt seinen Schädel sanft gegen die Wand. Es klingelt an der Haustür. Schrecken. Der Bär dreht den Kopf.
Niemand auf der Welt hat je so verdreht gedacht wie wir.
Man tut was man kann.
Man hat Unrecht.
Du hältst Dich für gescheit, nicht?
Gescheitert! Der Bär horcht auf. Das Klingeln erlischt. Der Bär bläht seine Nüstern. Seufzt wieder. Als sei es die Welt!
Ja. Als sei es die Welt. Pause. Im Treppenhaus fällt die Türe ins Schloß.
Thema: Endspiel | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth