HERR MAHLER VARIIERT ÜBER ENTEN 4

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„Aha! So ist das also!“ Doch was ist das hier? Wo bin ich? Feldherrnhügel? Aussichtsplattform? Schiedsrichterturm? Hochsitz? Peepshow? Archibald Mahler hat am Regietisch Platz genommen. Zu seinen Tatzen die Schilflandschaft und das Sofa. Und was ist das dort unten? Folie, auf der eine Geschichte erzählt wird? Spielfläche? Catwalk? Weites Feld? Optisches Korsett? Ein Dia, welches man betrachtet, um es sogleich wieder zu vergessen? Und was geschieht demnächst dort unten? Archibald Mahler schaut hinab auf die kleine Schilflandschaft. Das macht ihn etwas nervös. Was tun? Er ist nun mal kein Regiebär und dann kommt auch noch die Panik! Schluß! Auf dem Regietisch liegt ein Text. Der Text, aus dem der Abend werden soll und kann und wird und muß. Und ein Buch namens Wunsiedel. Der Bär erblickt’s. In Arbeitspausen hat der ehrenwerte Herr Ernst Albert ab und an in diesem Buch gelesen. Dann hat er gerne mal aufgelacht. Warum? Archibald Mahler schnuppert mal rein ins Buch. „Aha! So ist das also!“:

„Mein immer wieder neu aufflammendes Grauen, wenn so ein Schauspieler die Bühne betritt und gleich einen Satz sagen wird. Ich weiß meist schon im voraus, wie gespreizt, wie verkrampft heiter, wie überartikuliert der Vers oder Satz und die ihn begleitende Geste, die Szene, das Stück, der ganze Abend ausfallen werden – eine Zumutung auch deshalb, weil diese häufig unintelligenten Wesen, jedenfalls naiven und mangelhaft ausgebildeten Wesen sich ständig enorm wichtig nehmen und für kompetent halten, sogar in geistigen und moralischen Fragen, obwohl sie doch von der Welt des Geistes sternenweit entfernt sind. Ja sie verachten und hassen nichts mehr als den Geist der Literatur. (…) Man höre nur einmal hin, mit welcher falschen Bedeutsamkeit so ein Mime gewöhnlich ein Gedicht, zum Beispiel eine Ode von Hölderlin oder eine Elegie von Rilke aufsagt, sich auf jedem zweiten Wort ausruhend und es breit sitzend, weil er das für ‘interpretieren’ hält, statt den Text schlank und locker herunterzulesen, als handle es sich um einen Kommentar im Wirtschaftsteil der Zeitung oder das Telefonbuch.“

Kämen jetzt die Mimen und beträten die Aufsagfläche aka den Darstellungsplatz und er, der Bär, er wär: der Inszenator? Weia! In Ordnung! Laßt die Löwen rein! Und Licht! Archibald Mahler kann nicht hingucken. Es blendet. Etwas blendet den Bären. Das blendet den Bären:

„Schauspieler, auch die etwas klügeren unter ihnen, sind krankhaft eitel. Ständig erwarten sie, gesehen und bewundert und gelobt zu werden, und zwar von allen, auch von ganz inkompetenten Leuten und sogar auf die plumpste Weise. Jedes Lob macht sie glücklich, es stabilisiert sie für kurze Zeit, so daß sie ihre innere Unsicherheit vergessen, ihre Ortlosigkeit. Noch die einfältigste Besprechung in der Lokalpresse beglückt sie, wenn sie nur irgendwie positiv klingt, sie tragen Sätze daraus vor und lernen sie auswendig. Unterläßt man es, aus welchen Gründen auch immer, sie ausführlich für eine Darstellung zu loben, sind sie sofort beleidigt, weil sie hinter allem und jedem eine Kritik vermuten, selbst hinter dem Schweigen.“

Zu Hülf, all ihr Musen! Bevor Archibald Mahler seine neue Aufgabe als Regiebär angetreten hat, hat er schon die innere Kündigung vollzogen. Weia! Der ehrenwerte Herr Ernst Albert betritt den Raum. Und die Anderen. Gott sei Dank! Probenbeginn!

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Mittwoch, 5. Oktober 2011 21:22
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