Ein vierter Brief an den Ehrenwerten Hr. Albert

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Sehr geehrter Herr Ernst Albert,

als hätten Sie sich lediglich gebückt, nein, ziemlich exakt fünf Jahre nach meiner Bergung setzten Sie mich an mein erstes Fenster. Schauen sollte ich. Ich tat’s. Warum? Nun, zwei Augen habe ich im Kopp und hielte ich jene unentwegt geschlossen, dürfte man mich nicht weiter Bär nennen, sondern sollte mich Olm, Maulwurf oder Hamm heißen. Und was schaute ich also dann? Die Welt. Klein erst, weiter dann, länger auch, auswärts und wieder nach innen und nah. Die Welt? Ich? Die eine Welt? Da dieser, der vierte Brief ein überschaubarer soll bleiben, will ich hier nicht weiter in den Beeten der Bedeutung rumhacken wie eine durchgeknallte Amsel und allzu ausführlich berichten von all diesen gefilterten und ungefilterten und bedachten und unbedachten und zwanghaften und freien und viertelwissenden und scheinempathischen und gelangweilten und aufgeregten und tobenden und gähnenden und traurigen und teilenden und egomanen und oberflächlichen und manchmal dümmelnden und wieder und wieder schrecklich belanglosen Blicken, welche ich auf diese gefilterte und ungefilterte und bedachte und unbedachte und zwanghafte und freie und viertelwissende und scheinempathische und gelangweilte und aufgeregte und tobende und gähnende und traurige und teilende und egomane und oberflächliche und manchmal dümmelnde und wieder und wieder schrecklich belanglose Welt warf in all meinen Ein – und Auslassungen. Besser: die Blicke, welche man vielleicht aus mir heraus warf. Weil: war ich es denn wirklich selbst? Ist mein Kopp mein eigener Kopp oder nur ein ferngesteuerter Apparat mit getrübten Sehschlitzen? Eine wohlfeile Reflexmaschine? Und wer war der Werfer? Wer warf all diese Blicke durch meine auf die Welten in mir und außerhalb meiner gerichteten Augen, wer warf durch mein unruhiges Linsen hindurch mit schwungvollem Arme alle diese Blick hinaus? Und wichtiger: wer warf das zurück auf meine Linse, was mir dann blieb im Kopp und später wurde Wort, Wörter und wieder Wort? Wirft überhaupt wer irgendwas und irgendwo? Gibt es einen Plan? Kann man von Absicht sprechen? Gibt es etwas jenseits des Versuches den Pudding Welt sich an die Backe zu nageln? Und, bester Herr Ernst Albert, verfolgten Sie denn einen Plan, als Sie mich ans Fenster setzten? Was war die Absicht? Bekenne, Mahler, bekenne er? Pustekuchen mit Sahne und Lachskonfitüre auf Toast! Was ich sagen will? Lieber Herr Albert, jeden Morgen erwache ich und bin mir ein Fremder. Und jeden Morgen läuft mir eine der vielen Welten vor die verschlafene Nase und will beäugt werden. Sie bleibt mir fremd. Immer wieder auf ein Neues. An manchen Morgenden, wenn ich mir selbst ein Näherer scheine, begrüße ich mich freundlich, duze mich sogar und eine der vielen, gerade vorbeihuschenden Welten hebt grüßend den Arm und winkt mir zu. Wie diese chinesischen Glückskatzen. Dann freue ich mich. Den anderen Morgen mag ich nur schlafen. Einen ewigen Winterschlaf. Da kann zurück werfen, wer werfen mag und was immer auch. Aber dies ist seltener. Das mit dem ewigen Schlaf. Das gestehe ich hier und Ihnen. Meist blickt mir die Neugier über die Schulter, reckt ihren Hals wie ein Schwan auf Patrouille und ich – oder wer immer das tut – schaue weiter hin und wieder. Das wollte ich Ihnen kurz (na ja!) mitteilen. Das nächste Mal schreibe ich dann vom Schwanenhals und was das macht mit einem Bären. Sonst fehlt mir weiterhin ein Plan. Gut so. Oder?

Bis dahin mit allerherzlichstem Bärengruß. Und nicht vergessen: Viele Welten werden gerne übersch(w)ätzt!

Ihr Herr Archibald Mahler

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Montag, 20. April 2015 21:00
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