Beitrags-Archiv für die Kategory 'Draußen vor der Tür'

NAH DEM SPIEGEL, FERN DEM GESICHT!

Freitag, 8. April 2011 16:45

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Und wenn alles ganz anders ist? Das denkt der Bär und verabschiedet sich im selben Moment von dem Gedanken, jemals in seinem Leben zum Beispiel Flugzeuge entwerfen oder bauen zu wollen. Bei seiner manischen Bedenkerei würden die wahrscheinlich gleichzeitig vorwärts und rückwärts fliegen, Gurken hobeln, Kaffee zubereiten, Strümpfe stopfen und Kurznachrichten versenden können. Warum eigentlich nicht? Gedanken können das ja auch. Egal! Zurück zum Thema. Was war das Thema? Nähe und Ferne und ein Problem. Genau! In der Ferne geschieht etwas. Etwas Fürchterliches. Etwas Bedrohliches. Da will man hingucken. Will etwas verstehen, falls man nicht zur Gattung derjenigen gehört, die ohne den wohligen Schauer der täglichen Katastrophe gar nicht mehr leben können. Ok, also hingucken. Aber warum sehe ich nichts, da hinten? Ach so. Da steht ein Spiegel vor meiner Nase. Ei gucke mal, wie traurig ich schaue! Ei sieh, wie ich beeindruckt bin! Ach all dieses Leiden! Schau doch! Und wohin mit dem Blick? Wohin? Sieh mich an! Gut! Eine Frage nur. Wem gehört eigentlich dieses Gesicht? Mir? Pustekuchen und Potzrembel die Waldfee, dreimal nein! NEIN! NEIN! UND NEIN! Die Götter haben Dir ein Gesicht verliehen, auf daß Dich der Andere vom wieder Anderen und dem ganz Anderen unterscheiden kann. Und Du, mein Herr? Spieglein, Spieglein an der Wand, wer fühlt am feinsten im reichen Land? Ach und ach! Drück Dir meinethalben einen Pickel aus, dann verhänge den Spiegel oder stell ihn zur Seite. Breche durch! Da hinterm Spiegel die Ferne! Da geschieht etwas! Das denkt der Bär. Und wenn Bären über Aufrechtgeher nachdenken, denken sie auch noch nach über sich. Erhobenen Haupts und mit juckendem Pöter. Heureka! Und dann fällt dem Bären dies ein:

Er möchte wandern.

Zwischen ihm und dem Spiegel,

unendliche Rast.


Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

NAHT AUF DEM HERZ UND FERNER ROCK

Freitag, 8. April 2011 6:13

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Denken kann auch schon mal traurig machen. An Fernes denken. Über Fernes denken. Schweifen wollen. Nicht näher kommen. Kreiseln. In, um und um das Problem herum. Und dann? Das Denken wird blau und hängt sich auf im Kreis. Und dann? Dann macht man sich ein Lied. Oder ein anderer macht sich darauf einen Reim. Und ein Lied. Und manchmal ist das Lied so traurig, daß es schon wieder heiter ist. Und falls ein Herz sich mal wieder in mehrere Teile aufteilen möchte, ein trauriges Lied kann einiges wieder zusammennähen. Wie ein abbes Bein wieder an einen traumatisierten Bär dran. Zum Beispiel. Wenn man ordentlich zuhört natürlich nur. Denkt sich der Bär. Immerhin ist Lenz und da kann man mal ein oder zwei Sekündchen sentimental werden? Einwände? Gut! Nicht nur Aufrechtgeher haben Wünsche. Auch Archibald Mahler im Alpinarium eines Botanischen Gartens zu Mittelhessen. Er weiß zwar nicht so genau, was genau und warum er sich etwas wünschen solle, denn die Sonne scheint, der Pöter ist warm und es riecht nach frischem Grün in mannigfacher Variation. Doch wenn Herr Robert Zimmermann dieses Lied in weiter, sehr weiter Ferne singt, dann ist dem Bären wohltuend traurig um den Bauch. Da fällt ihm ein, daß er auch sonst noch Hunger hat. Ganz viele verschiedene Hungers. Und möchte sich am liebsten ein Schiff, ein Pferd oder ein Motorrad kaufen und einfach losfliegen. Woher der Bär weiß, daß Herr Zimmermann das erste Mal in dieser fernen, fernen Stadt, wo immer der legendäre Sack Reis umfällt, singt? Weil er es weiß. Also hört er das Lied. Das traurige, das blaue Lied. „Ich mag ihn, den Herrn Zimmermann.“ Denkt sich der Bär. Und dann fällt dem Bären dies ein:

Da hinten. Ein Lied.

Ganz weit dort hinten. Ein Lied.

Ich höre das Lied.


Thema: Draußen vor der Tür, Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

DAS NAHE HEMD UND DER FERNE ROCK

Donnerstag, 7. April 2011 14:56

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Heute spürt der nachsinnende Bär einen Hauch von Mitleid in sich wachsen. Mitleid mit dem Gemeinen Aufrechtgeher. Warum? Der hat kein Fell, der hat nur seine Haut. Und diese Haut ist verdammt dünn. Und je weißer und reicher diese Haut, um so dünner umspannt sie die Innereien. Da friert es sich leicht. Da wird gebibbert. Kälte. Angst. Langeweile. Da muß ein Hemd her. Eine Jacke. Ein Mantel. Einer? Viele, viele und noch viel mehr. Farben. Stoffe. Für morgens. Für abends und nur für den Schrank. Fürs eigene und das fremde Auge. Das Fell eines Bären reicht ein langes Leben lang. Wenn ein Artgenosse sich in seinem Fell verbeißt: ein paar Narben, der Rest wächst nach. Eine Farbe. Eine Farbe nur ein langes Leben lang. Dafür ist man Bär. Hat man jemals einen Bären gesehen, der sich Strähnchen? Also bitte! Das denkt der Bär. Aufrechtgeher, hat der Bär aufgeschnappt, behaupten nun aber, daß das Hemd ihnen näher sei als der Rock. Jener Rock womit man früher das bezeichnete, was heute eine Jacke oder eine Art Mantel wäre. Das irritiert den Bären. Ein Hemd wärmt mehr als ein Rock, in welchem sogar manchmal das Fell eines Bären verarbeitet wurde? Seltsame Zweibeinerlogik. Aber warum dann der Gedanke? Der Bär kratzt sich den Pöter. Ah! Fell! Sehr gut! Zwar schon ein wenig fadenscheinig vom vielen Sitzen auf Felsblöcken, Pollern, Baumstämmen und Stegen. Aber wo es sich gut denkt, muß der Arsch dran glauben. Oder so ähnlich. Weiterdenken! Vielleicht ist das so: Nur mit dem Hemd auf der Haut ist dem Aufrechtgeher meist kalt. Aber ein Hemd kostet nicht soviel wie ein Rock. Und irgendwo in der Ferne machen sie Röcke, viele Röcke, bunte Röcke, billige Röcke. Röcke, die billig sind, obwohl in ihnen manchmal das Fell eines Bären verarbeitet wurde. Und so etwas würde ein Aufrechtgeher mit weißer und reicher Haut niemals tun. Ist der süüüß! Nun gut, wenn da irgendwo in der Ferne jemand auf die Idee kommt und wir gerade frieren. So weit, so Knut! Die ideale weiße Weste! Und man auch noch ein bißchen Strom braucht? In der Ferne wird so manches gut, was einen zu Hause in Angst und Schrecken versetzt. Seltsame Aufrechtgehergeschäfte. Was man so denkt, wenn die Sonne scheint. Aber schön ist es hier. Grüner wird es, von Tag zu Tag. Machen wir eine kleines Denkmoratorium. Auf dem Hügel, den wir bewohnen. Denkt sich der Bär. Und dann fällt dem Bären dies ein:

Meine Haut. Meine!

Ich verkaufe die Wolle.

Nimm! Bezahle! Geh!


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BLEIBE MIR FERN, ICH KOMME DIR NAH!

Dienstag, 5. April 2011 18:05

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Das Ferne nähert sich. Tut es dies wirklich? Oder ist es nicht vielleicht andersrum? Man rast auf das Ferne zu, es zu verschlingen, zu erdrücken, sich einzuverleiben. Der gewaltige und ferne Schmerz ruht so in den eigenen Eingeweiden. Sicher! Sicher? Man weint und greint. Um wen? Köpfe rollen. Wehe, wer nicht rechtzeitig auf den Zug gesprungen, der vor ein paar Wochen zur Fahrt angesetzt hat. Unvermutet! Unvermutet? Und der Bär denkt darüber nach, ob es so sinnvoll ist den Verstand, den man vor Abfahrt des Zuges meist unbenutzt im Schrank liegen hatte, nun sofort wieder an der Garderobe abzugeben. Die zuckersüßen Tränen. Die Zeitenwende. Die Wände zwischen den Zeiten. Was vorgestern war, habe ich schon vergessen. Auf die Säcke wird eingedroschen, die Esel traben ruhig weiter. Kollektive Amnesie. Triumphgeschrei. Keine Gebete. Keine Rückzugsmöglichkeiten. Die Abschaffung der Nacht. Die Städte der Aufrechtgeher bleiben hell erleuchtet. Heller noch glänzt aber sie, die neu entdeckte, die schaumgeborene, die Moral. Der Bär drückt ganz fest seine Augen zu. Bei soviel Glanz und Wissenwissen fällt es schwer sich auf das Denken zu konzentrieren. Mehr Dunkelheit! Und wenn man der Ferne wenigstens ein bißchen ihres Schmerzes, ihrer Verzweiflung und ihrer Trauer ließe? Wessen Wunde ist es eigentlich die schmerzt? Das denkt der Bär in seinem Garten, in den er sich zurückgezogen, um sich einem Problem zu nähern. Oder kommt es auf ihn zu? Und dann fällt dem Bären dies ein:

Ein heller Morgen.

Eine Kerze brennt im Tempel.

Ein Windhauch. Dunkel.


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WIE WEIT IST WEG UND WANN IST NAH?

Montag, 4. April 2011 23:42

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Wo ist der Bär? Draußen ist der Bär. Was macht der Bär? Er denkt nach, der Bär. Über was denkt der Bär nach? Über die Sache mit der Entfernung denkt der Bär nach. Dinge geschehen weit weg. Weit weg heißt manchmal Kilometer, Seemeilen, andere Baustelle oder nur um die Ecke, aber nicht einsehbar. Man muß es nicht gesehen haben. Denken die Aufrechtgeher so? Um dann zu wissen? Früher sagten Lichtgestalten, daß wenn in Peking Fahrräder oder Säcke voller Reis umfallen, dies hier zu Lande niemanden störe, aufschrecke oder aus der Ruhe bringe. Heute ist das Gegenteil der Fall. Was hat sich verändert? Ist mehr umgefallen als ein Fahrrad oder ein Sack voller Reis? Wahrscheinlich. Viel fällt um. Dieser Tage fällt sehr viel um. Zuerst da hinten am anderen Ende der Welt und drei Sekunden später hier. Selbst in Mittelhessen. Archibald spürt das. Unruhe. Die Angst fliegt schneller als das Licht. Und als der Verstand. Die Angeln der Türen der Wahrnehmung knarzen laut und vernehmlich. Näher kommen. Archibald beschleicht das Gefühl, daß es nicht unklug ist, sich den fernen Sachen ein klein wenig langsamer zu nähern. Keine Hysterie, kein Snobismus, keine Sentimentalität. Archibald greift auf ein bewährtes Mittel zurück. Erste Zeile: fünf Silben. Zweite Zeile: sieben Silben. Wieder fünf Silben in der dritten Zeile. Das beruhigt. Ein Bär ist nicht so schnell wie der Gemeine Aufrechtgeher. Will es nicht sein. Ein Haiku macht Luft im Bärenkopp. Ein Problem rennt nicht weg. Es tut auch nicht so, als sei es gestern noch nicht da gewesen. Heute zu wissen, was gestern nicht bedacht wurde, ist nicht abendfüllend. Wie weit ist weg und wann ist nah? Und dann fällt dem Bären dies ein:

Ein Fahrrad fällt um.

Gestern keine Sonne. Schau!

Wellen! Hast Du Reis?


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WHY ARE THE LEAVES LEAVING AND WILL THEY EVER COME BACK?

Donnerstag, 7. Oktober 2010 19:06

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Dann war er wieder draußen. Außerhalb seiner selbst und doch mittendrin dabei in der Welt. Er schaute und sah dabei auch etwas. Die Blätter an den Bäumen im Hinterhof waren gelb und sie hatten kaum mehr Kraft sich an den Ästen zu halten. Der Wind spielte mit ihnen. „Na, krieg ich Dich?“ Können Blätter Angst vor dem Fallen haben? „Und tschüß!“ Kleine gelbe Choreographien zerschnitten taumelnd die spätsommerliche Luft. Es trudelte so vor sich hin. Archibald schaute und schaute und schaute und wurde traurig. Die schönen Blätter. So gelb, so rot und dann liegen sie auf der Erde und werden – Zackzack! – braun wie ein ungewaschener Bärenpöter. Seine Knopfaugen feucht, das Haupt geneigt und so manchen Seufzer in den spätsommerlichen Himmel sendend, so fand ihn Ernst Albert vor, als er von der Probe nach Hause kam. „Schwermut, mein Bär?“ „Das ist doch sehr bedenkenswert, daß die Blätter jetzt so schön sind wie das ganze Jahr nicht und dann sind sie zwei Minuten später pfutsch und kommen nicht mehr wieder. Ziemlich doof ist das!“ Und Ernst Albert holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, setzte sich zu seinem von der Herbstmelancholie erfaßten Bären und erzählte ihm eine kleine Geschichte.

Er erzählte ihm, daß er vor genau zehn Jahren einen Herbst erlebt hatte, der so ein gewaltiger Herbst war, so ein Herbst, in dem alle, aber wirklich alle Blätter von wirklich allen Bäumen herunter krachten und es ihm damals erschien, als ob es nie wieder Blätter geben würde und alle Hoffnung auf ein Ende des Zerfalls und des Vergehens oder gar die Wiederkehr eines Frühlings mit den fallenden Blättern dieses einen Herbstes ein für alle mal zu sterben schien. Und daß ihn damals nichts und niemand trösten konnte und jeder Hinweis eines Anderen, irgendwann werde es gewiß wieder Blätter geben, das sei der Lauf der Welt und der nächste Frühling scharre schon ungeduldig mit den Hufen, ihn nur noch tiefer in einen Zustand heilloser Verzweiflung stürzte. Dabei hatte er bis dahin den Herbst und ganz besonders den Monat Oktober, welcher der Monat seiner Geburt ist, so geliebt. Letzte warme Tage, malende Blätter, das finale Aufbäumen der Säfte, das reife Platzen, das vergangene Jahr wird vergoren und sorgt für einen ersten Rausch. Es ist nicht kalt. Es ist nur frisch. Aber damals, vor zehn Jahren, in diesem Herbst voller Panik und Verrat und Ausweglosigkeit und schmächtigen Lügen war ihm das Fallen der Blätter nur entsetzliches Menetekel. „Ja, ja, so war das!“ Und Ernst Albert holte sich noch ein zweites Bier. Und dann hat der Bär gedacht, daß Herr Ernst Albert heute wohl einen sehr sentimentalen Anfall hat. Das brachte ihn dazu zu grinsen.

„Geht doch, Herr Bär!“ Ernst Albert mag den tiefen Ernst, mit dem sein kleiner Genosse in die Welt schaut, aber er freut sich auch, wenn der mal grinst und nicht hinter allem die ganz große Frage sucht oder gar zu sehen glaubt. Und dann sagte Ernst Albert zu Herrn Archibald Mahler, daß es wohl seine Bedeutung habe, wenn die Blätter in vollster Schönheit fallen und sterben. Wenn etwas zu Ende geht, meinen ja alle immer, dies sei auf jeden Fall das Schönste, was ihnen bis heute geschehen sei. Und dann wird rumgemoppert und genöhlt und getrauert. Dabei hatten sie davor das nun unwiederbringlich Verschwundene oft gar nicht bemerkt. „Aha!“ Das begriff der Bär. In Ansätzen. „Genau! Der Baum will sich ja auch mal erholen! Das ganze Zeugs monatelang in der Luft zu halten! Ganz schön anstrengend! Und warum hab ich jetzt schon wieder Hunger?“ Ernst Albert war verschwunden. Er war in der Küche. Eva Pelagia briet Pfeffersteaks. Hatte sie früher auch nie gegessen. So ist das eben, wenn die Blätter fallen.

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Fische springen nicht, die Baumwolle wächst nicht mehr und Schluß mit dem einfachen Leben!

Donnerstag, 30. September 2010 16:19

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„Freiherr Gottfried von Herbst ließ die Nebel aus der Lahn an Land kriechen. Spinnennetze funkelten.“ Noch mal: „Freiherr Gottfried von Herbst ließ die Nebel aus der Lahn an Land kriechen. Spinnennetze funkelten. Leise klackerten die Früchte des Kastanienbaumes rhythmisch aufs Blech!“ Das stimmt so nicht. Again: „Freiherr Gottfried von Herbst ließ die Nebel aus der Lahn an Land kriechen. Spinnennetze funkelten. Leise klackerten die Früchte des Kastanienbaumes rhythmisch aufs Blech. Meinen Leib verläßt er nun: der Augenblick. Er wird nicht verweilen.“ Also, so geht das ja wohl gar nicht! Nimm Dich zusammen! Freeze! Jetzt: „Freiherr Gottfried von Herbst ließ die Nebel aus der Lahn an Land kriechen. Spinnennetze funkelten. Leise klackerten die Früchte des Kastanienbaumes rhythmisch aufs Blech. Meinen Leib verläßt er nun: der Augenblick. Er wird nicht verweilen. So schön war dieses Jahr jetzt auch wieder nicht.“ Mein Gott! Einen Versuch hast Du noch! Kneif die lyrischen Pöterbacken zusammen! Es reicht doch, wenn Dein Perfektionswahn keinen Humor hat. Also: „Freiherr Gottfried von Herbst ließ die Nebel aus der Lahn an Land kriechen. Spinnennetze funkelten. Leise klackerten die Früchte des Kastanienbaumes rhythmisch aufs Blech. Meinen Leib verläßt er nun: der Augenblick. Er wird nicht verweilen. So schön war dieses Jahr jetzt auch wieder nicht. Das Röckchen der Else Sommer: Selten ward es gelüpft!“

Bären dichten nicht oder reimen gar rum. Wenn sie dichten oder gar rumreimen, tun sie dies im Schlaf. Archibald schlief. Also dichtete er. Und reimte. Jedoch war ihm klar, daß es höchste Zeit war seinen frierenden Pöter wieder auf die beheizte Fensterbank in Ernst Alberts und Eva Pelagias Höhle zu setzen und den Schrottplatz rechter Hand der Lahn zu verlassen. Für immer? „Immer mußt Du übertreiben!“ Soweit war des kleinen Bären Bewußtsein schon fortgeschritten, daß er ab und zu seinem Unterbewußtsein eine kleine Rüge erteilen konnte. „Kann ich noch ein Gedicht?“ Das Unterbewußtsein war seinerseits so verfroren, daß es nicht in der Lage war zu antworten. Also dichtete Archibald noch mal. Für Else Sommer! Und den Sommer ohne Else! Einatmen. Ausatmen. „Sommer! Else lupft das Röckchen. Dann ist einfaches Leben angesagt. Fische springen rum. Hohe Baumwolle auch. Papa ist reich. Mama sieht total scharf aus. Kein Grund zu weinen. Und wenn es dann hell wird, singst Du ein Lied. Weil Mama und Papa auf Dich aufpassen.“ Archibald Mahler, Freizeitpoet, begann an der Dichtkunst zu zweifeln. Prinzipiell. Aber man kann solch einen Quatsch zumindest schön singen.

Dann ist er aufgewacht und herabgefallen. War es die überfrierende Nässe? Er hatte beschlossen gehabt, die letzte Nacht im Schrottplatz rechter Hand der Lahn auf der Stoßstange seines geliebten roten Simca zu verbringen. Der Schlaf war ein unruhiger gewesen. Normal! Unter seinem Pöter glitschte es plötzlich. Nacht rechts! Nacht  links! Dann war es passiert. Stop! Halt! Nicht wirklich! Kurz bevor es tatsächlich passierte, war Eva Pelagia zur Stelle. Und das ist, was sie sang: (…)

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I Read The News Today! OH BOY! (A Preview)

Sonntag, 26. September 2010 19:41

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Da lagen einige Zeitungen zu seinen Tatzen. Ernst Albert hatte sie liegen lassen. Absicht? Mer waahses net! Mer munkelt’s blues! Des Bären Nase bemühte sich. Anstrengend das Ganze. Erst im Lenze des Jahres Zwanzigzehn hatte er die Kunst des Buchstabenriechens entdeckt und diese – Hier sei es gestanden! – ob der so viel angenehmeren Welt- und Waldbetrachtung, der Großen Pöhlerei Festspiele und dem zeitweiligen Wirbeln auf den Weltspielbrettern etwas bis fundamental vernachlässigt. Doch jetzt gab es kein Halten mehr. Seine Nase vibrierte und saugte ein, die Schleimhäute sortierten und interpretierten, die Synapsen trommelten Informationen in die Nervenbahnen. Es wurde gelesen. Buchstabensalate, dazwischen gegossene Meinungsdressings und meist ganz erschröcklich lieblose Bildchen sprangen dem Bären entgegen. Auf jedem zweiten Bild in den lokalen Gazetten eine kleine, bebrillte, breit grinsende Frau mit Doppelmoppelnamen – Ist das eine Studentin im 36. Semester? – beim Bierfaßanstechen, Kinderstreicheln oder Werbetafeln hochhaltend! Warum? Das reizte alle seine Rezeptoren. Intern, extern, subkutan! Der Bär mußte niesen. Die Zeitungen flogen in die Höhe, segelten herab wie übergroßes Herbstlaub. Ein neuer Mix lag zu seinen Tatzen. Gestern, heute, morgen und noch ein Tag im Leben eines Bären. I Read The News Today! OH BOY!

„Da steht ja etwas über den Musentempel, an dem Ernst Albert zur Zeit arbeitet! Das ist ja interessant! Huch! Da ist ja einer wütend! Ganz schön frech! Und da steht ja noch was! Das ist aber eine andere Zeitung. Die eine ist rot, die mit der Wut und dem Tamtam. Die jetzt hier ist blau. Und beide natürlich schwarz-weiß. Von den Buchstaben und dem Papier drum herum. In der Blauen regen sich jetzt die Anderen auf, über den, der sich so aufgeregt hatte in der Roten! Auweiah! Große Worte! Scharfe Schwerter! Uff! Wenigstens keine Fotos von der kleinen Frau dabei! Aber ganz viel Aufregung. Und warum? Muß ich mal Ernst Albert fragen, ob der mir  das erkären kann!“ Archibald Mahler, mittelhessische Lokalpossen studierender Bär, begriff rein gar nichts. Oder nur soviel: Wenn der Herbst kommt, ist es sinnvoll Zeitungen in seiner Reichweite zu haben. Man deckt sich damit zu und sie wärmen den Bären mit Katastrophen, Geschwätz und einem Haufen Zweibeinerhysterie. Aber noch hingen Reste von Sommerwärme in der Luft über dem Schrottplatz rechter Hand der Lahn und streichelten den Bären und seine Nase löste sich vom Geschwurbel der Aufrechtgeher und der Trittbrettsitzer ward ganz Ohr.

Bären neigen zur Wiederholung. Das wurde hier schon mehrfach erwähnt. Sie neigen zur Wiederholung, und zwar aus Überzeugung. Honig, Aas, Lachs. Heidelbeeren, sich am Pöter kratzen, Löcher in die Luft denken, schlafen und noch mehr schlafen. Und dann wieder von vorne. Gelegentlich über Aufrechtgeher rummoppern. Zum Beispiel über ihren krankhaft doofen Hang zur  masturbativen Lärmerzeugung. Wo es doch auch richtig schönen Lärm gibt! Zum Beispiel den hier, welchen er gerade vernahm. Peng! Dengel! Dongel! Plock! Pock! Tock! Pengel! Neben dem Schrottplatz rechter Hand der Lahn steht ein großer Kastanienbaum. Ist es nicht herrlich, wenn die reifen Früchte herabfallen und knallen, direktemang auf das Blech der ausrangierten Kisten, die Archibald in den letzten Tagen Asyl geboten hatten? Peng! Dengel! Dongel! Plock! Pock! Tock! Pengel! Und der Bär wurde sein eigenes kleines Wettbüro. „Die nächste Kastanie in siebzehn Sekunden! Und dann wieder eine in drei Minuten!“ Archibald grinste vor sich hin. „Das ist doch ein schönes Spiel: sich einen ganzen langen und doch noch recht warmen und freundlichen Sonntagnachmittag mit seinen Irrtümern zu beschäftigen. Ob das die Leute am Musentempel auch manchmal machen?“ Mer waahses net! Mer munkelt’s blues! Peng! Dengel! Dongel! Plock! Pock! Tock! Pengel! Und so kam die Nacht! „Gut, daß man heute eine Zeitung neben sich liegen hat.“ Das dachte der Bär.

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Ein toter Philosoph spricht gescheit, aber man kann ihn kaum hören, denn es ist viel zu laut

Donnerstag, 23. September 2010 19:48

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Wenn die Nacht den Schlaf gestohlen hat, weil sie den Lärm der Aufrechtgeher und den vollen Mond sandte, muß der Tag als Ausgleich herhalten. Es war heller Nachmittag, als Archibald erwachte. Der alte Schal lag neben ihm, weggestrampelt und durchgeschwitzt. Wilde Träume hatten Hitzewallungen durch seinen Laib gejagt. Und die unerwartet heftige Rückkehr von Fräulein Else Sommer. Prinzipiell keine Einwände gegen die Wärme, aber wer schon mal im prallen Sonnenschein eingeschlafen ist, weiß wie der Schädel dann beim Erwachen bummert und glüht. Der Bär kroch in den Schatten. Das war ein Fehler. Nicht der Schatten, sondern der Tank des alten Kleinlasters auf dem er, noch nicht richtig erwacht, saß. Der stechende Geruch verdampfenden Diesels reizte seine hochempfindliche Nase und ließ einen bösen Kopfschmerz gegen die Innenseite seines Schädels pochen. Über die Brücke, welche in seinem Rücken den Fluß überspannte, rollten unaufhörlich die Blechmilben der Zweibeiner. Flugzeuge zerschnitten den Himmel und Jungvolk schrie hysterisch in seine Mobilfunkteile. „Können diese Aufrechtgeher denn nicht einmal ihre kollektive Lärmemission auf Null drehen! Hier hat ein heute leider sehr empfindlicher Bär und Ästhet der Stille Hirnweh! Potzrembel und f&%$%§&%k die Waldfee aber auch!“ Da half dem Bär kein Fluchen. Es gibt Tage, die widmen die Götter der Pein!

Ernst Albert saß am Ufer der Lahn. Er wollte mal bei seinem kleinen Kumpan nach dem Rechten schauen. Zum einen, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, hatte er doch den Herrn Archibald Mahler in letzter Zeit ob der vielen Arbeit am Musentempel etwas vernachlässigt und zum anderen wollte er die wahrscheinlich letzten sommerlichen Stunden des Jahres genießen und hatte für den heutigen Abend probenfrei verordnet. Sich und den Anderen. Manchmal kann man das, und dann soll man das auch tun. Ernst Albert saß also am Ufer der Lahn, ließ sich von der Sonne bescheinen und las Zeitungen. Die Böse Zeitung und die Gute Zeitung! (Aber über dieses Tamm-Tamm ein andermal!) Der Bär erblickte seinen Meister. Er freute sich, soweit sein Hirnweh eben Freude erlaubte. Dann widmete er sich den zwei Karotten. Immer wieder ein Genuß. Langsam entspann sich ein Gespräch.

„Morgen soll es kalt und regnerisch werden. Der Sommer ist wohl vorbei.“

„Das heißt?“

„Na ja, ich will ja hier nicht den Schlaumeier und Erziehungsberechtigten raushängen lassen, aber vielleicht wäre eine Rückkehr in die Höhle angebracht!“

„Ich will ein Aspirin!“

„Bären und Schmerzmittel? Also ich weiß nicht so recht!“

„Könnt Ihr eigentlich auch mal leise sein?“

„Wer Ihr?“

„Ihr Aufrechtgeher!“

„Ist das nicht ein bißchen pauschal? Ihr Aufrechtgeher! Es gibt solche und solchige!“

„Glaub ich nicht!“

„Doch. Ich les Dir mal was vor! Von einem Mann, der Schopenhauer hieß. Steht in der Zeitung!”

“Der Guten oder der Bösen?”

“Wie man’s nimmt! Paß auf: ‚Ich hege wirklich längst die Meinung, daß die Quantität Lärm, die jeder unbeschwert vertragen kann, in umgekehrten Verhältnis zu seinen Geisteskräften steht und daher als das ungefähre Maß derselben betrachtet werden kann.’ Nicht schlecht! Oder?“

„Danke für das Kompliment!“

Dann wurde geschwiegen. Man muß dem Getöse ja nicht ständig etwas hinzufügen. Und weil der Bär – nahendes Tief hin oder her – noch etwas bleiben wollte auf seinem Schrottplatz rechter Hand der Lahn,  stand Ernst Albert auf und zog los, sich etwas Lärm zu kaufen. Feinen Lärm. Eine neue Platte mit alten Liedern des ehrenwerten Herrn Zimmermann. Dig it. Und Archibald begann sich mit den Zeitungen, die Ernst Albert ihm dagelassen hatte, zu beschäftigen. Es galt  ja auch eine neue Aufgabe zu finden. Für die letzten Tage, bevor der Winterschlaf ihn von der Bühne der Eitelkeiten nehmen würde. Seine Nase flitzte über das Buchstabengewimmel. „Das ist ja interessant!“

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In der Nacht wär’ der Bär ganz gern alleine!

Montag, 20. September 2010 21:09

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Er wollte nur schlafen. Aber es ging nicht. Der Tag war überraschend warm gewesen. Die alte Blechkiste unter seinem Pöter hatte sich auf hochsommerliche Temperatur erhitzt. Die Dämmerung kam früh und die Nacht folgte mit gliederlähmender Kälte. Der Magen war randvoll. Fünfzehn Äpfel sind viel, aber bis zum Winterschlaf ist es auch nicht mehr so lange hin und wenn die Gene ab September „Fressen! Und zwar ordentlich!“ brüllen, was soll man da als armer Bär tun? Fressen eben! Na also! Und dann waren da ja noch die Herren und Damen Aufrechtgeher, die Archibald Mahler, den sich auf den Winterschlaf vorbereitenden und letzte Denkaufgaben erledigenden Bär vom Brandplatz z.Z. c/o Schrottplatz rechter Hand der Lahn, an der wohlverdienten Nachtruhe hinderten. Nein, es waren nicht die zugedröhnten Jungschen, die, nachdem sie ein Wochenende “durchgechillt”  hatten, sich mülltonnenstürzend und blumenkübelbespeiend in Richtung mütterliche Schutzburg trollten. Deren Äuglein waren nicht mehr in der Lage einen Bären auf der Motorhaube eines Kadett B, Bj. ca 1971, zu orten und diesen dann zu belästigen. Sie zogen vorbei und ließen ein paar verstümmelte Sprachfetzen in der kalten Nachtluft hängen. Und es war auch nicht die Besitzerin eines der schwarz-silbernen Panzer, die vis a vis vor dem verschlossenen Tiefgaragentor stand, verzweifelt und mit schriller Prinzessinnenstimme versuchte von irgendwoher Hilfe herbei zu telefonieren und nebenher ihrer Freundin oder der armen Mutter vom heute Abend in den Sand gesetzten Rendevouz mit einer Internetbekanntschaft berichtete. Da guckt ein Bär doch gerne zu! Und hört auch zu! Nichts ist amüsanter als die öffentlich kundgetane Verzweiflung der Satten. Es war schlimmer!

„Kann denn da endlich mal einer das Licht ausknipsen!“ Archibald hat nichts gegen Straßenlaternen einzuwenden. Er bräuchte so etwas nicht, und die Sterne sieht man  auch nicht, wenn man eine Laterne über dem Kopf hat, aber da die Zweibeiner in den Städten wohl alle Schisser sind: geschenkt. Aber dieses von Studienabbrechern der Architektur zusammengeschusterte Einkaufstempelchen auf der anderen Seite des Flusses! Archibald hüpfte wütend auf der weißen, inzwischen pöterkalten Motorhaube auf und ab. Das beruhigte und man wärmt sich so auf in kalter, schlafloser Nacht. Und noch mal ein Fluch. „Kann denn da endlich mal einer das Licht ausknipsen!“ Diese grauenhafte Kaufbude! Tagsüber schon eine Häßlichkeit, die den Ästheten im Bären unendliche Pein bereitete, aber erst des Nachts! Gibt es nur einen einzigen, ansatzweise auch für einen naiven Bären nachvollziehbaren Grund, warum niemand auf die Idee kommt bei den schreienden und dummbunten Neonwerbetafeln mal den Stecker rauszuziehen. „Ich will nachts schlafen oder denken und nichts kaufen, ihr Schwachmaten! Macht das Licht aus! Potzrembel aber auch!“ Archibald war selber ein wenig überrascht über die Heftigkeit seines Ausbruchs. Na ja, die Kälte und vielleicht war ja bei den Äpfeln ein fauler dabei gewesen. Über der Tiefgarage öffnete sich ein Fenster. Die eben noch telefonierende Dame hatte Einlaß gefunden und konnte wohl auch nicht schlafen. „Was ist denn das hier für eine Gegend, eine runterverkommene? Ruhe, sonst will ich schlafen, denn ich hole die Polizei!“ Das hat sie wirklich gesagt! Warum? Weiß ich nicht! Vielleicht ist sie ja Dörnröschen?

Dann war es still. Und es blieb still. Nur die Äpfel taten ab und an kund, daß sie nun verdaut würden. Der Morgen graute und Archibald schlief ein. Und er träumte davon, wie er aufbrach, um DEN GROSSEN STECKER zu suchen. Und wie er den Stecker, wenn er ihn denn gefunden hätte, am Ende der Welt, dort im TAL DER VERNUNFT, einfach rausziehen würde. Peng! Finster! Und dann wachte er auf, dachte über den Traum nach und eine Stimme sprach: „Reg Dich nicht auf, Bär. Wenn die Schwachmaten so weitermachen, erledigt sich das über kurz oder lang von selbst!“ So ist das wohl. Und da sah er, daß jemand zwei Karotten auf die Motorhaube seines Kadett B gelegt hatte. Und er bemerkte, daß man ihn zugedeckt hatte, mit einem alten Schal. Den kannte er.

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