Die unerfüllte Sehnsucht nach dem schnellen Schuß, der doch bitte sitzen möge

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Guten Morgen! Das Glockengeläut hatte ihn geweckt. Ihm fiel auf, daß bär auch mal über den Sinn dieses Geräusches nachdenken könnte. Woher kommt dieses Geräusch, das er sehr mochte? Was soll es erzählen? Wer ist dafür verantwortlich? Doch heute war dafür nicht der richtige Tag. Die gestrige, nicht beantwortete Frage hatte einen sehr unangenehmen Geschmack auf seiner Zunge hinterlassen. Dreck halt! Die ersten Sonnenstrahlen des Tages versuchten den Nebel, der aus der Lahn stieg, zu durchbrechen und für ein paar Minuten war Archibald Mahler – Der frühe Bär denkt sich was! – versucht, die gestrige Frage mit einem einzigen Wort zu beantworten: VERBLÖDUNG! Aber da zuckte etwas in ihn. „Heiß ich denn Thilo?“ Das war es, was er dachte am heutigen Sonntagmorgen, zurückgekehrt auf die Chromstoßstange eines nun wirklich nicht mehr neuen roten Automobils auf dem Schrottplatz rechter Hand der Lahn am Rande der kleinen häßlichen Stadt.

Er schüttelte sich, kratzte sich den noch etwas schläfrigen Hintern und sprach zu dem vorschnellen Bären, der gerade aus ihm gesprochenen hat: „Und was hast Du davon, wenn Du mit kraftmeierischer Geste eine einfache Antwort unter eine vermeintliche einfache Frage setzt? Löst das den ekelhaften Müll über Nacht auf? Räumt es ihn weg? Und wie lange hält dann dieses Gefühl des Bescheidwissens, des Durchschauens an, wie lange gibt Dir das Gefühl, einen schnellen Schuß gesetzt zu haben, der vermeintlich voll ins Schwarze getroffen hat, so etwas wie Ruhe? Die Rädchen drehen sich weiter! Tag für Tag! Immer dasselbe, jeden Tag wieder frisch! Und dann? Weiterpumpen? Noch mehr geschwollene Halsadern? Pauken schlagen? Trompeten blasen? Säue durch die Dörfer jagen? Du magst Recht haben, aber halt Dein Maul! Und: Tu was!“

Der Nebel kondensierte auf des Bären Fell und kühlte seine am frühen Morgen schon heißgelaufene Denke auf erträglichere Temperaturen. Nachgerade erschrocken war er über die Heftigkeit des kurzen Dialoges mit dem Zweitbär in ihm. Bis jetzt hatte man weitgehend in Harmonie miteinander gelebt. Und nun? Einatmen. Ausatmen. Nichts und nun! So ist das nun mal. Auch ein milder Archibald trägt einen „Thilo“ oder „Kuno“ oder „Horst Eberhard“– oder wie immer sie heißen mögen – in sich. Gelegentlich! Vielleicht vergessen dies die empörten Aufrechtgeher, die die Splitter stets nur im Auge des anderen bemerken und sich vor allem an einem ergötzen: dem Gemurmel und Geschwurbel und Gerubbel und dem unaufhörlichen Geplätscher, das sie jeden Tag aufs Neue in die übervolle Welt hinausposaunen müssen. Ja, leider: müssen. Dann sonst kommt das große, schwarze, gnadenlose Loch namens NICHT DIE BOHNE BIST DU WICHTIG und frißt sie alle auf. Denken Sie zumindest. Aber jetzt war der Tag des Herrn (auch der Bären!) und Archibalds Hirn leerte sich und er fand es einfach nur erfrischend auf der Chromstoßstange eines nun wirklich nicht mehr neuen roten Automobils auf dem Schrottplatz rechter Hand der Lahn am Rande der kleinen häßlichen Stadt zu sitzen und den Morgennebel flüstern zu hören. Guten Morgen!

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Sonntag, 12. September 2010 8:29
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