Und es war einer da, der von der Ferne zusah (Archibald 27. 55.)
Freitag, 2. April 2010 8:57
Und das war dann passiert. Der geheime Fieberthermometerhalter (Hat der keinen Kurznamen? Gruß vom Setzer) war von hinten an Archibald herangetreten und hatte ihm gesagt, daß drei Männer in blauen Anzügen mit gelben Krawatten Ernst Albert mitgenommen hatten und daß, nun da die Türe offenstand, es vielleicht klug wäre ihn zu suchen, am Tag der Buße und der Einkehr.
Archibald ging in den Park. Den kannte er. Er erinnerte sich, daß man in einer Ecke des Geländes einen Hügel aufgeschüttet hatte. Den wollte er besteigen und sich einen Überblick verschaffen. Alter Bärentrick. Man riecht besser, wenn man oben steht. Und da fing es schon an mit dem Tag der Buße. Der Kiesberg war steil und rutschig, der Wind hatte auf Nord gedreht, es war eisbärkalt und Herr Lenz schien jegliche Rückkehrabsicht ad acta gelegt zu haben. Auf bärisch: es war eine elende Plackerei, Archibalds Kondition befand sich noch im Winterschlaf und das rechte Bein pochte. Da stand er nun auf dem Gipfel, zu seinen Füßen der Park und Teile der kleinen häßlichen Stadt und seine Lungen arbeiteten im Akkord. Der Park und die ihn umgebenden Straßen waren leer. Die Aufrechtgeher lagen in den Betten. Kirchenglocken bimmelten. Wenige alte Zweibeiner ließen sich von den Glocken rufen. Archibald reckte die Nase in den Himmel. Er roch letzte Überreste eines alten Zweibeinerrituals. In weiter Ferne krähte dreimal ein Hahn. Jemand wusch seine Hände in Unschuld und Zitronenwasser. Hohngelächter und wuchtige Hammerschläge. Ein hagerer Mann trank Essig und Galle aus einem Schwamm. Die neben ihm hangen, riefen ihm zu, er möge sich selber helfen. Zu seinen Füßen würfelte man um seine Kleider. „Eli, Eli, lama asabthani? Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Der Vorhang zerriß in zwei Teile.
Archibald drehte sich um. Etwas entfernt, hinter den Mauern des Parks, erblickte er eine alte Ritualstätte der Zweibeiner, einen Ort, wo sie einst die Verstorbenen in die Erde gegeben hatten, um ihrer mit aufgestellten Steinen und Holzkreuzen zu gedenken. Zwischen den Steinen sah er ein mittelaltes Ehepaar. Sie rannten und keuchten. Sie trugen schreiend bunte kurze Hosen, mit Schriftzügen versehene Hemden, die Frau hatte ihre mit bunten Strähnen gefärbten Haare mit einem Tuch zusammengebunden und hinter ihnen her rannte ein riesiges Hundeviech, dessen Fell ebenso gefärbt oder zumindest onduliert schien. Der Hund hatte Spaß daran, ab und an einen der Gedenksteine mit seinen Verdauungssäften zu benetzen, was die Frau mit hysterischem Gebrüll kommentierte, während der Mann so tat, als sei er nicht vorhanden. Archibald kratzte sich am Hintern und wunderte sich. Offensichtlich haben die Zweibeiner neue Rituale entwickelt, um den Tag der Buße zu begehen. Es grauste ihn und er wandte sich ab.
Und da sah er in der Ferne, in den Straßen zwischen den heute geschlossenen Kaufbuden, ein Viech, ein seltsames Viech mit riesigen Ohren und einem großen Wollknäuel am Hintern. Und dieses Viech sprach mit der Stimme von Ernst Albert. Oh, mein Bärengott!
Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth