In den Abendbergen / Hohes Wasser

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Und so habe ich auf all meinen Reisen der Klagen so viele vernommen und – die Götter mögen mir vergeben – auch der Klagen zu viele ausgesprochen. Viele Flüsse querte ich, manches Ufer fand mich als ungeduldig Wartenden und der Strom eilte dahin und nahm keine Notiz von mir. Kleines Abbes Bein und ich blickten auf das unergründliche Wasser und es schien uns die Zeit gekommen, tatenlos zu bleiben. Wir sprachen nichts. Jenseits lag Tinseltown, dort drehten sich die Glücksräder in rasendem Tempo, hart und haltlos schlugen die Silberkugeln in den rotierenden Scheiben und taumelten in das Fach, welches ihnen der Zufall zuwies. An den Spieltischen grabschten von sich selbst Besoffene nach den Jetons und heulten sich gegenseitig kurzfristigen Triumph in die angstverzerrten Gesichter. „Ich habe es doch schon immer gesagt! Ich wußte es! Ja! Ich! Ja! Nein! Rache!”, so hallte es hinüber und schlug gegen unsere Stirn. Wir waren angekommen vor dem Ziel. Der Abend tropfte vom Himmel, die Sterne blickten ungerührt und eine Entscheidung war gefallen. Man mußte sie nicht treffen. Sie hatte gelauert. Wir würden zurückkehren. Kleines Abbes Bein blickte in meine Richtung, sein Blick war klar, doch voller Trauer. Ich wußte, was er sagen würde.

Wir flüchten jeden Tag und haben doch kein Ziel! Trotzdem eilen wir weiter, alleine, oft in Gesellschaft. Das ist die heilsame Täuschung, welche die Götter uns schenkten. Doch sowie der Verband die Wunde nicht nur schützt vor Staub und Getier, entzieht er auch die Verletzung schamvoll den neugierigen Blicken. Den letzten Fluß zu queren jedoch, bleibt die Aufgabe, die wir allein zu erfüllen haben. Mein Herz hatte seine alte Schwere wieder gefunden hier am Ufer, bang pulste Gewißheit in mir. Die Zeit war gekommen. Mein Tomahawk flog in die Fluten und versank. Ein Reisender muß wissen, wenn das steigende Wasser außer Kontrolle gerät. Die Behauptung, in solchen Momenten läge noch das Heft des Handelns auf dem Schreibpult seines kurzen Lebens, ist Chimäre. Ich griff nach der Pfote meines treuen Gefährten und Blutsbruders. Dann erhoben wir uns.

Der Blick schweifte weit und weh. Wir hatten Platz genommen am westlichen Abhang der Abendberge. Unten im Tal erhellten die kreischenden Lichter von Tinseltown die zertrampelte Ebene. Der Damm knarzte, wölbte sich und machte sich bereit zu brechen. Die Flut scharrte mit den Hufen. Leere Blätter harrten darauf, einem letzten Heldengesang traurige Heimat zu geben. Ich spürte wie der Geist von Häuptling Kleines Abbes Bein zum Aufbruch blies. Zwar wußte ich, wir würden zurückkehren, wenn die Flut sich verlaufen haben würde, doch was würden wir dann vorfinden? Wohin hätte uns ein gnadenloses Schicksal in ferner Zeit dann gespült? Und ich ahnte, was mein Gefährte antworten würde.

„Mein Bruder, Kleines Abbes Bein wird nun aufbrechen. Er kann dem Rufen nicht länger standhalten. Er wird sich von der Vermessenheit zu wissen verabschieden und dorthin wandern, wo die Wasser zur Ruhe finden.“

Drunten im Tal machte sich Tinseltown daran seinen Untergang zu feiern. Die einarmigen Banditen ruderten und warfen klingelnd erbärmlichen Zoll in hochgehaltene Plastikeimer. Mir schien, dieses Reich ging nicht unter mit stolzer Brust und verbeultem Harnisch, dieses Reich erstickte an seiner verzweifelt egomanen Larmoyanz. Ich sah den Großen Häuptling des ausgelöschten Stammes der Kamschatka – Bear seine Tatze heben zum Gruß. Eitelkeit wäre es von einem letzten zu sprechen oder zu singen.

„Die Götter haben uns das Geschenk der Freiheit gemacht. Es ist ein großer Fehler, dieses Gut zu nutzen, als sei es von Unendlichkeit. Old Schmetterpfote mag nun alleine wandern! Leb wohl!“

Und ich saß in erwachter Einsamkeit. Räder drehten, Maschinen schnauften, Bildschirme flackerten. Für wen? Ich griff nach meiner Kladde und suchte meinen Füllfederhalter.

(Eine Fortsetzung noch folgt)

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Samstag, 3. Oktober 2015 10:28
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