Wolziger Seelegien / Zwölf / Krieg

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„Was ist das, Herr Albert?“

„Mein Gott. Am achtundzwanzigsten April. Von hier nach Berlin vielleicht noch achtzig / neunzig Kilometer! Oh ihr Aufrechtgeher, wie Du gerne sagst, Mahler!“

„Wer hat das gemacht?“

„Wahrscheinlich Angehörige. Söhne. Enkel. Nachdem der Große Bruder und Befreier weg war!“

„Aber die Sowjets waren doch Befreier.“

„Auch, vor allem, aber nicht nur!“

„Wer läßt denn in solch hoffnungsloser Lage sein Leben, wenn die Schlacht schon zehnmal verloren ist?“

„So einer wie Fühmann damals vielleicht. Erst Jesuitenschüler, dann glühender Nazi, glücklicherweise – für ihn – von den Sowjets nur gefangen genommen, Umerziehungslager, später Jubelstalinist, Staatsschriftsteller, langsam der Zweifel, alkoholkrank, irgendwann Dämmerung, Wandlung, die Trakl – Erfahrung, Sturz des Engels, Biermann, Alkohol wieder, radikale Askese noch, sich bis zum Tode aufgerieben im Krieg gegen den einst verehrten Staat!“

„Warum ist er nicht in den Westen, spätestens nach Biermann!“

„Die ekelhafte Saturiertheit da drüben, sagte er!“

„Das verstehe ich ein Stück weit! Warum führt ihr Aufrechtgeher eigentlich ständig Krieg?“

„Manchmal denke ich, weil wir unser eigenes Antlitz im Spiegel nicht ertragen können. Deshalb brauchen wir dringend Feinde, wenn es geht am besten in der Gestalt eines Monsters. Und hat es sich der Krieg erst einmal bequem gemacht in den Herzen der Menschen, der Staaten, der Religionen und der Feiglinge, was dann? Na ja, weiter bis ins zehnte Glied! Und so fort!“

„Herr Albert, heute ist soviel Krieg auf der Welt, wie seit langem nicht mehr!“

„So ist das Mahler, und die, die noch vom Krieg in unserem Land erzählen könnten, sterben langsam aus!“

„Haben Sie gefragt, als Sie noch fragen konnten?“

„Viel zu wenig, Mahler, viel zu wenig! Viel Zeit war leider auch nicht! Deshalb die Bücher. Deshalb auch Fühmann. Fremde Väter!“

„Der Krieg bleibt in Euch wohnen, auch wenn die Enkel es nicht wahrhaben wollen?“

„So kann man es sehen!“

„Und wie ging es mit dem Monolog weiter?“

„Ich habe ihn ein paar Mal aufgeführt. In der Heimat meiner Eltern. Erfurt. Jena. Rudolstadt. Weimar. Zwischen Mauerfall und Zusammenschluß Ost / West damals. Das Interesse war begrenzt. Es ist sehr anstrengend. Das wußte ich damals noch nicht.“

„Lassen Sie uns unter der Eiche ein wenig ruhen, Herr Albert!“

„Ja, das war ein voller Tag!“

„Bleiben Sie dran am Krieg, Herr Albert. Was da ist, ist da!“

„Ja, nicht anfangen zu wissen, bevor man begreift!“

„Und jetzt Schnauze, Aufrechtgeher!“

Unter der Dorfeiche von Schwerin endet ein Tag

Einer Eintagsfliege gleich / unter Deinen Jahrhunderten / ein böiger Nordost fächelt hinüber den Geruch von Pferden / ein Kleinwagen der Diakonie hält / ein kurzes Nicken / ein alter Mensch wird zu Bett gebracht vielleicht / Kohlweißlinge tanzen überm Klee / ein Mädchen streichelt sein Pferd / Wiehern und Lachen / der Rücken schmerzt nicht mehr / so jung ich unter Deinen Blättern / Ruhe

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Samstag, 23. August 2014 16:25
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