Beiträge vom 19. August 2019

Hoy und Woj / Der Osten / Und Gundi hilft IX

Montag, 19. August 2019 18:46

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Der Genuß des Kumpeltod: er birgt Risiken, aber er öffnet auch Pforten der Wahrnehmung. Und so legte sich auf die schmalen Schultern des dahindämmernden Hasen eine sanfte Hand – für das Protokoll: es war der umsichtige Ernst Albert, der dem Lütten den Schnappes entwunden hatte und aufopferungsvoll den Rest der Flasche etc, um ihn dann in den Fahrradgepäckträger zu legen und hehme gen HoyWoy zu radeln – aber steif und fest behauptet rückblickend der Genosse Budnikowski, dies sei die Hand von Gundis Geist gewesen und wie vor seinem inneren und trunkenen Aug’ kohlebeladene Förderbänder kilometerfressend vorbeirasten, habe der gütige Geist ihm folgende Geschichte namens ‚Helmut’ ins Ohr geflüstert:

Zu Schichtbeginn erfuhren wir davon. Wir mußten eine gesonderte Arbeitsschutz-Belehrung unterschreiben. Unten steige ich aus dem KrAS und laufe auf meinen Bagger zu. Parallel zu mir fährt der Leichenwagen, Gonzo mit der Raupe vornweg, damit der Leichenwagen sich nicht festfährt. Unterm Abwurfband des Baggers liegt ein Haufen. Mittendrin steckt ein zwei Meter langes Flacheisen. Seitlich liegt, was von Helmut übriggeblieben ist. Eine Art leere Kasperpuppe, der Kopf sieht aus wien Handfeger. Gestern noch war das ein prallgefüllter Arbeitsanzug mit großer Schnauze. Die Leichenmänner steigen aus und laden Helmut ein. Nun sind sie alle weg. Ich bin allein. Ich rekonstruiere den vermutlichen Hergang des Geschehens. Er wurde von einem unverhofft angefahrenen Förderband unter der Prallwand durchgepreßt. Die Prallwand ist etwa zwanzig Zentimeter überm Band. Er muß also gleich tot gewesen sein, ist aber noch über den gesamten Bagger geschleift worden. Bis er hinten als blutiger Lappen herunterfiel. Ich kratze die Fleischstücken von den Übergabestellen und vergrabe sie zusammen mit seinen Frühstücksstullen, die noch im Mannschaftsraum liegen. Dann lege ich in die leere Brotbüchse, was da sonst noch war, abgerissene Knöpfe, ein paar Münzen, einen Knochensplitter. Seinen gelben Helm packe ich daneben. Marke >perfekt<. Ich setze Kaffeewasser auf, stelle zwei Tassen auf den Tisch und konzentriere mich. Und Helmut sagt noch ein paar Sätze. Zum Beispiel: Heut lachste und morgen lachste nicht mehr. Oder: Es war doch noch gar nicht Weihnachten (weil doch die meisten Bergleute Weihnachten sterben). Und schließlich: Ich hab ein Haus gebaut, das vielleicht morgen schon zusammengeschoben wird, fürn neuen Tagebau. Du hast ein paar Lieder gemacht, die kaum einer kennt. Die Kohle, die wir hier früh um sechse rausgeholt ham, war um achte schon in Schwarze Pumpe auf Bunker und um zehne verheizt. Was könnte man tun, daß man sich an unsereins erinnern muß?

„Herr Ernst Albert, mir ist wieder gut. Bitte die Lieder singen. Alle!“

„Der Hase hat recht! Auf! Auf! Wir müssen uns erinnern!“

„Und den Westen an den Osten!“

„Erinnern?“

„Genau, Towaris Bär!“

Man war also wohlbehalten ins gebuchte Refugium zurückgekehrt. Hier jenes erste Lied der beginnenden Nacht. Es wurde eine lange Nacht. Und ist es noch.

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Thema: Hoy und Woy und Gundis Geist | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth