DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE XV (KOPFLOSER ENGEL / KAPITEL FÜNF)

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Und so geht die Geschichte weiter, die Archibald Mahler einfiel, als das Viech sein Bein hob:

…………..

Diesmal war es Podulskis Stimme, welche fremd klang, als er in Hellingers Büro saß und seinen Chef bat ihm bei der Abwicklung des Falles Stützerbach freie Hand zu lassen.

„Podulski, Sie wissen daß ich kein Freund von Geheimabsprachen und Mauscheleien bin. Und besonders in diesem Falle würde ich gerne diesen, verzeihen Sie, etwas minderbemittelten Hobbyfotographen kennenlernen, der meine Frau, und somit auch mich, so langsam in den Wahnsinn treibt.“

„Herr Kriminalrat!“ Podulski massierte mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand seine Nasenspitze. „Soweit ich informiert bin, hat ihre Gattin nicht unmaßgeblichen Anteil an der Eskalation der ganzen Geschichte. Sie wissen ja um die teilweise recht überbordende Impulsivität Ihrer Frau. Ich glaube, es ist für alle Beteiligten das Beste, wenn wir die Sache so geräuschlos wie nur möglich hinter uns bringen.“

Hellinger preßte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander, im Hathayoga eine Übung, welche die Inspiration fördern soll, und nickte Zustimmung. „Ich denke, Sie haben recht.“

„Danke, Chef. Ich teile Ihnen heute abend Ort und Zeitpunkt der Übergabe der Geisel mit. Und bitte kommen Sie alleine. Ganz alleine.“

„Versprochen. Hauen Sie ab. Ach noch was. Für dieses Konzert, auf dem Ihre Band die neue Platte vorstellt, gibt es da noch Karten?“

„Sie meinen die Releaseparty? Glaube ja. Sie kommen ohne Ihre Gattin?

„Keine Sorge, die hört nur Phil Collins.“

„Gut. Sie sind auf der Gästeliste.“

Es war kein Gespräch gewesen zwischen dem Bassist der Alterspunkband MITLIFEKRISE, Spitzname Gottes Fritz, und deren Manager, Kampfname Bingo Ingo, welches am gestrigen Tag stattgefunden hatte. Nein, Herr Podulski, Hauptkommissar bei der Giessener Kripo hatte Herrn Wolfsbeuel, Faktotum und zur Zeit auch Straftäter, angerufen. Und nach einigem Hin und Her, und, um auch dies nicht zu verschweigen, unverhohlenen Drohungen seitens Gottfried Podulski, hatte Ingo Wolfsbeuel dann detailliert und wahrheitsgetreu geschildert, was an jenem Samstag vor etwas mehr als einer Woche vorgefallen war. Daß er, Podulski, damals noch als Gottes Fritz und Bassist, woran er sich hoffentlich erinnere, wenige Minuten nach seinem Anruf in der Weststadt aufgetaucht war, Ingo seine legendäre Sonnenbrille übergeben hatte mit den Worten: „Setz sie dem Engel auf die Nase und hüte sie wie Deinen Augapfel, sonst laß Dich bis zum Sankt Nimmerleinstag hinter schwedische Gardinen verfrachten.“ Daß Ingo daraufhin Sportschau und „Wetten daß“ fahren ließ, seine alte Spiegelreflexkamera geschultert hatte und bei hereinbrechender herbstlicher Dämmerung und kurz vor Toresschluß den Alten Friedhof betreten habe. Daß er dabei dachte, was für ein göttlicher Schwachsinn es sei, wenn ein paar mittelalte Dreiakkordhelden ihre neue Platte „Krieg, Englein. Krieg“ nennen, bloß weil in einem Lied von Scheidung, in einem zweiten von Bagdad die Rede war. Daß er bei Röntgens Grab rechts abgebogen war und gegen 19 Uhr 15 vor dem Schwarzen Engel stand, sich umgesehen hatte, ob ihn niemand beobachtet, über das schmiedeeiserne alte Gitter geklettert war und dem Engel die „Ray Ban Wayfarer“ des Herrn Podulski auf die Nase gesetzt habe. Daß, als einige Zeit später sein Auge durch den Sucher blickte und einen geeigneten Bildausschnitt suchte und fand, plötzlich ein fetter Boxer ins Bild gesprungen sei. Und daß jenes Vieh ihm sehr bekannt vorgekommen, weil es ihn, Ingo Wolfbeuel, fast schon regelmäßig bei seinen täglichen Nachdenkeinheiten auf dem Alten Friedhof störte, in dem es entweder rumkläffte oder die Gräber längst verstorbener Seelen bespritzte und vor allem deshalb, weil es dabei von einer Frau begleitete wurde, deren Stimme jede Aktion ihres undisziplinierten Haustieres in schrillsten Tönen kommentierte. „Nein, mein kleiner ungezogner Schatz. Komm zur Mutti. Der dicke Mann möchte lesen. Komm, mein kleiner Schatz.“ Und er erzählte, daß im selben Moment, als das Vieh im Sucher aufgetaucht war, es mit einem eleganten Sprung das schmiedeeiserne Gitter überwand, sich niederließ und dem bebrillten und verdutzten Engel einen Haufen von veritabler Größe vor die Füße setzte. Daß er darauf das heraneilende Frauchen – seine Nerven waren ohne Fußball und Bier bis zum Reißen angespannt gewesen – mit den gebrüllten Worten, was sie denn davon halten würde, wenn irgendwelche verzogenen Schoßhunde einstens auf ihrem Grabe solche Denkmäler hinterlassen würden, empfangen hatte. Und daß er seine Rede, den angespannten Nerven sei es gedankt, mit einer ganzen Reihe von Kraftausdrücken garniert habe, die im wesentlichen weibliche Geschlechtsorgane zum Thema hatten. Daß die Dame darauf geantwortet habe, ihre Henriette würde so etwas nie tun, dazu sei sie viel zu gut erzogen, worauf er seine Kamera in die Luft gehalten habe und der Dame das Angebot machte, ihr jederzeit einen Abzug des belastenden Fotos zur Verfügung zustellen. Daß dann die Dame mit einen gezielten Tritt die Kamera aus seiner rechten Hand getreten habe und dabei gesagt habe, ihr Mann sei Chef der Giessener Kripo und wenn er, der haarige Fettsack, seine Hackfresse innerhalb kürzester Zeit hinter Gittern sehen wolle, solle er dies ruhig tun und daran anschließend plötzlich mit gellender Stimme losgeschrieen habe: „Hilfe. Ist da niemand. Der Mann will mich vergewaltigen. Hilfe. Zu Hilf.“, daraufhin auf dem Absatz kehrtgemacht habe und mit wehend blonden Haare von dannen stolziert sei. Daß er, Ingo, wiederum nach einiger Zeit der kompletten Fassungslosigkeit bemerken durfte, daß das Corpus delicti, die Boxerhündin Henriette von Stützerbach, immer noch, genauso fassungslos, am Orte ihrer Verrichtung verharrte. Und daß letztendlich, da das Frauchen wohl ihren Triumph allzusehr genoß und darüber ihr Haustier komplett vergessen hatte, er es am Halsband gepackt habe und es in die Weststadt entführt hat. Das Weitere kenne man dann ja. Henriette von Stützerbach hatte, auf Ihrer Pferdedecke vor sich hindämmernd, mit halbem Ohr Ingos Schilderung des Tatvorganges gelauscht. Sie erwachte von gellendem Lachen. Mit einem kurzen Kläffen bestätigte sie die Richtigkeit des soeben Gehörten, gähnte kurz und schlief wieder ein. Zwei alte Freunde, Gottes Fritz und Bingo Ingo saßen neben dem schlafenden Vieh, tranken Dosenbier, rauchten und lachten bis ihnen das Zwerchfell schmerzte.

…………………

So! Pause erstmal.. Archibald Mahler erhebt sich und macht sich auf zu einer neuen Bank. Und dem nächsten Kapitel. Bis morgen dann!

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Donnerstag, 16. Juni 2011 7:15
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