Archibald ist reich für die Insel!
Mittwoch, 16. Juni 2010 11:37
Für jeden ernsthaften Weltbetrachter ist es ein Gebot der Professionalität sich zuerst einen Überblick zu verschaffen, auf daß das Bild, welches man sich von den Verhältnissen macht, nicht zu arg aus dem Rahmen fällt. Was sah Archibald? Ein Eiland mit dem sprechenden Namen die Au der Reichen, von den lokalen Leichtgebücktgehern auch die Gemüseinsel genannt, im Gegensatz zu der von Sachsen, Brandenburgern, Südkoreanern und Schweden bevölkerten und zudem komplett vernachlässigbaren sogenannten Blumeninsel in einen anderen Teil des Sees. Gewächshäuser, überbordernde Felder, rauschhaft blühende Rabatten, Ferienwohnungen, noch mehr Gewächshäuser, überbordende Felder, rauschhaft blühende Rabatten, Ferienwohnungen und dies soweit das Auge reich(t). Kein Quadratzentimeterchen ungenutzt! „Zwische zwei Tomatestecke passet zehn Tourischtensäcke! Ho Narro!“ Wie war Archibald hierher gelangt? Das schwarze, glänzende und röhrende Ding zwischen Ernst Alberts Beinen nennen Zweibeiner einen Motorroller, für Archibald Mahler, Badenbär auf Abruf, war dies jedoch eine mobile Teilzeitwinterschlafhöhle. Eine Sitzbank wird hochgeklappt, man wird hinein gebettet, am rechten Ohr gluckert betäubend riechender Petrolsaft, unter dem Bärenpöter vibriert und heizt ein Motor und nach dem Herunterklappen der Sitzbank ist es dunkel wie im Enddarm eines Kodiakbären. Der seltsame Benzingeruch, na ja, aber sonst eine angenehme Art zu reisen, fand der Bär. Und wenn man auf hocher Wart solch Panorama serviert bekommt – keine Klagen! „Komm, Herr Bär, suchen wir Reste der alten Au!“
Der Erfinder der empirischen Floralmeditation war begeistert. Ein altes Gewächshaus und hunderte kleiner Setzlinge im postembryonalen Zustand. Sitzenbleiben und sehen und hören und riechen bis die Frucht zur Ernte ruft. Und den armen Böhnchen und Fenchelchens und Salatileins Zeit lassen, allen Dünger verbannen aus der alten Wachshütte, nur Wasser und Sonne und den Geschmack aus sich selber entstehen lassen. Da kommt der Bauer. Er hat einen großen Kanister in der Hand. Da steht Bayer Leverkusen drauf. Ist es Rudi Völler, der Gurken für seine Truppe einkaufen will? Nein, im Juni der Bauer den Dünger draufhaut! Ab August werden die Etiketten gedruckt. “Biogemüse vom Bodensee”. Ungespritzt gelogen! Glaub es oder nicht! Ein Reisebus parkt zwischen endlosen Reihen roten und grünen Blattsalates. Beetkunst. Sprachgewirr. Vertraute Töne. „Ei verbibsch! Nu gugge die Salade! Und dort spriesst de Tomade! Und die Ferienwohnung is auch noch zu hom, Muddi!“ Ernst Albert mahnte zum Aufbruch. Platz ist auf der kleinsten Insel!
Insula Opulenta divida est in partes tres, qui sunt: Oberzell. Mittelzell. Unterzell. Jeden Teil schmückt eine alte Kirche. Ernst Alberts Lieblingskirche steht in Unterzell. St. Peter und Paul. Karg. Bescheiden. Fromm. „Komm mit ans Ufer! Ich zeige Dir etwas, was Dein Bärenherz höher schlagen läßt!“ Da saß Archibald in einem der letzten Fischerboote, welche es noch auf der Insel gibt. Zwei, drei Fischer können noch leben von ihrem Gewerbe. Der See ist ziemlich leergefischt. Die Fischer sagen, es seien die bösen Kormorane gewesen und wollen sie durch das Blasen von Uweseelas aus ihren Nistgebieten vertreiben. Kormorane sind aber taub und sehr hungrig. Schuld ist letztlich die Geldgier. Jeder Tourist will halt sein obligatorisches Bodenseefelchen. Die meisten Fische aber, die auf den Tellern der Sachsen, Brandenburger, Südkoreaner und Schweden landen, bestehen seit Jahren aus Formfisch, den flinke Kinderhände in Pakistan in die ursprüngliche Form geknetet haben. Sagt man! Nichtsdestotrotz: Archibald fühlte sich großartig zwischen Anker, Netz, Köder und Angelschnur. Sein Magen knurrte so laut, daß sich Frau Noelle-Neumann auf der anderen Seeseite im Grabe umdrehte. Morgen würde er den letzten Fischer auf der Au fragen, ob er eine Lehrstelle anzubieten habe. Petri Heil!
Thema: Im Heckerland | Kommentare (1) | Autor: Christian Lugerth