Beiträge vom Oktober, 2010

SAMUEL B. ERBARMT SICH DES NACHTS HERUMLIEGENDER BUCHSTABEN

Mittwoch, 20. Oktober 2010 9:03

beckett2

Neben, unter und auf dem Bücherregal, von dem aus Archibald in die Nacht schaute und verdaute, lagen etliche herrenlose Buchstaben herum. Sie waren am großen Sieb des großen Samuel B. vorbeigefallen und etwas verwirrt. Wer mit welchen anderen Buchstaben sinnvolle, erheiternde oder auch einfach nur belanglose Wörter oder Sätze bilden sollte, das war ihnen im freien Fall entfallen. Da konnten die leeren Buchhüllen, zwischen denen die meisten von ihnen lange Jahre ein Zuhause gehabt hatten, noch so aufgeregt nach ihnen winken, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Heimatlosigkeit machte sich breit zu Füßen des Bären. Über seinem Schädel und Denkapparat schwebte gnädig und verschmitzt der adlernasige Herr B. und freute sich an dem Chaos. Archibald fand es auch gut. „Kein Sinn macht mehr Sinn.“ Das dachte er und regte sich im selben Moment darüber auf, eine gänzlich dumme und komplett gedankenlose Aufrechtgehersprechblase nachgeplappert zu haben. „Sinn machen!“ Als ob man einen Sinn machen könnte. Falls es so etwas wie Sinn außerhalb der Notwendigkeit von Thunfischpizzen, Heidelbeermarmelade und Honigkuchen überhaupt gibt, kann dieser nämliche Sinn bestenfalls einer Sache, einem Ausdruck oder einer Handlung anheften. Und der Sprecher oder Handelnde transportiert so etwas wie Sinn, sprechend, handelnd. Und die Essenz von Sinn entsteht sowieso erst beim Rezipient. Denn man kann noch so Gescheites in die Welt setzen, wenn keiner zuhören will oder kann, ist dies was bleibt, ein großer Haufen Verdautes, den man ins Gebüsch gesetzt hat. Es riecht streng. Und sonst nichts.

Der Bär blickte hinauf zur Adlernase. Das Gewimmer der heimatlosen Lettern macht ihn doch etwas nervös. Was wäre eine angebrachte Bestattungsform für herrenlose Ex-Gedanken? Ist das Biomüll, weil noch letzte Reste von Leben drin rumzucken? Einäscherung? Oh nein, sehr ungute historische Assoziationen. Seebestattung? Keine Ahnung. Herr Samuel B. half dem Denkbärchen. Mit bedächtigen und spitzen Finger griff er Buchstabe nach Buchstabe und begann mit ihnen zu spielen. „Endlich!“ Das dachte der Bär. Und das kam beim Spiel des Herrn Samuel B. heraus: „Er nimmt seine Kappe ab. Friede unseren … Ärschen! Pause. Und wieder aufsetzen. Er setzt seine Kappe wieder auf. Null zu Null. Pause. Er nimmt seine Brille ab. Putzen. Er zieht sein Taschentuch heraus und putzt damit, ohne es auseinanderzufalten, seine Brille. Und wieder aufsetzen. Er steckt sein Taschentuch wieder in die Tasche und setzt die Brille wieder auf. Es kommt. Noch ein paar Albernheiten wie diese und ich rufe. Pause. Ein bißchen Poesie. Du riefest nach… Pause. Er verbessert sich. Du flehtest nach der Nacht; sie kommt… Pause. Er verbessert sich. Sie naht; sie ist schon da. Er wiederholt es mit singendem Ton. Du flehtest nach der Nacht; sie naht: sie ist schon da. Pause. Schöne Stelle.“

Archibald war eingenickt. Weil die Stelle so schön war. Und als Ernst Albert am nächsten Morgen seinen kleinen Genossen schlafend unter dem Porträt seines verehrten Herrn Beckett liegen sah, neben ihm das ‚Endspiel’, aufgeschlagen auf den Seiten Einhundertachtundzwanzig (französisch) und Einhundertneunundzwanzig (deutsch), da weckte er den Bären. „Komm mit, Archibald!“ „Was tun?“ „Schauen!“ „Wo?“ „Auf der anderen Seite der Straße.“

Thema: Anregende Buchstaben, Archibalds Geschichte | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

DIE NACH OBEN OFFENE MAHLER-SKALA

Dienstag, 19. Oktober 2010 7:46

beckett

Und plötzlich war ihm, als sei der Himmel über seinem Kopf weggeflogen. Vielleicht kommt das davon, daß man gleichzeitig auf der Heizung sitzt und denkt. Ein im ersten Moment etwas seltsames Gefühl, welches sich aber innert kürzester Zeit als sehr angenehm entpuppte. Der Pöter glühte, der Kopf war dennoch kühl. Er wechselte den Platz. Er saß nun auf einem der Bücherregale in Ernst Alberts Arbeitszimmer. Seine Nase umschwirrten Hunderttausende ungelesener Buchstaben. Die waren zwischen ihren Buchdeckeln hervorgekrochen und hatten sich auf den denkenden Pelzträger gestürzt. „Lies mich! Bedenke mich! ICH bin es, der den Weg weist!“ Aber weil herumfliegende Buchstaben recht schnell die Orientierung verlieren, wußten die herumfliegenden Buchstaben bald nicht mehr aus welchem Buch sie ursprünglich gekrochen waren, um dem kleinen Bären die große Geschichte der undurchschaubaren Welt zu erzählen. Sie vermengten sich, fassten sich an den Haken und Häklein, tanzten miteinander und Archibald war es, als riechlese er ein einziges großes Aufrechtgeherbuch. Alles wichtig und alles doch vanitas. Alles gescheit und doch so unendlich dumm. Buchstaben sind gerne mal außerordentlich eitel, nur wissen sie dies oft gar nicht. Und der Himmel blieb offen. Nach oben.

Und dann waren sie weg, die eitlen und gescheiten Tänzer. Weggeflogen, nach oben, in den offen vor sich hinklaffenden Himmel. Archibald hatte einmal kräftig aus seinem Hirn rausgepustet, die Luft über seinem Räsonierschädel mit einem beherzten Ausdenker gereinigt und draußen graute ein kalter Herbsttag. Und der Bär saß vor sich hin und wußte, daß er ein Bär war und Archibald Mahler hieß, aber dies war ihm Wurst wie Schinken, denn wäre er kein Bär und hieße nicht Archibald, dann wäre er etwas anderes und das wäre dann auch nicht zu verachten. Den Himmel interessiert nicht, was unter seinem Gewölbe Spuren hinterläßt. Wichtig ist, daß man mit seinem strapazierten Schädel nicht gegen den Himmel stößt, weil man sich größer gemacht hat, als man sein sollte oder kann. Er spürte eine tiefe, wohltuende Müdigkeit durch seinen Leib kriechen. Er schaute aus dem Fenster und er mußte mit ansehen, wie schwer es die Helligkeit des Tages inzwischen hatte die kalte Nacht zu vertreiben. Und er wußte, was dies bedeutet.

Und dann rasselte und surrte es über seinem Kopf. Die Buchstaben kehrten zurück von ihrem Ausflug hinauf in die Stratosphäre der Bedeutungslosigkeit. Doch es waren sehr viel weniger Buchstaben geworden. So als wären sie bei ihrem Fall zurück zur Erde durch ein großes Sieb gerasselt.  Was man so alles nicht benötigt! Und die übrig gebliebenen Lettern formierten sich über Archibalds Kopf und er erkannte dies: „Wieder auf dem Sprung gegenüber dem unbezwinglichen Außen. Auge und Hand fiebernd nach dem Nicht-Selbst. Durch die von ihm unablässig veränderte Hand unablässig verändertes Auge. Zum Nicht-zu-Sehenden und Nicht-zu-Schaffenden vor- und zurückstoßender Blick. Ruhe im Hin und Her und Spuren dessen, was es heißt, zu sein und gegenüber zu sein. Tiefe wunde Spuren.“ Das hat der Herr Samuel Beckett geschrieben. Sagten ein paar einfache und dienende Informationsbuchstaben. Die muß es auch geben. Selbst wenn der Himmel mal weggeflogen ist.

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VOR DEM DENKEN IST NACHDENKEN! WART MAL!

Montag, 18. Oktober 2010 6:10

buddha

Und dann hat sich Archibald auf das nächtliche Fensterbrett gesetzt. Ernst Albert hatte lange und ausdauernd auf seiner Tastatur rumgetrommelt und Wein getrunken. Und dann war er müde geworden, aufgestanden und ins Bett gefallen. Die Schreibtischlampe hatte er vergessen auszuknipsen und die Karaffe mit den Weinresten ließ er einfach stehen. Auf Archibalds Fensterbrett. Neben dem kleinen dicken Mann aus rotem Stein, der so zufrieden vor sich hingrinste. Ein bißchen sah diese Figur aus wie ein komplettrasierter alter Bär. Hängebauch, Hängebrüste, Hängebacken. Fell weg, aber gut gelaunt. Archibald genoß die Ruhe. Wenn er sich konzentrierte, konnte er draußen vor dem Fenster die Blätter durch die kalte Nachtluft trudeln hören. Der Wind hatte die Straßen leer gefegt und die Aufrechtgeher zogen es vor – Oh Bärengötter, hört meine Dankgebete! – zu Hause zu bleiben. Die Nacht hatte heute Nacht Zeit und Muse, einfach nur Nacht zu sein. Kein sinnentleertes, verzweifeltes Fröhlichsein schrie durch die Dunkelheit. Die rollenden und stinkenden Blechmilben hielten ihre Räder still. Selbst der Kneipenwirt auf der anderen Seite der Straße hatte es heute Abend fertig gebracht, seinen Müll in und nicht neben die Tonne zu legen. Archibald kratzte sich Pöter, Abdomen und an der zufrieden herumschnüffelnden Nase. Eine gute Nacht. Zu gut, um zu schlafen. Eine freundliche Denknacht.

Man könnte zum Beispiel mal wieder über das Denken nachdenken. Also denken, bevor man denkt. Um das Nichts herumsinnen. Ohne Bescheid zu wissen. Kein angelesenes Viertel- oder Achtelwissen durch seine Hirnwindungen jagen und den Extrakt sich selbst als Produkt großartiger Selbstreflektion verkaufen und in die Denkvase stellen. In jene Denkvase, die man fett und gut beleuchtet auf sein Fensterbrett gestellt hat, in der Hoffnung jeder zufällig vorbeischlendernde Passant möge nun sein Haupt heben und erstarren in Bewunderung und Verzückung. Quatsch mit Soße, wie die Altvorderen gerne bemerkten. Weil, wenn Du im Zug sitzt, lecke das Messer nicht ab, denn wenn der Zug um die Ecke fährt, schneidest Du Dir Deine Wange auf. Auch daran gilt es zu denken. Und wenn Du denkst, denke nie an diejenigen, die Dein Denken vernehmen könnten. Doch wenn Sie vorbeikommen und sich freuen, daß einer denkt, der ein Bär ist und eigentlich schlafen sollte oder Fische essen und sich auf den Winterschlaf mental und leiblich vorzubereiten, dann freue Dich. Und dann kratze Dich noch mal am Pöter und sonst wo.

Die Heizung unterhalb Archibalds Fensterbrett bollerte lustig vor sich hin. Wenn das die Korrekten unter den Aufrechtgehern wüßten! Nachts! Der vergeßliche Ernst Albert und die heute – Ausnahmweise! – etwas faule Eva Pelagia bescherten dem Bären einen heißen Hintern. Gewiß denkt sich in einer Komfortzone etwas anders als zum Beispiel an der Südspitze Feuerlands. Aber sei es drum! Es war eine ruhige Nacht! Es gab keinen Grund die unsteten und hin und her mäandernden Bärengedanken irgendwelchen Komitees, Schlaumeiern oder Wichtigwissern unter die Nase zu reiben. Gegenüber des Denkbalkons namens Fensterbrett funkelten vereinzelte von Fernsehern beleuchtete Fenster. „Diese Nacht teile ich mit den ruhigen Schlaflosen!“ Das dachte Archibald Mahler, von der Insomnia geplagter Bär vom Brandplatz. Think!

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ÜBERLASS DAS DENKEN DEN PFERDEN. DIE HABEN DEN GRÖSSEREN KOPF!

Sonntag, 17. Oktober 2010 15:19

schreiben

„Herr Mahler! Diese Überschrift! Wer hat’s erfunden?“

„So weit ich verstanden habe, zitierte Herr Ernst Albert eben seinen Vater.“

„Tradiertes also? Sehen Sie Zusammenhänge?“

„Ihre leichte Trauer betreffend, Herr Holtby?“

„Der Pfosten stand im Weg!“

„Nicht auch das Nachdenken über die magische ACHT?“

„ACH! Lassen Sie!“

„Jede Überraschung wird irgendwann Alltag und dann rollt der Ball den Hügel runter.“

„Klugscheißer!“

„Ein paar Törchen doch nur und noch ist nicht Weihnachten. Was kann ich zu Ihrer Erheiterung beitragen?“

„Sie können sich ein Loch ins Knie hacken und einen Christbaum reinpflanzen.“

„Huch! Was eine altvordere, politisch inkorrekte Brachialität in Ihrer heutigen Ausdrucksweise!“

„Ich zitiere lediglich dieselbe Quelle, aus deren verstorbenem Mund obige Überschrift stammt! Und ich bin müde.“

„Sie hatten keinen Schlaf gefunden?“

„Die rotglänzenden, speckigen Gesichter der bayrischen Führungstroika haben meine Alpträume bis in die letzten Ecken des mich seit gestern quälenden Zweifels ausgeleuchtet. Horrible!“

„Sehen Sie den Realitäten doch ins blinde Auge!“

„Ausgerechnet der dämliche Flaschenwerfer Guerrero. Exbayer!“

„Holtby! Fassung, sage ich! Holtby! Fassung!“

„Fast! Einmal noch! Und ganz laut: SCHEIBENKLEISTER! So jetzt ist gut. Themawechsel!“

„Die Kälte?“

„Mich trifft sie nicht so wie Sie, vermute ich!“

„Wahre Worte. Als Sie ihre rotgesichtigen Alpträume durchschritten, saß ich vor der geöffneten Kühlschranktür. Schinken, Marmeladenbrot, Oliven, Pizzareste, Thunfisch, Chips und Marmorkuchen. Es gilt alle Speicher aufzufüllen. Die genetische Disposition klingelt unerbittlich und mir ist schlecht. Als sei ich schwanger!“

„Ich kann es nicht gewesen sein! Hihihi!“

„Schweinepriester!!“

„Vielleicht ist schwanger nicht der überfüllte Abdomen, sondern schwanger ist das ratternde Hirn. Geschehen, gesehen und schon gesät. Wintergetreide. Ein langes, ein neues, ein ungewohntes Jahr des Denkens und Schauens liegt hinter Ihnen, manchmal uns. Da bleibt viel und da wächst das eine und das andere Denkkeimchen!“

„ACH!“

„Sehen Sie Herrn Ernst Albert, wie er im Hintergrund wild in seine Tastatur hämmert. Und die dicke Strickjacke. Sie sind nicht alleine, mein verehrter Herr Mahler!“

„Ja. Wie schön! Die Blätter! Heute fliegen sie wieder! Offene Türen! Gedanken rein! Gedanken raus!”

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IMMER GIBT ES NICHT WAS MAN WILL, ABER AB UND ZU WAS MAN BRAUCHT!

Samstag, 16. Oktober 2010 14:20

einheit

„Was tun wir, Herr Mahler!“

„Nichts!“

„Ausgezeichnet!“

(Stille. Konzentrierte Stille. Im Hintergrund tobt Herr Jagger über die Bühne. ‚Bitch’. Die Stille befindet sich demnach im Inneren der Anwesenden. Dorthin verortet, wie man heutzutage sagt.)

„Herr Holtby!“

„Ich höre!“

„Achtmal ist’s den Mainzern recht?“

„Erinnern Sie mich nicht an meine offene Wunde Nervosität!“

„Ich drücke den nicht vorhandenen Daumen.“

„Die Pfoten zum Himmel, Herr Mahler! Und sonst?“

„Man kann der Wäsche beim Trocknen zusehen, aber dadurch ist nicht gewährleistet, daß die Wäsche schneller trocknet!“

„Ist Schauen in diesem Zusammenhang Tätigkeit?“

„Interpretationssache!“

(Noch mehr Stille. Auch Keith Richard lebt noch. ‚Happy’. Die Stille inside vertieft sich. Man ist erfreut.)

„Und überhaupt? Wie geht’s denn so?“

„Man ist froh, bester Thomas Adam!“

„Holtby!“

„Ich weiß, ich weiß! Haben wir ACHT vor den Rekorden!“

„Nein. Ich meinte Sie, Mahlerbär!“

„Huch! Intimität?“

„Nein! Restalkohol!“

„Auweia!”

„Zurück zu Ihrer Antwort!“

„Man kriegt nicht immer, was man will, aber wenn man es eine Zeit lang versucht – Stichwort: konzentrierte Stille – ist es durchaus möglich, daß man rausfindet, was man tatsächlich benötigt!“

„Wer sagt das?“

„Ich!“

„Dortmund ist auch in Ordnung!“

„Diese Gedankenhoppelei sei Ihrer Hasennatur zugeschrieben!“

„Herr Mahler! Heute ist Samstag!“

„Schweigen wir und lassen die Wäsche trocknen!“

„Ein Witz noch! Bitte!“

„Gerne!“

„Ich höre!“

„Treffen sich zwei Narzißten.“

(Ganz intensive Stille. Die Wäsche trocknet unbeobachtet. Steine rollen und kriegen nicht, was sie wollen. Morgen ist Sonntag.)

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DAS PARADEKISSEN IST NICHT DER GIPFEL DER WELT, ABER SEHR BEQUEM

Dienstag, 12. Oktober 2010 5:25

paradekissen

„Herr Mahler!“

„Ich höre, Mister Holtby!“

„Die Dame und der Herr dieses Hotelzimmers treiben sich herum!“

„Mir schwant Übles!“

„Nachmittags bei hellem Sonnenschein in dunklen Kaschemmen? Meinen Sie dies?“

„Das ist es, was ich befürchte!“

„Suser? Oktoberfestbier? Grauburgunder? Spätburgunder?”

„Exakt in dieser Reihenfolge und danach wild gemixt. Bis das Aufrechtgeherhirn pocht!”

„Ist das vernünftig?“

„Nein! Aber lustig!“

„Draußen auf dem Balkon steht ein Rothaus Märzen. Dies hat Herr Ernst Albert vergessen. Was sagen Sie, Herr Mahler?“

„Die Türe ist lediglich angelehnt!“

„Oh Gott! Wenn uns nun jemand stiehlt?“

„Quatschen Sie nicht! Holen Sie das Bier rein, Mister Holtby!“

„Zählen wir ab!“

„Meinetwegen! Wie heißen Sie?“

„Was tut das zur Sache und außerdem wissen Sie es. Endlich!“

„H! O! L! T! B! Ypsilon! Herr Holtby hat ins Bett geschissen, mitten aufs Paradekissen, Herr Mahler hat’s gesehen, Herr Holtby muß drum gehen!“

„Schweinerei! Würde ich nie tun!“

„Ist nur ein tradierter Abzählreim! Regen Sie sich ab! Sie haben trotzdem verloren!“

„Sie wissen genau, daß Frau Eva Pelagia solche anrüchigen Worte nicht gerne vernimmt.“

„Ha, bester Holtby! Erstens trinkt sie zur Zeit in heckerländ’schen Kaschemmen Grauburgunder und zweitens – erinnere ich – hat sie heute morgen in diesem Hotelzimmer diesen Reim in unserer unschuldigen Gegenwart eigenmündig und so weiter!“

„Da schlief ich noch!“

„Eben! Beweg er seinen Pöter. Ihr Paradekissen ist kein Thron!“

„Momentan jedoch der Gipfel meiner kleinen Welt!“

„Ein stinkfauler Romantiker sind Sie, sonst nichts. Raus!“

„Moralist! Aber nur, wenn Sie mir ein Lied singen!“

„Musik!“

„Aber bitte von Sahne!“

„Zwo, drei, vier!“

(Die Herren Archibald Mahler und Thomas Adam Holtby widmen sich dem Spitzenprodukt der Badischen Staatsbrauerei. Quasi als Co-Geburtstagsfeierbiester.)

„Hömma Mahlerbär. Dat iss doch erste Sahne!”

„Die Dröhnung im Abdomen? Oder die Dröhnung im Ohr?“

„Peides! Pär!“

„Göstlich! Garniggel!“

„Warum getz dat Rumgekicher?“

„Paradekissen! Und dann der unerwartete Reim! Herrlich! Wohlsein!“

„Stößchen, Mahlerchen!“

(Im Schloß dreht sich ein Schlüssel. Schwankende Heimkehr. Oweia!)

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“AS I WALKED OUT, FOUND MY OWN NEED JUST BEGINNING!” SINGT JACK BRUCE!

Montag, 11. Oktober 2010 6:18

schauinsland

“Jetzt schauen wir!”

“Und sehen nichts, Herr Mahler!“

„Aber steht dort nicht: ’Schauinsland’?“

„Durchdringt Ihr Auge etwa diesen unfaßbaren Nebel?“

„Warten wir!“

„Auf was? Die Sonne?“

„Nein! Auf Herrn Ernst Albert!“

„Findet er hier vorbei? In diesem unfaßbaren Nebel?“

„Ich sah schon Schemen huschen!“

„Schemen und Visionen! Ich weiß! Etwas vage das Ganze!“

„Dann singen wir ein Lied!“

„Als Geschenk?“

„Sozusagen!“

„Wie heißt das Lied?“

„Weißer Raum!“

„Hat dies etwas mit diesem unfaßbaren Nebel hier oben zu tun!“

„Nein!“

„Was ist dann der Sinn?“

„Der ehrenwerte Herr Ernst Albert mag das Lied.“

„Ich mag Herrn Albert auch ganz gerne!“

„Ich auch und heute hat er ja Geburtstag.”

„Also Musik?“

„Zwo, drei, vier!“

„Diese Musikgruppe ist aber auch allererste Sahne!“

„Der mit den vier Saiten vor allem!“

„Aber auch der mit den sechs Saiten!“

„Nicht zu vergessen der wahnsinnige Trommler!”

„Da sagen Sie was, Herr Mahler!“

(Ernst Albert und Eva Pelagia schälen sich im Hintergrund aus dem dichten Nebel, der an diesem Tag den Gipfel des Schauinsland drunten im Heckerland einhüllt. Noch. Doch die Kraft der Sonne wird reichen, den Nebel zu vertreiben. Das wissen wir.)

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WIR FAHR’N FAHR’N FAHR’N AUF DER AUTOBAHN VOR UNS LIEGT……

Sonntag, 10. Oktober 2010 20:56

fahren

„Werter Herr Mahler, wohin fahren wir?“

„Wir fahren hinunter ins Heckerland.“

„Weshalb?“

„Aus Gründen!“

„Was werden wir dort tun?“

„Wir schaun ins Land!“

„Und wenn Nebel iss?“

„Dann trotzdem, mein lieber Mister Thomas Adam Holtby!“

„Danke!“

„Keine Ursache!“

„Nun denn?“

„Was schlagen Sie vor?“

„Kehren wir auf die Rückbank zurück! Ich habe zwei Karotten dabei!“

„Musik!“

„Zwo, drei, vier!“

„Sie sind mir ja ein richtiges emotionales Kraftwerk! Her mit der Karotte!“

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WHY ARE THE LEAVES LEAVING AND WILL THEY EVER COME BACK?

Donnerstag, 7. Oktober 2010 19:06

herbst

Dann war er wieder draußen. Außerhalb seiner selbst und doch mittendrin dabei in der Welt. Er schaute und sah dabei auch etwas. Die Blätter an den Bäumen im Hinterhof waren gelb und sie hatten kaum mehr Kraft sich an den Ästen zu halten. Der Wind spielte mit ihnen. „Na, krieg ich Dich?“ Können Blätter Angst vor dem Fallen haben? „Und tschüß!“ Kleine gelbe Choreographien zerschnitten taumelnd die spätsommerliche Luft. Es trudelte so vor sich hin. Archibald schaute und schaute und schaute und wurde traurig. Die schönen Blätter. So gelb, so rot und dann liegen sie auf der Erde und werden – Zackzack! – braun wie ein ungewaschener Bärenpöter. Seine Knopfaugen feucht, das Haupt geneigt und so manchen Seufzer in den spätsommerlichen Himmel sendend, so fand ihn Ernst Albert vor, als er von der Probe nach Hause kam. „Schwermut, mein Bär?“ „Das ist doch sehr bedenkenswert, daß die Blätter jetzt so schön sind wie das ganze Jahr nicht und dann sind sie zwei Minuten später pfutsch und kommen nicht mehr wieder. Ziemlich doof ist das!“ Und Ernst Albert holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, setzte sich zu seinem von der Herbstmelancholie erfaßten Bären und erzählte ihm eine kleine Geschichte.

Er erzählte ihm, daß er vor genau zehn Jahren einen Herbst erlebt hatte, der so ein gewaltiger Herbst war, so ein Herbst, in dem alle, aber wirklich alle Blätter von wirklich allen Bäumen herunter krachten und es ihm damals erschien, als ob es nie wieder Blätter geben würde und alle Hoffnung auf ein Ende des Zerfalls und des Vergehens oder gar die Wiederkehr eines Frühlings mit den fallenden Blättern dieses einen Herbstes ein für alle mal zu sterben schien. Und daß ihn damals nichts und niemand trösten konnte und jeder Hinweis eines Anderen, irgendwann werde es gewiß wieder Blätter geben, das sei der Lauf der Welt und der nächste Frühling scharre schon ungeduldig mit den Hufen, ihn nur noch tiefer in einen Zustand heilloser Verzweiflung stürzte. Dabei hatte er bis dahin den Herbst und ganz besonders den Monat Oktober, welcher der Monat seiner Geburt ist, so geliebt. Letzte warme Tage, malende Blätter, das finale Aufbäumen der Säfte, das reife Platzen, das vergangene Jahr wird vergoren und sorgt für einen ersten Rausch. Es ist nicht kalt. Es ist nur frisch. Aber damals, vor zehn Jahren, in diesem Herbst voller Panik und Verrat und Ausweglosigkeit und schmächtigen Lügen war ihm das Fallen der Blätter nur entsetzliches Menetekel. „Ja, ja, so war das!“ Und Ernst Albert holte sich noch ein zweites Bier. Und dann hat der Bär gedacht, daß Herr Ernst Albert heute wohl einen sehr sentimentalen Anfall hat. Das brachte ihn dazu zu grinsen.

„Geht doch, Herr Bär!“ Ernst Albert mag den tiefen Ernst, mit dem sein kleiner Genosse in die Welt schaut, aber er freut sich auch, wenn der mal grinst und nicht hinter allem die ganz große Frage sucht oder gar zu sehen glaubt. Und dann sagte Ernst Albert zu Herrn Archibald Mahler, daß es wohl seine Bedeutung habe, wenn die Blätter in vollster Schönheit fallen und sterben. Wenn etwas zu Ende geht, meinen ja alle immer, dies sei auf jeden Fall das Schönste, was ihnen bis heute geschehen sei. Und dann wird rumgemoppert und genöhlt und getrauert. Dabei hatten sie davor das nun unwiederbringlich Verschwundene oft gar nicht bemerkt. „Aha!“ Das begriff der Bär. In Ansätzen. „Genau! Der Baum will sich ja auch mal erholen! Das ganze Zeugs monatelang in der Luft zu halten! Ganz schön anstrengend! Und warum hab ich jetzt schon wieder Hunger?“ Ernst Albert war verschwunden. Er war in der Küche. Eva Pelagia briet Pfeffersteaks. Hatte sie früher auch nie gegessen. So ist das eben, wenn die Blätter fallen.

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ARCHIBALD GEHT IN SICH UND GUCKT DANN WIEDER HERAUS!

Mittwoch, 6. Oktober 2010 15:30

portraet1

Und dann war er drin. Er schaute nach rechts, er schaute nach links. Und er dachte: „Aha!“ Oder: „So sieht es also aus in einem Bären!“ Und dann schaute er nach oben, und dann schaute er nach unten. Da hörte der Bär auf. Weil er da endete. In seinen Tatzen. Den Hinteren. Und wieder dachte er. Diesmal: „Soso!“ Und: „Hä?“ Oder: „Was mach ich eigentlich hier?“ Und er erinnerte sich. Vor wenigen Tagen, unten am Schrottplatz rechter Hand der Lahn, hatte er in einer der Zeitungen, welche ihm Herr Ernst Albert da gelassen hatte – eigentlich als Behelfskolder gedacht, aber man kann ja mal reinriechen – einen bemerkenswerten Satz erblickt. Der hieß so: „ZEIG MIR DEINE WUNDE!“ Und sogleich fing sein ehemals abbes Bein an zu jucken. Und er dachte auch gleich, daß das ein ziemlich schwachsinniges Aufrechtgehergeschwurbel sei. Weil er – obwohl eine traumatisierte Fundsache – nie auf die Idee käme, jedem dahergelaufenen Zweibeiner seine Anoperationsnarbe zu zeigen. Die kriegt Eva Pelagia einmal im Jahr zu sehen und dann wird das von ihr repariert und fertig ist. Aber man weiß ja nie. Also ist er dann doch mal in sich gekrochen. Vielleicht findet man ja was.

„Komisch!“ Das war jetzt ein neuer Gedanke von Archibald Mahler, dem Bären im Innern. Er schaute sich um. Viel Dunkelheit in so einem Bären drinnen. Man ahnt was! Es gibt Ecken, die etwas streng riechen. Unten. Oder in den Extremitäten. Es pocht. Gleichmäßige Schläge. Regelmäßig und rhythmisch. Blut rauscht. Pocht weiter. Den Bärengöttern sei Dank. Verdauungsaktivitäten. Auch gut! Und sonst? „Aha!“ Wenn man nach oben guckt, ganz nach oben, da wird am härtesten gearbeitet. Hirn heißt das Ding. „Arbeitet das oder stört das nur? Zwecks Verdauung benötigt man es nicht!“ Unterhalb des Hirns drangen Lichtstrahlen in das finstere Innere. Das erregte des Bären Aufmerksamkeit. Und froh über ein wenig Helligkeit war er auch. Schließlich war er ohne Taschenlampe in sein Innerstes aufgebrochen. Archibald kletterte nach oben und blickte aus seinen eigenen Augen hinaus. Die Augen hinter den eigenen Augen. Sie schweiften umher. „Soso! Ernst Alberts und Eva Pelagias Küche! Aha! Die sind weg!“ Der Blick glitt nach unten. Vor seinem kleinen, langsam anschwellenden Bärenranzen lag auf dem Küchentisch eine Zeitung. Aufgeschlagen. Da war ein Artikel zu sehen. Man befragte einen alternden Mimen. Man fragte ihn zum Beispiel, was er an Blättern so spannend fände. Und der antwortete: „Blätter bewegen und verändern sich laufend, die machen wunderbare Geräusche und Reflexe mit Licht. Das ist etwas, was einen sehr beschäftigen kann, ohne daß man dazu poetisch veranlagt sein muß.“ Da hat er ganz recht, der Bruno! Archibald zuckte. Kurz. “War der nicht auch mal Bär? Problematisch sogar?”

Und dann hatte er sich hingesetzt. Und war verwirrt. Er hatte das Gespür für die Zeit verloren. Dachte er zumindest. Weil das durchaus passieren kann, wenn man sich zu lange im eigenen Innern aufhält. Dann wird eine Stunde gerne mal zum Jahr.  Und dann geht es immer wieder von vorne los. Und man denkt einen Satz. Und dann wieder den einen Satz. „Ich bin in mir selber drinnen!“ Und wie kommt man da wieder raus? Archibald kratzte sich am Pöter. Und – das ist normal im Monat Oktober – bekam Hunger. Das ist gut, wenn man Hunger hat. Dann bewegt man den Pöter. Und: was den Hunger stillt ist draußen! Weil sonst müßte man sich ja selber aufessen. Das wäre ziemlich doof. Auch wenn viele Aufrechtgeher dies tun und dann dämliche Wortgeschöpfe wie „ZEIG MIR DEINE WUNDE!“ in die arme Welt setzen. Wo doch gerade die Blätter so schön fallen. „SCHWEB! ZITTER! GLEIT UND PFFFF!“ Draußen passierte etwas. Und der Bär brach auf. Raus! Noch fallen die Blätter!

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