Appenzeller Vergewisserungen / Uf Wiederluege!
Der Blick dieser Kuh nun, ist er freundlich oder eher aggressiv? Und die Hand, fordert sie ein oder versucht sie Kontakt? Die Augen der Kuh geben keine Antwort. Die Antwort befindet sich vielleicht im Auge eines Betrachters. Was aber erinnert morgen die Hand? Man wächst auf in einem gemeinsamen Raum und findet später keine gemeinsame Erinnerung mehr. Andere nennen dies Heimat.
Ernst Albert ist gelegentlich ein vergeßlicher Patron. Diesmal jedoch trug auch Frau Pelagia eine gewisse Mitschuld. Sie drängte einerseits zum Aufbruch, wollte aber hier und dort noch schauen, da drüben noch ein Foto schießen, – „Die Augen dieser Kühe!“ – ach, wahrscheinlich wollte sie nur den Tag verlängern, den Abstieg hinauszögern, die Sonne am Firmament festnageln und also: hier bleiben, hier. Es gab doch noch soviel zu atmen, soviel zu horchen, soviel zu sehen. Oberschenkel und Waden waren inzwischen in den Streik getreten – Ernst „Storchenbein“ Albert litt dabei mehr als Eva „Rückraumwade“ Pelagia – aber die kleine Wandercombo taperte zielstrebig gen Wasserauen, nahm den steilsten Weg runter durch den Tobel und hätte man sie sehen können von der Ferne, man hätte meinen dürfen, da stolpern Mitglieder der Augsburger Puppenkiste hölzern hinab ins Tal.
Langer Sätze wenig Sinn: Ernst Albert vergaß oben am Ufer des Seealpsees die beiden Besinnungsaufsätze, die der Hase und der Bär pflichtschuldigst und voll heller Freude verfaßt hatten. Also wird er niemals erfahren, warum der Hase eine Kuh und der Bär einen Säntis mit sich nach Hause nehmen wollte. Das ist schade. Andererseits: es entfällt die ersehnte oder auch befürchtete Bewertung.
Ohne sich seiner Vergeßlichkeit bewußt zu werden, streichelte Ernst Albert derweilen die Flanke einer Kuh, vorsichtig, von hinten links und seitlich, den Augenkontakt meidend. Eva Pelagia bannte alles auf eine digitale Speicherkarte und die Kuh dachte, sie würde photographiert. Oh tempora, oh Kodak!
Dort unten im Tal, da wo das Appenzell endet, beginnt der Bodensee. Den galt es zu queren auf dem Weg nach Hause. Das Gewitter, welches vor kurzem dem Säntis den Buckel runter gerutscht war, hatte sich inzwischen entladen und als man auf der Fähre Richtung Meersburg steuerbords gen Appenzell blickte, schien es, als habe der Wettergott über dem See ein kleines Theater aufgebaut. Eine spiegelglatte und postdramatische Spielfläche, sehr feuchte Wolkenvorhänge sowie unbedingt bedeutungsschwangeres Licht vor ferner Hügelkette. Drama, Baby, Drama! Nach dem Sturm ist vor dem Gewitter. Oder auch nicht. Der Vorhang zu und alle Fragen bleiben offen. Ein letztes Lied schallte über den See und war zu hören bis kurz vor Meersburg. Uf wiederluege! Gewiß, von einer Rückkehr der Abreisenden ist weiterhin fest auszugehen.
PS: Es muß angemerkt werden, daß es natürlich einen Moment heftigster Enttäuschung gab bei den Herren Mahler und Zimmermann, dahin gehend daß man ihnen einerseits einen Auftrag erteilt hatte, welchen jene zwei nach bestem Wissen und Gewissen erfüllten und keine Sau schaute hin. Weia! Keine Bewertung! Kein Feedback! Keine Noten! Kein Nix! Kein was auch immer! Es blieb der Moment. Man hatte es getan! Für wen? Man hatte es getan! Reicht das nicht?