AUF MEINEM BALKON IN DER WIEHRE 04
Mittwoch, 20. April 2011 23:37
„Herr Albert, mein Chef! Spät, aber endlich. Seltsames habe ich gesehen heute!“
„Berichten Sie, Herr Mahler.“
„Da ist doch diese Kreuzung, da vorne an der Kirche. Johanniskirche, wenn ich mich nicht irre. Bären sind keine Christen. Egal. Eine Frau nähert sich der Kreuzung. Mag sie Mitte Fünfzig alt sein, langes Haar, offen getragen und ergraut. Sommerkleidchen von Hennes und Mauritz. Tätowierungen. Auf der Fessel eine Taube, welche etwas Grünzeug im Schnabel, auf dem faltigen, sonnengegerbten Oberarm: das Zeichen des Friedens. Sie sitzt auf einem Fahrrad. Sie nähert sich einer Ampel, die rot. Sie fährt weiter und drüber. Dann kommt um die Ecke das Auto mit Vorfahrt. Die Frau weicht aus. Richtung Gehweg. Dort steht ein Mann. Wartet auf das gruene Signal, die Fahrbahn zu queren. Vielleicht träumt er auch oder denkt nach. Die Radlerin steuert auf ihn zu. Der Mann springt nicht sogleich zur Seite. Die Grauhaarige schwankt und wankt. Muß absteigen. Aus dem Korb auf ihrem Gepäckträger fallen Papierzettel auf die Fahrbahn. Darauf steht: „Kommt alle! Stoppt Fessenheim! Abschalten!“ Die Frau beugt sich nach den Zetteln, die zu etwas aufrufen, sie aufzuheben. Der Mann schaut zu. Die Wut in der Frau nimmt Form an und bricht aus. Sie beschimpft den Mann, der auf dem Gehsteig wartet. „Spießer, Du kleiner, mieser Spießer! Du dreckiger Spießer!“ Das ist es, was sie ruft!“
„Bester Herr Mahler, der Mann war ich!“
„Aber was ist die Bedeutung des Wortes Spießer?“
„Wenn Einer den Anderen einen Spießer schillt, will er damit ausdrücken, daß er derjenige ist, der meist bis immer Recht hat oder weiß, wie die Welt zu funktionieren hat.“
„Dann weiß der auch, wann die Welt untergeht?“
„Vermutlich!“
„Aber das geht doch gar nicht!“
„Eben!“
Thema: Im Heckerland | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth