Beiträge vom 26. Februar 2010

Herr Kotzwinkle schrieb: “Der Bär lief über den Berg und schaute, was es zu sehen gab…”

Freitag, 26. Februar 2010 11:58

vorne_1“Bärenviech!” Ab und an ließ Ernst Alberts Ausdrucksweise zu wünschen übrig. Dies zumindest fand Archibald. “Bärenviech?” Nun gut, man hätte meinen können, Archibald als Vertreter einer Gattung, die sich gerne mal mit Aas den Magen füllt und dann, um als Dessert ein paar Löffelchen Honig zu genießen, einen kompletten Bienenstock samt Bienenhaus in alle Einzelteile zerlegt und bei Bedarf den dazugehörigen Imker auf den nächsten Baum jagt, könne eine etwas rauhere Ausdrucksweise locker wegstecken. Prinzipiell schon. Heute jedoch nicht, denn Archibald durchströmten Zerbrechlichkeit und Hypersensitivität. Und an solch einem Tag beschlich Archibald das untrügliche Gefühl sehr, sehr einsam zu sein auf diesem Planeten voller Trampel, Rohlingen und Ignoranten. Dazu gesellte sich, daß das seit Tagen herrschende feuchtmilde Wetter die Anoperationsnarbe an seinem rechten Bein pochen und schmerzen ließ. Das machte ihn zusätzlich unleidig. Und nun auch noch Herr Ernst Albert.

Herr Ernst Albert wiederum, anstatt Buße zu tun für die unflätige Äußerung in Bezug auf seinen Lieblingsbären, lag auf dem roten Sofa und lachte. Archibald versuchte dies alles nicht persönlich zu nehmen, blickte konzentriert aus dem Fenster und entdeckte im Garten der Nachbarn die ersten Schneeglöckchen. Klein, scheu und weiß. Ein weiterer Beweis für seine Sensitivität, fand Archibald. Ernst Albert kicherte und gluckste ohne Unterlaß. Schuld daran war ein Buch. Ab und zu las er Eva Pelagia, die durch die Wohnung stürmte und das, was sie gestern nach links geräumt hatte, heute wieder nach rechts legte, daraus vor. Archibald, der auch als Bär, wenn er will, durchaus multitaskingfähig ist, also über Schneeglöckchen meditieren und gleichzeitig das Geschehen im Nebenraum überwachen kann, vernahm also, daß sich Ernst Albert wohl königlich über einen Bären amüsierte von dem das Buch, welches er las, erzählte. Es gab da viel Sex, das Fangen von Lachsen und das Verspeisen von Torten kamen auch nicht zu kurz und der Bär, der die Hauptrolle in der Geschichte spielte, mußte wohl ein symphatischer und sehr lustiger Geselle sein. “Auch das noch. Man lacht sich schlapp über einen anderen Bären. Na danke!” Archibald brummte zornig in sich hinein. Doch er bemerkte auch, wie  aufkommende Neugier die bohrende Eifersucht in seinem Bärenherzen besiegte. Der Sache mußte er auf den Grund gehen.

Wenig später vernahm Archibald, daß Ernst Albert auf seinem roten Sofa über der Lektüre eingeschlafen war. Sein gleichmäßiges Röcheln hätte einem ausgewachsenen Kodiakbären im tiefsten Winterschlaf zur Ehre gereicht. Eva Pelagia war unterwegs. Sie hatte beschlossen nicht nur die Wohnhöhle neu zu gestalten, sondern auch sich selbst und hatte einen Termin beim Friseur. Archibald faßte einen Entschluß. “Jetzt oder nie.” Vorsichtig,  denn das rechte Bein schmerzte – heute würde er im übrigen kein Wort mehr über diese Anoperation fallen lassen, das nur nebenbei – ließ er sich von seiner Fensterbank gleiten und machte sich auf in Richtung rotes Sofa. “Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für Archibald.”, dachte der Bär. Er hielt inne. “Den Satz muß ich mir merken. Man weiß ja nie.”

Thema: Anregende Buchstaben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth