Beitrags-Archiv für die Kategory 'Walden'

Auch ein Rechtsanwalt wird nicht verhindern können, daß es gelegentlich regnet (Walden Eight)

Donnerstag, 22. Juli 2010 12:44

mahlzeit

Der erste Urlaubstag ist gerne mal eine fürchterliche Enttäuschung. Das Zimmer zur Meerseite blickt auf eine Baustelle, das Meer selbst ist ein Algenteppich, das Frühstücksbuffet ist ein trockenes Brötchen mit Erdbeergelee und das freundliche, angeblich deutschsprechende Personal schaut Dich mit dem Arsch nicht an und macht in seiner Landessprache blöde Witze über Deine weiße Haut und die unvorteilhaften kurzen Hosen von Tante Hedwig, die nach Meinung der geliebten Gattin unbedingt mit auf die Insel reisen sollte, weil irgendwer muß ja auf die verzogene Brut aufpassen, die gerade flunschziehend feststellt, daß ihre Prepaid-Handys hier im Ausland nicht funktionieren. Und natürlich hat einen niemand gewarnt. Herr Rechtsanwalt, übernehmen Sie! Nein, ganz so schlimm war es nicht, hier im Wald am Fuße des Schiffenberg vor den Toren der kleinen häßlichen Stadt. Aber ein bißchen mopperte es schon im Herzen unseres Herrn Archibald Mahler, Ferieneremit und Beerenliebhaber. Warum?

Beerenliebhaber, das ist das Stichwort, mein Ingo! Beerenliebhaber! Als Hausbär und gelegentlicher Weltenbetrachter, und dies seit nun etwas mehr als fünf Monaten, ist man in Sachen Flora und Fauna leider nur mit oberflächlichem Wissen gesegnet. Und so durfte der Bär im Wald feststellen, daß zum einem hier vor Ort keinerlei Heidelbeeren wachsen – die müßten jetzt eigentlich reif sein – und ebenso in Sachen Preiselbeeren – Reifegrad siehe oben – Fehlanzeige! Am Rande des Waldes allerdings Brombeersträucher ohne Ende, reich bestückt, aber so was von grün und unreif. Das dauert noch mindestens drei Wochen bis zur Verzehrreife. Gut, gestern eine letzte Walderdbeere, schrumpelig und bräunlich. Und, Potzrembel die Waldfee: wer ist Schuld? Doch ein Bär ist kein Aufrechtgeher und somit ist die Beschwerde und die permanente Klage des Zurückgesetzten und von der bösen Welt Betrogenen nicht sein Metier. Ganz im Gegenteil. Selbst ist der Bär!

Es wurde dann doch noch eine schöne Höhleneinweihungsfeier. Es hatte ein bißchen gedauert, bis Archibald das Verschlußprinzip des Heidelbeermarmeladenglases durchblickt hatte. In einem ersten Anfall von Zorn und Ungeduld war er versucht das Glas einfach gegen einen der Felsbrocken zu donnern. Aber da war der Ökobär in Archibald vor. Und so eine Scherbe in der Pfote, hier am Ende der Welt, ohne die verehrte Frau Doktor Eva Pelagia in greifbarer Nähe? Niemals! Die Einsamkeit des Waldes hat insofern den Vorteil, daß niemand sah wie Herr Mahler das Glas zwischen seine Bärenoberschenkel klemmte und hundertmal mit den Pfoten abrutschte beim Versuch den Deckel aufzudrehen. Die Sonne stand im Zenit, als ein leises Plopp den Schatz freilegte. Und da saß er nun der Bär, hielt seine Gier an der kurzen Leine, dippte ein Holzstückchen in die süße Versuchung und schleckte sich genüßlich durch den restlichen Tag. Wie das im Gaumen perlte! Die reine Weltheidelbeermarmelade! Ein einsamer Wanderer blickte verwundert ins Gebüsch. Was stöhnt da so lustvoll? Der Himmel über den Baumwipfeln verfinsterte sich. See the sky about to rain!

Thema: Walden | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mit der gehörigen Ruhe findet sich das beste Angebot in letzter Sekunde (Walden Seven)

Mittwoch, 21. Juli 2010 15:47

hoehlensuche

„Bär, Nichtraucher, eher kontemplativer Typ, gelegentlicher Aasfresser sucht sehr ruhige Ferienhöhle. Bachnähe, trotzdem aber trocken und schöne Aussicht Bedingung. Bezug ab sofort. Mietpreis verhandelbar. Kann auch mit Haikus zahlen oder Geschichten. Zurufe an Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz, aber z.Z. im Wald!“ So hätte sie aussehen können, die Annonce. Aber wer bitte sollte das lesen? An alle Bäume im Wald einen Zettel hängen? Außerdem gibt selbst ein Bär ungern zu, daß er nicht schreiben kann. Oder sollte er laut rufend durch den Wald tappern, Text siehe oben. Von wegen kontemplativer Typ! Lieber kein Aufsehen erregen als Neuling im Gehölz. Er war froh, daß die Rabenclique am Waldrand geblieben war. Da haben es die Aufrechtgeher einfacher. Die ohne Geld finden sowieso keine Höhle und die mit viel Geld lassen sich eine Höhle suchen von sogenannten Unbeweglichkeitsmaklern. Archibald aber ist Bär und darüber sehr froh und deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als den Wald gewissenhaft zu durchstreifen und sich auf seine gute alte Nase zu verlassen. Und es war angenehm kühl.

Das mochte er, auch wenn die Anspannung des Suchens und der Ungewißheit groß war: das Gedämpfte. Die Schritte vom weichen Boden gedämpft, der Wind streichelt sanft durchs Blattwerk, das Tageslicht zerlegt sich in einzelne Strahlen, bevor es den Waldboden erreicht und blendet nicht, das Zwitschern der Vögel verliert sich im Geäst und fern, ganz fern gelegentlich das Dröhnen einer Blechmilbe. Dann hörte er Musik. Zweibeineralarm!  „One two! One two! Check! Check! Twäng! Tröt! Schepper!“ Irgendwo wurden Instrumente gestimmt, man ließ ein Lied anklingen. Schöne Musik! Ein musikalischer Sommer! Archibald setzte sich auf einen umgestürzten und bemoosten Baumstamm. „Klasse!“, dachte er. „Wald mit Radioanschluß! Wie zu Hause bei Ernst Albert und Eva Pelagia!“ Er schloß die Augen. Und er sah sich, wie er im Wald saß, die Augen geschlossen und ein fernes Lied hörte. Im Wald am Fuße des Schiffenbergs vor den Toren der kleinen häßlichen Stadt. Motion picture.

Da krächzten die Raben. Potzrembel die Waldfee! Der Abend nahte und immer noch keine Bleibe. Archibald sprang auf und drehte sich einmal um die eigne Achse – Wohin nun, wohin? – und er sah. Er sah einen Abhang. Ein heftiger Regen hatte Teile des Abhanges weggespült und große Felsbrocken waren hinuntergerollt, hatten sich ineinander verkeilt und so waren entstanden: Höhlen. Kleinere, größere, dunkel, aber trocken. Über allem thronte eine riesige Eiche, deren Wurzeln zu Teilen von Wind und Wetter freigelegt waren. Noch mehr Höhlen. „Zimmer frei?“ Vorsichtig schlich er näher, blickte in die eine, in die andere lockende finstere Vertiefung. Nichts regte sich. Er richtete sich auf, nach guter alter Grizzlyart und ließ seinen wildesten Schrei in den Abendhimmel steigen! Die Vögel verstummten. Nichts regte sich. Sehr gut! Archibald setzte einen Mietvertrag auf. Mit sich selbst! Der Abdruck seiner Pfote besiegelte die Vereinbarung! „Die erste Nacht verbringe ich im Erdgeschoß!“ Der Bär freute sich über seine Entschlußfreudigkeit und vergaß nicht vor dem Einschlafen, welches blitzartig erfolgte, Frau Adler und allen ungenannten Bärengöttern zu danken. Ein guter Tag!

Thema: Walden | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Keine Rücktritte angesichts der Urahnen, denn die hatten auch mal recht! (Walden Six)

Dienstag, 20. Juli 2010 8:46

bach1

Was denken denn Sie? Selbstverständlich hat sich Archibald Mahler, Bär und wohlerzogen, nicht sofort über das frisch bereitete Stück Aas hergemacht, auch wenn die Vorfahren in ihm, seien sie nun aus Kamschatka, Wyoming oder Siebenbürgen, laut aufgeschrieen hatten. „Zieh Dir den leckeren toten Hasen rein, Du Weichbär! Die Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder!“ Nein, das hätte er nicht über sein kleines Bärenherz gebracht. Er dachte  an den Lütten Stan. Doch es war und blieb ihm tiefe Befriedigung, wie sein Urschrei die gesamte Rabencombo zurück in die Wipfel gejagt hatte. Aller Anfang ist Bär! Und morgen ist auch noch ein Aas! Die Büchsen verschlossen, der platte Hase unberührt, der Magen tobte, aber Archibald verschwendete keinen Gedanken an einen Rücktritt von seinem Vorhaben. Das Private ist die Arbeit ist das Private. Und er folgte dem Lauf eines kleinen Bächleins: hinein in den Wald!

Kühler wurde es mit jedem Schritt hinein ins dichter werdende Grün. Und dunkler. Durch das Blätterdach fielen nur noch vereinzelte Strahlen des schwindenden Tageslichtes. Archibalds Nase erwachte aus dem Stadtschlaf und übernahm die Führung. Und es gab so einiges zu riechen. Der kleine, etwas modrige Bach. Die großen Farne, rechts und links am Ufer. Das Moos, das auf alten Holzstämmen wuchs. Der betäubende Geruch des Harzes, der aus frischem Windbruch zum Bären hinüberwehte. Der weiche, federnde, den Pfoten schmeichelnde Boden. Kräftig duftete die feuchte Erde. Die Sporen der Pilze, die auf einen Regenguß warteten, um an die Oberfläche zu schießen. Nadelgehölz. Und die Nachtluft, die nur noch wenige Spuren der Tagesgerüche in sich trug. Keine Aufrechtgeher, kein Duschgel, keine Blechmilben. Die Stille. Sie machte Archibald etwas Angst. Vereinzelt krächzen Raben. Wollten Sie sich an ihm rächen? Den Ruf eines Kauzes. Das hatte er so noch nicht gehört. Seine Nackenhaare sträubten sich. „Hör mal! Du bist ein Bär! Eigentlich hat der ganze nächtliche Wald Angst vor Dir!“ So sprach ein Urahn.

„Die Urahnen haben ja einen etwas anderen Sozialisationshintergrund als ich!“, dachte sich der Bär und war dies nicht eine kleine Höhle, hier am Ufer des Bächleins? Vorsichtig! Unbewohnt? Gut! Er wickelte seinen Proviant aus dem alten Schal und sich hinein. Er stieg hinunter in die kleine Höhle. Ein bißchen feucht, aber die Müdigkeit siegte. Unruhiger Schlaf. Raben, Käuze, Knacken, Rascheln. Wasser gurgelt. Archibald wälzte sich hin und her. Er erwachte früh. Die Feuchtigkeit tief in seinem Fell und in seinen Knochen. Etwas zu feuchtkalt für einen Hausbären, der es sich gerne mal auf Ernst Alberts Heizung bequem macht. Er zerquetschte eine kleine Träne, falls Bären das überhaupt können. Eine kleine Träne der Wut. „Deppenbär! Du mußt Dir eine richtige Höhle suchen. Oben! Auf einem Hügel! Trocken und warm!“ So sprach wieder der Urahn. Diesmal hatte er vollkommen recht. Fand auch Archibald. Der Tag schickte versöhnliches Licht hinunter auf den kühlen Waldboden. Der Bach murmelte ein freundliches „Guten Morgen!“ „Wenn es heute wieder heiß wird und ich aufgewärmt bin, gehe ich hier baden!“ So sprach Archibald. Zu sich und zum Wald. Kann ruhig jeder hören. Denn er war ja der Bär. Mein Wald, mein Bach, mein Strand. On the Beach. Auf zur Höhlensuche!

Thema: Walden | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Die Universität des Lebens bleibt Baustelle auf Dauer und das ist gut so! (Walden Five)

Montag, 19. Juli 2010 13:37

universitaet

Am Ende eines heißen und fleißigen Sonntags, der nicht so heiß, aber dafür fleißiger als die vorherigen Tage war, stand Archibald endlich im Wald. Und da stand er nicht alleine. Archibald erblickte eine Anzahl grauer Betonkästen von gerade zu exquisiter Häßlichkeit, welche die Aufrechtgeher in den fernen Siebzigerjahren des letzten Jahrtausends in den lichten Wald am Rande der kleinen häßlichen Stadt gesetzt hatten, auf daß ihr Nachwuchs hier lernen und studieren möge. Der gern zitierte Zahn der Zeit und das ein oder andere Sparprogramm hatten hier ganze Arbeit geleistet. Bröckelnde Fassaden, marode Fenster, sich zersetzender Waschbeton, dazwischen grellbunt angepinselte Sitzecken, von den Wänden blätternde Plakate, verblaßte Parolen, vergessene Fahrräder! Zwischen den Prachtbauten Bauschutt. Man hatte begonnen das traurige Gelände aufzuräumen und die Kästen zu renovieren. Jetzt wo es Eintritt kostet, hier etwas zu lernen, vielleicht so eine Art Entgegenkommen an die Kundschaft. Von dem allem wußte der Bär natürlich nicht, und es interessierte ihn auch nicht, es sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Ein bißchen enttäuscht war er schon, Archibald Mahler, das erste Mal im Wald, und dann das. Gastlich sah es hier nicht aus, aber der Bär hatte sich rechtschaffen müde gelaufen und: HUNGRIG! „Gut,“ dachte er sich „wenn ich hier schon zwischen den Bildungsruinen zur Rast gezwungen werde, atme ich den Geist der Stätte ein und forsche. Und wenn die Herren Professoren in den Schwimmbädern oder Schweden weilen, nehme ich den Erkenntnisgewinn selber in die Pfote!“ Archibald setzte sich also auf einen der dekorativen Baustellenhügel und begann seine Versuchsreihe „Wie ein Bär den in eine Blechbüchse zwischengelagerten Thunfisch in Stücken aus seiner Gefangenschaft befreien kann, ohne die wertvolle Ware zu beschädigen oder gar sich selbst zu verletzten, unter der Voraussetzung einer schwerwiegenden körperlichen und geistigen Erschöpfung  des Auftraggebers und Verfassers der Studie in Personalunion und dies am Tage des Herrn, an dem man eigentlich ruhen sollte, sogar als Bär auf Wanderschaft und in Mission!“ Uff!

Die Instrumente in den Pfoten, die Versuchsobjekte zu seinen Füßen, bereit einen ersten gezielten, kraftvollen Schlag auf die blechernen Fischkerker zu applizieren, hielt Archibald inne. In den Gebüschen und Sträuchern ringsherum raschelte und hoppelte es. Hasen, Wildkaninchen, was auch immer. War er schnell genug für eine kleine Hatz? „Prinzipiell schon! Heute abend scheint mir: eher nicht!“ Zugegeben, es mangelt dem bekennenden Hausbären auch etwas an Erfahrung in Sachen Jagd. Ein junger Zweibeiner fuhr seine Blechmilbe mit übermütiger Geschwindigkeit über das Gelände. Ein ebenfalls junges, mit dem Überqueren von Fahrwegen noch nicht so vertrautes Langohr konnte sich nicht in Sicherheit bringen. Die kleine Hasenseele stieg hinauf in den Sommerabendhimmel. Frau Adler nahm diese in Empfang. Ein Schar Rabenvögel nahm neben dem Überrolltem Platz und wetzte die Schnäbel. Frisches Aas! Und Archibald dachte: „Darf man das!“ Manchmal steht das, was man zum Überleben benötigt, auf keinem Lehrplan. Er schulterte die unberührten Büchsen und richtete sich auf, zu voller Größe. Etwas überrascht war er schon über das gewaltige Brummen, daß da plötzlich aus den Tiefen seiner Kehle dröhnte. Die Raben saßen wieder auf den Bäumen. Vampire Blues! Sie hätten nicht gedacht, daß in der Nähe der kleinen häßlichen Stadt noch Bären leben. Oder etwa wieder?

Thema: Walden | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Voller Magen wandert nicht gerne, kein Grund alles über den Haufen zu werfen (Walden Four)

Sonntag, 18. Juli 2010 11:14

fahrrad

Manchmal ist man ja dumm. Das passiert sogar einem Bären, obwohl er tagtäglich von Aufrechtgehern umgeben ist, die eigentlich als abschreckendes Beispiel dienen müßten, was das Diktat der „Großen Allgegenwärtigen Dummheit“ betrifft. Also war Archibald von seinem Tagesschlaf aufgewacht und binnen Sekunden wütete ein entsetzlicher Hunger in seinem Gedärm. Die beim Wandern massenhaft verbrannten Kalorien forderten Ersatz. Der Magen schrie: „Empty!“ Und da noch keine Entscheidung darüber gefallen war, wie Thunfischbüchsen und Marmeladenglas zu öffnen wären, mußten die fünf Karotten dran glauben und wanderten binnen Sekunden in den Bärenabdomen. Haps! Schluck! Aaah! Der Bär schulterte seine Reisegepäck – „Ah, entschieden leichter!” – und wollte seinen Körper in Gang setzten.  „Verdammter Finne! Entschieden schwerer!“

Die Sonne hatte sich auf die andere Seite der Erdkugel verabschiedet, eigentlich Zeit die ersten Meter zu machen. Archibald Mahler, gelegentlich ein Freßsack, setzte einen Fuß vor den andern, langsam erst, bedächtig dann, Zeitlupe, Superzeitlupe, Stillstand. Schwerer Atem und hereinbrechende Nacht. Am Straßenrand hatte ein Aufrechtgeher ein etwas demoliertes Fahrrad an einen Laternenpfahl gelehnt. Nicht daß der Bär jemals Fahrrad gefahren wäre und obwohl man als Erzähler auch dazu verpflichtet ist, die Spitzen einer allzu überbordenden Phantasie zumindest zu kappen, trotzdem: Archibald bestieg das Fahrrad. Die Diskrepanz zwischen der Länge seiner Beine und der Entfernung der Pedale frustrierte ihn. Der volle Magen und die kühlende Dunkelheit taten ihr übriges. Schon wieder schlief der faule Bär.

Sonntagmorgen vor der Stadt. In der Ferne Kirchenglocken. Man erwachte. Erste buntgewandte Aufrechtgeher rannten an Archibald vorbei. „Ah, die Laufenden auf der Suche nach sich selbst, da sind sie wieder!“, dachte der Bär und wunderte sich, warum er auf einem Fahrrad aka in Bärendenke: Blechteil mit Rädern saß und so gut und tief geschlafen hatte. Die Sonne warf ihren Turbo an. Sollte er einen weiteren Tag vertrödeln und auf die nächste Nacht warten, um weiterzuziehen? Der innere Schweinebär klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Schon wollte er herabsteigen und sich wieder in das gemütliche Pförtnerhäuschen zurückziehen, da erblickte er, hinter den Ruinen, Hallen, Schuppen, Bürotrakten und Garagen die Wipfel der Bäume des nahen Waldes. „Auch wenn mir der Saft heute literweise den Bärenpöter herabrinnt, Strafe muß sein und die Trödelei der heutigen Nacht muß wettgemacht werden!“ Archibald schaute an sich herunter. „Und auf den Hüften sitzt auch noch einiges an Winterspeck. Weg damit! Den heutigen Tag widme ich der Schwierigkeit und ihrer Überwindung. Soll Gott, der Herr ruhen!“  Und ein Bär zieht los! The Bridge!

Thema: Walden | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Vater arbeitet hier nicht mehr, aber es gibt immer noch alles zu kaufen (Walden Three)

Samstag, 17. Juli 2010 17:42

arbeitslos

Sicherlich, gelegentlich zeigt es sich, daß die Existenz der Aufrechtgeher durchaus ihren tieferen Sinn hat. Sie fahren zum Beispiel hinaus aufs Meer, fangen den Thunfisch, zerlegen ihn, verpacken ihn mundgerecht in Büchsen und ersparen einem Bären so alle Formen der lästigen Seekrankheit. Auch wenn mancher Bär noch gar nicht weiß, wie er diese Blechdinger öffnen soll. Oder sie sammeln Heidelbeeren, kochen sie zu Marmelade, füllen sie ihn Gläser und der verwöhnte Bär muß nicht warten bis es August wird und die Dinger reif im Wald herumhängen. Andererseits, so eine zweibeinerleere Stadt an einen sehr frühen Sommermorgen: man könnte sich daran gewöhnen. Archibald war die ganze Nacht durchgelaufen. Gut, eine kleine Rast hatte er auf dem Hinterhof eines Lebensmittelmarktes eingelegt und sich gestärkt. Was die Aufrechtgeher an Nahrhaftem wegschmeißen: unfaßbar. Dem Bär war es recht und dem nach Bier stinkenden zerlumpten Mann, der neben der Mülltonne schlief, wohl auch. Die Sonne bepinselte den Morgenhimmel rosa und ein neuer heißer Tag kündigte sich an. Höchste Zeit sich eine schattige Bleibe für die nächsten Stunden zu suchen. Den Rat der werten Frau Adler galt es ernst zu nehmen.

An den Rändern der kleinen häßlichen Stadt, die Archibald Mahler, zukünftiger Eremitenbär, erreicht hatte, fand er sie: die Ruinen. Hallen, Schuppen, Bürotrakte, Garagen, Gruben. Entkernt, eingerissene Mauern, zerschlagene Fensterscheiben, Müllberge. Zerstörung. Hatten die Aufrechtgeher sich mal wieder gegenseitig die Köpfe eingeschlagen? Hatte der Bär einen Krieg verpaßt? Was Archibald nicht wußte, es war ein Krieg, aber kein gewöhnlicher Waffengang, sondern ein viel gemeinerer, hinterhältigerer Krieg. Ein Teil der Aufrechtgeher hatte ihm Namen des allmächtigen Gottes „MEHRMEHRMEHR!“ vor vielen Jahren begonnen ihren kleineren, ärmeren und machtloseren Artgenossen das zu nehmen, was sie bis dahin ausgemacht hatte: die Arbeit. Ihren geregelten Alltag. Die Sicherheit. Die Würde. Fürchterliche Not mußten die Beraubten trotzdem nicht leiden, da die Gegend hier immer noch so wohlhabend ist, daß sie Millionen von Aufrechtgehern ihr Nichtstun bezahlen kann und verzichten muß auch keiner, da über den Meeren, in fernen und armen Landen, das hergestellt wird, wovon hier nur noch Ruinen zeugen und zwar billiger, viel billiger von dunklen Zweibeinern, die froh sind, daß sie nicht verhungern müssen und für jeden Pfenniglohn ihren Rücken krümmen. Globalisierung ist das böse Wort.

„Das ist meine heutige Bleibe!“ Archibald entschied sich für ein altes Pförtnerhaus. Eine vergilbte Tafel wies die Besucher darauf hin, sich bitte vor Betreten des Fabrikgeländes hier zu melden. Und schon ging es los. „Morgen!“ „Morgen!“ „Alles klar?“ „Man war das gestern ein grausames Gekicke!“ „Heute soll es bis zu fünfunddreißig Grad heiß werden. Ich fließ jetzt schon weg!“ „Entschuldigung! Ich muß Sie erst anmelden!“ „Sie gehen ins Gebäude sieben, dritter Stock, Zimmer 17, letzte Tür links!“ „Kann ich noch mal einen Blick auf den Lieferschein werfen?“ „Ah, Herr von Lippstadt-Budnikwoski. Wieder gesund!“ „Wat mutt, dat mutt!“ „Abflug. Parole Schwimmbad!“ „Was, schon Feierabend?“ „Nee, Urlaub. Mach’s gut!“ „Tschüssikowski!“ „Herr Mahler, bitte bei der Arbeit etwas weniger Privatgespräche!“ „Geht klar, Chef!“ Tja, Bären haben ein inniges Verhältnis zu Gespenstern. Dann wurde Archibald müde. „Kumpels, ich hau mich ein Runde aufs Ohr!“ „Nachtschicht?“ „Erfaßt!“ „Schlaf gut!” Und: Don’t be denied!

Thema: Walden | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wer glaubt wird selig, sagt man, aber auch der Scherz hat ein Verfallsdatum! (Walden Two)

Freitag, 16. Juli 2010 13:20

engel

Es ging leicht bergauf. Obwohl es noch früh am Tage war, flimmerte die Luft über dem Asphalt der kleinen häßlichen Stadt. Nicht zu vergessen: Archibalds Nase befand sich auf Höhe der Auspuffrohre der vorbeihetzenden Blechmilben. Atemnöte. Er bewegte sich im Schatten der Häuserwände vorwärts, jederzeit darauf vorbereitet sich unfreiwilligen Begegnungen mit freilaufenden und allzu neugierigen Kläffern durch einem schnellen Sprung in einen Hausflur zu entziehen. Oder eine Thunfischdose mit einem gezielten Schlag auf die dumme Nase? Apropos Thunfischdosen: Archibald war es, als verdoppele seine Verpflegung mit jedem zweiten Schritt ihr Gewicht. Eine rechte Plackerei so ein Aufbruch in die Freiheit! Erste Sternchen prangten vor dem Bärenauge. Potzrembel die Waldfee aber auch! Da! Rettung! Bäume! Buschwerk! Schatten!

Der Alte Friedhof öffnete einladend seine Tore. Erleichterung. Ruhe. Luft. Äste schützend vor der tobenden Sonne. Eine faszinierende Gestalt zog den Bären in ihren Bann. Eine Aufrechtgeherin, gekleidet in schwarzen Marmor, und – dies von Archibald so noch nie erblickt – mit zwei riesigen Adlerschwingen auf ihrem Rücken winkte ihm zu. Mehr zog es ihn, als daß er ging. Die Gestalt beugte sich zu ihm hinunter und so saß er das erste Mal in seinem Leben auf der ausgestreckten Hand eines Engels. „Du hast Dir ja einiges vorgenommen, mein kleiner Freund.“ „Ist hier der Wald, Frau Adler?“ „Nein, der Wald ist das hier nicht! Dies ist ein Ort, wo man sich ausruht. Die einen kurz, die anderen für immer.“ „Ich muß aber weiter!“ „Ich weiß. Doch warte die Dunkelheit ab. Zweibeiner sind manchmal humorlose Wesen. Deine Mission wird nicht jeder verstehen. Wie nanntest Du mich? Frau Adler? Sehr nett! Und jetzt schlaf ein wenig.“ Der Engel, der seit kurzem Frau Adler hieß, streichelte Archibald Mahler, zur Zeit erschöpfter Bär auf der Suche nach dem Wald, über seinen glühenden Bärenkopf. Der wiederum kratzte sich am Pöter und schlief ein.

Und er träumte von einem Mann, der eine Bildermaschine erfunden hatte, aus der Strahlen rauskamen, so daß man sehen konnte, wie ein Aufrechtgeher, aber auch ein Bär oder eine Katze innendrin aussehen. Seine Anoperationsnarbe juckte und im seinen Traum ging Archibald zu dem Mann hinüber, der sich ihm als Wilhelm Conrad Röntgen vorstellte, und wollte ihn fragen, ob er mal sein ehemals abbes Bein fotografieren könnte, weil das wieder so juckt und vielleicht ist auf dem Foto dann zu sehen, warum das so sei. Aber der Herr Röntgen sagte, er habe für so was keine Zeit mehr, weil er nämlich tot sei und hier gleich um die Ecke läge und jetzt bitte weiterschlafen möchte. Und, überhaupt, ob er Privatpatient sei? Archibald kratzte sich an seiner Anoperationsnarbe, weil er sich ärgerte, denn er war nur Mitglied in der Bärensozialkasse  und wäre beinahe vom Arm der Frau Adler heruntergefallen. Aber wozu ist ein Engel da? Der Bär wurde aufgefangen. Die Sonne verschwand hinter der Friedhofsmauer. „Auf, mein kleiner Freund! Wenn Du mich brauchst: ich bin da! Glück auf dem Weg!“ Archibald schulterte sein Gepäck. Erstaunt stellte er fest, daß das Gewicht seiner Verpflegung sich förmlich in Luft aufgelöst hatte. Sein Durst war gelöscht, sein Hunger gestillt, seine Muskeln vibrierten vor Tatkraft. Er hatte das Gefühl, in seinem Hirn arbeite ein neuer Prozessor, leise und effektiv. Yep! Ein freilaufender Kläffer kam auf ihn zugelaufen. Archibald blickte ihm ins Auge und fletschte seinen rechten Reißzahn. Panisch sprang der Dackel ins nächste Gebüsch und entleerte seine Blase. Yonder stands the sinner. „Danke schön, Frau Angel Adler!“

Thema: Walden | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Manchmal ist das Leben eine Büchse und man hat den Dosenöffner vergessen! (Walden One)

Donnerstag, 15. Juli 2010 16:05

theater

Also ist er einfach losmarschiert, ohne Stadtplan, ohne Navi, sogar ohne Ernst Albert und Eva Pelagia um Rat zu fragen, aber mit zwei Büchsen Thunfisch, einem Glas Heidelbeermarmelade und fünf Karotten in einen alten Schal gewickelt über seiner Bärenschulter. Aus den Tiefen seiner von vier Wochen Ballgetrete gepeinigten Bärenseele hatte es gerufen. „Geh in den Wald, Archibald Mahler!“ Schön wenn man sich auf die guten alten Gene verlassen kann. Ein sinnvoller Tip der Bärenmatrix! Reifen nicht auch die Beeren? Die Hitze der letzten Wochen tat ein übriges. Die Stadt kochte, die Aufrechtgeher waren nur noch laut und aufgedreht. Wenigstens bliesen sie nicht mehr in ihre Plastiktröten und quälten die Signalhörner ihrer stinkenden Blechmilben und schrieen „Schland o Schland!“. Ja, die kleine häßliche Stadt konnte ihm gestohlen bleiben!

Er entschied sich für eine Himmelsrichtung: Süden. Eigentlich Jacke wie Hose, dachte er sich, aber wenn der Instinkt sich meldet wird nicht diskutiert, sondern losmarschiert. Doch der Plan ist das Eine, die Umsetzung das Andere. Wo die durchschnittliche Schrittlänge des Aufrechtgehers an den ganzen Meter heranreicht, dürfte es sich bei Archibald eher um eine zweistellige Zentimeterzahl im niedrigen Bereich handeln. Fünfzehn? Gut Wandern will Weile haben. Der nackte, aufgeheizte Asphalt brannte unter seinen Bärenpfoten. Rasten! „Denkmal bürgerlichen Gemeinsinns?“ Was das nun wieder heißt, was da oben auf dem alten Gebäude stand, in dessen Schatten der Wanderbär eine erste Pause einlegte. Potzrembel aber auch! Die Pause hat Vorteile, aber auch entschiedene Nachteile. Man kommt zur Ruhe, aber es fällt einem auch einiges auf oder ein. In diesen Fall: der vergessene Dosenöffner. Wundern Sie sich nicht, liebe Leser, auch ein Bär, der mit zwei Büchsen Thunfisch in den Wald aufbricht, kann mit diesem Problem konfrontiert sein. Logik? Dann schauen Sie einfach mal morgens etwas länger in den Spiegel, und sie sehen wie die Logik stirbt. Von Aug zu Aug. Von Zahn zu Zahn. „Wer ist das denn bitte?“

Der Musentempel der kleinen häßlichen Stadt – denn dies war der Bau, vor dem Herr Archibald Mahler, Bär auf dem Weg in den Wald, die erschöpften Beinchen baumeln ließ – beflügelte. Er vernahm seine eigene Stimme, etwas verwundert. Welche Entschlossenheit! „Eine versiegelte Thunfischbüchse ist ein potentieller Einfall. Wenn ich sie brauche, wird sie sich öffnen. Jawoll! Phantasie und Mut! Die Fiktion besiegt die kleinteilige Sorge. Auf, Bär, beweg er seinen Pöter!“ Passanten wunderten sich. Die Ampeln sprangen auf Grün. Ein kleiner Bär feuerte sich selber an und überquerte Stolz erhobenen Hauptes den Berliner Platz. Destination Walden. Auf seinen Rücken rumpelten die Thunfischbüchsen gegeneinander. Pling Plang Pling Plong! Walk on!

Thema: Anregende Buchstaben, Walden | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth