Beitrags-Archiv für die Kategory 'Draußen vor der Tür'

POST AUS LITAUEN / ABSCHLUSSBERICHT

Samstag, 26. November 2011 15:46

lit14

Lieber Herr Mahler!

Bin an Bord und glaube es noch nicht. Heute morgen noch in den Wäldern. Einen letzten Elch doch bitte! Die Elche haben aber anderes zu tun und die Götter, die ich anrufe, auch. Kurische Stillen! Ich sitze, in mir verloren, zwischen diesen herrlichen Bäumen, halte Ausschau und – gebe es zu – genieße ein letztes geistiges Wässerchen und will nicht fort. Dann aber muß ich. Schlendere gen Fischerhütte, die mir so lange Unterkunft gewesen. Vor der Türe wild gestikulierend meine Wirtin, meine Reisehabseligkeiten in ihrer Hand haltend. Ein Wortschwall, litauisch, russisch, englisch, deutsch, ergießt sich über meine Ohren. Weia die Waldfee! Hatte ich wohl heute mit morgen verwechselt. Die Fähre “Kehrheim” steht also schon mit rauchendem Kamin in Klaipeda an der Mole. „Blitztransfer! Blitztransfer!“ Mehr der Wirtinnenworte verstehe ich nicht. Ich drücke der lieben Frau meine letzten Litas in die Hand und an selbiger nimmt mich der Taxifahrer ihres Vertrauens und uns bleibt eine knappe Stunde bis zum Hafen. Wie ich schon in einer meiner ersten Postkarten erwähnte, kennt der litauische Taxipilot nur die Gegenfahrbahn. Ich halte mir die langen Ohren vor die Augen und singe irgendwelche Lieder. Der Taxifahrer flucht fröhlich vor sich hin – litauisch, russisch, englisch, deutsch – und mir fällt der Text des Vaterunsers wieder ein. Fünfzehn Minuten bevor das Schiff in See stechen soll, bin ich an Bord. Leinen los! Sirene heult! Die Kamine rauchen und ich trinke ein letztes Svyturys. Und vielleicht noch ein geistiges Wässerchen. Rein in den dicken Nebel. Bis gleich!

Herzlichst Ihr treuer Herr von Lippstadt – Budnikowski

Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

POST AUS LITAUEN / BERICHT

Samstag, 19. November 2011 11:17

lit13

Lieber Herr Mahler!

Ist der Regen hier nässer als bei Ihnen oder ist es der Wind, welcher die Feuchtigkeit scheinbar unter die Haut drückt? Jedenfalls war ich selten so durchnäßt gewesen wie nach meinem kleinen Ausflug ins Memeldelta. Jetzt muß ich arbeiten. Zum einen, um mich wieder aufzuwärmen und Geständnis: pleite bin ich auch. Da war also dieser Fischer, der Fische fängt und sie dann räuchert. Machen hier viele. Schmeckt sehr lecker. Ihnen wahrscheinlich noch mehr als mir. Und es ist wahrhaft kalt in Litauen jetzt. In den Wäldern und an den Rändern des Haffs. Der Fischer hatte mir Arbeit. So stapele ich jetzt Holz, was heißt, es stapelt der Fischer und ich zähle die Reihen und die Spalten. Und dann wird errechnet, wie lange das reicht, das Holz. Für das Heizen und das Räuchern. Im Moment sind wir gerade bei Ende März. Aber der Fischer meint, sicher sei sicher und für bis Anfang Mai sollte sich schon was vorgestapelt haben. Langsam krieg ich Muskelschmerz. Und dann hat mir der Fischer erzählt, daß er im Winter auf das zugefrorene Haff raus fährt mit einem Schlitten und Löcher ins Eis hackt und dann dort draußen die meisten und leckersten Fische fängt. Würde ich ja gerne mal sehen. Wenn es nicht so verdammt kalt wäre im Wind. Und Sie schlafen ja immer im Winter. Ich muß wieder an die Arbeit. Bis bald!

Herzlichst Ihr treuer Herr von Lippstadt – Budnikowski

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POST AUS LITAUEN / FLASCHENPOST

Samstag, 12. November 2011 11:23

lit12

Lieber Herr Mahler!

Das glauben Sie nicht, wie schnell der Ostwind so ein Binnenmeer in höchste Konfusion versetzen kann. Da war nur noch Wasser. Oben, unten und mir war, als wäre da gar kein Platz mehr für Atemluft. Ich bin mit einem kleinen Boot rüber zum Memeldelta, als es begann zu regnen. Und zu stürmen. Das alte Boot rutschte über die Wellen wie eine Flaschenpost, aber der Kapitän hielt Kurs. Sie wissen von meiner Aversion gegen alle Arten des Wassersports. Dann kamen wir an, in einem kleinen Ort namens Minge, mitten im weitläufigen Delta der Memel. Und hier stand die Zeit nicht still, hier hatte man sie offenbar zurückgedreht. Kanäle, ein paar Feldwege, alte, windschiefe Häuslein, ein paar Boote, Gänse, Kühe, Störche und Nichts. Ich lief ein wenig durch den Regen. Ich hatte das Gefühl zwischen mir und den Wassern um mich herum lösen sich die Grenzen auf. Ich wurde H2O. Gefiel mir. Dann stand da dieser alte Wagen. Die Tür war offen. Ein guter Platz, die mitgebrachten Karotten zu benagen. Und ein Lebenswässerchen nach Art des Landes zu genießen. I sveikata! Jetzt fröstelt mir. Denke das erste Mal über eine Rückkehr nach Hause nach. Funktionieren die Heizungen in Mittelhessen?

Herzlichst Ihr treuer Herr von Lippstadt – Budnikowski

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POST AUS LITAUEN / AIRMAIL

Samstag, 5. November 2011 10:29

lit10

Lieber Herr Mahler!

Sehr, sehr früh war ich wieder in den Dünen. Wenn ich irgendwas mitnehmen dürfte nach Hause aus diesem wunderbaren Land, vielleicht wären es diese einsamen, unendlichen Sandgebirge. Ganz allein war ich wieder und der Tag ganz frisch. Quatsch, natürlich nicht allein, hunderte, wenn nicht tausende von Möwen, Wildgänsen. Ich schritt eine große Düne herab und die Vögel erhoben sich in die Luft und es verfinsterte sich der Himmel. Eine Ahnung vom Beginn der Welt, als der Mensch noch ein kleines Licht war oder vielleicht gar ein Hauch vom Ende? Es war wunderbar und den ganzen Tag hatte ich das Schreien und Kreischen und Rauschen der Vögel in den Ohren. Seltsame Mischung von Faszination und Bedrohlichkeit. Stellen Sie sich mal vor, wie schnell da ein kleiner weißer Hase gepackt und hinaus aufs Meer getragen ist! Wo ich doch überzeugter Nichtschwimmer bin und die Wassertemperaturen hier wären ein einziger kleiner Kritikpunkt. Deshalb gehe ich morgen über das Haff. Ins Memeldelta. Das heißt, ich fahre, mit einem Boot. Huch, es beginnt zu regnen.

Herzlichst Ihr treuer Herr von Lippstadt – Budnikowski

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POST AUS LITAUEN / HÖMMA!

Montag, 31. Oktober 2011 18:31

lit09

Hömma Mahler!

Dat sind Schmerzen, sach ich Dir! Also ich sitz da beie Kapelle im Walde und lausche die litauische Tanzmucke und da iss der lange Kerl am den Kopp in seine Hände stützen und weint bittere Tränen innen Waldboden. Und ich denk, dat da eine Tröstung angesacht iss und dann erzählt er vonnem Ausscheiden von seine Basketball – Team, wo ett doch der Nationalsport iss inne litauische Gegend und dann wird der Wodka ausse Tasche gepackt und ich klage vonne instabile Form vom BVB und schon iss datt reinste Orgienpaket ausgepackt. Ne, watt iss dat für ein Zeugs, dieser Wodka! Aber fürren Klagegesang von Sportsfreund zu Sportsfreund isset dat ideale Getränk. Und dann kriechse beie Sauferei tiefgefrorenen Fisch und Schweinebacke und Gurke als Beilage und fürre Stabilisierung vonne Magenwände serviert. Nee, sach ich nur, da iss der mitteleuropäische Magen nich für gebaut. Getz wird nur noch frische Luft inne Eingeweide gesaucht, sach ich mal so. Verzeihung wegen die Verspätung vonne Post noch (Montach iss nich Samstach) und getz geht et wieder inne Dünenlandschaft. Der Wind, der über dat Haff braust, iss lau. Musse aufpassen!

Laß jucken und herzlich Ihren Lütten Stan, woll!

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POST AUS LITAUEN / TANZBAR!

Samstag, 22. Oktober 2011 11:07

lit08

Lieber Herr Mahler!

Heute war ich in Schwarzort. So hieß der Ort früher. Hinter dem Ort erhebt sich der Hexenberg. Das ist eine alte Düne, die mit den dunkelsten Tannen und Kiefern der ganzen Nehrung bewachsen ist. Deshalb nannte man den Ort Schwarzort. Und weil ganz früherer keine Bäume auf der Düne standen, konnte man sehr weit aufs Meer schauen und zur Mittsommernacht kamen deshalb hier die Aufrechtgeher zusammen, um zu feiern und viel zu tanzen. Musikanten, Kapellen, Chöre, Tänzer. Alle waren da. Aber auch die Hexen und sogar der Teufel. Erzählt man sich so. Der Teufel habe sich hier regelmäßig mit den Hexen getroffen und gewürfelt. Um verdammte Seelen. Weia, wie Sie gerne bemerken! Dann habe ich diese Musikkapelle im Wald getroffen. Sie war aus ganz alten Bäumen geschnitzt. Dann traute ich meinen Ohren nicht. Die Kapelle spielte zum Tanz auf und ich habe es richtig gehört und bei mir hat sich alles gedreht. Und das hält immer noch an. Es grüßt mit Karussell im Kopp:

Herzlichst Ihr treuer Herr von Lippstadt – Budnikowski

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ENTEN? GÄNSE? SCHWÄNE? KRANICHE!

Donnerstag, 20. Oktober 2011 12:13

kraniche

Fliegende Pfeile. Speerspitzen. Schreie. Man sucht Formationen, ordnet sich ein, findet sich, verliert sich wieder, findet und hält die Formation. Die Aufrechtgeher blicken gen Himmel – endlich mal wieder, ist Archibald Mahler versucht auszurufen – ihre Einkaufsbeutel festumklammert und da stehen sie nun auf den Gehwegen, Fahrbahnen und dazwischen und wundern sich. Hunderte, vielleicht sogar weit über tausend schreiende Vögel über der Kleinen Häßlichen Stadt. Enten? Gänse? Schwäne? Es wird spekuliert. Wohin und woher und warum plötzlich und so viele.? Auf der Flucht? Eine weitere Katastrophe, von der man noch nichts weiß? Formation nach Formation überfliegt das einkaufende Volk. Immer dasselbe Konstruktionsprinzip. Der Leitvogel, hinter ihm ein V, der eine Schenkel des V’s etwas kürzer als der andere, gelegentlich hat eine kleinere Gruppe an einem der Schenkel eine Nebenformation eröffnet, eine Art Unter-V. Faszinierend und fremd. Offene Münder. Was ist das nur? Und da vorne steht dieser alte Aufrechtgeher über seinen Rollator gebeugt und murmelt ein paar Verse vor sich hin, Verse mit denen er einst seine vergesslichen Schüler maltretierte. Kraniche, natürlich! Und eine Aufrechtgeherin, sie kann noch die Zeichen am Himmel lesen, spricht zu ihrem Mann: „Ei horch, Hermann, jetzt müsse mer Heizöl bestelle!“ Archibald Mahler fährt es durch Mark und Bein. Die Kraniche ziehen und er hat noch keinerlei Vorbereitungen für den Winterschlaf getroffen, kein Fettpolster angefressen, nicht die Lager gefüllt und nur gedacht und geschaut und Zeit verdaddelt mit seinem Hirn. Weia und Potzrembel die Waldfee! Der Herbst läßt farbenfroh und heiter das alte Jahr sterben und der Herr Bär gefällt sich in weltfremder Philosophiererei! Es mahnen die Ahnen von Wyoming bis Kamschatka. Der Bär beginnt zu zittern und macht sich auf den Weg. Dorthin wo sein Jahr begann.

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POST AUS LITAUEN / FEHLERMELDUNG

Samstag, 15. Oktober 2011 9:12

lit07

Lieber Herr Mahler!

Ich könnte mich empören. Jetzt bin ich wieder raus aus den Wäldern und kein Elch. Und dann mußte ich erfahren, daß hier ganz früher wohl mal Tausende dieser Riesen rumlaufen sind, morgens sogar durch die Straßen und Wege der Fischerorte runter zum Haff, um zu baden. Aber bis vor halb früher haben sie die Elche abgeknallt, von Hubschraubern aus, mit ihren Staatsgästen und der Nomenklatura und noch nicht mal gegessen, sondern nur die Köpfe ausgestopft und an die Wand genagelt. Gott sei Dank ist das vorbei! Aber ein paar Sachen haben sie noch hier rumliegen lassen, die alten Besatzer. Betonhütten, vor sich hinrostende Fischerkähne. Nicht hübsch. Aber ich gestehe, eine gewisse Anfälligkeit für morbiden Charme ist mir nicht fern. Leider schätze ich den Fisch als Mahlzeit nicht so sehr wie Sie. Aber sie haben hier Rote – Beete – Suppe. Kalt und mit viel Dill. Mundet hervorragend. Morgen gehe ich tanzen!

Herzlichst Ihr treuer Herr von Lippstadt – Budnikowski

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POST AUS ATZBACH / GLÜCKWUNSCH

Dienstag, 11. Oktober 2011 9:21

archi_geb.

Sehr geehrter Chef und Herr Albert!

Eigentlich wollte ich Ihnen ja ein Elchfoto schenken und schicken. Aber das glauben Sie nicht: es gibt ihn nicht in Mittelhessen. Ob es ihn jemals gab, ist mir nicht gewiß. Wobei ich mir doch denke, daß ein ordentlicher Wald ohne Elche, Wölfe und natürlich Bären eigentlich gar kein Wald ist. Aufrechtgeher mit Gehstöcken statt Viecher mit Reißzähnen? Ich bitte Sie. Falls Sie zum Zahlenmystizismus neigen kurz dies: 11.10.11 und 55. Ansonsten passen Sie auf sich auf und ich bleibe weiterhin sehr froh, daß Sie mich und mein abbes Bein einstens vom Brandplatz hoben. Jetzt gehe ich Aufrechtgeher erschrecken. Als Indianerbär auf Kriegspfad. Mal schauen.

Herzlichst Ihr Bär und Archibald Mahler

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POST AUS LITAUEN / GLÜCKWUNSCH

Dienstag, 11. Oktober 2011 9:15

lit06

Sehr geehrter Herr ehrenwerter Herr Ernst Albert!

Eigentlich wollte ich Ihnen ja ein Elchfoto schenken und schicken. Aber das glauben Sie nicht: überall Kötel dieser Waldriesen, bergeweise, angenagte Flechten, zerwühltes Moos und sogar tiefe Hufspuren auf und neben allen Wegen. Aber: nichts und nichts. Ich schaue in die Wälder, tiefer und tiefer hinein und kein Ergebnis. Wie der Lütte Stan bemerken würde: „Kannse inne Tonne kloppen und Dich ein Ei drüber braten tun! Woll!“ Aber ein Bild vom Wald gibt es. Das mögen Sie doch auch. Alles Gute und grüßen Sie den Bären von mir. Und dat mit dem BVB: musse wat Geduld annet Tageslicht legen.

Herzlichst Ihr Herr Lütten Stan von Lippstadt – Budnikowski

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