Durch die Wüsten / Das Tal I

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Eine Nacht und einen Tag waren wir durchgeritten. Unsere Pöter waren platt wie jene der Horden Dschingis Khans, nachdem diese die Wüste Gobi gequert hatten und ein stechender Schmerz trieb uns rostige Nägel in unser Rückgrat. Das Fleisch unter unseren Sätteln war gar durch und durcher und begann allmählich zu riechen. Nun, aber wenn dich eine alte Geschichte ruft, eine alte Geschichte, die vielleicht zu deiner Geschichte werden mag, dann hast du diesem Ruf zu folgen und alles Wenn oder Aber löst sich in Rauch auf, wie das stinkende mit Fußnägeln versetzte Kraut, welches sich aus dem Kalumet eines Assisiboin in den Nachthimmel kräuselt. Bis an den Rand meines seit Tagen ungewaschenen Hals angefüllt mit schierer und aufrechter Freude über das Erreichen unseres ersten Ziels, blickte ich zu meinem Gefährten, den tapferen Grenzgänger und Pfadfinder Old Schmetterpfote hinüber, der müde wie Vasco da Gama nach einer dritten Weltumseglung im Sattel hing, aber dennoch mit unnachahmlicher Lässigkeit die Enden der Zügel in seiner linken Pfote hielt, die schon manchen Spitzbube vorübergehend, doch wirksam ins Reich der Träume gesandt hatte. Seine gespitzten Lippen pfiffen ein altes Lied. “Take me to the green valley!”

„Wenn einem Freund die Not im erschöpften Gesichte steht, ist es deine Aufgabe, früher aufzustehen als gewohnt.“ Ein wahres Wort, welches das Herz eines jeden aufrechten Abenteurers erbeben lässt. Als mich heute in der finster und wortlos durchrittenen Nacht immer wieder aufkommende Zweifel an meiner Nibelungentreue gegenüber meinen alten Weggefährten Kleines Abbes Bein, designierter Häuptling der Kamschatka – Bear und Titelgeber vieler Gesänge, die zwischen den sturmdurchtosten Prärien Hassonias und den sonnenverbrannten Canyons des Schwarzhains an unzähligen Lagerfeuern von Mund zu Ohr wandern, befielen, nachdem ich zum wiederholten Male von meinem Wallach Hattumörla herabsteigen mußte, um dessen leicht lahmenden rechten Vorderhuf mit einer Paste aus zerkauter Karotte, Brennesselpaste und zerbröseltem Knäckebrot einzureiben, fiel mir obiger Sinnspruch meines Großonkels Kunibert Ottokar von und zu Rammelburg op der Lüger mittenmang hinein ins hadernde Herz. Und hier gilt es – in aller Bescheidenheit natürlich – kurz zu erwähnen, daß es sich bei meinem Großonkel Kunibert Ottokar von und zu Rammelburg op der Lüger um jenen legendären Feldhasen handelt, welcher in grauer Vorzeit einen noch legendäreren Wettkampf gegen einen schurkischen und betrügerischen Igelclan verloren hatte (Oh, ungezählt die Seiten, welche mit der Wiedergabe dieser Mär beschrieben!), aber dennoch niemals die Löffel sinken ließ, nein ganz im Gegenteil seine Lehren aus dieser epochalen, die Seele peinigenden Niederlage zog und so ins ferne Mexiko auswanderte, um am Ende des vorvorigen Jahrhunderts in Acapulco eine Imbißbude zu eröffnen, die – legendärer bald als seine im alten, verstaubten und engstirnigen Europa erlittene Demütigung – die weltweit ersten mit zerkauter Karotte, Brennesselpaste und zerbröseltem Knäckebrot gefüllten Burritos feilbot. Und nicht zu vergessen den unglaublichen und vitalisierenden Kakteenblütentee „Maison Rammelburg“, der seine besondere Wirkung vor allem dann entfaltete, wenn man ihn durch die Borsten eines erlegten Igeltieres in sich hinein saugte. Doch davon heute berichten werden wir nicht, den es gilt fürderhand Zeugnis abzulegen von überwundenem Schmerz und dem Erreichen des ersten Zieles.

So lag es also vor uns in seiner unschuldigen Schönheit, einer Schönheit hinter der, wie wir bald erfahren werden, mancher wilde Schmerz verborgen schlummert, nur darauf wartend von unvorsichtiger Hand wieder geweckt zu werden: das Tal. Ich blinzelte in die Morgensonne und fragte meinen erschöpften Geist, ob meine Hand denn schon bereit sei, an der Firniß des sich mir darbietenden, herrlichen Bildes zu reiben und zu kratzen, ob ich bereit bin für die alte Geschichte, diese verschütt geglaubte Geschichte der Achtundvierzigsten Minute. Er war Zeit vom Roß hinabzusteigen, den nächsten Felsen zu erklimmen und sich einen Überblick zu verschaffen. So taten wir dies. Manitu, der Gerechte, sei unser Zeuge!

(Fortsetzung folgt)

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Donnerstag, 11. Juni 2015 22:32
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