VOM GEDANKENSCHRANK ÜBER DEN STEINBRUCH ZUR WUNDERTASSE

TFTW2

„Ich öffne den Schrank. Ich sehe Regalböden. Die Abstände zwischen den Regalböden differieren. Sie suggerieren Möglichkeiten. Hier dicke Pullover, dort Unterwäsche, da klare Gedanken, rechts davon zerknüllte Socken, darüber Unerledigtes, Angedachtes. Auch das Unerledigte scheint ordentlich gefaltet. Es riecht nach: Lavendel, Oleander, Jasmin. Oder nach Sekundärliteratur und Halbwissen. Wie das geballte Fäustchen wuchtig auf die Sperrholzplatte niederrumpelt! Das hätten wir auch noch bemerkt! Fachlaie. Expertenidiot. Doktormami schaukelt den Schlaubär in den Schlaf. Am nächsten Morgen wacht man auf und hat sich ein Loch ins Hirn gedacht. Und weil die Welt kein Vakuum duldet – außer in den Aufrechtgeherlaboren – kommt was nach. Erst wird die Kohle aus der Erde gekratzt, löst sich in Rauch auf, man hatte warme Füße für die eine Nacht oder die andere und dann brechen die Steine an den Rändern. Von unten her drückt das Wasser. Vom Grunde her drückt gründlich Grundwasser ohne Grund. Was leer gemacht wurde, füllt sich schneller als es dem Zweibeiner lieb. Als hätte er vergessen, daß er ohne einen Kreislauf umkippt. Wie der Handwerker gerne bemerkt: Nach fest kommt lose! Linear hätte er es gerne, der Aufrechtgeher! Immer nach vorne! Pöterkratzen einsfuffzig, der Herr! Die Nacht heißt Nacht, weil sie dunkel war. Sieht noch jemand einen Stern in den Urbanwüsten? Das hat Mister Edison gewiß nicht so gewollt. Die Rückkehr der Kerzenzieher ist nicht mehr fern. Kreislauf! Am Rande meines Gedankensteinbruches steht der Gedankenschrank des letzten Jahres und rutscht und rutscht und rutscht so langsam vor sich hin. Das Leben eines Bären ist eine Wundertasse!“

Was man in den Wäldern so alles denkt! Archibald Mahler ist der alten Trasse der Kanonenbahn gefolgt, die unterhalb seiner Grillhütte verläuft. Er erreicht eine Anhöhe. Der Wind pfeift. Weiterhin milde. Das ist gut so. Zu seinen Tatzen die Lahnaue. Direkt vor seiner Nase: ein Loch. Ein wildes Loch. Ein – Darf man das denken? – romantisches Loch. Einen Augenblick lang hat er das Gefühl, dies sei der Ort, wo Old Shatterhand einst seinem Blutsbruder Winnetou das Versprechen gab ihn in Santa Fe und so weiter. Aber rein genetisch bedingt hat Archibald Mahler, Bär über Dorlar, kein wirklich entspanntes Verhältnis zu Rothäuten aller Art. Egal. Später davon. Das Wasser da unten lockt. Der Bär hat Durst. Und dort blühen Weidenkätzchen. “Folge dem Rumpeln des Magens!” Aha! “Kratz Deinen Sterz an der Biegung des Flußes!”

Das Jahr des Herrn Mahler ist noch ein junges Jahr. Es beginnt andererseits recht rasant. Archibald weiß noch nicht so recht, was er davon halten soll. Letztes Jahr hat er den Gedankenschrank erfunden. Jetzt sitzt er am Rande eines Steinbruches. Zweitausendelf scheint sich zur Wundertasse auszuwachsen. Die Welt tanzt eine Walpurgisnacht.

Tags »

Autor: Christian Lugerth
Datum: Dienstag, 15. März 2011 17:09
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: Thoughts From The Woods

Feed zum Beitrag: RSS 2.0 Kommentare und Pings geschlossen.

Keine weiteren Kommentare möglich.