Warum heute ein guter Tag ist oder R.Z. wird 69
Montag, 24. Mai 2010 0:44
Archibald erinnert sich. Er lag auf der Strasse. Er war zwei Teile. Ernst Albert hob ihn auf, trug ihn fort, setzte ihn neben sein Bett. Das abbe Bein lag ihn Nähe des Rumpfes. Eine Ahnung von Gesundung am Horizont. Zweifel jedoch auch, denn gerettet zwar, aber nicht gesundet. Das erste, was er vernahm in der neuen Heimstatt war die Stimme. Die Stimme, die man nicht vergißt. Die Stimme, die fröhliche Runden spaltet. Die Stimme, die vereinnahmt wird, zerlegt, belastet, aufgeblasen mit Bedeutung. Das weiß der Bär nicht. Er hört und sonst nichts. Was er hört? Er hört einen aufrechten Aufrechtgeher, der singt, dichtet, Mundharmonika bläst, die Gitarren schlägt. Mehr nicht. Nicht weniger. Vierhundert Lieder. Fast alle hat Archibald schon vernommen. Hat Herr Ernst Albert denn keine anderen Platten? Gewiß. Und? Dann wieder die Stimme. Vierhundert Lieder, die vierhundert Geschichten erzählen und letztlich nur die Eine. Leben. Einatmen. Ausatmen. Gott. Fertig. Der Sänger. Er nennt sich anders, als er heißt. Er ist nicht da. Er ist woanders. Er ist da, wenn man ihn braucht. Er ist verschwunden, wenn man ihn ans Kreuz nageln will. Er ist viele. Er ist keiner. Er ist normal. Er ist kein Genie. Er tröstet. Archibald hat sich an ihn gewöhnt. An die Stimme, die über seinen Pelz rumpelt und knarrt und näselt. Gewöhnt? Mehr. Viel mehr. Die Stimme redet und redet, aber sie quatscht nicht. Die Stimme kann man lesen. Die Stimme muß man lesen. Kaum einer tut das. Andere machen daraus die Bibel. Sollen sie. Archibald riecht gerne die Strassen und die Kaschemmen und die Frauen und die Friedhöfe und die Lügen und die Rügen und die Versprechen und die Versprecher und die leeren Tanks und die vollen Herzen und die zerbrochenen Spiegel und die geflickten Träume, die aus den Gesängen in seine Höhle tröpfeln. Die Welt hörend schauen. Archibald mag es, wenn Ernst Albert seinem Meisterlein huldigt und dessen Lieder auf seinen Gitarren schrammelt und keine Rücksicht nimmt auf Formen, Farben, Vereinbartes und Noten. Der Meister selbst nimmt keine Rücksicht auf sein eigenes Werk. So ehrt er es und hält es am Leben. Man beschwert sich darüber. Es sind seine Lieder. Archibald hat die Vermutung, daß die Stimme begeistert Welt schaut. Die Welt verursacht der Stimme Schmerzen. Davon ist zu berichten. Von der Freude auch. Die Stimme stiehlt. Und verkauft. Was ich sehe und höre, ist mein. Nimm es. Es gehört Dir. Manchmal bin ich der Weihnachtsmann. Die Aufrechtgeher, die Bescheid wissen, sagen: er kann nicht singen. Die Aufrechtgeher, die Bescheid wissen, sagen: er kann nicht Gitarre spielen. Die Aufrechtgeher, die Bescheid wissen, sagen: er kann nicht Mundharmonika spielen. Selbstverständlich haben sie recht. Sie können es ja. Besser! Freeze? Die Aufrechtgeher, die Bescheid wissen, kennen seine Texte nicht, aber zwei seiner Lieder. In den Wind geblasen. Rollende Steine. Aber bitte wenn, dann die eine Fassung. Welche? Müßig diese Diskussionen. Archibald verbindet die Stimme immer mit: das Bein ist wieder dran. Aber ab war es auch. Und das ist gut so! Herzlichen Glückwunsch, lieber Robert Zimmermann. Und vielen Dank! Für alles! Sagt Ernst Albert. Archibald schließt sich an.
Thema: Robert Zimmermann | Kommentare (6) | Autor: Christian Lugerth