Von der Unerreichbarkeit und der Wiederkehr
Samstag, 13. Mai 2017 17:44
Bären sind ohne Tränen. Aber als Mahler das betrachtete, was er sah, wünschte er sich anders. Schlick, Schlamm, Schmodder, schwefliger Sand soweit das gereizte Auge reichte. Und Ernst Albert zuckte nur mit den Schultern. Grinste er gar? Elender Pharisäer! Der Blanke Hans, nichts als eine Behauptung, eine These. Unsichtbar, unerreichbar, fort. Archibald Mahler ersetzte seine nicht vorhandenen Tränen durch Wut. Huch! Ernst Albert vermittelte. Das Meer hier vor Ort müsse regelmäßig verschwinden. Das Meer hier hinterm Deich sei keine Postkarte. Sandstrand all inklusive iss nich. Das Meer hier oben sei stets beschäftigt, es erschaffe, zerstöre, erschaffe, gehe, komme, wüte, ernähre. Vögel, Strandläufer, Krabben, Heringe, Robben, Würmer, Fischer, Marsch. Das Meer hier oben weigere sich vierundzwanzig Stunden am Tag erreichbar, bespringbar, verfügbar, zu Füßen zu sein. Quasi eine Dylansee. „Gut, bester Meister Albert, aber reden Sie hier nicht die ganze Zeit von sich. Das langweilt mich. Wann kommt der Blanke Hans zurück? Oder überhaupt.“ Der Aufrechtgeher gab dem Bären recht und man unterhielt sich länger und ausführlich über diese ständigen Verfügbarkeiten, Zumutungen, An- und Einforderungen, Kälteeinbrüche, mangelnden Bewegungen, mentale Verkarstungen, eben all die – Warum? – Selbstverständlichkeiten eines zwanghaft als zeitgemäß und selbstbestimmt definierten Aufrechtgeherlebens unter dem Stern der Heiligen Individualität. Und langsam fand Mahler zurück zur freudvollen Abhängigkeit. Tag Nacht Einatmen Ausatmen Finster Hell Ying Yang Da Weg Restaurant Sanitäre Anlage Regelmäßig. Mitschwingen statt Abhängigkeit. Und wie der Bär sich nach ein paar Stunden des Palavers vom Ehrenwerten Ernst Albert ab und dem vermißten Blanken Hans zuwandte, da rollte dieser freudig, blubbernd und in behender Freiwilligkeit auf den Deich zu. Und Mahler schloß die Augen, zählte bis hundert, öffnete die Augen bei siebenundachtzig, da seine Tatzen sich feucht anfühlten. Weia, mit welchem Tempo die Nordsee den großen Schlickteppich namens Watt wieder flutete. Und den Bären wattwurmte seine Ungeduld. Und ihn überkam das große Bedürfnis sich zu bedanken wegen eines Erkenntnishauchs, als es schellte. Denkste Puppe! Eine Fahrradklingel glockte. Ähem! Eine Fahrradglocke klingelte. Auf Pellworm. Und Ernst Albert pfiff ein Lied, jedoch mit mehr Zähnen als der geliebte Sänger es einst tat. Auf die Lenkstange!
Thema: Pellwormereien | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth