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Zum 35ten Male besingt Zimmermann eine Scheibe, alles neu und alles bleibt und gut (1)

Montag, 10. September 2012 12:29

tempest1

„Frisch gepresst. Druckfrisch noch. Man muß sich beeilen. Quatsch. Einstens mußte man sich tatsächlich beeilen. Die Platte kaufen. Diese Platte nicht wie die anderen beim Händler vorhören. Einfach rein in den Laden und das Ding aus dem Regal ziehen und es kaufen, unter den Arm klemmen und aufs Moped und heim. Alleine. Diese Platte muß man alleine ersthören. „Ah, der Nasenbär wieder!“ Die Anteilnahme von Banausen benötigt man in solchen Momenten nicht. Erwartung. Nadelknistern. Erstes Rauschen. Euphorie oder tiefe Enttäuschung, man mag dies nicht teilen. Verschlungene Wege, die der Meister ab und an beschritt. „Ich verstehe nicht. Warum macht er das?“ So war das mal. Irgendwann kommt der Tag, da läßt man all seine Zweifel am Rande der verschlungenen Pfade fallen und folgt. Die Aufregung bleibt. Und heute? Nun gut, man trickst sich aus. Platten kaufen nur noch die letzten Mohikaner und die Nachrückfanatiker. Wenigstens noch den Originalsilberling erstehen und sich nicht fremde Mucke runterholen. Was Fremdes anfassen und nicht nur sich! Morgen ist der Tag! Denkste! Man trickst sich weiter aus. „Sie können das gesamte Album schon mal im Streaming vorhören.“ Häppchenweise. Vorfreudetöter. Und die Worte. Die vielen neuen Worte? Wo sind Sie? Hat ein fleißiger Phisher sie schon in seinem Net? Ach. Hier noch warten. Gott sei Dank mit scharrendem Huf! Ach!“

Während der Ehrenwerte Herr Ernst Albert vor sich hin grummelt, klagt und wartet, alte Zeiten besingt, nimmt Archibald Mahler seine Aufgabe sehr ernst. Der Silberling lag pünktlich im Regal, der Simsonroller war vollgetankt, doch die Ampel, die die Kreuzung bewachte, war eine rote Ampel. Wer den Sturm unter seinen Armen trägt, kann leider keine Rücksicht darauf nehmen.

Thema: Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 20

Donnerstag, 6. September 2012 16:48

pol42

(Und wieder blickt man auf die See. Nachdenklichkeit. Wind. Richtung wechselnd. Und dies schnell und häufig.)

„Man leckt doch immer nur etwas an den Rändern rum, nicht wahr, Mahler?“

„Das haben Besuche so an sich.“

„Diese Erinnerungsfelder, diese Schnittstellen, diese geschichtlichen Nähte und Narben. Faszinierend! Man bräuchte mehr Zeit zu sehen und zu hören!“

„Ein Pole sagte mal in Bezug auf das Verhältnis zum westlichen Nachbarn: ‚Wir brauchen keine Liebe, wir brauchen Normalität!’ Sie verstehen?“

„Leuchtet mir ein! Wer war das?“

„Wladyslaw Bartoszewski, erst von den Nazis ins KZ gesteckt und später nach Kriegsende von den Russen eingebuchtet, dann zweimal polnischer Außenminister. Nun gut!“

„Sie sind etwas unruhig, Mahler, oder täusche ich mich?“

„Es neigt sich dem Ende zu. Und der Sturm steht vor der Tür. Morgen schon?“

(Eine Hand greift nach dem Bären. Ein Aufschrei des Hasen.)

„Zu Hülf! Greift ein! Hier bahnt sich eine Entführung an! Zu Hülf!“

„Budnikowski, lassen Sie ab. Es hat seine Richtigkeit. Die Heimat braucht mich.“

„Aber sehen Sie, wie schön die See und nächste Woche naht das Hoch.“

„Dann bleiben Sie doch noch und schreiben mir die eine oder andere Postkarte. Ich muß.“

„Ich verstehe nicht!“

„Herr Zimmermann singt neue Lieder und da muß ich dem Ehrenwerten Herrn Albert zur Seite stehen.“

„Das ist also der ‘Sturm’. Ich hab’s geahnt!“

„War schön, Budnikowski! Mach er es gut!“

„Gute Reise, Mahler! Bis die Tage!“

pol41

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 19

Mittwoch, 5. September 2012 17:07

pol39

„Man hat kein anderes Material als seine Erinnerung.“

„Von Uwe Johnson? Richtig?“

„Korrekt, Budnikowski!“

„Und was hat Klaus – Jürgen Wussow gesagt?“

„Wahrscheinlich ‚Skalpell, Schere, Tupfer.’ Weshalb?“

„Kam auch in dieser Stadt zur Welt, Mahler!“

„Wenn man erst mal anfängt, sich zu erinnern! Weia die Waldfee!“

„Als würde man jemals damit aufhören!“

„Der ein oder andere bevorzugt die Amnesie!“

„Tut so, Mahler, tut so! Da können Sie sicher sein! Ich spreche aus Erfahrung!“

„Da haben Sie wohl recht! Sehen Sie das alte Rathaus! Im letzten Krieg von den Russen zerstört, als diese das Land befreiten von den doitschen Schweinepriestern, um Polen gleich danach wieder zu besetzen!“

„Wer hat das alte Rathaus wieder aufgebaut? Die hier verbliebenen Polen?“

„Polen schon, aber Polen, die in Litauen und an der Ostgrenze des Landes die neuen und nachrückenden Machthaber störten, also hierher verschickt wurden, nachdem die Westpommern – deutscher, polnischer oder gemischter Herkunft getötet, vertrieben oder geflohen waren. Der Parole Lebensraum Ost folgte der Fünfjahresplan Lebensraum West auf dem fliehenden Fuße!“

„Die etwas rudimentäre Architektur, die dieses Ding einfaßt, stört nicht wirklich! Oder, was sagen Sie?“

„Sie haben recht, seltsamerweise hat man versucht – Geldmangel hin und her – den Wiederaufbau zumindest von Grundriß und Höhe her an der zerbombten historischen  Bausubstanz auszurichten.“

„Weshalb seltsamerweise?“

„Der Architektur der Sieger mangelt es meist an Respekt.“

(Stille. Schweigen. Nachdenken.)

„Hier überlappt sich so einiges an Erinnerungen!“

„Ja, es fällt schwer, die alten Grenzen zu finden und zu begreifen, warum es sie überhaupt gab, jetzt wo sie weg sind.“

„Mahler, sie wollten sich noch an diesen Tag erinnern!“

„Ja, der 31. August. Lech Walesa. Das Danziger Abkommen. Ein nicht unwichtiger Tag, der die Mauern schon mal wanken ließ.“

„Jetzt las ich aber, das viele Polen Solidarnoc gar nicht mehr so dolle finden. Erinnern die sich auch nicht mehr?“

„Schwierig! Wenn Zeit sich dreht, gewinnen oder verlieren viele. Die wenigstens gehen durch die Geschichte gänzlich unbeleckt und immer siegreich!“

„Das sind die Schlimmsten!“

„Wahrscheinlich!“

„Und den fetten Yachthafen da unten am Haff, wer baut den?“

„Die Enkel oder Urenkel der ’45 Enteigneten!“

„Dürfen die das?“

„Die haben das Geld!“

„Schön ist die Marina aber nicht!“

„Die heilige Kuh Arbeitsplatz!“

„Und warum steht da, daß das mit europäischen Steuermitteln gefördert wird?“

„Weil die armen Kerle, die sich so ein dickes Boot kaufen, ja keine Steuern zahlen, deshalb muß man ihnen helfen!“

„Weia, Mahler, mentale Leerstände!“

„Wer sich nicht erinnern will! Da unten steht auch schon einiges leer!“

„Lassen Sie uns noch ein wenig in den Park! Mir ist schon ganz schummrig! Wenn man jetzt auch noch anfängt, sich an die Zukunft zu erinnern!“

„Danke für die Anregung! Budnikowski, sind wir heute Abend einfach nur noch Blüte! Mit unschuldigem Blick in die Abendsonne!“

„Aber morgen schauen wir wieder auf die See, Mahler!“

„Und warten auf den Sturm!“

„Shakespeare?“

pol40

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 18

Dienstag, 4. September 2012 20:30

pol37

„Sind wir jetzt angekommen in Kamien Pomorski, Mahler?“

„Ja, wir könnten aussteigen, Budnikowski!“

„Hat lange gedauert. Fast vier Tage!“

„Das machen wir aber der polnischen Eisenbahn nicht zum Vorwurf!“

„Die hat lediglich knappe zwei Stunden benötigt. Inklusive Umsteigevorgang. Wir aber jetzt vier Tage, das ist doch absurd!“

„Das bringen Zeitreisen manchmal mit sich!“

„Aber morgen sind wir dann da! Ich meine hier und vorhanden!“

„Morgen, Budnikowski! Versprochen!“

„Den morgigen wichtigen Tag, der vorvorgestern war, nicht vergessen, Mahler!“

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Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 17

Donnerstag, 30. August 2012 17:07

pol35

„Budnikowski, ich will das nicht sehn!“

„Einmal bitte noch mal anfassen!“

„Ja, damit Sie sich beömmeln!“

„Mahler, darf ich Sie einmal noch zitieren? Bitte!!!“

„Wenn es Sie beflügelt!“

„Also: wir hatten unverhältnismäßig lange – fast doitsch schon – auf den Gelben Saft gewartet. Sie spekulierten über Gläsermangel! Oder Ausbildungsnotstand. Dann sah man die Getränke auf dem Tresen der restauracja stehen. Dann waren diese wieder verschwunden. Endlich dann Bewegung Richtung unseren Tisches. Das leichte Grinsen auf dem Gesicht der aparten Bedienerin, als sie die Gläser vor unsere gierigen Pfoten stellte. Ihr grifft zum Glas und der Ausruf, daß man – Gläsermangel also doch – die Gefäße hier extrem heiß spüle. Und dann…hihi…ich hau mich weg!“

„Das Bier ist heiß!“

„Und schmeckt schal, aber süß!“

„Mit Honig halt!“

„Polnisch ist keine einfache Sprache und wehrt sich gegen jegliche Spekulation!“

„Nun, aber wir ließen die Getränke nicht zurückgehen. Haltung bewahren!“

„Aber das Grinsen der Bedienerin schon bei der Bestellungsaufnahme. Die Außentemperatur, Mahler, betrug weit über 20 Grad Celsius!“

„Die Eitelkeit! Ich dachte, man findet mich…wie auch immer!“

„Man möchte ja nicht wissen, welche Scherze man hinter dem Tresen riß!“

„Unser Trinkgeld war ein üppiges und nun Kultur. Besuchen wir den Geburtsort von Uwe Johnson.“

„Cammin?“

„Kamien!“

„Pomorski?“

„Genau! In Pommern!“

„Und wo sind wir jetzt!“

„Wir waren schon in den Zug eingestiegen!“

„Sie scheuen das Licht, Mahler?“

„Restscham! Morgen ist übrigens ein sehr wichtiger Tag!“

„Für uns?“

„Für unsere Nachbarn!“

„Aber da haben wir sie doch gar nicht mehr besucht gehabt!“

„Nichtsdestotrotz!“

pol36

Thema: In Polen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 16

Mittwoch, 29. August 2012 23:38

pol38

„Budnikowski, können Sie mir erklären, warum man hier so früh zu Abend speist?“

„Mahler, ganz einfach! Damit man anschließend noch etwas essen gehen kann!“

„Budnikowski, bitte, könnten Sie mir dieses monströse, rosarote Dingsbums nicht permanent unter die Nase halten!“

„Mahler, was haben Sie gegen Zuckerwatte?“

„Budnikowski, es war nicht meine Idee sieben verschiedene Sorten Räucherfisch durchzuprobieren!“

„Mahler, Waffeln mit Sahne und Blaubeeren und Preiselbeeren und Honig und Sahne ist auch eher Nach – als Vorspeise!“

„Budnikowski, zwischen Vor -, Zwischen- und Hauptspeise Karussell zu fahren ist meiner Meinung nach, was ist das eigentlich?“

„Unvollständig! Zwischen Hauptspeise und Dessert empfehle ich noch eine Runde Schiffschaukel!“

„Budnikowski, ich beginne Miroslav Klose zu verstehen!“

„Aha, aus gottgegebener Nachbarschaft wird mehr?“

„Nein, es geht lediglich um das BIGOS in meinem Ranzen!“

„Erklären Sie sich!“

„Klose antwortete vor der verkorksten, im entscheidenden Moment reuszlosen EM auf die Frage, was man in seiner Heimat speisen solle: unbedingt speisen solle man BIGOS, aber nie vor einem Spiel und auf keinem Fall nach einem Spiel und sonst nur, wenn es seine Großmutter zubereitet habe. Wie recht der Antigomez hatte!“

„Vor kurzer Zeit noch hörte ich Sie schmatzen und jubilieren! Ich zitiere: Mmmmmh! Göttlich! Dieses Kraut! Was die da alles reinverwursten und verfleischeln! Diese Gewürze! Göttlich!“

„Budnikowski, aus und ich bereue! Jetzt bitte rollen Sie mich an den Strand und ich heirate Sie!“

„Das geht nicht! Ich bin gegen Ehegattensplitting!“

„Meine Homepage gegen einen Liegestuhl!“

„Passen Sie auf, was Sie verlautbaren, Mahler!“

„Bitte!“

„Was halten Sie davon, kurz noch bei dem Alleinunterhalter vorbeizuschauen – er hat gerade wieder seinen Elvisschub – dazu ein paar Chips und ein Zywiec mit Preiselbeersirup?“

„Aber erst noch ein großes lody!“

„Trzy Kugeln?“

„Nie! Cztery!“

„Pan Mahler, nie rozumiem!“

„Egal, heute alles gut! Was ist das? Piwo grazy z miod?“

„Das würde ich nicht bestellen!“

„Doch! Man muß seine Nachbarn kennenlernen!“

„Ich kümmere mich schon mal um den Liegestuhl!“

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Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 15

Dienstag, 28. August 2012 21:26

pol31

„Eine seltsame Windmühle. Hält ihr Gesicht in die Winde und Stürme, aber ihre Flügel stehen still!“

„Aber schaut immer hinaus auf die See!“

„Kriegt also auch mal Wind von der Seite!“

„Oder Sturm von hinten!“

„Mahler, mehr als eine Haltungsfrage?“

„Nicht durchdrehen?“

„Polnische Haltung?“

„Maße ich mir nicht an zu beurteilen. Aber bei aller Freundschaft, Abgrenzung schadet nicht! Nicht bei jedem Hauch, den die Welt ausfurzt, mitrotieren!“

„Aber lehrt die Moderne nicht die Anpassung?“

„Die Auflösung, Budnikowski!“

„Wie?“

„Auflösung des Individuums durch gnadenlose Überzüchtung des Individuellen.“

„Aber es reagiert doch zunehmend die Masse als Masse!“

„Na ja Jeder denkt halt, er sei persönlich gemeint. Depperter Reflex!“

„Aber eine Windmühle, die ihre Flügel nicht dreht?“

„Camouflage! Sehen Sie das Auge auf der Stirn?“

„Ein Zyklop! Ein Zyklop, der warnt und die Hafeneinfahrt bewacht.“

„Wenn der die ganze Zeit rotieren würde, möchte ich nicht der Kapitän auf einem der einlaufenden Kähne sein.“

„Trotzdem gut, Mahler, daß wir uns hier in ein sturmfreies Eckchen zurückgezogen haben. Ich fürchte, sonst schwämmen wir schon da draußen in der Hafenausfahrt.“

„Da müßten wir uns ja selber retten!“

„Nicht retten lassen?“

„Aber wir waren doch die Retter!“

„Gestern!“

„Das stürmt aber auch, Budnikowski! Und morgen?“

„Mir ist nach Budenzauber!“

„Sehr gut! Das volle Programm!“

„Bitte gern, Herr Mahler. Und jetzt halten Sie mich fest. Sie sind schwerer!“

pol32

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Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 14

Montag, 27. August 2012 20:28

pol29

„Und wen retten wir jetzt?“

„Will überhaupt schon jemand gerettet werden, Budnikowski? Es ist noch recht früh!“

„Vielleicht retten wir jemanden einfach mal präventiv, Mahler!“

„Oder wir schubsen ihn ins Wasser, obwohl wir wissen, daß er nicht schwimmen kann und dann sind wir praktisch gezwungen, ihn zu retten.“

„Aber die Rechnung für den Rettungseinsatz muß er dann schon bezahlen!“

„Selbstredend! Vor allem die Zinsen!“

„Und ab wann berechnen wir die Zinsen, Mahler?“

„Natürlich ab dem Zeitpunkt, wo wir das erste Mal darüber nachgedacht haben, ihn eventuell ins Wasser zu schubsen, Herr von Lippstadt – Budnikowski!“

„Aber, werter Herr Mahler, da bitte ich aber inständig darum, daß die Spesen und alle anderen anfallenden Kosten, die im Zusammenhang mit unserer Nachdenkerei angefallen sind, doch bitte auch auf unser Konto überwiesen werden.“

„Wäre bar nicht besser?“

„Logo, auf die Hand. Aber Zinseszinsen nicht vergessen! Was jedoch, wenn jetzt jemand nicht gerettet werden will, Mahler?“

„Hallo? Das entscheiden immer noch die Retter, ob sie retten oder nicht.“

„Und was, wenn wir mal Feierabend machen wollen? Verzeihung: MÜSSEN!“

„Dann, lieber Budnikowski, gilt es vor allem darum zu sorgen, daß unser Rettungssitz nicht von fremden Pötern besetzt wird!“

„Wo kämen wir denn da hin? Außerdem müsste unser Rettungssitz dringend mal neu gestrichen werden! Und ein paar neue Aussitzpolster wären auch nicht übel!“

„Budnikowski, sehen Sie? Da draußen geht gerade jemand unter. Schicken Sie ihm die Rechnung, bevor er ganz und gar absäuft!“

(Stille. Schweigen.)

„Mahler, können Sie sich vorstellen, daß es Wesen gibt, die so denken?“

„Schlimmer noch. Sie tun es tatsächlich. Erinnern Sie sich an die zwei Schilder an dem Haus hinter der Bushaltestelle in Miedzyzdroje?“

„Sie meinen ‚Salon Gier’? War das eigentlich eine Bank?“

„Nein, so nennen unsere Nachbarn und momentanen Gastgeber ihre Spielhöhlen.“

„Nicht schlecht. Erstaunlich, daß die Polen dafür ein französisches und ein doitsches Wort benutzen.“

„Na ja, das sogenannte Europa beim Namen nennen.“

„Und der ‚Admiralclub’? Was ist das?“

„Das ist ein riesengroßer, leerer Saal, den nie jemand betritt.“

„Und zu was dient dann der leere Saal?“

„Da drinnen wohnen die ganzen Träume, die vom ‚Salon Gier’ nicht erfüllt werden.“

„Und warum stellen unsere Gastgeber eine Windmühle an den Strand?“

„Wie bitte? Wo, Budnikowski?“

„Da hinten! Sehen Sie?“

„Der Wind frischt auf!“

„Ich nenne so etwas einen Sturm.“

„Gehen wir?“

„Wir können nicht!“

„Warum?“

„Wir warteten auf den nächsten Tag!“

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Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 13

Sonntag, 26. August 2012 21:03

pol27

„Darf man dieses Bier auch trinken oder ist das jetzt Kunst, Mahler?“

„Das ist eine Frage der Verabredung!“

„Und die sähe folgendermaßen aus?“

„Na ja, das Bier einfach austrinken, ist es nicht!“

„Ja, dann denken Sie mal nach, was ES dann wäre, Mahler! Und wenn es geht, bevor ich verdurste!“

„Vielleicht muß der eine immer durch das Bier schauen, während der andere trinkt!“

„Und muß der Schauer dem Trinker währenddessen erzählen, was er sieht?“

„Nicht was er sieht, was er, also, was es mit ihm macht, Empfindung, Anregung, Zustand!“

„Durst!“

„Ich verstehe, Budnikowski, trinken Sie als erster!“

„Ich weiß, ich bin ein kulturloser Banause! Na zdrowie! Holen Sie so lange ein zweites Säftlein. Und, falls die Sonne hineinpaßt, zwei Wässerchen!“

„Das ist gut. Die Sonne paßt zwar nicht ins Wässerchen, aber so lang die Sonne im Bier verharrt, können wir ja! Sie verstehen, Budnikowski?“

„Und warum sind Sie noch nicht am Tresen?“

(Irgendwann endet der schönste Sonnenuntergang, wobei diejenigen hier oben, ganz besonders lang und intensiv sein können. Wenn sie wollen und sie das Gefühl haben, man schaut ihnen zu. Mit Hingabe und durchs Bier. Die Nacht klopft an!)

„Und was machen wir morgen?“

„Was machten wir morgen!“

„Richtig, Mahler, wir sind ja nicht live!“

„Morgen schauten wir, ob es was zu retten geben würde!“

„Aber nur, wenn derdiedas auch gerettet werden wollte!“

„Da kann man ja mal drüber disputieren. Aber erst morgen!“

„Tak! Tak! Eine Frage noch. Darf man auch ein sonnenloses Bier trinken!“

„Fangen wir halt den Mond ein!“

„Das ist aber eine ganz besondere Kunst!“

„Machen wir ein Konzept! Und richten uns darinnen ein!“

(Angeregte Gespräche. Muß man jetzt nicht alles dokumentieren.)

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Wie wir den Nachbarn im Osten besuch(t)en 12

Samstag, 25. August 2012 21:31

pol25

„Sie hängen aber ganz nett in den Seilen, Pan Budnikowski!“

„Des Hasen ist eher das Feld. Aber anderes Thema: ist das hier noch Sozialismus, diese Fähre, die uns befördert über die Swine tagtäglich hin und her?“

„Sie meinen, weil diese Fähre umsonst befördert?“

„Außer die Nichtswinousjier, sollten sie ein Auto besitzen!“

„Die dürfen aber am Samstag und am Sonntag! Auch umsonst!“

„Könnten Sie bitte mal meine erste Frage beantworten, Mahler, da mich gerade die Seekrankheit anspringt!“

„Das kann sich ja hier bestenfalls um eine Flußkrankheit, oder genauer, um die Mündungsarmkrankheit handeln! Oder?“

„Nichts schlimmer als ein Mahler, den das Ohrläppchen nicht mehr juckt!“

„Verzeihen Sie, werter Freund, meine Überdrehtheit, auf Booten werde ich wach. Nein, mit Sozialismus hat es nichts zu tun, der Mündungsarm hier ist ein Wasserweg, also kein Fluß, sondern so etwas wie ein Kanal und deshalb muß er kostenfrei gequert werden dürfen.“

„Woher wissen Sie das?“

„Hat mir einstens in Kiel der Mann, der die Fähre über den Nordostseekanal schipperte erklärt, als ich ihm Geld entgegenstreckte für eine Fahrkarte und er mir dann lang und breit und norddeutsch ausführlich erzählte und diesen Vortrag natürlich auch mit etlichen Dönekes ausschmückte, von denen ich Ihnen nur das ein oder andere in angedeuteter Form, falls Sie wünschen.…“

„Pan Mahler, wir haben angelegt, was ich befürworte. Wohin heute?“

„Heute mal nach rechts. Links waren wir schon!“

(Man steigt von der Fähre und bleibt stehen. Von Lippstadt – Budnikowski hat festen Boden unter den Füßen, aber was er sieht, läßt ihn schwanken.)

„Mahler, was ist das denn?“

„Plattenbau!“

„Ich dachte Kunst!“

„Eine Frage der Bildbearbeitung!“

„Aber schon recht heftig, nicht wahr!“

„Nun gut, wann und wie ist das Ding entstanden? Armut, Wohnungsnot, ein Haufen russische ‘Freunde’ und waren Sie schon mal in Lloret del Mar?“

„Was macht man da?“

„Urlaub!“

„Und was machen wir jetzt?“

„Haben Sie schon mal den Sonnenuntergang durch ein Bierglas hindurch betrachtet, Budnikowski?“

„Ist das auch Kunst?“

„Man kann Kunst daraus machen!“

„Na dann mal los, Mischka!“

„Bitte?“

„Bärchen, aber auf russisch! Da fällt mir noch was ein. Wenn die Fähre was kosten würde, würde Sie dann schneller und besser fahren, eine Abkürzung über die Swine entdecken und die einzige Toilette wäre auch sauberer, Pan Mahler?“

„Vielleicht hat ja Herr Mehdorn noch was Zeit über!“

„Und jetzt, da vorne an der Kreuzung. Nach links?“

„Da fragen Sie mich was, Pan Budnikowski!“

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