Archibald fällt den Entschluß, daß dort wo das Heckerland endet, es beginnt!
Dienstag, 15. Juni 2010 14:30
Die Feierlichkeiten waren mehr als zufriedenstellend verlaufen. Vier Hütten hatten die allgegenwärtige Furcht vor schneller Heimreise vertrieben, die Sonne am Ehrentag der Holden den fiesen Sonntagsregen, Ernst Alberts Familie hatte die Angereisten hochleben lassen und dabei Fleischberge verzehrt und Getränkekisten geleert. Allgemeine Zufriedenheit. Eva Pelagia, Führende der Wettrangliste für einen Tag, war in Begleitung des Lütten Stan – “Hömma Kumpel, inne freie Natur is meine Konzentriertheit auffe Pöhlerei in bedenkliche Gefahr!” – leider schon wieder auf dem Heimweg. Der Wind wehte schwül, doch kühl über den See. Zeit, Fell und Hirn zu lüften. Die zwei am See verbliebenen Herrschaften betraten ein Stück Land, am östlichsten Rand der Stadt gelegen. Ein großes (noch) unverbautes Seegrundstück. Eine alte Adlige hatte dieses Kleinod einstens der kleinen reichen eingebildeten Stadt vermacht, damit die Einheimischen hier baden und sich in der Sonne aalen können. Einzige Auflage der Schenkung: niemals Eintritt zu verlangen und das freie Gelände nie zu verbauen. Und wie schwer dies den geldgierigen Zweibeinern dieser Stadt fällt, davon könnte Ernst Albert Lieder singen. Tat er aber nicht. Herrn Archibald Mahler, momentan Seebär und kontemplativer Aquatheoretiker, juckte das alles nicht die Bohne. Sein erfreutes Bärenherz erspähte Wasser. Und was für herrliches Wasser. So groß erstreckt sich hier der See, daß man am Horizont die Erdkrümmung erkennen kann. Was sah er noch? Da vorn das Horn, oder wie der lokale Aufrechtgeher bemerken würde: da vörnle `s Hörnle. (Aha, man beliebt zu scherzen! Der Setzer!)
Ein großartiger Blick. Seegras. Ein Rettungsboot. Ein Badefloß. Ein kleiner Leuchtturm. Ruhig dahin ziehende Schiffe. Eine übers Wasser hinweg grüßende Bergkette. Allerlei schwimmendes Getier, nahrhaft gewiß. Der Bär genießt und schweigt. Auf dem Stein am Ufer, seinem Meditationssessel, seltsame Schriftzeichen. Knallrot. „Nur für DLRG!“ Was mag das bedeuten? Ernst Albert kann man nicht fragen, denn der organisiert gerade ein neues Gefährt. DLRG? Welche geheime Botschaft verbirgt sich hinter den Lettern? Das Leben rudert gerne? Der letzte Regen ging? Dortmund lobt rackernde Gelsenkirchner? Die Liebe regiert Gedärm? Dolby, Longplay, Rush & Gong? Dieter leert Rotweingläser? Der Löw ruft Gomez? Die Liegewiese regelmäßig gießen? Danke liebe Randgruppe? Der Lugerth rätselt gerne? Keine Ahnung! Doch eines war gewiß, Archibalds nachdenklicher Bärenpöter hatte bisher keinen schöneren Platz besessen. Die Luft strömte klar und kraftvoll bis in die letzten Lungenspitzen hinunter und das Hirn arbeitete leise, präzise, unaufgeregt. Jawohl, der rechte Ort nur für Die Letztlich Richtigen Gedanken!
„Das letschte Zipfele vom Heckerland!“ So sagen sie hier. Seltsam! Wo doch der Hecker mit seiner recht erfolglosen Truppe einstens hier losgegangen war. Andererseits haben damals alle drei lokalen Blätter mit keinem Wort den Marsch der – sehr dezenten – Revolutionäre erwähnt. Eine Angewohnheit, welche die Seehasen – so nennen sich die hier Ansässigen gerne mal – bis heute erfolgreich konserviert haben. „Paris? Da hont se de Eiffelturm. Des woss i au. Da brauch i it na! Und überhaupt: lonnt uns in Ruh. Wa wennt etz ihr scho widder?“ Soll die Welt da draußen machen, was sie will, der Seehas schweigt und erhöht die Preise. Ist die Ampel aber rot, wird ein zeternder Leserbrief verfasst. Natürlich hatte Ernst Albert – gebürtiger Seehas und begeisterter Nestbeschmutzer - dies gestern gegenüber Eva Pelagia in einem seiner ausufernden Vorträge erwähnt. Übrigens Angewohnheit der Familie, wie Archibald unlängst feststellen durfte. Aber auch der Bär hört da gerne zu und merkt sich das ein oder andere. Und dann denkt er nach. Also: wieso nicht das erste Zipfelchen? Wenige Meter entfernt, im knöcheltiefen Wasser, erblickt er einen Stein. Ein Boot ist dort mit einer Kette befestigt. Ein Sprung. Da saß er. Vor dem “letschten Zipfele”. Und er beschloß, daß von hier aus das Heckerland seinen Anfang nehme. Denn merke: ein Schritt genügt und aus dem, was da endet, erwächst Beginn. Ha, genug gedacht für heute! Seltsame Geräusche von hinten! Uweseelas? Nein! Was für ein röhrendes schwarzes Ding hat der Ernst Albert denn da zwischen seinen Beinen?
Thema: Im Heckerland | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth