LET ME BRING YOU THOUGHTS FROM THE WOODS

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“Welche Welt wird das werden in diesem Jahr? Welches Jahr wird das werden in dieser Welt? Welcher Welt? Der Welt, die mir vor die Füße fällt? Die Welt hinter der Welt, die mir durch die Hirne jagt, von der ich nichts weiß, nur von ihr vernehme, gefiltert, gekämmt, gebürstet, mit Angst und Trugschluß vollgesogen? Die Welt, die in meine Augen eindringt und Spuren hinterläßt, ungefiltert, ungebürstet, ungekämmt? Ameisengedanken. Gewimmel. Himmel. Die Nasenwelt? Was ich rieche, weit weg, weiter als weg? Vibrationen, Ahnungen, Behauptungen? Blöde und schlau und wieder so blöde, daß man einschlafen mag, einschlafen beim Blick in den Spiegel, ob dieser entsetzlichen Langeweile, die einen befallen kann, wenn man feststellt, daß man schon wieder derselbe Bär ist, der Gesternbär, der Schonwiederbär? Oder jubeln, bei der Feststellung, daß der gute alte, wiedererwachte, milde Frühlingswind sanft über den noch müden Nacken des Immernochbären streichelt. Den Schonwiederbären umdeuten? In einen Immernochschönbären? Wird die Welt mir zur Herdplatte? Eine Minute mit dem nackten Pöter auf der Herdplatte Welt ist verflucht lang. Wird die Welt mir zum lüsternen Bärenweib? Eine Minute im Schoße einer Bärengöttin? Schweig, Bär. Und denke nach. Wen hast Du soeben zitierend geehrt? Woher soll ich das wissen, wenn der Gedanke mich durchfährt wie ein ungebremster Zug den Tunnel? Duze ich mich, bin ich mir ein Sie? Und wenn die Welt zurückschaut auf mich? Schließe ich den Fensterladen? Bleibe ich im Rahmen? Wo bleiben die Gedanken, die kamen? Wird sich gar durchs Jahr gereimt? Was ist der Plan, der in Dir keimt? Läßt, was der Bär bedenkt im Wald, die meisten Aufrechtgeher kalt? Oder gibt es wackre Seelen, die sich mit der Lektüre quälen? Oh! Ist das jetzt ein Milan oder ein Falke, der über mich hinweg fliegt? Ich stelle fest, ich habe vergessen mitzunehmen: ein Vogelbestimmungsbuch, ein Pflanzenbestimmungsbuch und einen Umgebungsplan der Kleinen Häßlichen Stadt in Mittelhessen. Und vielleicht sollte jetzt mein Hirn einfach mal die Schnauze halten!“

Archibald Mahler ist mit der Linie 24 schwarzgefahren, stadtauswärts. Keiner hat ihn erwischt. Manchmal hat eine etwas geringere Körpergröße Vorteile. Hinter Kinzenbach ist er ausgestiegen. Und einfach losmarschiert. Da war das Schild: Zur Grillhütte! Nicht daß Bären große Grillgutfanatiker wären. Aas schmeckt auch roh, blutig, sogar leicht angegoren. Aber ein hungriges Auge liest das Wort „Grill“ einfach gerne und folgt dem Hinweisschild! Gerade wenn der Umgebungsplan nicht im Rucksack. Und falls es regnet? Ein bißchen Schutz ist immer gut. Und wer rausschauen will, muß erstmal irgendwo rein. Und Pöter auf Fenstersims heißt: Denken. Aber daß sein Hirn sich gleich wieder in einen solchen Drehzahlbereich hochschrauben muß. Der Bär im Umland blickt um sich ins Land. Keine Aufrechtgeher. Keine Hunde. Rechts auf der Anhöhe grasen junge Gallowayrinder. Schwarzfellig. Es riecht nach Gülle. Im Märzen der Bauer die Felder bespritzt. Und der Wind und seine Milde. „Das ist ein Genuß!“

Das hat der Bär gerade sehr laut ausgerufen. Er erschrickt. Vor sich selbst. Wer die Einsamkeit sucht, sollte sich in Sachen Lautstärke runterpegeln. Schauen ist still. Erst die Stille macht schauen möglich. Man ist ja kein Plapperbär. Aber so ein neues Jahr ist wiederum verdammt aufregend. Es riecht. Und ist schön. Und die halbe Welt fliegt in die Luft. Der Schmerz und der Zwiespalt. Ohnmacht. Die Machtlosigkeit desjenigen, der beschlossen hat, weiterzuleben. Was soll er auch sonst tun? Gedanken aus dem Wald.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Dienstag, 15. März 2011 14:17
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