Wer glaubt wird selig, sagt man, aber auch der Scherz hat ein Verfallsdatum! (Walden Two)

engel

Es ging leicht bergauf. Obwohl es noch früh am Tage war, flimmerte die Luft über dem Asphalt der kleinen häßlichen Stadt. Nicht zu vergessen: Archibalds Nase befand sich auf Höhe der Auspuffrohre der vorbeihetzenden Blechmilben. Atemnöte. Er bewegte sich im Schatten der Häuserwände vorwärts, jederzeit darauf vorbereitet sich unfreiwilligen Begegnungen mit freilaufenden und allzu neugierigen Kläffern durch einem schnellen Sprung in einen Hausflur zu entziehen. Oder eine Thunfischdose mit einem gezielten Schlag auf die dumme Nase? Apropos Thunfischdosen: Archibald war es, als verdoppele seine Verpflegung mit jedem zweiten Schritt ihr Gewicht. Eine rechte Plackerei so ein Aufbruch in die Freiheit! Erste Sternchen prangten vor dem Bärenauge. Potzrembel die Waldfee aber auch! Da! Rettung! Bäume! Buschwerk! Schatten!

Der Alte Friedhof öffnete einladend seine Tore. Erleichterung. Ruhe. Luft. Äste schützend vor der tobenden Sonne. Eine faszinierende Gestalt zog den Bären in ihren Bann. Eine Aufrechtgeherin, gekleidet in schwarzen Marmor, und – dies von Archibald so noch nie erblickt – mit zwei riesigen Adlerschwingen auf ihrem Rücken winkte ihm zu. Mehr zog es ihn, als daß er ging. Die Gestalt beugte sich zu ihm hinunter und so saß er das erste Mal in seinem Leben auf der ausgestreckten Hand eines Engels. „Du hast Dir ja einiges vorgenommen, mein kleiner Freund.“ „Ist hier der Wald, Frau Adler?“ „Nein, der Wald ist das hier nicht! Dies ist ein Ort, wo man sich ausruht. Die einen kurz, die anderen für immer.“ „Ich muß aber weiter!“ „Ich weiß. Doch warte die Dunkelheit ab. Zweibeiner sind manchmal humorlose Wesen. Deine Mission wird nicht jeder verstehen. Wie nanntest Du mich? Frau Adler? Sehr nett! Und jetzt schlaf ein wenig.“ Der Engel, der seit kurzem Frau Adler hieß, streichelte Archibald Mahler, zur Zeit erschöpfter Bär auf der Suche nach dem Wald, über seinen glühenden Bärenkopf. Der wiederum kratzte sich am Pöter und schlief ein.

Und er träumte von einem Mann, der eine Bildermaschine erfunden hatte, aus der Strahlen rauskamen, so daß man sehen konnte, wie ein Aufrechtgeher, aber auch ein Bär oder eine Katze innendrin aussehen. Seine Anoperationsnarbe juckte und im seinen Traum ging Archibald zu dem Mann hinüber, der sich ihm als Wilhelm Conrad Röntgen vorstellte, und wollte ihn fragen, ob er mal sein ehemals abbes Bein fotografieren könnte, weil das wieder so juckt und vielleicht ist auf dem Foto dann zu sehen, warum das so sei. Aber der Herr Röntgen sagte, er habe für so was keine Zeit mehr, weil er nämlich tot sei und hier gleich um die Ecke läge und jetzt bitte weiterschlafen möchte. Und, überhaupt, ob er Privatpatient sei? Archibald kratzte sich an seiner Anoperationsnarbe, weil er sich ärgerte, denn er war nur Mitglied in der Bärensozialkasse  und wäre beinahe vom Arm der Frau Adler heruntergefallen. Aber wozu ist ein Engel da? Der Bär wurde aufgefangen. Die Sonne verschwand hinter der Friedhofsmauer. „Auf, mein kleiner Freund! Wenn Du mich brauchst: ich bin da! Glück auf dem Weg!“ Archibald schulterte sein Gepäck. Erstaunt stellte er fest, daß das Gewicht seiner Verpflegung sich förmlich in Luft aufgelöst hatte. Sein Durst war gelöscht, sein Hunger gestillt, seine Muskeln vibrierten vor Tatkraft. Er hatte das Gefühl, in seinem Hirn arbeite ein neuer Prozessor, leise und effektiv. Yep! Ein freilaufender Kläffer kam auf ihn zugelaufen. Archibald blickte ihm ins Auge und fletschte seinen rechten Reißzahn. Panisch sprang der Dackel ins nächste Gebüsch und entleerte seine Blase. Yonder stands the sinner. „Danke schön, Frau Angel Adler!“

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Freitag, 16. Juli 2010 13:20
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