DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (II)

kiel6

Das erlebte Archibald Mahler, als er die Badewanne seiner Fantasie durchsegelte:

Jack London war ein Trinker. London war aber nicht nur Trinker, er war auch der Neffe des berüchtigten Captain Keith „T for Teague“ Bligh, dem unumschränkten Herrscher über alles, was im Hafen von Portsmouth ein – oder auslief.

Archibald Hawkins war kein Trinker. Archibald Hawkins, Schiffsjunge in spe, hatte unlängst auf der „Hispaniola“ für seine erste Fahrt angeheuert. Heute abend saß er im „Goldenen Haifisch“ in Begleitung seines zukünftigen Lehrherrn, dem einbeinigen Schiffskoch Long John Larsen. Man feierte den Abschied von der Heimat und Klein – Hawkins kam nicht umhin sich seinen ersten doppelten Gin zur Brust nehmen zu müssen. „Auf alle Heiligen Klabautermänner und die Hintern, die uns auf der anderen Seite des Ozeans erwarten. Und leert die Fässer, bevor sie vergammeldansken!“, rief Mick „The Gulliver“ Finn, der Steuermann, in die verräucherte Taverne hinein, nahm den zukünftigen Schiffsjunge in den Schwitzkasten und unter dem brüllenden Gelächter der versammelten Crew flößte er ihm einen zweiten Gin ein, diesmal einen vierfachen. Die Welt drehte sich so schnell wie nie zu vor.

Archibald Hawkins stand vor der Türe des „Goldenen Haifisch“, die neblige Novemberluft nahm ihm den Atem, zwischen seinen Schenkeln und in der Tiefe seines Magen drängte so manches nach außen und auf der anderen Seite der schmalen Straße wankten die Hafenmole, ein paar Poller, ein Lagerschuppen, eine dunkle Ecke, alle Erleichterung verheißend. Von rechts raste umgebremst heran der Zweispänner des volltrunkenen Jack London. Er hatte die Kontrolle über seine überhitzten Schindmähren verloren. Das rechte Bein des Archibald Hawkins, welches gerade den Straßenrand betreten hatte, kollidierte mit dem schlingernden Gefährt, trennte sich auf Grund des Aufpralls vom Leib des armen Schiffsjungen in spe und blieb auf der anderen Seite der Hafenpromenade neben einem Poller liegen. Vor der Türe des „Goldenen Haifisch“ lag der restliche Archibald. In seiner rechten Pfote hielt er, heldenhaft umkrampft, ein bemaltes Stück Bärenhaut, welches im Moment des unglücklichen Zusammenstoßes aus den Händen des Trunkenbolds Jack London durch die neblige Luft direkt in die Arme des unschuldigen Unfallopfers geflogen war. Die zwei Schindmähren und ihre Fracht lagen aber im Hafenbecken. Dies war die Stunde von Orca, dem Killerwal. Irgendwo in weiter Ferne lachte Käptn Ahab.

Long John Larsen war Schiffskoch, doch einstens war er Schiffsarzt gewesen. Allerdings hatte er, nachdem ihm bei einer ordentlichen Kneipenschlägerei der jähzornige Maschinist Sir Francis “Freitag” Fletcher ein rostiges Messer in den Oberschenkel gerammt hatte, versucht sein eigenes Bein zu amputieren. Was ihm auch gelang. Aber ein einbeiniger Schiffsarzt? Wenn es so richtig stürmt? Den Kartoffeln macht das nichts, wenn das Messer mal wegen mangelnder Standfestigkeit woanders hinschneidet als geplant. So wurde Long John Larsen, weil er von der See nicht lassen konnte, Schiffskoch. Und nun saß er im nebligen Hafen von Portsmouth auf einem Poller und nähte einem kleinen Bären, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Schiffsjunge zu werden, sein abbes Bein an. Manchmal gibt einem das Leben die Chance etwas wiedergutzumachen. „Komm, mein Junge! Schnell an Bord! Dort im Hafenbecken treiben die abgenagten Knochen des Neffen Jack! Die Rache des Captain Bligh wird fürchterlich sein! Nichts wie weg! Leinen los!“ In weiter Ferne wünschte Columbus Glück.

Sieben lange Tage war man nun schon auf See. Madeira. Kapverden. Recife. Das Bein hielt. Man nannte ihn den Hinkebär. Das war ihm egal. Und ihm war auch nicht mehr jeden Morgen schlecht vom Auf und Ab der Wellen. Archibald Hawkins lernte die Freuden eines Lebens als Schiffsjunge kennen. Wanten hoch und Stagen runter. Rahsegel gerefft. Rahsegel geborgen. Deck geschrubbt. Nacht bewacht. Kartoffeln geschält und dann mit bloßer Hand zu Kartoffelpüree verarbeitet. Telefonbücher zerrissen. Feuerchen damit gemacht. Rauf ins Krähennest, Ausguck gehalten. Warten bis man einen Kürbis an die Rübe kriegt, dann runterklettern, Kürbis kleinhacken, Suppe mit machen, Kartoffelpüree dazu servieren. Zwei Stunden Schlaf. Klock zwei: Wanten wieder hoch. In der Ferne nur Ferne.

In Archibalds Koje, unter Gideons Bibel, die er als Kopfkissen benutzte, lag fein säuberlich gefaltet das Stück Bärenhaut, welches ihm Long John Larsen nach der Anoperation aus der Pfote klamüsert hatte. Das Stück Haut vor von oben bis unten bemalt mit Pfeilen, Wegen, Abkürzungen, angedeuteten Bergen, Flüssen, Wäldern und allerlei Heimlichkeiten. Was das alles bedeutete? Archibald war es gleich. Die Erinnerung daran überlebt zu haben: dies reichte ihm.

Ein fürchterlicher Sturm erwischte sie etwa drei Kilometer hinter dem Bermudadreieck. „Alle Mann an Bord.“ Alle? Mick „The Gulliver“ Finn stand vor des Schiffsjungen Koje. Er hielt die lang ersehnte Schatzkarte in seinen klebrigen Händen. (to be continued…perhaps)

Ernst Albert hatte Archibald alleine denken lassen. Er war etwas am Ufer hin und her geschritten und hatte sich Worte für die kommende Musentempelarbeit im Heckerland ins Hirn geklebt. Er war etwas überrascht, als er bei seiner Rückkehr den Bären in den Wanten eines kleinen Einmasters hängen sah. Der Bär war fürchterlich aufgeregt. „Die gehört mir! Verdammt noch mal. Das ist meine Schatzkarte.“ Das rief er immer wieder. „Hey Seebär in spe, mach mal langsam. Das Nordlicht hat es nicht so mit emotionalen Ausbrüchen in der Öffentlichkeit! Ich hab hier noch zu tun!“ Ernst Albert holte ihn zurück an Land. Der Bär kam zu sich. „Ich glaube, jetzt kann ich auch auf einem richtigen Schiff fahren!“ „Na dann man tau, Maat Mahler!“

Tags »

Autor: Christian Lugerth
Datum: Freitag, 29. Oktober 2010 19:48
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: Archibalds Geschichte, Kieloben

Feed zum Beitrag: RSS 2.0 Kommentare und Pings geschlossen.

Keine weiteren Kommentare möglich.