Beitrags-Archiv für die Kategory 'Klebebilder'

Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 031

Donnerstag, 22. Oktober 2020 18:04

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Von der vergessenen Erinnerung oder gescheiter: Kryptomnesie

(frei nach Douwe Draaisma)

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Da bin ich. Wieder. Ich blicke auf ein Gebäude. Das ist ein Bahnhof. Seltsam. Als ich über die Lahn blickte gestern noch, sah ich keinen Bahnhof am Ufer gegenüber. Zumindest erinnere ich mich nicht daran. Aber hier bin ich nun. Immer noch. Und wieder. Auch. Das fadenscheinige Boot fuhr los. Mit mir als Passagier. Hatte ich einen Begleiter? Diese Berührung an meiner Schulter? Ach ja übrigens, eine Hymne gab es nicht. Ich fuhr einfach los. Aber warum nun dieser Bahnhof? Ich fange an zu singen. Ein schönes Lied. Aber umsonst ist alle Liebe. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich hier schon war, hier an diesem Bahnhof, den ich kenne. Wieder. Er! Ich werde müde. Nicht nur weil der Winterschlaf an die Pforten meiner Wahrnehmung klopft, aber auch weil es heute plötzlich wieder sehr warm geworden war. Vorgestern eine frostige Nacht und heute? Aha! Deshalb schreit mein ehemals abbes Bein so laut auf. Werde ich nun ein alter wetterfühliger Bär? Weia! Ich blicke in den Himmel hoch. Antennen! Altvordere! Können die noch empfangen? Ein Gestern? Ich weiß es nicht! Ich muß nach Hause telefonieren und strecke die Pfote in den warmen Wind. Dann höre ich eine mir bekannte Stimme. Als läse sie mir vor. Was sie kann. Denn das ist ihr Beruf. Also der Beruf dieser Stimme ist die Benutzung ihrer Stimme. Stimmt das so? Egal! Ich höre jetzt zu:

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„In REISE UM DEN MOND von Jules Verne, erschienen im Jahr 1870, lassen sich drei Herren in einer Kapsel zum Mond schießen. Sie werden von der größten Kanone abgefeuert, die jemals gebaut wurde. Es ist nicht ungemütlich an Bord: Es gibt Diwane, Gaslicht verbreitet sich über die gepolsterten Wände, der Branntweinvorrat reicht für Monate. Auch zwei Jagdhunde reisen mit, vielleicht können sie ihnen auf dem Mond noch nützlich sein. Leider hat sich Trabant, einer der Hunde, beim Abschuss schmerzhaft den Kopf gestoßen, er ist seither ein wenig schlapp. Am nächsten Morgen liegt er tot auf dem Boden. Traurig. Aber was sollen sie mit dem Kadaver machen? Man kann nicht einfach so ein Bullauge öffnen, um den Hund von Bord zu schaffen: Aus der Kapsel darf keine Luft entweichen. Und drinnen behalten können sie ihn auch nicht. Sie beschließen, das Risiko doch einzugehen: Zwei der Herren halten ganz kurz eine Luke im Boden auf, und der dritte lässt den Hund in sein unermessliches Seemannsgrab fallen.

Mit dem, was danach geschieht, hat niemand gerechnet. Ein paar Tage später schaut einer der Männer aus dem Fenster und sieht zu seinem Schrecken den Hund. Sie hatten vergessen, daß alles, was man im Weltraum über Bord wirft, einfach immer weiter mit herumkreist. Zu den unpassendsten Momenten schwebt der tote Hund am Bullauge vorbei.

So wie dieser Hund sind auch manche Menschen.

Man wirft sie aus seinem Leben. Man hofft sie nie wieder zu sehen. Man will nichts mehr mit ihnen zu tun haben, und dennoch tauchen sie immer wieder im eigenen Leben auf, sie wollen nie wirklich verschwinden.“

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Das Buch kenne ich doch. Das lag doch immer neben dem Bett. Sind Sie es?

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Thema: Anregende Buchstaben, Klebebilder | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 030

Mittwoch, 21. Oktober 2020 16:18

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“Spannung bekommt jedes Leben durch, Lebensziele.” (Günter de Bruyn)

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Ich hatte aufgehört zu winken. Ich hatte auch aufgehört zu rufen. Der Hochnebel lag zäh über der Lahn und drückte auf mein Hirn. Ich mag die Stille, ich liebe sie. Jedoch diese Stille, die aus dem eigenen Verstummen in den herbstlichen Dunst dringt, erfüllte mich mit Sorge. Und mein Magen knurrte, obwohl ich weder Hunger noch Appetit verspürte. Der Fährmann ignorierte mich noch. Man hatte Charon wahrscheinlich im Frühjahr lediglich applaudiert, herunter von den verängstigten Balkonen, anstatt ihm den angemessenen Obolus, unter die eigene Zunge gelegt, anzubieten. Der Schwan ist auch weg. Ich bin allein. Ich schaue hinauf ins Grau, das über meinen Synapsen einen auf Himmel macht. Mein Nacken schmerzt dabei. Aber: Kraniche! Kraniche!!! Nehmt mich mit! Das rufe ich nicht. Ich versuche es laut zu denken. Deppert. Wäre ich Regisseur wie der blöde Ernst Albert, der immer noch abgetaucht ist, würde ich sagen: „Ein bisserl mehr muß da schon kommen. Verlaß Dich nicht darauf, daß Dein Gegenüber ein staatlich geprüfter Gedankenleser ist!“ Hat er recht, der Blödsack. Trotzdem. Soll ich, Archibald Mahler vom Brandplatz mit ehemals abben Bein und all den alten Geschichten im Bauch, nochmals winken? Hol über, Fährmann! Fährmann, hol über! Nein! Ein „Bitte“ wird mir nicht über die hungrige Lippe rutschen. Dann höre ich etwas, was ich nicht sehen kann. Ich drehe mich um. Übrigens: ich sitze hier auf einem umgekippten Fahrradständer. Hat aber keine Bedeutung, soll nur erwähnt werden. Also: da ich mich umdrehte: ein Wasserfahrzeug. Ein Steg. Eine vergessene Decke. Schlief hier der Kapitän dieses fadenscheinigen Bootes, als ich mir im Selbstzweifel gefiel? Ein Bogen, gespannt, um mich aufzufordern unter ihm hindurch zu schreiten? Welche Hymne wird ertönen, wenn und dann? Ich stehe jetzt auf! Man mag nicht mehr jammern. Dann berührt mich etwas. Sachte, sehr. An der Schulter? An der Nase? Mein einst abbes Bein schreit auf, als wolle es sich von mir trennen. Ich muß los.

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Thema: Klebebilder | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 029

Mittwoch, 14. Oktober 2020 20:34

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I crossed the Rubicon on the fourteenth day
Of the most dangerous month of the year

(Bob Dylan)

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Der Schwan legt an meinem Ufer an. Ignoriert mich weiterhin. Das kann ich ihm nicht vorwerfen. Auch ein Schwan hat zu tun. Selbst wenn er auf der Lahn schwimmt – wo er laut dem Ehrenwerten Herrn Ernst Albert, der – by the way – bleiben soll, wo der Pfeffer wächst – gar nicht hingehört, weil nur auf dem SEE Schwäne sein dürfen und so weiter. Aber rüber, ans andere Ufer, da muß ich hin. Ich schließe die Augen und richte mein Traumzimmer ein. Das heißt, ich tapeziere es, stelle Möbel rein, Erinnerungen hängen an den Wänden, auf dem Sofa sitzen alte Gefährten, die Türen öffnen sich, aus der Küche strömen Wohlgerüche in die Zimmer, die Heizung blubbert und ich werde müde und wenn der Traum mich umarmt und in den Winterschlaf wiegen wird, möchte ich erwachen in diesem, meinem Traumzimmer. Es gibt schlaue Aufrechtgeher, die behaupten, es wäre möglich seine Träume auf eine selbst entworfene Umlaufbahn zu schießen. Das gefällt mir. Warum? Ich möchte nicht, daß meine Träume mit mir Rodeo reiten. Ich möchte dort drüben aufwachen, wenn ich eingeschlafen bin, so wie ich an diesem Ufer Behaglichkeit fand. Ein Bär schätzt Gewißheit. Drüben werde ich alles vergessen, was ich hier noch erleben darf. Und im Frühjahr kehre ich zurück. Aber jetzt? Wie komm ich rüber. Mit dem Schwan ist nicht zu rechnen. Eigensinnig und eitel, der formvollendete Geck. Wie er den Hals reckt. Das Gefieder spreizt. Sein Revier verteidigt, von einer solchen Größe ist das. Kein Neid, sage ich zu mir, dem Archibald Mahler, der an der Lahn sitzt und gar nicht mal weiß, auf was er wartet oder noch soll. Dann erblicke ich etwas. Ja. Damit werde ich übersetzen. So wird das gehen. Dann betrete ich nochmal mein Traumzimmer und dreh die Heizung hoch. Man mag ja nicht frieren drüben. Wenn ich mich erinnern will und werde ans Vergessen, um es mir zu merken. Winkt da wer? Auf der anderen Seite der Lahn. Meint er mich? Ist das der? Oder jener? Ich bin aufgeregt. Fährmann, hol über!

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 028

Samstag, 10. Oktober 2020 17:03

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Dei Genitrici in Coela assumptae

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„Im Himmel vermuten wir einen gnädigen Gott!“ Es schadet gewiß nicht diese Worte, plant man in einen längeren Schlaf zu sinken, vor sich her zu sagen. Mehrfach. Auch und gerne und überhaupt in Phasen der Einsamkeit. Dieser Tage klopft der Winterschlaf energisch an meine, des Archibald Mahlers Pforte. Da muß man sich fallen lassen, mag man diesem Ruf folgen wollen oder müssen. Das ist dann gerne behaftet mit allerlei Angst. Wo werde ich landen und, bin ich sicher gelandet und irgendwann ausgeschlafen und der Weckruf fasst mich an, wie wird er sein, der Weg zurück ins Licht? Steil hinan? Wüst abschüssig? Ein Tunnel? Ist das Licht am Ende des Tunnels lediglich das Stirnlicht einer Dir entgegenrasenden Lokomotive? Wird auch im nächsten Frühjahr Dein Tisch reich gedeckt sein? Ich, Archibald Mahler im herbstlichen Zweifel, friere. Quatsch, natürlich nicht. Ich übertreibe. Ein Bär friert nicht, nie! Ihn mag es gelegentlich frösteln. Zum einen, weil der Winterschlaf anklopft. Zum anderen heißt dies noch mehr Fett und Kohlehydrate und vor allem Zucker, Zucker und Zucker zu sich zu nehmen, auf daß nicht Insomnia die Winterruhe dominiert. Und so die Fragen, die das vergehende Jahr noch rumliegen läßt, wie jedes Jahr das halt so tut, die Einschlafphase mit einem gnadenlosen Gedankenkarussel massakrieren werden. Und nun der Schwan! Da! Zog er den Kahn? Über die Gewässer dahin, vom See im Süden bis hier hinauf zur Lahn den Kahn? Der Schwan schwimmt auf mich zu. Tut so, als gäbe es mich nicht. Mutig. Ich kann auch wegschauen. Soll er schwimmen. Ich beginne nun mein Traumzimmer einzurichten. Was das ist, ein Traumzimmer? Davon morgen oder übermorgen. Und wenn der EHRENWERTE (Haben Sie das gelesen? Gruß vom Säzzer) Herr Ernst Albert bis dahin nicht aufgetaucht ist, dann!

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Egal. Ich merke soeben, daß die leere Drohung mir nicht liegt. Ich wiederum würde bald gerne mal liegen. Im Warmen. Weia. Und: diesen wunderbaren Spruch, der heute die Überschrift macht, wo bitte hatte ich den gelesen? Daran werde ich mich wohl erinnern sollen. Morgen oder übermorgen. Ganz gewiß auch.

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 027

Donnerstag, 8. Oktober 2020 12:42

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Vom Tagesrest und dem Überwintern in der Bettritze

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Der Mann mit der Zigarre und dem würdigen Bart, der am Beginn des letzten Jahrhunderts in der Berggasse zu Wien die von mir geschätzte und gern verwurstete Küchenschypsologie begründet hat und viel Geld und Renommee erwarb, indem er eine Couch in seine Arbeitswohnung hinauftragen ließ und dort dann seine Klienten hinlegte, hat den Tagesrest erfunden. Quatsch, natürlich nicht erfunden, aber zum Begriff gemacht. Die Reste des Tages, so sagt der Mann mit der Zigarre und dem würdigen Bart, sind quasi die Regisseure meiner Träume. Vielleicht auch die Dramaturgen oder Dramatiker dieser nächtlichen Erzählungen. Egal. Das ist auch Lachs wie Preiselbeere. Vielleicht gibt es ja auch, wenn das Leben ein Tag ist, und das ist es verglichen mit den Ewigkeiten, Lebensreste. Und die nimmt man mit in den Traum und lässt sie dort rumfuhrwerken. Ich mag ja besonders diesen Moment, kurz bevor ich die Zügel aus der Hand gebe und das Pferd selbstständig nach Hause trabt, wo ich noch da bin, aber auch schon unterwegs und davon weiß und es doch im nächsten Moment vergessen habe. Und ähnlich, wenn der Traum mich verlässt, ich erwache, aber noch im Nachtrest verweile, während der Tag mich wach blendet und beginnt die nächsten Tagesreste einzusammeln. Ja, als Bär auf den Weg in den Winterschlaf muß man sich solche Gedanken machen. Auch und gerade wenn der Reiseleiter – ich hatte mich gestern schon beschwert – immer noch mit Abwesenheit glänzt. Vor mir der Tisch der letzten Wochen, dieses Sommers. Leergeräumt, regenfeucht. Und hinten, drüben, dort am gegenseitigen Ufer? Schwäne? Sind dies die Gefährte Charons? Warum ist hier eigentlich alles schwarz und weiß? Es brummt in meinem plüschigen Ohr. Der Schrei der Schmetterlinge, bevor man in den letzten Schlaf hinabtaucht? So sang zumindest einst der Sänger der Türen. Es fällt mich eben der Gedanke an, ob nicht das wahre Leben in den Bettritzen zwischen Wachen und Schlaf stattfindet. Lediglich dort. In den Zwischenräumen. Und nicht bunt. Farbe ist Ausschmückung. Und Bewertung. Ich, Archibald Mahler, nun wieder in Mittelhessen, behauptete gestern der große Schwan, sei wieder zu Hause. Könnte sein. Kann der Ehrenwerte Herr Ernst Albert (PS: Ich wollte Sie gestern nicht beleidigt haben. Ich war halt so alleine!) mal wieder vorbeischauen? Weia!

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 026

Mittwoch, 7. Oktober 2020 15:49

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Das Pferd kennt den Nachhauseweg besser als wir

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Hier ist ein Ufer. Da sitze ich. Ich weiß nicht, ob ich auf dem Wasser gereist bin und ob das geht und ob dieses kleine Fließgewässer hinter mir in Verbindung steht mit dem SEE. Flußabwärts oder flußaufwärts. Mit oder ohne Schleusen oder Rumherumtragewegen. Ist das weiße Teil unter meinem kalten Pöter ein Boot? Möglich. Wir erinnern uns an das, was wir vergessen haben, weil wir vergessen, an was wir uns erinnern. Etwas hatte mich an der Hand genommen und hier abgesetzt. Als ich aufbrach, obwohl mir jegliche Erinnerung daran fehlt, wußte ich noch wohin. Dann fielen mir die Augen zu, meine Gliedmaßen hingen schlaff an mir herab und etwas griff nach mir, es wurde bunt und wabernd vor meinen Augen, die Zügel fielen mir aus der Hand, das Lenkrad fuhr Karussell und das Pferd wußte, wo der Stall steht und der Hafer wartet und die sanft striegelnde Hand. Jetzt erblicke ich den Schwan. Natürlich! Der Schwan. Der Ehrenwerte Ernst Albert hatte mir unten am See erzählt, daß er als Kind fest davon überzeugt war, daß es nur am See Schwäne gäbe  und wie fürchterlich erschrocken und enttäuscht er war, wie er dann, zum Beispiel in so einer nicht definierbaren Stadt wie Hannover Schwäne erblicken mußte. Und also erblicke ich  – ich mußte nicht, es geschah -  in dieser ganz und gar nicht definierbaren Kleinen Häßlichen Stadt einen Schwan. Und ich erinnere mich auch nur deshalb daran, daß ich demnach hier bin, weil der Schwan auffällig beschriftet ist. Hat der mich über die Wasser geschippert? Ist mein Pferd ein Schwan? Ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nur, daß ich geträumt habe. Aber was? Jetzt bin ich wach und es ist etwas wärmer als gestern. Gleich soll es regnen. Gestern hatte ich davon geträumt, dies zu sagen, was ich jetzt hier sage. Aber viel besser und toller und jetzt lese ich das hier und denke: War es das, was ich wirklich träumte? Immer noch warte ich auf Ernst Albert. Und weil ich schon so lange warte, ist er den Titel los. Ehrenlos. Manchmal würde ich mich lieber an meine Träume erinnern als an meine Niederlagen.

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 025

Dienstag, 6. Oktober 2020 15:48

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„Ich bin aufgewacht und hab geseh’n!“ (Ton Steine Scherben)

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Der Traum war aus. Mein Traum, der Traum des Archibald Mahler, Bären vom Brandplatz. Aber welcher? Weniger vom Romantischen beseelt bemerke ich dies: ich erwachte. Aber nicht richtig. Und wo erwachte ich? Habe ich das alles nur geträumt? Das Wachen, das Träumen, selbst das? Nein. Ich war gewiß die letzten Wochen nicht hier, also woanders war ich gewesen und es war entschieden mehr Sommer und mehr See und dergleichen, da wo ich war. Genau. Hier ist weniger Wasser. Und es ist auch kein See, sondern lediglich ein kleiner, kaum vorwärts fließender – Ist der faul oder geht es ihm nicht ausreichend bergab? – Fluß. Na ja, Fließgewässer kleinerer Art. Und es ist kälter. Aber da habe ich nichts dagegen. Verglichen mit meiner alten Heimat Kamschatka iss hier Sauna mit Aufguß. Lachs wie Honig! Wenn ich mich nur erinnern könnte. Es scheint mir, ich wäre die letzten Nächte stündlich erwacht, geritten von wilden Träumen, wäre also aus der Bettstatt gekrochen, um das Wasser abzuschlagen, hätte nach Papier und Bleistift gegriffen, um das Geträumte aufzukritzeln, hätte dies erfolgreich getan, manchmal mehrmals die Nacht, stieg aus dem Lager mit der Sonne und blickte auf meine Notate und sah, daß ich offensichtlich einen ungespitzten Bleistift über das Papier gejagt hatte. Nichts und abernichts zu lesen. An was ich mich nun erinnern mag und soll? Wo beginnt die Erinnerung, weil ein Traum endet? Mag ich einen ungeträumten Traum umwidmen in eine Erinnerung, die ich lediglich behaupte? Es ist schwierig. Morgen muß ich herausfinden, ob das was hinter mir rumplätschert, immer noch der Bodensee ist? Jetzt halt geschrumpelt! Im Traum? In der Erinnerung? Und wo ist eigentlich der verdammte Herr Ernst Albert, der mich ständig in der Weltgeschichte rumschleift, um mich zu verwirren! Weia! Doppelt!

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 024

Dienstag, 29. September 2020 15:22

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Irgendwann nach Hause, wo immer das auch sei

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Also blickte ich hinab, Kapelle im Rücken, Schaufel neben mir (Warum eigentlich?) und dachte, ich der Archibald Mahler und Bär, daß dies da unten Meeresgrund war einst, gewaltige Gletscher hatten sich hier entlang geschoben und eine fruchtbare und menschenfreundliche Gegend geschaffen, von der die hier ansässigen Ansässigen behaupten, sie hätten diese Welt mit ihren Sandkastenschäufelchen und Eimerle mal was rein tun, selbst geschaffen, nach dem Einst. Und der Mann neben mir sitzt und erinnert sich und sieht das einstige Meer über die Obstbäume und Schilfwälder schwappen, taucht hinein in die Wasser, in dieses Meer Erinnerung. Und ich wünschte ihm, er fände Perlen und Schwämme auf dem Meeresgrund und nicht nur Tand und Tang und rostige Fahrräder. Erinnerung ist wie guter Wein, saust jung durch die müden Glieder, lässt sie zappeln, doch die alten, teuren Flaschen verklären, wie der Gesang humpelnder Geister mit irritierendem, aber wohlfeilen Duft Dir – durch Mark und Bein fahrend – lediglich die Chimären und dann schaue, was Du in den Händen hältst, tauchst Du wieder auf. Und so fragte ich mich, während der Mann seufzte und ich mir überlegte, wie man so einen Motorroller als kurzbeiniger Bär sicher nach Hause fährt, weil der Mann nicht aufhörte zu seufzen, wo ich helfen mag und kann. Das Schwerste dies zu tun, weil entweder alles falsch, was man versucht oder man selber faul und feig und eingefroren ist in Untätigkeit. Dann habe ich mich an die Schaufel neben mir erinnert. Jetzt bin ich dabei ausdauernd und wegen der alten Geschichte, die mich mit dem Mann verbindet, den Tand und den Tang und die rostigen Fährräder aus dem Meer der Erinnerung zu schaufeln. Und wenn wir die Perle gefunden haben, die wir ganz gewiß finden werden und wahrscheinlich deren etliche mehr, werden und müssen wir nach Hause fahren, weil die Wunderbare Pelagia und der ein wenig nicht ganz so wunderbare Budnikowski auf uns warten. Und dann werden wir nachdenken müssen, wann und wo wir die gefundenen Perlen teilen werden. Oder sie aufessen. Oder rumkugeln lassen. Das werden wir sicherlich sehen. So sitze ich also in Andacht versunken nach einer Zeit, nach jenen oder diesen Tagen, meine Sehnsucht pocht erstaunlich jung und dumm und das Land da unten wird geflutet mit den Tränen der Erinnerung. Dann spricht der Mann zu mir. „Was geht Dich das eigentlich alles an!“ Und ich antworte: „Ich bin einer der Berechtigten!“ Ich glaube, wir müssen nach Hause fahren. Wo immer das sei.

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 023

Montag, 28. September 2020 16:53

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Jetzt fahr`n wir übern See, übern See

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Dann haben wir den See überquert. Nicht zu Fuß und auch nicht auf dem Rücken eines Pferdes. Es gibt eine Fähre. Auf der anderen Seite geht es erst mal steil den Berg hoch und das Rollergefährt des Mannes ächzte und stöhnte sich hinauf. Aber es ging und wir fuhren sinnlos und von den letzten Stunden etwas verwirrt und mitgenommen über Hügel, an Obstbäumen vorbei, besuchten ein Kloster, sahen Störche auf den Herbst warten, watend, überfuhren zwei Frösche und blickten nach rechts und links und der Mann sagte: „Schau mal!“ Auf einem Hügel thronte eine Kapelle in beeindruckender Selbstgewißheit. Es schien so, als wüsste diese Kapelle über ihre Schönheit und die Exklusivität ihres Standortes Bescheid und dies auch noch bescheiden. Der Mann – und ich kenne ihn schon lange – konnte nicht anders als da hoch zu tuckern. War etwas schwierig, weil das Dorf zu Füßen des kleinen Bethauses – wohl zu Recht – die Wege nicht ausschildern mochte. Wir parkten am Fuße des Hügels und gingen zu Fuß. Hinauf und steil, Trepp´ für Trepp´. Der Wahrheit die Ehre, mich den Bären hatte man hinaufgetragen. Der Mann ächzte und stöhnte wie sein benzinfressendes Gefährt. Nun gut. Er ist alt und der Weg hinauf war steil. Ich sang derweilen dieses Lied vor mich hin. Warum? Weil ich es toll finde. Und dann saß ich da und blickte hinab und freute mich. Und wir kamen zur Ruhe. Ich, der Archibald Mahler und der Mann auch. Es ist ein schönes Land, das Land da unten. Dann habe ich es mir in Ruhe angeschaut.

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Kleben / Bilder / Gedanken / Schrank / 022

Samstag, 26. September 2020 15:41

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Die Vermissten in den Kisten

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Ich hatte den Mann allein gelassen. Er wollte das so. Das fiel mir, Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz, gelegentlich und zurzeit unterwegs, schwer, ziemlich schwer. Wenn wer, der einem nahe ist, durch die Welt wankt und den Boden unter den Füßen verlieren will, mag man lieber wegschauen. Das hilft aber nicht. Weder dem Betrachteten noch einem selbst als Betrachter, in diesem Fall mir, Archibald Mahler und so weiter. Der Mann irrte herum, wusste aber offensichtlich genau, wohin zu irren sei. Er blieb stehen. Sprach: “Hier! Da war es. Ja. Genau. Sicher. Vielleicht. Ich weiß nicht mehr. Doch. Ja. Soll sein. Doch! Denke schon!” Der Mann nahm mich hoch, setzte mich nieder und da war ich, wo ich jetzt bin. Saß im Gras. Der Mann grummelte vor sich hin. „Solange man nicht selber in der Kiste liegt, sollte man nicht vorgeben zu wissen!“ Ich dachte mir meinen Anteil. Woran auch immer. Und sagte nichts. Dann setzte sich der Mann neben mich. Er sagte ebenfalls nichts. Wir schwiegen. Unter unseren Pötern Staub, Knochenreste, Erinnerungen, Vorwürfe, Einbahnstraßen, ein Ach, noch ein Ach und etliche Ohjemines. Dann stand der Mann auf und lächelte. „Laß uns einfach hier etwas Freundliches hinterlassen!“ Ich habe da gerne mitgeholfen. Die gelbe Blume habe ich gepflückt.

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