EIN BÄR VERMISST DAS MEER

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Ruhe war eingekehrt in der Höhle. Eva Pelagia war, wie jeden Morgen, früh aus dem Hause gegangen. Wenn der Turm der Stadtkirche läutet, ruft ihr Büro. Einige Stunden später hatte sich auch Ernst Albert auf den Weg gemacht. Am Abend sollte am hiesigen Musentempel für ihn ein neues Projekt beginnen. Wohlgemerkt am Abend des hilligen Rusemondaach, wie die Kölschen sagen. Heftige Verwünschungen ausstoßend, aber durchaus gutgelaunt, da ihm zur Zeit das Leben recht viel Spaß macht, polterte er das Treppenhaus hinunter und hielt einen Vortrag darüber, daß es wohl nur wenige gäbe, die das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden könnten und daran kranke der gesamte Erdball und was weiß der Teufel alles. „Mit wem redet der eigentlich gerade?“, dachte sich Archibald Mahler, der auf einem mittelhessischen Küchentisch unter karnevalistischem Wurfmaterial begraben saß und – gezwungenermaßen – gerade dabei war seinen Winterschlaf zu beenden. Doch was soll`s! Der Bär genießt die eingetretene Stille.

Der Blick eines Erwachenden richtet sich naturgemäß erst mal zurück. Entgegen aller Versprechungen der Werbung und entgegen all der Sprachhülsen von Motivationstrainern, Politikern und Kulturmanagern schaut man am Beginn eines neuen Vorhabens nicht schwungvoll in die aufgehende Sonne, sondern zuerst hirnverknotet und desorientiert nach hinten, um festzustellen, ob der Mond noch über einem steht, diese oder jene Nacht noch dunkelt und überhaupt. Dies tut auch und gerade ein Bär. Wo kam er her? Wohin hatten seine Augen geblickt, bevor sie sich für lange Wochen und Monate geschlossen hatten? Was klebte ihm noch am Fell? Und da riecht er es:  Spuren von Salzkristallen. (Wer sich letztes Jahr ab und zu mit des Bären besonderen Fähigkeiten auseinandergesetzt hat, weiß um die phänomenale Empfindlichkeit einer Bärennase! Wer nicht, klicke sich durch die Archive rechter Hand! Schönen Gruß vom Setzer!) Und was spürt er auf der Haut unter seinem Fell? Reste von Sand. Algenstücke. Woher? Warum? Langsam setzt sich ein Bild zusammen, doch bevor es vor seinem inneren Auge auf die Mattscheibe des erwachenden Bewußtseins geworfen wird, trifft der Stich das Bärenherz. Ein Bär vermißt das Meer.

Die Strandkörbe, die Fischbrötchen, die Schiffe und der Wind, der sein Fell mit Sand und Salz mariniert hatte. Und der Blick einmal um die Welt und wieder zurück. Das hatte er sehr gemocht, damals, bevor ihm die Augen zufielen. Dort hatte er eigentlich auch wieder aufwachen wollen. Der Blick hinaus auf kabbelnde Wasser. Er seufzt. Auch davon wird man etwas wacher. Sein Blick fällt auf eine der vielen, vielen Postkarten, die Ernst Albert von seinen Arbeitsausflügen nach Hause geschickt hatte. Archibald sieht darauf Schiffe, große Schiffe und ein klein wenig Meer. Das tröstet. Und das wiederum macht noch ein Stückchen wacher. Im Hintergrund hört er den Lütten Stan jubeln. „Ja lüch ich denn. Dat Bärenviech iss sich die Ehre seiner neuerlichen Präzenz am Geben tun. Hömma, wat Du am verpassen warst in Deine winterliche Rekreationsphase! Neunzehn Punkte Vorsprung auffen bajuwarischen Comedyclub! Glaub ich dat woll?“ Gut zu hören und dies macht natürlich noch etwas präsenter – äh – wacher! Archibald beschließt einen nächsten Schritt zu tun. Er atmet ein, er atmet aus, kratzt sich am Pöter – wie gehabt – und sagt: „Na also.“ Die Jungs sind wieder in der Stadt.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Montag, 7. März 2011 23:51
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