Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Vier
Samstag, 21. März 2020 7:02
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Die Stille vor Entscheidungen oder lechts und rinks
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Gelegentlich spricht oder schreibt wer von einer Stille, welche man mit Händen greifen könne. Da saß Archibald Mahler wieder auf seiner Fensterbank und blickte hinaus, hinein in die aufziehende Dämmerung und da er versuchte eine die Stille belästigende Fliege zu verscheuchen, die ihnen von einer der Kuhstallungen wohl hinterher geflogen war – Ha! Eine Agentin der Misthäufen, dachte er noch – so also eine Tatze hob, durch die Luft fuhr, hielt er schon die Stille in seiner linken Tatze. Leicht war sie, fluffig, wenn dieser ungenaue Ausdruck erlaubt sei, fluffig, warm, weich. Vorsichtig führte er seine Tatze Richtung Nase. Konzentriert, wie dies Bärenart, atmete er ein, ordnete, was in ihn einströmte und ihm war als öffnete sich die Schädeldecke und entließ sein Denkorgan mit einem sachten Plopp Richtung Zimmerdecke, wo es über ihm schwebte wie ein gefurchter Luftballon.
Wo war derweilen der Zweite im Bunde? Der Ehrenwerte Herr Ernst Albert hatte sich vorsichtigen Fußes und wortkarg – bei Begegnungen dem Gegenüber nur freundlich zunicken! – erst ins Refektorium, später in einen Speisesaal (war kleiner als das Wort vorgaukeln möge) Platz genommen. Alles neu, ungewohnt und er versuchte einfach nur nichts zu wissen, nicht zu urteilen, lediglich vorhanden zu sein, zu atmen, zu kauen, zuzuhören, gelegentlich die Hände zu falten. Geh! Horche!
Zurück auf Zimmer Zwohundertsieben. Ein Hirn schwebte weiterhin unter der Zimmerdecke, umkreist von einer Fliege wie unsere Erde vom einem Mond oder Satelliten. Draußen hatte sich die Finsternis herab gesenkt, genauso finster wie die Stille stille war. Der Bär auf der Fensterbank vermißte nichts. Nicht den Lärm, nicht die Lichter der Kleinen häßlichen Stadt und auch nicht seine Nachdenkkiste im Kopp. Als altes Plappermaul aber – wie der Herr so das Gescherr! – fragte er sich, ob er davon sprechen oder lieber schweigen solle und wie er so herumirrte in sich, tastete, abwägte, jedoch ganz gewiß und tief fühlte, daß hinter diesen Mauern etwas existierte, schwebte, atmete, was ihm gut tat und auch in der Lage war Misthäufen – bis auf eine kleine einsame Agentenfliege – fernzuhalten, da öffnete sich die Zimmertüre. Ernst Albert kehrte zurück, Archibald Mahler erschrak und mit einem satten Schlurps fiel sein Hirn wieder in das Aufbewahrungskasterl zurück, hinterließ dabei einen Satz auf Archibald Mahlers Zunge, den aber auszusprechen er sich hütete, selbst gegenüber dem Rückkehrer.
Jener saß schweigend über seinen Fotoapparat gebeugt, die Bilder des Tages zu betrachten. Der Bär blickte ihm über die Schulter. Das Bild mit diesem kuriosen Verkehrsschild. „Engelthal! Schöner Name! Vor allem das altehrwürdige H!“, murmelte Mahler. Aber wo lang nun? Rechts oder links, lechts oder rinks? Wurst oder Lachs, man kommt stets an, wenn man denn will. Das dachte er auch noch, war sich aber nicht ganz so sicher, ob diese Erkenntnis in den nächsten Tagen Bestand haben sollte. Draußen hing ein dicker Vollmond am Himmel. Und dies ist nicht dem Kitsch oder einer pilchrigen Dramaturgie dieser Geschichte geschuldet, sondern ist eine Wahrheit und kann in jedem Kalender unter März Zweitausendzwanzig bewahrheitet werden.
So glitt der erste Tag der Reise ruhig in die Nacht, Ernst Albert lag im Bett, machte sich mit den umfassenden Regelwerk dieses Ortes vertraut und Archibald Mahler, Bär auf eines Fensters Bank im Kloster Engelthal kaute noch ein wenig auf dem ihn angefallen habenden Satz herum. Er schmeckte gut.
„Die Toren haben ihr Herz auf der Zunge, die Weisen haben ihre Zunge im Herzen!“
Da gab es ja einiges zu lernen, zu begreifen, zuzuhören. Gehen und Horchen. Morgen würde er … ach was … vielleicht aber … Werde ich eine Oblate? … Kann man anders … als … leben? … Gute Nacht, Mahler … Gute Nacht, Albert … WEIA!
(Schnarchgeräusche. Black)
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Thema: Vorletzte Fragen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth