„Du hast recht – Quasimodo hatte recht – Mozart hatte recht – Mach Dir keine Gedanken!“ (B.D.)
(Die Türe zum Orakel hatte sich geöffnet. Der Bär war eingetreten. Das Orakel ist nur ein Bild. Ein buntes Bild. Es spricht nicht. Noch nicht. Archibald Mahler glaubt einen Moment lang sich an das Gesicht, welches das Bild zeigt, erinnern zu können. Es gelingt ihm nicht. Das ist auch gut so, denn seine Rolle – der Suchende Bär – hat nämlich keinen blassen Schimmer, um wessen Konterfei es sich da handelt. Der Bär zittert etwas, vor Aufregung, vor Erschöpfung und vor Kälte. Dabei zerpflückt er die Rose, die er auf dem ganzen Weg hierher heldenhaft in seinen Pfoten gehalten hatte. Zerriebene Blütenblätter liegen auf dem Bühnenboden. Die Schwanenjungen im Publikum haben das bemerkt. „Mama, das war jetzt nicht gescheit vom dem Bär, gelle!“ Zustimmendes Nicken. Die Raben schwingen sich in die Lüfte und stimmen ein kleines krächzendes Liedchen an. Sie scheinen den Mann auf dem Bild erkannt zu haben. “Meine Geliebte ist wie ein Rabe, der mit zerbrochenen Flügeln auf meinem Fensterbrett sitzt! Die Lahn! Die Lahn ist das.“ “Der Mississippi wird es nicht sein. Ruhe, ihr Nasen!” Das sagt der Schwanenvater. Toneinsatz. Das Orakel spricht.)
„Da bist Du ja! Willkommen!“
„Oh, verdammter Mist!“
„Nette Begrüßung! Was ist los!“
„Ich…tut mir leid…muß ich jetzt wieder gehen?“
„Du störst mich nicht!“
„Aber ich habe die Rose kaputt gemacht!“
„Ich habe nicht die Angewohnheit, Eintritt zu verlangen. Du bist hier, ich sehe Dich und höre Dich. Was willst Du wissen?“
„Au! Wenn ich das so genau wüßte! Auf alle Fälle ganz viel!“
„Drei Fragen!“
„Nur drei?“
„Erstens reicht das, zweitens habe ich das Abendessen auf dem Herd und drittens sind drei Fragen Tradition in Märchen, Sagen und Mythen etcppp.“
„Darf ich kurz nachdenken?“
„Wenn es der Fragenfindung dient!“
(Der Bär schnauft und kratzt sich angestrengt an seinem Pöter. Er reckt seine Nase in die Luft. Dann klatscht er in die Pfoten.)
„Gut. Also, das mit dem tieferen Sinn, oder mit der Antwort auf die Warums und was die Welt so zusammenhält im Innern: gibt es das eigentlich? Und wo?“
„Die Welt wird im Innern zusammengehalten von flüssiger Lava und Unmengen von Schlamm und Gestein und fossilen Resten und unglaublichen Kräften und der Rest ist Hirngespinst der Aufrechtgeher. Sollen sie froh sein, daß der Sturm sie nicht von der Erdoberfläche wegpustet. Das kommt noch früh genug!“
„Auweia!“
„Nächste Frage?“
„Also, die Welt ist ja manchmal sehr aggressiv oder frech zu einem, also auch zu mir. Da wird zum Beispiel auch mal ein Bein abgerissen. Es gibt ja immer wieder diese Katastrophen. Wenn ich zum Beispiel jetzt von einem Tiger angegriffen würde, dann…“
„Was denn für ein Tiger, wieso ein Tiger? Ich bin in meinem ganzen Leben noch keinem einzigen Tiger begegnet. Nächste Frage!“
„Aber ich hab die Frage noch gar nicht richtig gestellt, Herr Orakel!“
„Dein Fehler. Mein Freund, ich in meiner Funktion als Orakel bin ich es nicht gewohnt zu diskutieren! Letzte Frage! Und Du darfst Dir auch viel Zeit nehmen. Du weißt: Denken und so!“
(Also dauert das jetzt. Die Bisamratte nöhlt. „Da bärt sich aber einer aus!“ „Ich weiß, was er fragen wird!“ Das wirft der Kranich ein. „Ja, was denn?“ „Sag ich nicht!“ Das Publikum kommuniziert angeregt. Schön!)
„Psst. Ruhe, da unten. Ich hab noch Text. SO! Jetzt weiß ich, was ich fragen will. Also: Was soll man machen, wenn man morgens aufsteht und sich schon wieder dabei erwischt, daß man etwas erwartet? So was wie Glück oder so?“
„Zähneputzen!“
„Das ist jetzt aber blöd, Herr Schatten. Bären putzen sich die Zähne nicht. Das müßten Sie eigentlich wissen!“
„Ich bin kein Schatten mehr. Wenn ich hier rumhänge als eine Stimme mit Bild oder umgekehrt, bin ich eher so eine Art von guter König, so eine Art von Chimäre. Etwas, das sich jeder wünscht, ein Antwortapparat oder ein Erlösungskästchen. Meine Antworten sind die Antworten, die Du dir auf Deine Fragen wünschst!“
„Verstehe ich mal wieder nicht!“
„Dann so: Versuche Du doch einmal mir Deine eigene Frage zu beantworten! Als hätte ich sie Dir gestellt!“
„Geht das?“
„Denke schon!“
„Also: Archibald Mahler, erwarten Sie nicht zu viel vom Leben, eine bessere Zeit als jetzt werden Sie nicht haben. Es gibt kein Glück im Leben, es gibt nur ein Wetterleuchten des Glücks. Wissen Sie es zu würdigen! Zehren Sie davon! Abbes Bein war gestern.“
„Sehr schön! Warum siezt Du Dich!“
„Weil das doch eine wichtige Antwort auf eine wichtige Frage war! Oder?“
„Ich danke Dir für Deinen Besuch. Keep on keeping on! Mein Abendessen!“
(Musik. Rauch. Rumgewusel im Nebel. Der Lütte Stan räumt auf. Die Bühne nun leer. Wie ganz am Anfang der Bär allein an der Rampe. Er schielt ins Publikum. Soll er eigentlich nicht! Nun gut. Da stehen jetzt auch Ernst Albert und Eva Pelagia. Ernst Albert grinst. Weil der kleine Bär sich auf den Brettern seiner kleinen Welt wacker schlägt oder weil Robert Zimmermann singt? Beides!)