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Budnikowski schreibt dem Mahler einen Brief und beschließt Marmeladenbrote anzubeten

Sonntag, 22. November 2015 21:10

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Budnikowski hatte eine alte Schreibmaschine auf der Straße gefunden. Falsch. Er hat die Ehrenwerte Pelagia eine alte Schreibmaschine auf der Straße finden lassen. Falsch. Das hat die Ehrenwerte Pelagia wohl selber gemacht, also gefunden. Falsch? Falsch. Ein uns nicht näher bekanntes Wesen hat die alte Schreibmaschine der Pelagia zu dahineilenden Füßen an den Straßenrand gelegt und der blieb nichts anderes übrig als die alte Schreibmaschine zu finden. Falsch. Wäre sie da nicht lang gelaufen, dann hätte sie die alte Schreibmaschine gar nicht sehen können, dort am Straßenrande rechts. Falsch. Links. Falsch. Mittags. Falsch. Hätte, wäre und hätte man gewußt, hätte man die alte Schreibmaschine woanders deponiert. Falsch. Das ist doch ausgemachter Blödsinn. Falsch? Falsch. Das ist ausgedachter Blödsinn. Richtig. Nein. Nein! Falsch. Die Schreibmaschine war schon immer da gewesen und man hatte sie nicht bemerkt. Falsch. Erst wenn man etwas bemerkt, ist es auch vorhanden. Falsch! Man muß über das Bemerkte schreiben, dann erst existiert es. Falsch. Die Worte verbergen das wahre Wesen des Gegenstandes. Falsch. Der Schreiber verbirgt mit den Worten sich selbst. Falsch. Die Schreibmaschine kann doch nichts dafür. Falsch. Wer A sagt, muß sich auch aufs B tippen lassen. Falsch. Aber die Werte. Falsch. Unsere Werte. Falsch. Unser aller Wertekanon. Falsch. Schreibmaschinen singen nicht falsch. Falsch. Der Letzte knipst die Lichtgestalt aus. Falsch? Falsch. Budnikowski behauptet, er habe eine alte Schreibmaschine auf der Straße gefunden, die die Ehrenwerte Pelagia fast übersehen hätte, weil wenn etwas nicht existiert, kann man kein B tippen, geschweige denn über das Wesentliche schweigen. Leider falsch. Budnikowski hebt die linke Pfote, auf dem obigen Foto verdeckt. Da ist doch was verborgen. Falsch? Wir werden es wissen, wenn es zu spät gewesen sein wird. Falsch. Das ist die einfachste Übung, also falsch, aber richtig. Schreibt Budnikowski dem ihm einen Brief diktierenden Mahler einen Brief? Er tut es scheinbar. Falsch? Er kauft sich keine neue Karotte.

Hömma Mahler,

mir isset, als ob et angebracht wäre, dat ich ab morgen Marmeladenbrote anbeten tu.

Herzlichst

Ihren Budnikowski (Exbärte)

Thema: Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Vor dem Winter ein Endspiel auf der Heizung III

Dienstag, 17. November 2015 8:55

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Hätten die Fenster Läden, sie klapperten und rüttelten. Die Blätter drehen sich zu Boden, als fänden sie Gefallen daran zu vergehen. Die Heizung zischt, schweigt, zischt, schweigt. Im Dachgeschoß rumpeln Schritte. Der Bär freundlich.

Willst Du ein Stück?

Nein. Pause. Wovon?

Vom Zwieback. Ich habe die Hälfte davon verwahrt. Er betrachtet den Zwieback. Stolz. Drei Viertel. Für Dich. Da. Er reicht dem Hasen den Zwieback. Nein? Pause. Ist Dir nicht wohl?

Sei doch still! Pause. Sprich leiser! Pause. Wenn ich nur schlafen könnte. Ich würde vielleicht lieben. Ich bestiege den Blauen Berg. Blickte auf Weiten, Lichtes, könnte sehen… sehen… Himmel, Erde, Natur, nacktes Leben. Pause. Einfach. Pause. Es tropft, es tropft in meinem Kopf.  Pause. Es ist ein Herz, ein Herz in meinem Kopf.

Ah! Hat man gehört. Man läßt Herzen klopfen. Im Kopf. Ah!

Man sollte über so etwas nicht lachen.

Nichts ist komischer als das Unglück, zugegeben. Der Hase entrüstet.

Oh!

Doch, doch, es gibt nichts komischeres auf der Welt. Und wir lachen darüber, wir lachen darüber, aus vollem Herzen, am Anfang. Aber es ist immer dasselbe. Wie bei einem Witz. Anfangs noch lachen wir. Dann wird es wie immer. Der Witz wird zu oft erzählt. Pause. Willst Du Deinen Zwieback nicht?

Ich werde Dich verlassen.

Kannst Du mich vorher noch kratzen?

Nein. Pause. Wo?

Am Rücken.

Nein. Pause. Reib Dich an der Heizung. Oder an der Wand!

Weißt Du noch, wie wir lachten. Pause. Damals. Wir wären beinahe von der Heizung gefallen, so lachten wir.

Es war das Erdbeben.

Nein, es war der Witz. Pause. Hör ihn dir nochmal an. Erzählerton: Ein Engländer – er verzieht sein Gesicht, um einen englischen Bären nachzumachen. Es gelingt mit groben Zügen -, der dringend eine gestreifte Hose für die Silvesterfeier braucht, begibt sich zu einem Schneider, der seine Maße nimmt. Stimme des Schneiders. So klingt ansonsten der Hase: „So, das wäre geschafft, kommen Sie in vier Tagen wieder, dann ist sie fertig.“ Gut. Vier Tage später. Stimme des Schneiders: „Sorry, kommen Sie in acht Tagen wieder, der Hosenboden ist mißraten.“ Gut, macht nichts, der Hosenboden ist nicht so einfach. – Acht Tage später. Stimme des Schneiders: „Bedaure sehr, kommen Sie in zehn Tagen wieder, die Schrittnaht ist mißlungen.“ Gut, einverstanden, die Schrittnaht ist delikat. – Zehn Tage später. Stimme des Schneiders: „Tut mir leid, kommen Sie in vierzehn Tagen wieder, der Schlitz ist mißglückt.“ Gut, wenn’s denn sein muß, ein guter Schlitz muß sitzen. Pause. Stimme des Bären. Ich erzähle den Witz schlecht. Pause. Trübsinnig. Ich erzähle den Witz immer schlechter. Pause. Erzählerton: Kurzum, die Osterglocken blühen schon, und der Schneider verpatzt die Knopflöcher. Der Bär macht das Gesicht des englischen Bären, auch Kunde des Schneiders mit der Stimme des Hasen. Englisch entrüsteter Bär: „Goddam, Sir, nein, das ist wirklich unverschämt, so was! In sechs Tagen, hören Sie, in sechs Tagen hat Gott die Welt erschaffen. Ja, mein Herr, jawohl, mein Herr, sage und schreibe die W e l t! Und Sie, Sie schaffen es nicht mir in drei Monaten eine Hose zu nähen!“ Stimme des Schneiders, ebenfalls entrüstet: „Aber Mylord! Mylordschaft! Sehen Sie mal – verächtliche Geste, angeekelt – die Welt an… Pause … und sehen Sie da – selbstgefällige Geste, voller Stolz – meine H o s e!“

Pause. Der Hase starrt in den Morgen. Sein Körper krampft, er bricht in ein schrilles Lachen aus, schweigt, lehnt seinen Kopf an des Bären Schulter und lacht wieder los. Der Bär milde.

Ruhe!

Der Hase zuckt zusammen und hört auf zu lachen. Der Regen trommelt ohne Unterlaß gegen die Scheiben. Der Bär läßt das Buch sinken. Er ist müde. Es ist noch früh. Klebrige, lästige Dunkelheit. Klamm, gottgegeben. Der Bär erhebt sich.

Laß mich eine kleine Runde machen.

Thema: Endspiel | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Vor dem Winter ein Endspiel auf der Heizung II

Sonntag, 15. November 2015 17:31

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Der Tag hält sich in Grautönen. Glocken läuten. Vor dem Fenster pickt eine Amsel nach Wacholderbeeren. Dann fällt sie tot vom Baum. Der Hase.

Fühlst Du Dich in Deinem normalen Zustand?

Ich sagte doch, daß ich mich nicht beklage.

Ich fühle mich etwas komisch.

Keiner hat Dich gezwungen.

Es kann zu Ende gehen. Pause. Das ganze Leben dieselben Fragen, dieselben Antworten.

Wir werden uns erheben müssen. Wir könnten wieder von Zwieback leben. Anderthalb Zwieback pro Tag werden reichen. Pause. Ich werde nicht gehen können. Der Bär seufzt leise, kratzt sich am Rücken. Der Hase reckt den Kopf nach oben, spricht.

Haben wir schon Licht? Schaut nach links. Gleich springt der Kühlschrank an. Schaut nach rechts. Er wird leiser sein als letzten Sommer. Schaut nach oben. Ah. Schaut nach unten. Er beginnt zu zittern. Wirst Du mich verlassen?

Der Zwieback hat keine Beine.

Früher mochtest Du mich.

Früher.

Ah. Immerhin. Pause. Der Bär erhebt sich. Klettert von der Heizung. Durchschreitet einmal den Raum. An der gegenüberliegenden Wand bleibt er stehen und lehnt sich mit Stirn und Tatze an die Wand. Der Hase schrill.

Wo bist Du?

Hier.

Warum tötest Du mich nicht?

Ich weiß nicht, wie die Zwiebackdose zu öffnen ist. Pause. Vernehmbarer Atem. Drei Sekunden lang. Dann Stille. Später. Der Weg ist mir zu weit. Wir werden Fahrräder holen müssen. Oder Pferde. Pause. In der Küche lauert der Tod. Verfluchte Erzeuger. Keine Haltung. Keine Moral. Fressen. Fressen. Sie denken nur ans Fressen.

Ich will meine Karotte. Pause. Schrill. Wo ist der Brei? Schriller. Ich will meine Karotte als Brei. Pause. Es ist sinnlos.

Es gibt keine Natur mehr. Die Felder sind Sümpfe geworden. Plastikbeutel wehen in die Drahtzäune. Die Natur wird uns vergessen.

Du übertreibst. Wir atmen doch, wir verändern uns! Wir verlieren täglich Haare, Zähne, Zuversicht, unsere Frische, unseren Anstand, unsere Ideale. Der Bär schlägt seinen Schädel sanft gegen die Wand. Es klingelt an der Haustür. Schrecken. Der Bär dreht den Kopf.

Niemand auf der Welt hat je so verdreht gedacht wie wir.

Man tut was man kann.

Man hat Unrecht.

Du hältst Dich für gescheit, nicht?

Gescheitert! Der Bär horcht auf. Das Klingeln erlischt. Der Bär bläht seine Nüstern. Seufzt wieder. Als sei es die Welt!

Ja. Als sei es die Welt. Pause. Im Treppenhaus fällt die Türe ins Schloß.

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Vor dem Winter ein Endspiel auf der Heizung I

Donnerstag, 12. November 2015 7:17

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Innenraum mit Möbeln. Trübes Licht. Ein Heizkörper. Ein Hase und ein Bär. Auf einem Fensterbrett hinter ihnen Erinnerungsstücke. Tand. Der Hase lacht auf. Spricht.

Ende. Es ist zu Ende. Ein Körnchen kommt zum anderen. Eins nach dem anderen und eines Tages, plötzlich, ist es ein Haufen, ein kleiner Haufen, der unmögliche Haufen. Man kann nicht mehr schlafen. Man kann nicht mehr strafen. Ich schließe die Augen. Sie sind geschlossen. Man hat sie mir geschlossen. Vielleicht. Ich werde sie geschlossen halten. Mit Sicherheit. Ich betrachte von nun an meine Lider. Von innen. Zentimeter für Zentimeter. Dann warte ich. Bis man nach mir pfeift.

Der Hase verharrt regungslos. Der Bär gähnt. Er dreht die Heizung höher. Kratzt sich am Pöter. Erhebt die Stimme. Brummt.

Jetzt bin ich dran. Pause. Erneutes Gähnen. Ein beherzter Furz. Ich bin dran. Jetzt spiele ich. Ah. Heißes Eisen. Mein Fell dampft. Er seufzt. Der Hase bleibt regungslos. Man kann ihn nicht denken hören. Kann es ein Elend geben, das erhabener ist als meines? Möglicherweise. Früher. Auf rauhen Inseln. In Kamschatka. Hinter den Winden. Bei Wyoming. Pause. Ich kann mir denken, daß es viele sind, die leiden. Dreht die Heizung noch höher. Aber mein Leiden. Gibt es Gleichwertiges? Ich bin allein.

Die Luft ist unerträglich heiß. Wecke mich, wenn ich einschlafe. Er schlägt nach dem Bären. Wecke mich auf, sollte ich schlafen. Bring mich ins Bett. Der Winter lauert zwischen den heißen Metallrippen.

Wir haben doch eben erst Platz genommen!

Das ist kein Argument!

Ich kann nicht in jeder Minute etwas tun.

Dann blicke in meine Augen. Das Jucken ist unerträglich. Reiche mir ein Taschentuch. Die Suppe ist versalzen. Das Lied gefällt mir nicht. Meine Glieder knarzen. Die Zeiten sind ungeheuerlich!

Jetzt wird es mir zu bunt!

Der Bär greift ins Bild und kratzt sorgfältig die Farben aus den Furchen. Das Hase hält ein paar Noten in den Pfoten. Novemberwind pustet Wüstensand auf die Wunden des enteilenden Jahres. In der Ferne Furcht. Und Dresdner Stollen.

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In fernen Zonen / Der Heimkehrer bleibt blind

Sonntag, 25. Oktober 2015 9:52

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Immer wieder hatte ich meine weinende Pfote auf die Schulter des Ehrenwerten Herrn Archibald Mahler gelegt. Nein. Immer und immer noch ruhte die Pfote, feucht im Augenwinkel, auf der Schulter des Großen Häuptlings des untergegangenen Stammes der Kamschakta – Bear, dem Legendenberankten, dem Liederumtosten, dem Wehmutsriesen namens Kleines Abbes Bein. Aber der Zweitakter rollte vorwärts unbeirrt und das verräterische Grinsen im Antlitz des Bären gab mir keinen Anlaß eine Vollbremsung, eine Umkehr oder wenigstens eine besinnende Rast zu erhoffen. Wenn blubbernde Heizungsrohre und der bevorstehende Winterschlaf rufen, ist die Abenteuerlust oder ein herzschwerer Erinnerbedarf eines Feldhopplers dem Bären nicht mal ein Nicken des zur Kenntnis genommen Habens wert. Doch der gescheite Hase baut vor und haste nich gesehn nahm ich ein oder zwei Scheibchen der Magischen Pilze zu mir, die man mir zum Abschied in der Pulqueria in mein Jutebeutelchen gesteckt hatte. So lebet ihr weiterhin in den Gefilden der strukturierten Vermessenheit und glaubt den Ziffern eurer dahin rasenden Wecker, ich weile zwischen den Zeiten, Zeilen und Farben. Der Siegtreffer wird vor dem Ausgleich geschossen und der Fehler wird gemacht am Ende des Buches. Meine Augen verschließen sich vor den Bildschirmen und Straßenlaternen, in blinder Ruhe blinzeln sie entgegen einem inneren Lichte. Langsam reite ich die Welle zu Ende, die Larve des Old Schmetterpfote pellt sich von meiner Haut, es kitzelt und alsbald liege ich zusammengerollt in den Federn meines nächsten Ichs. Spektren durchpulsen mich und in frisch erworbener Blindheit vertraue ich dem Gasfuß des Herrn Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz, wieder mal befindlich auf einer seiner vielen ziellosen Heimfahrten. Und ohne eine Klage werde ich in den Körper schlüpfen, der – wann auch immer dies sein wird – neben dem Bären auf einer in Betrieb genommenen Heizung sitzen wird. Vielleicht werden wir Schach spielen. Vielleicht werden wir sterben. Wir werden zu tun haben. Das ist gewiß. Ausnahmsweise pfeift eben der Bär ein feines Lied, denn streng genommen ist dies mein Brevier. Dabei übersieht er eine rote Ampel. Blöd!

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Thema: Archibalds Geschichte, Aufbrüche 2015, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Das versteinerte Gebet / Mescal und Heimreise

Dienstag, 13. Oktober 2015 18:53

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Gerne würde ich an dieser Stelle berichten von letzten Worten, die Kleines Abbes Bein, der edle Häuptling der Kamschatka – Bear, uns hinterlassen, gerne würde ich singen ein Lied, dessen weiche Melodien und dessen trostgebende Worte uns über die Täler der Unbill und Großen Traurigkeit hinweghülfen, gerne stünde ich an einer Wegkreuzung und blickte mit festem Auge auf das aufgestellte Schild und wüßte sogleich wohin ein zweifelsfreier Schritt uns führen wird. Doch mein Gefährte hatte nichts hinterlassen zum Abschied als Gruß und frommen Wunsch. Er war gegangen um seiner selbst willen. Kein weißer Bart baumelte von den Himmeln hinab, keine biblischen Strahlen fingerzeigten das Licht vor meine taumelnden Füße und Manitou hatte das Gebäude unseres Mißvergnügens schon längst verlassen. Die Götter nun unsichtbar geworden und wir hatten es gewollt.

Unten im Tale schrie Tinseltown von sich selbst ergriffen, die Rücken der Schafe krümmten sich in freiwilliger Verzückung und Fäuste trommelten auf die eigene Brust. Trockener Husten pfiff durch die durchstochenen Lippen. „Oh Tinseltown, sei gebenedeit und leg uns an die Uniformen, wir singen steinernes Gebet.“ Mir war kalt so ohne den Gefährten an meiner ängstlichen Seite und ich sah uns blicken hinab ins Tal, wie wir es in diesem langen Sommer es so oft getan, doch kein Rad in der Nähe meiner zitternden Pfote, welches zurückzudrehen griffbereit. Schwitzend, fluchend und greinend wie ein armes, verhärmtes, altes Weib, welches die Söhne übers Meer geschickt, auf daß jene dort im Schatten der Tempel des Ewigen Klimperns ein paar erbärmliche Unzen verdienen mögen, um ihr einstens zwischen den fensterlosen Trümmern der Heimat ein halbwegs würdevolles Begräbnis bezahlen zu können, taumelte ich voran ohne Ziel. Ein klebriges Gespinst wuchs vor meine Augen. Erblindete ich? Ich fiel mehr, als daß ich eintrat in jene schummrige Pulqueria. Ich hob den Arm und sogleich ergoß sich die milchig – schäumende Flüssigkeit in meinen Leib, sickerte durch die Wände meiner Adern und da ich spürte, daß dieses Stöffche zu schwach, verlangte ich nach einem doppelstöckigen Mescal, schluckte und zerbiß den Wurm. Das Licht schwand. Warmer schwarzer Wind küßte meine Ohren, meine Füße tanzten durch das Sägemehl, welches den Kneipenboden bedeckte und ein Blume stach mir in die Nase. Ach, wie frohgemut hatte ich sie einstens gerochen. Wo weilst Du, oh Schöner Tag? Das Gurgeln, welches sich meiner pulsierenden, nach mehr verlangenden Kehle entrang, mir schien, ich konnte es sehen, als ein starker Arm von hinten mich umfasste. Meine Stimme schwand und man sprach mit mir.

„Budnikowski, der Herbst ist da. Morgen soll es sogar schneien. Also, auf den Bergen, sagt man. Wir müssen das Tal verlassen. Steig ein. Suchen wir einen Heizkörper!“

„Aber was ist mit Tinseltown? Was ist mit dem Tal? Oh Häuptling und Gefährte, mir ist gar nicht gut.“

„Kommt der Lenz, gehen wir wieder raus! Jetzt hoch mit dem elenden Pöter!“

„Mahler? Sind Sie’s?“

Das Letzte, was ich vernahm, bevor ich in einen tiefen Schlaf fiel, war das Klackern eines alten Zweitakters. Roch ich Benzin?

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In den Abendbergen / Hohes Wasser

Samstag, 3. Oktober 2015 10:28

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Und so habe ich auf all meinen Reisen der Klagen so viele vernommen und – die Götter mögen mir vergeben – auch der Klagen zu viele ausgesprochen. Viele Flüsse querte ich, manches Ufer fand mich als ungeduldig Wartenden und der Strom eilte dahin und nahm keine Notiz von mir. Kleines Abbes Bein und ich blickten auf das unergründliche Wasser und es schien uns die Zeit gekommen, tatenlos zu bleiben. Wir sprachen nichts. Jenseits lag Tinseltown, dort drehten sich die Glücksräder in rasendem Tempo, hart und haltlos schlugen die Silberkugeln in den rotierenden Scheiben und taumelten in das Fach, welches ihnen der Zufall zuwies. An den Spieltischen grabschten von sich selbst Besoffene nach den Jetons und heulten sich gegenseitig kurzfristigen Triumph in die angstverzerrten Gesichter. „Ich habe es doch schon immer gesagt! Ich wußte es! Ja! Ich! Ja! Nein! Rache!”, so hallte es hinüber und schlug gegen unsere Stirn. Wir waren angekommen vor dem Ziel. Der Abend tropfte vom Himmel, die Sterne blickten ungerührt und eine Entscheidung war gefallen. Man mußte sie nicht treffen. Sie hatte gelauert. Wir würden zurückkehren. Kleines Abbes Bein blickte in meine Richtung, sein Blick war klar, doch voller Trauer. Ich wußte, was er sagen würde.

Wir flüchten jeden Tag und haben doch kein Ziel! Trotzdem eilen wir weiter, alleine, oft in Gesellschaft. Das ist die heilsame Täuschung, welche die Götter uns schenkten. Doch sowie der Verband die Wunde nicht nur schützt vor Staub und Getier, entzieht er auch die Verletzung schamvoll den neugierigen Blicken. Den letzten Fluß zu queren jedoch, bleibt die Aufgabe, die wir allein zu erfüllen haben. Mein Herz hatte seine alte Schwere wieder gefunden hier am Ufer, bang pulste Gewißheit in mir. Die Zeit war gekommen. Mein Tomahawk flog in die Fluten und versank. Ein Reisender muß wissen, wenn das steigende Wasser außer Kontrolle gerät. Die Behauptung, in solchen Momenten läge noch das Heft des Handelns auf dem Schreibpult seines kurzen Lebens, ist Chimäre. Ich griff nach der Pfote meines treuen Gefährten und Blutsbruders. Dann erhoben wir uns.

Der Blick schweifte weit und weh. Wir hatten Platz genommen am westlichen Abhang der Abendberge. Unten im Tal erhellten die kreischenden Lichter von Tinseltown die zertrampelte Ebene. Der Damm knarzte, wölbte sich und machte sich bereit zu brechen. Die Flut scharrte mit den Hufen. Leere Blätter harrten darauf, einem letzten Heldengesang traurige Heimat zu geben. Ich spürte wie der Geist von Häuptling Kleines Abbes Bein zum Aufbruch blies. Zwar wußte ich, wir würden zurückkehren, wenn die Flut sich verlaufen haben würde, doch was würden wir dann vorfinden? Wohin hätte uns ein gnadenloses Schicksal in ferner Zeit dann gespült? Und ich ahnte, was mein Gefährte antworten würde.

„Mein Bruder, Kleines Abbes Bein wird nun aufbrechen. Er kann dem Rufen nicht länger standhalten. Er wird sich von der Vermessenheit zu wissen verabschieden und dorthin wandern, wo die Wasser zur Ruhe finden.“

Drunten im Tal machte sich Tinseltown daran seinen Untergang zu feiern. Die einarmigen Banditen ruderten und warfen klingelnd erbärmlichen Zoll in hochgehaltene Plastikeimer. Mir schien, dieses Reich ging nicht unter mit stolzer Brust und verbeultem Harnisch, dieses Reich erstickte an seiner verzweifelt egomanen Larmoyanz. Ich sah den Großen Häuptling des ausgelöschten Stammes der Kamschatka – Bear seine Tatze heben zum Gruß. Eitelkeit wäre es von einem letzten zu sprechen oder zu singen.

„Die Götter haben uns das Geschenk der Freiheit gemacht. Es ist ein großer Fehler, dieses Gut zu nutzen, als sei es von Unendlichkeit. Old Schmetterpfote mag nun alleine wandern! Leb wohl!“

Und ich saß in erwachter Einsamkeit. Räder drehten, Maschinen schnauften, Bildschirme flackerten. Für wen? Ich griff nach meiner Kladde und suchte meinen Füllfederhalter.

(Eine Fortsetzung noch folgt)

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Am Fluß ohne Wiederkehr / Die Verpflichtungen

Sonntag, 13. September 2015 17:50

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Das Gehen der Kamschatka – Bear ist ein Fallen, ein Fallen mit dem Fluß, ein stetes Fallen in die Zeit. Ein Kamschatka – Bear weiß, daß jeglicher Schritt, den er ab seiner Geburt tut, ihn dem letzten Großen Sprung näher bringt. Der Kamschatka – Bear fürchtet nicht den Tod, er vergeht sich selbst Schritt für Schritt. Deshalb kennt der Kamschatka – Bear keine Eile. Er benötigt keine falsche Kraft. Das was ein anderer sein Gewicht nennt, nennt der Kamtschatka – Bear die Verpflichtung und diese zieht ihn dahin. Selbst das Erklimmen eines Berges – der Kamschatka – Bear ahnt wohlwollend die Zweifel im Auge des Lesers – erfolgt im steten Fall. Den Oberkörper Richtung Oberschenkel gelehnt, die Verpflichtung in den Waden konzentriert, fällt der Kamschatka – Bear Tatze für Tatze, Atemzug um Atemzug in den Hang und steigt hinan. Doch obgleich lange Jahre von meinem verehrten Lehrmeister Klecker Peter in der Kunst des klaglosen Gehens unterwiesen, so fiel mich auf der Wanderung hinaus aus dem Tal eine ungekannte Atemnot an. Ich folgte meinem Gefährten Old Schmetterpfote und dies gelang mir kaum. Das harte Gras schlug gegen die Verpflichtung in den schmerzenden Waden und auf meiner Brust machten sich einige der Dämonen breit, welche den Freund über das Grasland trieben. Meine Zunge klebte am Gaumen wie eines der gezackten Papierstücke, mit denen der weiße Mann seine Botschaften beklebt und diese dann den berittenen Boten des Pony – Express überantwortet. Entgegen aller tief in mir verwurzelten weisen Ratschläge – oh Hoffnung so trügerisch – führten wir, die wir überstürzt aufgebrochen, keinen Schluck Wasser mit uns. Die rasenden Hacken von Old Schmetterpfote wirbelten Staub und Gräsersamen in meine tränenden Auge und ich ersehnte den nahen Fluß.

Nein, ich war nicht auf der Flucht. Meine Heimat hatte ich – den Göttern sei Dank in freiwilliger Würde und aufrechter Ruhe – schon vor vielen Jahren hinter mir gelassen. Doch seit wir die kläglichen Reste von Kinky Claude unter die Erde gebracht hatten, trieben mich die Horden des Pferdefüßigen vor sich her. Hüfthohes Gras peitschte mir entgegen, meine rudernden Arme teilten die über dem steinigen Boden flimmernde Luft und mir schien, beschleunigte ich meine Schritte noch ein weiteres Mal, gelänge es mir den Horizont zu greifen. Was war der Grund dieser Hatz? Was trieb mich? War es der naive Glauben in Tinseltown ins Getriebe des Bösen greifen zu können und das ewige Rad des Verderbens in seinem Laufe bremsen, gar aufhalten zu können? Eine aus alten Gemächern der Seele aufsteigende Wut auf den obszönen Tanz der Krämerseelen um die goldenen Kälber? Meine nie versiegende Trauer über den Verlust von „Schöner Tag“? Oder trieb mich etwa die armselige Hoffnung in Tinseltown die Scherben meiner einst dort begangenen Dummheit zu finden oder gar zusammenkehren zu dürfen? Ich schlug meine Beine in den Prärieboden, schrie die Zahl meiner Schritte in die gleißende Mittagssonne, als ich den Horizont auf mich zurasen sah, meine Kehle sich schloß und ich unter einem dieser entrinnenden Gurgeln folgende Worte vernahm:

„Old Schmetterpfotes Geist weiß, daß der Feind, den er jagt, nicht fliehen wird. Er trägt ihn in sich. Es ist Zeit zu rasten!”

Die schwere Pranke von Häuptling Kleines Abbes Bein legte sich auf meine Schulter und ich fiel.

Rechtzeitig hatten wir das Ufer des Flußes erreicht. Wir saßen – gestärkt von Wasser und Forellen – im schützenden und kühlenden Schilf. Die Augen von Old Schmetterpfote blickten wieder klar. Der Pferdefüßige hatte sich zurückgezogen. Es war Zeit einen Plan zu fassen. Die Unken quakten. Der Freund und Westmann nestelte seine Mundharmonika aus der Ledertasche und blies ein wehes Lied in die hereinbrechende Nacht.

„Kleines Abbes Bein ist froh, auch wenn er weiß, daß eine Rückkehr ihm nicht mehr gewährt!“

„Ja! Die Lieder der Heimat klingen erst von fremden Höhen klar!“

(Fortsetzung folgt)

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Am Cospudiner See / Unbeglichene Rechnungen

Freitag, 4. September 2015 20:48

tal23

So saß ich also, all meine Reisen in die Täler und an die Ränder nur mehr als ein fernes Echo in meinen Löffeln rauschend, in eine Wolldecke gehüllt auf der Holzveranda meiner Blockhütte am Ufer des Cospudiner Sees in der Nähe meiner geliebten Gosenstadt, wohin meine von den Anstrengungen eines Lebens als Westmann gemüdeten Knochen mich hatten zurückkehren lassen – Oh Heimkehr du, stets ersehnt und schrecklich traurig gerne! – und der nahende Herbst blies kühl über das stille Wasser und das Rheuma in meine Glieder. Auf meinen wackligen Knien ein Schuhkarton. Erinnerungen quollen und ich fragte mich, was mich bewegt hatte, einen Gutteil der Schachtel mit Rechnungen anzufüllen, die meistens ordentlich beglichen zwar mit Nuggets oder einem guten alten Greenback, aber eben auch mit Narben, Schürfwunden und manchem geflickten Knochen, Rechnungen aber doch und es schüttelte mich die Vermutung, daß selbst im Herzen eines freien Geistes, geht es dem unvermeidlichen Ende zu, ein Buchhalter lauert, wenn ich mich nicht irre, hihihi! Und voller Wehmut blickte ich auf die Photographie, auf welcher der Schädel von Deadly Dust prangte, dem edlen Roß, welches einst Häuptling Kleines Abbes Bein über die Prärie getragen hatte und welches den Weg in die Ewigen Stallungen gehen mußte, an jenem gräßlichen Tage im Tal, als die zerstörerische Wucht einer Explosion mich durch die Luft gewirbelt hatte und der Große Manitu uns im allerletzten Moment das Gatter zu den Ewigen Jagdgründen vor der Nase zugeschlagen hatte, mir Old Schmetterpfote und meinem roten Bruder Kleines Abbes Bein. Sieh an den gebleichten Schädel eines unschuldigen Vierbeiners, welcher nun mahnend den Eingang zum (ehemaligen) Heiligtum der Kamschatka – Bear bewacht. Eine dieser Rechnungen, die wohl niemals beglichen werden oder erst im Angesicht des letzten Tages, an den Schranken eines letzten Gerichts.

„Mein weißer Bruder, der Du jenseits des Großen Wasser, welches der Große Geist zwischen unsere Heimatländer setzte, die Stille Deiner letzten Abende besingst, traurige Botschaft sendet Dir Kleines Abbes Bein, Häuptling des untergegangenen Stammes der Kamschatka – Bear. Jamulapanta, der Hüter der Seelen der Vierbeiner, ließ Hattumörla, das edle Roß von Old Schmetterpfote zu sich rufen. Viele Jahre weidete die treue Seele zu den Füßen meines Pueblo und nagte friedlich an den Halmen seines Ruhestandes, doch in einer der letzten Vollmondnächte, die eine klirrende Kälte bis in den tiefen Süden meines Landes geschickt hatte, fiel ein ausgehungertes Rudel Wölfe in unsere Stammesweiden ein und der alte Recke verlor seine letzten Kampf. Das Herz von Kleines Abbes Bein ist schwer und seine Gedanken weilen am anderen Ende des Großen Wassers bei seinem alten Weggefährten. Doch auch dankbares Glück erfüllt den Häuptling der Kamschatka – Bear, denn der weise Ratschlag von Klecker Peter, Kleines Abbes Bein möge Buchstaben und Schrift des Weißen Mannes erlernen, ist ein Segen und dem Herzen große Freude. Sei gegrüßt von den heißen Winden, die über die Prärien jagen. So manches Lied noch singen sie von den Taten des Old Schmetterpfote. Hugh, ich habe geschrieben!“

Dieser, einer der letzten Briefe meines Blutsbruders, war mir aus den klammen Pfoten gefallen, lag gelesen und beweint zu Füßen meines knarzenden Schaukelstuhles, eine vorwitzige Maus führte sich eine Ecke des wertvollen Dokumentes zu Gemüte, denn ich war eingenickt. Ich träumte von jenem Tag, als mich wenige Momente einer Illusion gestreift hatten, jener Illusion, diese alte Rechnung sei endlich nun beglichen, ich träumte von jenem Tag im Tal, als zwei aufrechte Seelen durch die Luft geflogen waren und das erste Geräusch, welches ich nach dem fürchterlichen Aufprall vernommen hatte, das erste Geräusch nach einem von mir herzhaft in die Prärie gebrüllten „Ei verbibsch, was brummt mir och dr Nischl!“, das Wiehern meines guten, alten Hattumörla gewesen war. Dazu wäre zu sagen, daß Kinky Claude einst – ach, einer unglückseligen Dummheit meinerseits geschuldet einst in Tinseltown, die zu erzählen ich bisher vermieden habe – mein treues Roß entwenden konnte und ich so also befürchtete, daß die todbringende Explosion, die auch den Auslöser in unzählige Teile zerfetzt hatte, das Ende von Hattumörla bedeutete. Doch dem waren die feinen Nüstern meines Rappen vor, das Roß hatte sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Und so erwachte ich vom alten Glück gestreift und mir war, als stünden der Große Häuptling der Kamschatka – Bear und ich wieder am schnell geschaufelten Grabe des Bösewichts, im Hintergrund befreites Wiehern. Ja, auch dem Sünder, und sind es nur ein paar Aschehäufchen, die man der Erde übergibt, schenkt der aufrichtige Christ tröstende Worte für die letzte Reise und bittet die Götter, sie mögen die eigene Unzulänglichkeit vor den Versuchungen und Abgründen des Bösen bewahren. Ich hörte wieder die Stimme meines roten Bruders.

„Old Schmetterpfote spricht Worte, die dem Herz von Kleinem Abben Bein wohltun. Möge der Mörder meiner Schwester und meines Vaters den letzten Pfad aufrecht hinabwandern. Es ist Zeit weiterzureiten.“

„Der Häuptling spricht weise und voller Vergebung. Bewunderung lässt mich tiefer atmen, doch vernehme, nur noch ein Pferd ist unser!“

„So schreiten wir voran! Kinky Claude war nur eine einzelne Seele, die der Milzbrand des Bösen ergriffen hatte. Mein Bruder weiß, daß es gilt den Arm des einarmigen Banditen zu brechen!“

„Und wohin führt uns die Wanderung, mein Bruder?“

„Nach Tinseltown, ins Herz der Finsternis. Die GRAUE WOLKE will weichen! Hugh!“

(Fortsetzung folgt)

tal21

Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Am Rand des Verderbens / Leere und Hoffnung

Montag, 31. August 2015 9:08

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Wüst und leer das Grasland. Keine Helden durchstreifen die Weite. Kein unruhiger Huf tritt die Halme. Der Morgen nach einer stürmischen und regnerischen Nacht liegt müde auf den geknickten Gräsern. Der Pfiff eines Präriehundes noch sirrt und dann fällt die bleierne Stille herab. Ein jeglicher Wind schläft. Der gelbe Planet erklimmt den Thron und brennt sich erbarmungslos in den aufsteigenden Tag hinein. Die Wundränder des Verderbens ziert eitriger Schorf. Die Koyoten schweigen in den Büschen, in denen sie lagern. Sie nagen einen letzten Knochen.

Selbst die eitle Hoffnung leugnet nicht den Tod, doch sie hofft der Sensenmann möge in den täglichen Kämpfen, die sich die Weiten der Prärie als Schlachtfeld gewählt haben, an den richtigen Türen klopfen, die leise Erwartung betet, er möge die Aufrechten verschonen, auf daß man weiterhin ihren Reisen folgen dürfe. Doch es herrscht keine Gewähr unter der brennenden Sonne. Das Große Schlachten kennt sie nicht die Guten, kennt sie nicht die Bösen, das Große Schlachten findet statt und badet in Drachenblut. Der naive und doch gerechte Glauben an eine weise Hand, die das Getriebe der Welten in freundliche und schonende Bahnen lenken möge, steht Tag für Tag und jeden Morgen wieder, den die Götter auf das weite Land, die Schluchten, Täler und Berge werfen, an den Wundrändern der ewigen Abgründe und zittert in Voraussicht. Die Prärie durchweht der bittere Hauch Hoffnungslosigkeit. Häuptling Kleines Abbes Bein und sein Gefährte Old Schmetterpfote scheinen ihre Pferde ein letztes Mal abgesattelt zu haben, sie scheinen nicht mehr zu sein als tränennasse Erinnerungsfetzen, gelagert in einem mürben Schuhkarton. Die Klapperschlange rüttelt ihr Hinterteil. Wir erschrecken nicht einmal mehr, geschweige denn vor uns selbst.

Auf einem Felsen unterhalb des geschändeten Heiligtums der Kamschatka – Bear lag und liegt der gebleichte Schädel. Fliegen durchsummen seine hohlen, ausgeweideten Augen, jene Pforten eines Palastes der Letzten Erinnerung. Welchen Helden trug früher dies dahingegangene Ross? Brach dereinst sein Lauf, in halsbrecherischer Flucht vor den Horden des Gewinnstrebens? Setzte ein untröstlicher Westmann die Flinte an den Schädel des gestürzten Freundes, ‘alternativlos’ wie der Zyniker Mantra raunt? Hat Kinky Claude sein Ziel erreicht? Hat die Habgier wieder einmal erfolgreich das Zepter ergriffen? Müde durchblättern wir ein Buch und lesen, was der Chronist Rainald G. vor kurzem niederschrieb:

„Diese rattig auf Schläue angelegten Typen entwickeln eine besonders effektive Wendigkeit am Arbeitsplatz, machen Karriere, weil sie die Regeln des Sozialen auf ihren eigenen Vorteil hin kalt belauern und unirritiert von allem Seelischen, Menschlichen und Zwischenmenschlichen nur für sich selbst ausnützen und ihre eigene Tiefenamputiertheit, ihren perfekten Zynismus als Professionalität bezeichnen. (…) Der andere Mensch ist total anders unterwegs.“

Wir atmen tiefer ein und bitten die Hoffnung unsere ängstliche und wütende Brust zu weiten. Möge der Schädel andere getragen haben denn unsere beiden Helden! In der Ferne lodert auf ein Götzenbild.

(Fortsetzung folge!)

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Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth