Herr Mahler kritisiert Herrn Lenz, mietet eine Zweithöhle an und geht nach Hause

zweitwohnungEs hatte die Nacht über aus Kübeln gegossen. Archibald erwachte und kroch aus seinen Unterschlupf. Er war nach seinen Rundflug über die kleine häßliche Stadt vor dem einsetzenden Regen in den Park geflüchtet. Die freundlichen Gärtner hatten dort im letzten Herbst eine Holzkiste aufgestellt, diese mit Laub gefüllt und mit Styropor fein säuberlich ausgekleidet, damit dort Igel und andere Bedürftige ihre Winterruhe halten können. Dort hatte der Bär sich – Gelernt ist gelernt! – verkrochen und bestens geschlafen, den indischen Heilblättern sei es gedankt. Nun war er aufgewacht. Auf, neben und vor der Kiste nieselte es. Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz, schickte einen extrem lenzkritischen Blick zum grauen Himmel. Herr Lenz hatte dies wohl bemerkt, trat hinter einer Birke hervor und sprach: „Werter Herr Mahler! Ich sehe sehr wohl ihren vorwurfsvollen Blick. Auch verstehe ich diesen, angesichts der Tatsache, daß mein Vorgänger Ihnen dieses Jahr einiges zugemutet hat. Doch erwarten Sie nicht zuviel vom Frühling! Es gibt kein Versprechen im Frühling, es gibt nur ein Wetterleuchten dieses Versprechens. Wissen Sie es zu würdigen und zehren Sie davon!“ Daraufhin spannte Herr Lenz seinen Regenschirm auf und verschwand hinter dem nächsten Gewächshaus. Unter Archibalds Hintern raschelte es. Ein Igel kroch ins Freie, drehte sich um und bemerkte: „Mein lieber Herr Bär, diese Unterkunft wäre jetzt zu haben. Bis Mitte oder Ende November, wenn Sie Interesse haben!“ Großartig, ein kleiner Sitz draußen auf dem Lande! Na ja, zumindest im Grünen. Hocherfreut stimmte Archibald zu. Auf den Handschlag verzichtete er wohlweislich. Man kennt das ja mit den Igeln und eine entzündete Pfote ist eine lästige und langwierige Angelegenheit. Der Igel nickte kurz zum Zeichen des Abschieds, zog sich ein Regencape über und verkroch sich unter dem nächsten Gebüsch. „Potzrembel aber auch, diese indischen Heilblätter haben es aber in sich!“, dachte Herr Archibald Mahler.
Der große russische Geschichtenerzähler Leo Tolstoi soll einst gesagt haben: „Der Gedanke ist alles. Der Gedanke ist der Anfang von allem. Und Gedanken lassen sich lenken. Daher ist das Wichtigste: Die Arbeit an den Gedanken.“ Nicht daß Archibald, der er ja erst vor wenigen Tagen das Buchstabenriechen erlernt hatte, schon die Muße gehabt hätte, die über 1500 Seiten von „Krieg und Frieden“ durchzuschnüffeln, aber mit obigen Ausspruch hatte Herr Tolstoi ganz gewiß recht. Es war also höchste Zeit, sich mal wieder vor den Gedankenschrank zu setzen und die letzten Tage und Gedanken zu ordnen. Zudem begann es wieder zu regnen und des Bären neuer Landsitz hatte leider keine Heizung. Wenn man sich an einen gewissen Komfort gewöhnt hat, also bitte! Mag man es spätrömisch nennen oder nicht! Archibald machte sich auf den Weg nach Hause.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Montag, 22. März 2010 8:19
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